Adipositas - Erscheinungsformen, Ursachen und pädagogische Interventionsmöglichkeiten (Aufgaben der Gesundheitserziehung)


Examensarbeit, 2005

111 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. EINLEITUNG

2. DEFINITION
2.1. Normalgewicht
2.2. Idealgewicht
2.3. Untergewicht
2.4. Übergewicht
2.5. Adipositas
2.6. Adipositas bei Kindern

3. ERSCHEINUNGSFORMEN
3.2. Regionale Fettverteilung
3.1. Alter

4. EPIDEMIOLOGIE
4.1. Häufigkeit und Verteilung
4.2. Kosten

5. URSACHEN
5.1. Genetische Ursachen
5.1.1. Familienuntersuchungen
5.1.2. Adoptionsstudien
5.1.3. Zwillingsforschung
5.1.4. Tiermodelle
5.1.5. Genforschung
5.1.6. Zusammenfassung
5.2. Soziokulturelle Faktoren
5.2.1. Vergangenheit
5.2.2. Gegenwart
5.3. Alimentäre Adipositas
5.3.1 Binge Eating Disorder
5.4. Zusammenfassung

6. FOLGEN
6.1. Physiologie
6.2. Psyche

7. THERAPIEMÖGLICHKEITEN
7.1. Diätetische Maßnahmen
7.2. Verhaltenstherapie
7.3. Bewegungstherapie
7.4. Medikamente
7.5. Chirurgische Therapie
7.6. Therapeutische Maßnahmen bei Kindern
7.7. Zusammenfassung

8. PÄDAGOGISCHE INTERVENTIONSMÖGLICHKEITEN
8.1. Gesundheitserziehung und Gesundheitsförderung
8.2. Die gesundheitsfördernde Schule
8.2.1. Prävention
8.2.2. Ernährung
8.2.3. Bewegung
8.2.4. Elternarbeit
8.2.5. Zusammenfassung

9. FAZIT

10. LITERATURVERZEICHNIS

1. Einleitung

Die Fettpolster, die sich unter dem T- Shirt abzeichnen, verleihen dem Kind einen Busen und das groteske Aussehen einer frühreifen Frau. Manchmal kommt sie weinend nach Hause, weil die Klassenkameraden nicht mit ihr spielen wollen, ihr "Fettkloß" nachrufen.1

Diese Beschreibung einer Zehnjährigen erscheint auf den ersten Blick unglaubwürdig, geradezu borniert. Möglicherweise weil man sich das Ausmaß der Folgen eines überhöhten Lebensmittelangebotes unserer Wohlstandsgesellschaft nicht eingestehen will. Die Nahrungsaufnahme, die für den menschlichen Organismus unerlässlich ist, hat sich zu einer gesundheitlichen Bedrohung der deutschen Bevölkerung entwickelt.

Die Häufigkeit von Adipositas bei Erwachsenen steigt, aber auch immer mehr Kinder leiden an überflüssigen Kilos. Das Ausmaß ist bereits so groß, dass die Wirtschaft Profit aus dieser Entwicklung schlägt. Neben der stetigen Erweiterung der Diätindustrie wird sich schon auf einen "neuen" Körperbau der nachkommenden Generation eingerichtet. So veröffentlichte ein großes Versandhaus in diesem Jahr den ersten Katalog für übergewichtige Kinder. "Passt.de"2 enthält modische XXL- Kleidung für Kinder ab 120 cm Körpergröße.

Für adipöse Heranwachsende entstehen aber nicht nur Nachteile durch mangelnde Kleiderauswahl, viel gravierender sind körperliche Folgeerscheinungen. So sind Probleme mit dem Herz- Kreislauf- System oder Altersdiabetes auch schon in jungen Jahren keine Seltenheit mehr; dazu kommen seelische Leiden. Ausschluss von Gleichaltrigen und Hänseleien gehören häufig zum Alltag.3

In meiner späteren Berufspraxis werde ich mit unterschiedlichen Kindern zusammenarbeiten. Dabei wird auch der Umgang mit adipösen Kindern zu meinen Aufgaben gehören. Es ist häufig bei ihnen vermehrt angebracht auf die Integration in die Klassengemeinschaft zu achten. Außerdem sollte versucht werden im Sinne der Gesundheitsförderung das Ausmaß von Übergewicht einzudämmen. Fraglich ist dabei, ob es möglich ist im Schulalltag dem Fortschreiten der oben dargestellten Entwicklung entgegenzuwirken, um den heutigen SchülerInnen4 eine gesündere Zukunft zu ermöglichen. Dies soll im Rahmen der folgenden Arbeit zum Thema "Adipositas. Erscheinungsformen, Ursachen und pädagogische Interventionsmöglichkeiten (Aufgaben der Gesundheitserziehung)" erläutert werden.

Um die Frage nach der Notwendigkeit klären zu können, muss vorab eine Definition des im Rahmen dieser Arbeit zu Grunde liegenden Adipositasbegriffes vorgenommen werden. Darüber hinaus erscheint es mir wichtig, unterschiedliche Erscheinungsformen und ihre Spezifika vorzustellen. Um die Auswirkungen, die sich aus dem dargestellten Problem für die Gesellschaft ergeben, einschätzen zu können, muss dargestellt werden, in welcher Häufigkeit Adipositas auftritt und welche Kosten dadurch verursacht werden. Des Weiteren ist es unerlässlich vorzustellen, welche Ursachen dem Phänotyp Adipositas zugrunde liegen, um darauf basierend zu entscheiden, inwiefern eine schulische Beeinflussung sinnvoll ist. Anschließend werden zum Einen die Folgen dargestellt, die sich für die Betroffenen im Einzelnen ergeben, und zum Anderen wird aufgeführt wie man die vorliegende Problematik zweckmäßig therapieren kann.

Aufbauend auf die Darstellung der theoretischen Grundlagen über Adipositas ist es möglich, sich mit dem Entgegenwirken von Übergewicht in der Schule zu beschäftigen. Ich werde mich dabei auf den Lebensraum Grundschule beschränken, da hier eine frühe Beeinflussung der Schüler möglich ist. Es gilt zu klären, welche Handlungsmöglichkeiten der Institution Schule zur Verfügung stehen und wie diese zu bewerten sind. Die Arbeit schließt mit einem Fazit.

2. Definition

Im Allgemeinen wird Adipositas (lat. adipatus = fettig) mit dem deutschen Begriff der Fettleibigkeit übersetzt.5 Zum Teil wird dieser Begriff in der Literatur mit dem Ausdruck Fettsucht gleichgesetzt. Heute distanziert man sich immer mehr davon, da Fettsucht zu diskriminierend für den Komplex einer solchen Krankheit erscheint und das Phänomen Adipositas nicht die Kriterien einer Sucht erfüllt.6 Um Ursachenforschung betreiben bzw. Folgen dieser Erkrankung besser bestimmen zu können, ist eine genauere Klassifizierung dieser Krankheit unumgänglich.

In der Literatur werden verschiedene Methoden genannt, um die Gewichtsklasse einer Person zu bestimmen.

Ging man vor einiger Zeit noch davon aus, dass der französische Arzt Paul Broca7 im letzten Jahrhundert mit dem BROCA- Index (Körperlänge in cm minus 100 ergibt Normalgewicht für Erwachsene in kg) die ideale Lösung gefunden habe, das Normalgewicht einer Person zu bestimmen, so scheint diese Methode heute veraltet.8 Dennoch wird in der Literatur der BROCA- Index zur Klassifikation des Gewichtes herangezogen. So spricht man z. B. von Idealgewicht, wenn das tatsächliche Gewicht bei einer Frau um 15 %, bei einem Mann um 10 % geringer als der BROCA- Index ist.9 Allerdings führt diese Verfahrensweise bei sehr großen oder sehr kleinen Menschen zu Ungenauigkeiten.10

Genauer und verbreiteter ist heute der Body- Mass- Index (im Folgenden BMI). "Dieser Wert korreliert selbst bei Kindern in einem Bereich mit dem Körperfettgewebe und ist in dieser Hinsicht dem veralteten BROCA- Index vorzuziehen."11 Der BMI wird durch die Formel "Körpergewicht in Kilogramm dividiert durch die Körperlänge in Metern zum Quadrat" berechnet.12

Um eine Person in eine der Klassen Untergewicht, Idealgewicht, Normalgewicht, Übergewicht oder Adipositas einzuordnen, stellen die Wissenschaftler Tabellen zur Verfügung, die nach Berechnung des BMI Aufschluss über eine mögliche Problematik geben. Im Folgenden werde ich die oben genannten Gewichtsklassen genauer definieren, um die Sinnbedeutung der Adipositas deutlicher herauszustellen.

2.1. Normalgewicht

Diese Gewichtsklasse kann am einfachsten bestimmt werden.

Das Normalgewicht ist das durchschnittliche Gewicht innerhalb einer Bevölkerungsgruppe und wird, statistisch gesehen, mit dem Mittelwert oder Median angegeben.13

So kann also das Normalgewicht möglicherweise weit über dem wünschenswerten Idealgewicht liegen und sagt somit nichts über die gesundheitliche Bedeutung des Körpergewichtes aus.14

In der Literatur gibt es auch hier leicht abweichende Definitionen, am Häufigsten wird aber davon ausgegangen, dass ein Normalgewicht bei Männern bei einem BMI von 20 bis 25 kg/m², bei Frauen von 19 bis 24 kg/m² vorliegt15, was einem BROCA- Index von 90- 110 % entspricht. Allerdings sollte man dabei das Alter außer Betracht lassen, da das Gewicht mit dem Alter tendenziell ansteigt, wobei im letzten Lebensjahrzehnt (65- 74 Jahre) das Gewicht wieder rückläufig ist.16

2.2. Idealgewicht

Bei dieser Klasse wird nicht, wie vielleicht vermutet, ein ästhetisches Empfinden angesprochen. Diese Einschätzung könnte zu Missverständnissen führen. Anders als beim Normalgewicht wird diese Größe klinisch festgelegt. Das Idealgewicht ist der Wert, bei dem die geringste Mortalität bzw. Morbidität vorliegt. Das "Gewicht mit der geringsten Sterblichkeit"17 wurde im Jahr 1959 von der Metropolitan Life Insurance Company, einer großen amerikanischen Versicherungsgesellschaft, ermittelt. Danach sollten Frauen einen BMI von 21,5 kg/m² und Männer einen BMI von 22 kg/m² erreichen. Dieser Wert wurde im Laufe der Jahre weiter nach Alter ausdifferenziert und leicht nach oben korrigiert. Bei jüngeren Personen wird demnach ein BMI von 20- 26kg/m², bei älteren von 23- 29 kg/m² für erstrebenswert gehalten.18

2.3. Untergewicht

Auch bei zu starkem Untergewicht kann laut Angaben der Metropolitan Life Insurance Company von einer erhöhten Mortalität ausgegangen werden. Allerdings ist dabei nicht ganz klar, ob das Untergewicht als die alleinige Ursache für die hohe Sterblichkeit angesehen werden kann, oder ob andere Faktoren dabei eine Rolle spielen. So ist es nach Wayt Gibbs z.B. häufig der Fall, dass besonders schlanke Personen zu einem erhöhten Nikotinkonsum neigen, der bekanntlich starke gesundheitliche Schäden nach sich zieht.19

Im Allgemeinen wird bei einem BMI von < 20 kg/m² bei Männern und < 19 kg/m² bei Frauen von Untergewicht gesprochen.20 Wirth ergänzt diese Ausdifferenzierung durch den Hinweis, dass in der Praxis die Geschlechter für die Bestimmung von Untergewicht vereinheitlicht werden.21 Mit ihm legen auch Elrot und Pudel den Messwert für Untergewicht bei < 20 kg/m² für beide Geschlechter fest.22

2.4. Übergewicht

Von Übergewicht wird nach Wirth dann gesprochen, wenn der BMI bei einem Wert von 25- 30 kg/m² liegt. Dieser Wert entspricht einem BROCA- Index von 110- 125 %. Bereits dieses Ausmaß kann zu einer erhöhten Mortalität führen.23 An anderer Stelle wird deshalb hier von Adipositas (Grad I) gesprochen.24

Die wissenschaftliche Diskussion zur Bewertung und Klassifizierung von Übergewicht ist noch voll im Gange, weil Soll- und Übergewicht von sehr vielen individuellen Einflussfaktoren bestimmt werden und entsprechend schwer zu deklarieren sind.25

Dieses Zitat verdeutlicht, warum sich die Autoren bei der Einteilung so uneinig sind. Allerdings wird von niemanden in Frage gestellt, dass ein Gewicht von über 25 kg/m² bereits gesundheitsschädlich sein kann.

Bei der Definition von Übergewicht muss erwähnt werden, dass nicht das Gewicht allein als Kriterium für "Gesundheitsgefährdung" gelten kann, denn auch durch eine erhöhte Muskelmasse (z.B. bei Bodybuildern) kann ein Mensch der Klasse Übergewicht zugeteilt werden.26 "Übergewicht bezieht sich zunächst wertfrei auf eine erhöhte Körpermasse, die alle Gewebe (Fett, Knochen, Muskeln...) einschließt."27 In Abgrenzung dazu muss die Adipositas gesehen werden, auf die ich im Folgenden eingehen werde.

2.5. Adipositas

In der Literatur wird von einer Adipositas gesprochen, wenn der BMI bei > 30 kg/m² liegt. Heute wird die Adipositas in verschiedene Grade eingestuft. Vor einiger Zeit sprach man noch von einer morbiden Adipositas, wenn der BMI bei > 40 kg/m² lag und von einer Superadipositas ab einem BMI von > 50 kg/m². Diese Bezeichnungen sind nach wie vor in der Literatur zu finden, sollten aber nicht mehr verwendet werden.28 Zu einer genauen Diagnose einer Adipositas darf allerdings nicht nur der BMI herangezogen werden. Entscheidender ist der Körperfettanteil einer Person. Liegt dieser bei Frauen über 25 % und bei Männern über 20 %29, so kann bereits eine Adipositas diagnostiziert werden. Gemessen werden kann der Körperfettanteil anhand der Hautfaltendicke. Mit einer speziellen Messzange wird die Dicke der Hautfalte z.B. am Trizeps erhoben. Dieses Verfahren ist sinnvoll, da etwa 50 bis 70 % der Gesamtfettmasse direkt unter der Haut abgelagert wird.30

Des Weiteren gibt es verschiedene komplizierte Methoden, wie das Unterwasserwiegen oder den Einsatz von Röntgenstrahlen, aus deren Absorption man auf die Größe Körperfett schließen kann. "Eine direkte und exakte Messung des Gesamtfettgewebes am lebenden Menschen steht allerdings nicht zur Verfügung."31 In erster Linie wird aus praktischen Gründen daher mit der Errechnung des BMI gearbeitet.32

Charakteristisch für Adipositas ist die stark erhöhte Morbidität und Mortalität. Aus diesem Grund ist es besonders wichtig zwischen Übergewicht und Adipositas zu unterscheiden.33

Da die derzeitige Literatur verschiedene Einteilungen in die Gewichtsklassen bietet, werde ich mich im Folgenden dieser Arbeit an die Klassifizierung der WHO (World Health Organization) halten. Diese wurde im Jahre 1997 auf der Weltgesundheitskonferenz in Genf festgelegt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Hell; Miller (a), 2000. S.13.

2.6. Adipositas bei Kindern

Die Definition bzw. Diagnostik von Adipositas im Kindesalter gestaltet sich etwas komplizierter als bei Erwachsenen. Da Kinder sich noch im Wachstum befinden, muss der BMI alters- und geschlechtsbezogen errechnet werden.34 Allerdings gibt es hierzu unterschiedliche Meinungen. Wirth gibt in seinem Buch internationale Untersuchungen wieder, nach denen die Größe zur Beurteilung des Gewichtes genügt und sowohl das Alter als auch das Geschlecht keine ausschlaggebende Rolle spielen. Der BMI kann nach ihm als Referenzgröße herangezogen werden. Zu beachten bleibt dabei, dass dieser im Normalfall von der Geburt bis zum siebten Lebensjahr sinkt und dann kontinuierlich bis zum Erwachsenenalter ansteigt.35

Lautenschläger gibt in ihrem Buch zwar eine Tabelle aus der "Monatsschrift Kinderheilkunde" mit Grenzwerten des Body- Mass- Indexes für Jungen und Mädchen an36, fügt aber hinzu, dass die Berechnung des BMI als Diagnose einer möglichen Adipositas bei Kindern und Jugendlichen nicht ausreicht. Sie verweist darauf, dass man hier auch auf die Angaben von Alter und Geschlecht nicht verzichten kann. Daher haben Wissenschaftler Prozentränge (so genannte Perzentile) zur Erfassung des BMI bei Kindern festgelegt, die international Anerkennung finden. Nach 1985 wurde anhand der Analyse verschiedener Datensätze erklärt, dass ein Kind, dessen Gewicht über dem 90. Perzentil einzustufen ist, als übergewichtig gilt. Das bedeutet, dass 90 % der Kinder eines bestimmten Alters mit ihrem BMI unter diesem Grenzwert liegen. Kinder, deren BMI über dem 97. Perzentil liegt, können als adipös bezeichnet werden und setzen sich damit den einhergehenden Gesundheitsrisiken aus.37 Als Veranschaulichung dieser Werte sollen die folgenden Schaubilder dienen. Sie stellen die Perzentile für den Body Mass Index von Jungen und Mädchen im Alter von null bis achtzehn Jahren dar.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Kronmeyer-Hauschild; Wabitsch; Kunze u. a., 2001. S. 811.

Wirth schreibt weiter, dass eine Adipositas bei Kindern nicht die gleichen Konsequenzen haben kann wie bei Erwachsenen. So lässt sich für Kinder und Jugendliche noch kein Wert für eine erhöhte Mortalität ermitteln, daher gibt es hier auch keine klinischen Angaben.38 Die Behauptung, dass Adipositas aber ausschließlich ein Problem von Erwachsenen ist, hält Ziroli für falsch und fatal:

Dieser noch immer weit verbreiteten Ansicht muss entschieden widersprochen werden, wenn man berücksichtigt, dass Adipositas mit einer Morbidität von 10- 30 Prozent (die Zahlen schwanken in der Literatur) die am weitesten verbreitete Ernährungsstörung im Kindes- und Jugendalter darstellt.39

Diese Meinung unterstützt Lautenschläger, die davor warnt, Übergewicht bei Kindern als Babyspeck zu deklarieren und mit der veralteten Volksweisheit "das wächst sich aus"40 abzutun.41

Außerdem kann man nach vielen Untersuchungen davon ausgehen, dass ein Großteil der adipösen Kinder auch als Erwachsene mit Übergewicht zu kämpfen haben und unter den Folgeerkrankungen leiden werden.42 Diese Ansicht vertritt auch Epstein, der schreibt: "The most relevant studies of tracking are those that assess whether overweight children are more likely than their lean peers to become obese adults."43

Wie sich die Adipositas im Einzelnen äußert und welche Unterschiede es gibt, werde ich im Folgenden kurz erläutern.

3. Erscheinungsformen

Um die Krankheit adipöser Schulkinder als zukünftige Lehrerin besser einschätzen zu können, erscheint es mir sinnvoll, mich über die verschiedenen Erscheinungsformen und Merkmale zu informieren. Obwohl es aus medizinischer Sicht vielfältige Unterschiede gibt, werde ich mich hier auf die auffälligsten zwei beschränken.

3.2. Regionale Fettverteilung

Bei diesem Prinzip der Unterteilung von Adipositas ergeben sich zwei charakteristische Typen. Man spricht zum Einen von der abdominalen (androiden, zentralen, viszeralen) Adipositas, die auch Apfelform genannt wird. Diese Form ist zu etwa 80 % bei Männern vertreten, sie kann aber auch bei Frauen (ca. 15 %) vorkommen. Die andere Möglichkeit ist die periphere (gynoide, gluteal- femorale) Adipositas. Sie tritt überwiegend bei Frauen auf (ca. 85 %), ist aber auch bei Männern möglich (ca. 20 %).44

Die Fettverteilung lässt sich durch das Verhältnis vom Taillenumfang zur Hüfte ("waistto- hip ratio", kurz: WHR) bestimmen. Zu diesem Zweck wird der Quotient in Zentimetern errechnet. Liegt dieser bei Frauen bei > 0,85 und bei Männern bei >1,0, kann man von einer abdominalen Adipositas ausgehen. Liegen die Quotienten darunter, wird von einer peripheren Adipositas gesprochen.45

Wirth stellt die beiden Typen zur Veranschaulichung grafisch dar:

Fettverteilungsmuster der abdominalen (android/v eral) und der peripheren (gynoid/femoral) Form. Beide sind bei Männern undrFauen möglich.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Wirth, 1997. S. 13.

Bei auffällig adipösen Menschen, mit einem BMI über 40 kg/m², kann bei der Hälfte der Fälle keine besondere Form der regionalen Fettverteilung bestimmt werden. Hier liegt häufig eine Mischform vor. Die Unterteilung, wenn möglich, ist aber sinnvoll, weil Wissenschaftler davon ausgehen, dass je nach Typ unterschiedliche Folgeerkrankungen entstehen. So konnte festgestellt werden, daß die gynoide Form häufig zu Wasserretention, Veneninsuffizienz und Immobilität führt, während die androide Form oft mit Hypertonie, Diabetes, Cholelithiasis, Gefäßkrankheiten und koronarer Herzkrankheit vergesellschaftet ist.46

3.1. Alter

Des weiteren ist es möglich zwischen der Adipositas im Kindesalter und bei Erwachsenen zu unterscheiden. Während bei Erwachsenen die Adipositas meist eine langfristige Erkrankung ist, die nur von wenigen Faktoren bzw. Lebensabschnitten (bei Frauen z.B. die Geburten der Kinder) beeinflusst wird, kann man bei Kindern Lebensjahre eingrenzen, in denen Adipositas gehäuft auftritt. Es lassen sich drei Abschnitte unterteilen:

- erstes Lebensjahr,
- zwischen dem vierten und dem elften Lebensjahr (nach Warschburger u. a. zwischen fünf und sieben Jahren)47,
- in der Pubertät.

Trotz dieser Eingrenzung sollte man natürlich nicht davon ausgehen, dass sich das Problem mit dem Übergang in eine neue Lebensphase von alleine löst. Vielmehr sollte, wie oben bereits beschrieben, damit gerechnet werden, dass die Problematik bis ins Erwachsenenalter bestehen bleibt (Vgl. 2.6.).

Beginnt die Adipositas bereits im Kindesalter, ist es möglich, dass sich eine vermehrte Anzahl von Fettzellen bildet. Dann spricht man von einer hyperplastischen (hyperzellulären) Adipositas. Diese kann aber auch im Erwachsenenalter auftreten, was jedoch seltener der Fall ist. Diese Art der Erkrankung spricht weniger gut auf Therapien an.

Besser zu behandeln ist dagegen die hypertrophe Adipositas. Sie liegt vor, wenn sich die Anzahl der Fettzellen nicht vermehrt hat, sondern sich diese lediglich vergrößert haben und ist eine Form, die häufiger im Erwachsenenalter (z.B. nach einer Entbindung) auftritt. Die Einteilung auf diese Art (Fettzellularität) spielt heute jedoch eine untergeordnete Rolle, sie ist in der Relevanz der Einordnung nach der regionalen Fettverteilung gewichen.

Es sollte also nach Möglichkeit ein Arzt genauer feststellen, welche Form der Adipositas bei seinen Patienten vorliegt; ob es sich um Kinder oder Erwachsene handelt, ob eine hyperplastische oder eine hypertrophe Adipositas vorliegt und ob die Fettverteilung abdominal oder peripher ist.48

4. Epidemiologie

Wie stark äußert sich das Problem Adipositas in der heutigen Gesellschaft eigentlich?

Um herauszufinden, wie viele Menschen an Adipositas leiden, welche Bevölkerungsgruppen vor allem betroffen sind und welche Folgen diese Krankheit für die gesamte Bevölkerung mit sich bringt, ist es wichtig aktuelle Studien heranzuziehen. Nur so kann mir als künftige Pädagogin deutlich werden, inwieweit ich mit dem Problem "adipöses Kind" in meiner Berufspraxis konfrontiert werde. Aus der anfangs beschriebenen Aktualität dieser Thematik lässt sich bereits schließen, dass vermutlich viele Menschen akut von dieser Problematik betroffen sind. Doch wie viele sind es genau? Und wie sind die Prognosen für die nächsten Jahrzehnte? Auf diese Fragen werde ich im Folgenden eingehen.

4.1. Häufigkeit und Verteilung

Die Adipositashäufigkeit hat im 20. Jahrhundert weltweit um 100 % zugenommen, davon allein 30 % in den zwei letzten Dezennien und dieser lawinenhafte Anstieg scheint nicht aufzuhören.49

Dieses Zitat aus dem Jahr 2000 beschreibt deutlich, wie stark sich die Volkskrankheit Adipositas ausbreitet. In Deutschland sind mittlerweile etwa 30 % der Bevölkerung übergewichtig und mehr als 10 % adipös.50 Nach der Auswertung der DHP- Studie kommt Wirth zu dem Ergebnis, dass im Jahr 1990 von 4700 Personen im Alter zwischen 25 und 69 Jahren etwa 51 % übergewichtig waren und sogar 18 % adipös, was einer Zunahme von 0,3 kg/m² (bei Männern) und 0,4 kg/m² (bei Frauen) im Vergleich zum Jahre 1985 entspricht.51

Die Gesellschaft für Ernährungsmedizin und Diätetik e.V. spricht sogar davon, dass mittlerweile zwei Drittel der Deutschen übergewichtig sind.52 Die Zahlen zu dieser Problematik variieren in der Literatur sehr stark und unterliegen einer stetigen Veränderung. Die letzten offiziellen Daten für den gesamten deutschen Raum wurden vor fast 15 Jahren in der Verzehr- Studie veröffentlicht.53 Es fehlen also aktuelle Zahlen, um eine eindeutige Aussage über die Häufigkeit und Verteilung der Adipositas in der deutschen Bevölkerung treffen zu können.54

Es lässt sich jedoch feststellen, dass alle Studien in Bezug auf verschiedene Bevölkerungsgruppen zu den gleichen Tendenzen gelangen. So fällt z.B. auf, dass Frauen, vor allem nach Überschreitung des 50. Lebensjahres, häufiger von Adipositas betroffen sind. Darüber hinaus steigt das Gewicht mit der Anzahl der Kinder, die eine Frau auf die Welt gebracht hat.55

Auch bei Kindern lässt sich eine Differenz zwischen Jungen und Mädchen feststellen. Im Kleinkindalter sind die Mädchen eher übergewichtig, bei den Jugendlichen sind es die Jungen. Bei Kindern und Jugendlichen allgemein hat die Tendenz zum Übergewicht in den letzten Jahren stark zugenommen. Erkannte man bei einer Untersuchung in den Jahren 1982- 1983, dass etwa 11 % der 3- 18 Jährigen übergewichtig sind (15- 25 % über dem Referenzgewicht) und ca. 6 % adipös (mehr als 25 % über dem Referenzgewicht)56, so geht das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft heute davon aus, dass etwa 10- 20 % der deutschen Kinder übergewichtig sind und bei etwa 7- 8 % eine Adipositas vorliegt.57 Dies sind erschreckende Zahlen, die auch die Gesellschaft für Ernährungsmedizin und Diätetik e.V. bestätigt.58

Nicht nur, dass es immer mehr dicke Kinder gibt, auch die bereits "Dicken" werden immer dicker. So konnte bei Schuleingangsuntersuchungen in Bayern festgestellt werden, dass ein adipöser Erstklässler heute nicht mehr durchschnittlich 60 kg (wie 1982) wiegt, sondern das Gewicht auf ca. 70 kg angestiegen ist.59

Weitere Untersuchungen decken auf, dass vor allem Kinder aus Familien mit niedrigerem Bildungsstand und Einkommen besonders betroffen sind. Eine erschreckende Erkenntnis, wenn man davon ausgeht, dass in Deutschland mehr als zwei Millionen Kinder in Familien aufwachsen, die nicht einmal die Hälfte des Durchschnittseinkommens zur Verfügung haben.60 Unter diesen Familien befinden sich häufig auch Migranten, was erklärt, warum die Übergewichtswahrscheinlichkeit von Migrantenkindern erhöht ist (2002 waren 15,9 % übergewichtig und 7,3 % adipös). Auch bei Erwachsenen wirkt sich der soziale Status auf das Essverhalten und somit auf das Gewicht aus. So sind Frauen aus der unteren Sozialschicht 6mal häufiger von Adipositas betroffen (Männer etwa doppelt so häufig) als ihre Mitbürgerinnen einer gehobeneren Schicht.61 Diese Verteilung ist vermutlich mit mangelndem Interesse weniger gebildeter Menschen an gesunder Ernährung zu erklären. Die Soziologin Barlösius erklärt ferner, dass Menschen aus einer unteren sozialen Schicht häufig eine andere Auffassung von Gesundheit und eine andere Vorstellung von ihrem Körper haben.62 Außerdem sind Lebensmittel mit einem höheren Nährstoffgehalt häufig teurer als solche mit einer geringer gesunden Zusammensetzung.

Auch im Ländervergleich schneidet Deutschland nicht besonders gut ab. Zwar liegt das Fortschrittsland Amerika mit seinen Extremen vorne, hier sind 59 % der Bevölkerung übergewichtig63, aber Deutschland reiht sich unter den anderen Industrienationen auf den vorderen Plätzen ein.64

Welche Kosten diese Entwicklung aktuell von dem deutschen Gesundheitswesen fordert und welche Folgen sich daraus in der Zukunft ergeben könnten, soll Inhalt des nächsten Abschnittes sein.

4.2. Kosten

Auch die Kosten für die Behandlung von adipositasbedingten Beschwerden werden in der Literatur unterschiedlich angegeben. Dabei muss man nach Schusdziarra bedenken, dass sich die Gesamtkosten aus unterschiedlichen Bereichen zusammensetzen. Da sind zum Einen direkte Belastungen, die sich z.B. aus einer ärztlichen Behandlung, Medikamenten, Krankenfahrten etc. ergeben. Zusätzlich entstehen für die Gesellschaft auch andere, indirekte Belastungen z.B. durch einen eventuellen Arbeitsausfall (Adipöse scheiden etwa doppelt so häufig frühzeitig aus dem Berufsleben aus65 ), bei Invalidität oder frühzeitigem Tod. Als Drittes muss man "intangible Kosten" berechnen, welche die psychosozialen Auswirkungen einer Krankheit sowohl auf den Patienten selbst als auch auf sein direktes Umfeld berücksichtigen.66

Fasst man diese Faktoren zusammen, so entstanden laut der Gesellschaft für Ernährungsmedizin und Diätetik e.V. im Jahre 1995 Kosten in Höhe von 21 Milliarden DM.67 ; eine Zahl, die nach Aussage des Spiegels allerdings weit untertrieben ist. Thimm verweist auf das "Deutsche Ärzteblatt", nach dem es in Deutschland etwa 25 Milliarden Euro pro Jahr kostet, Übergewichtige zu behandeln. Hinzu kommen finanzielle Belastungen aus der Behandlung von Herz- und Kreislauferkrankungen, deformierten Muskeln und Skeletten sowie Diabetes.68

"Die direkten Kosten der Adipositas belaufen sich damit auf einen Anteil von 3 bis 8 Prozent des Gesundheitsetats moderner Industrienationen."69

Zusätzlich müssen Gelder aufgebracht werden, um eine sichere Prävention zu gewährleisten. Hier übernehmen die Krankenkassen 80 bis 85 % der Kosten für eine Ernährungsberatung (für eine Erstberatung sowie vier Folgeberatungen).70 Umgerechnet auf die Versicherten sind dies laut Thimm 2,70 € pro Kopf.71

Für die Betroffenen selbst ergeben sich häufig noch weitere Kosten. Schließlich haben viele Übergewichtige den starken Wunsch ihr Gewicht zu reduzieren. So gaben die US- Amerikaner im Jahre 1995 etwa 68 Milliarden US- Dollar für die Behandlung der Adipositas und ihren Begleiterscheinungen aus und im Vergleich dazu etwa 118 Milliarden US- Dollar für spezielle Diäten, Fitnessclubs etc.72 Die Krankheit Adipositas hat also einen nicht zu unterschätzenden wirtschaftlichen Einfluss, der, betrachtet man die Entwicklung der nachfolgenden Generation, auch in der Zukunft nicht abnehmen wird.

Da vielfach nachgewiesen wurde, dass Adipositas im Kindesalter eine in den meisten Fällen behandlungsbedürftige Übergewichtigkeit im Erwachsenenalter zur Folge hat, ist zu befürchten, dass eine geringe Beachtung und Behandlungsrate der Adipositas im Kindes- und Jugendalter in den kommenden Jahren zu einer immensen Steigerung der volkwirtschaftlichen Kosten führen wird.73

Dieser Tendenz gilt es auf pädagogischem Wege entgegenzuwirken. Schließlich hat man als Lehrer nicht nur für das Wohl der Kinder seiner Klasse, sondern auch gleichzeitig für die gesamte Gesellschaft Sorge zu tragen. Denn diese wird später von den Kindern der heutigen Grundschulklassen getragen.

5. Ursachen

Ursachenforschung ist für das Hilfsangebot an eine Person unausweichlich. Nur wenn man Einblicke in das Essverhalten und die Sorgen der Patienten gewinnt, kann man entsprechend reagieren und an diesen Ursachen arbeiten. Die Beseitigung von Adipositas führt zwar gegebenenfalls zur Heilung der physischen Leiden, lässt jedoch die Gesundung der Seele außen vor. Ein Rückfall in alte Verhaltensmuster ist damit wahrscheinlich und führt zu einem Fortschreiten der Krankheit. Für mich als zukünftige Lehrerin ist es daher wichtig, ein Vertrauensverhältnis zu den Schülern aufzubauen und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich mir gegenüber zu öffnen. Durch das nötige Hintergrundwissen wird es mir möglich sein, sensibler auf die Äußerungen einzugehen und gegebenenfalls Ursachen zu bestimmen. Natürlich sollte dabei niemals auf die Zusammenarbeit mit Fachkräften, in diesem Fall Ärzten und Psychotherapeuten, verzichtet werden. Um die Kompetenz einer aufmerksamen Beobachterin zu erwerben, ist die eine Klassifizierung der Ursachen unausweichlich.

Für das Krankheitsbild Adipositas gibt es verschiedene Ursachen. Grundsätzlich lässt sich aber festhalten, dass eine unausgewogene Energiebilanz der Hauptgrund für Übergewicht ist. Nimmt der Körper mehr Energie zu sich als er verbrennt, werden Fettreserven angelegt. Schlieper gibt an, dass bei 75 bis 98 % der adipösen Patienten ein falsches Essverhalten die Ursache für diese positive Energiebilanz ist.74 Allerdings ist hierfür nach Gründen zu suchen. Warum nehmen einige Menschen bei gleicher Energiezufuhr mehr zu als andere? Und welche Rolle spielen genetische Dispositionen? Ist es überhaupt möglich die verschiedenen Ursachen voneinander abzugrenzen? Ist nicht eher jede von einer anderen abhängig?

Es ist selten der Fall, dass bei einer Person eine isolierte Ursache für ihre Fettleibigkeit gefunden wird. Ein Zusammenspiel verschiedener psychischer, physischer, genetischer und verhaltensbedingter Ursachen ist wohl die häufigere Erklärung für den Befund Adipositas.

Viel häufiger als die monogenen sind die sogenannten komplexen Erkrankungen, wie auch die Adipositas, deren Ätiologie multifaktoriell ist. Dies impliziert, daß neben genetischen Faktoren Umwelteinflüsse an der Entstehung und dem Verlauf einer derartigen Erkrankung beteiligt sind.75

Im Folgenden werde ich unterschiedliche Ursachen aufzeigen und deren Gewichtung für das Symptom Adipositas in der heutigen Zeit herausstellen.

5.1. Genetische Ursachen

Bei der Beschreibung der genetischen Ursachen werde ich nicht zu sehr auf biologische Details eingehen. Im Rahmen dieser Arbeit soll nur ein kurzer Überblick über die Abhängigkeit des Gewichtes eines Menschen von seinen genetischen Dispositionen gegeben werden.

Folgende Versuchsgebiete lassen sich hierzu in der Literatur finden:

1. Familienuntersuchungen,
2. Adoptionsstudien,
3. Zwillingsforschung,
4. Tiermodelle,
5. Genforschung.76

Die Gebiete 1 bis 3 untersuchen jeweils den Grad einer direkten Vererbung beim Menschen, während sich die beiden übrigen Gebiete auf die Genforschung beziehen. Zu diesen fünf Forschungsgegenständen werde ich die signifikantesten Ergebnisse kurz vorstellen.

5.1.1. Familienuntersuchungen

Familienuntersuchungen können keine genauen Angaben über die Vererblichkeit von Adipositas wiedergeben. Sie können lediglich ein erster Einstieg in das Untersuchungsfeld bieten. Da die untersuchten Familienmitglieder in einem gemeinsamen Haushalt leben, teilen sie auch sehr häufig Verhaltensweisen und Gewohnheiten.

"Nachteilig wirkt sich bei Familienstudien [demnach] aus, daß zwischen Genetik und Umwelt nicht unterschieden werden kann."77

Diese Schwierigkeit zeigte sich auch bei einer Studie, in der die Gewichtszunahme von 18 Säuglingen in den ersten Lebensmonaten untersucht wurde. Neben Kindern von schlanken Frauen wurden auch Säuglinge von adipösen Müttern über einen Zeitraum von einem Jahr beobachtet. Nachdem die Menge der Nahrungsaufnahme, der Energieverbrauch nach einer Mahlzeit sowie der Gesamtenergieverbrauch exakt bestimmt wurden, zeigte sich, dass ein Großteil der Kinder von adipösen Müttern über ein Kilogramm mehr zunahmen als die der schlanken Frauen. Interessant dabei ist, dass die schwereren Kinder nicht durch eine erhöhte Nahrungsaufnahme zu ihrem Endgewicht gelangten, sondern die Zunahme durch einen verminderten Energieverbrauch (-21 %) zu erklären ist. Allerdings ist hierbei das oben erwähnte Problem nicht zu vernachlässigen. Es besteht die Möglichkeit, dass bereits Säuglinge die Aktivität der Mutter nachahmen.78

Weitere Familienuntersuchungen ergaben, dass die Häufung von Adipositas in einer Familie nicht zufällig ist. Wenn ein Elternteil als adipös betitelt werden konnte, so waren ca. 25 % der Kinder ebenfalls adipös, wobei der Einfluss der Mutter mit 32 % größer einzustufen ist als der des Vaters (14 %). Waren sogar beide Elternteile adipös, ergab sich eine Wahrscheinlichkeit von 71 % für ein starkes Übergewicht der Kinder.79 Diese Ergebnisse unterstützen auch Evans und Beisiegel, indem sie schreiben:

Es ist eine prinzipielle Beobachtung, dass Adipositas ‘familiär’ auftritt und der größte Risikofaktor zur Entwicklung einer Adipositas in der Kindheit wird dadurch bestimmt, dass mindestens ein Elternteil adipös ist. Diese Tatsache weist darauf hin, dass die Adipositas genetisch determiniert wird.80

Die beschriebenen Ergebnisse könnten auf der Tatsache basieren, dass möglicherweise Komponenten des Energieverbrauchs direkt vererbt werden. Allerdings liegen zur Bestätigung dieser Annahme nur wenige Untersuchungen vor. Diese ergaben jedoch, dass die Differenz des Grundumsatzes an Energie zwischen verschiedenen Familien viermal so groß ist wie zwischen Mitgliedern einer Familie (Vererbungsgrad etwa 40 %). "Die Vererbung eines reduzierten Grundumsatzes ist häufig Ursache für eine Adipositas."81

Bruch hat langjährige Erfahrungen mit übergewichtigen Kindern und Erwachsenen gesammelt. Sie relativiert die Wahrscheinlichkeit einer genetischen Vererbung innerhalb einer Familie.

Da ich dicke Kinder und Jugendliche bis ins Erwachsenenalter hinein beobachtet habe, kann ich mit einiger Bestimmtheit behaupten, daß die Nachkommen nicht dazu verurteilt sind, fettsüchtig zu werden, wie auch immer das übertragene genetische Potential geschaffen sein mag.82

Einen ähnlich großen Vererbungseffekt wie beim Energieverbrauch beschreibt Wirth für die Thermogenese. Als dritte Komponente wurde die körperliche Aktivität analysiert. Wie bereits in der Untersuchung mit den Säuglingen beschrieben, wird auch hier eine Vererbung (Grad ca. 25-30 %) angenommen, diese kann jedoch nach heutigem Wissensstand nicht bewiesen werde.83

Neben den Familienuntersuchungen geben Adoptionsstudien weiter Aufschluss über den Grad der Vererbung des Phänotyps Adipositas.

[...]


1 Thorbrietz, 2005. S. 124.

2 Vgl. "Neckermann", http://www.neckermann.de, 2005.

3 Vgl. Thimm, 2004. S. 175f.

4 Aus praktischen Gründen verwende ich im Folgenden ausschließlich das Maskulinum bei der Nennung von Personengruppen.

5 Vgl. Klinisches Wörterbuch, 1977. S. 15.

6 Vgl. Pudel, 2003. S. 2; ebenso Wirth, 1997. S. 4.

7 Vgl. Hell; Miller (a), 2000. S. 14.

8 Vgl. Ellrott; Pudel, 1998. S. 3.

9 Vgl. Hell; Miller (a), 2000. S. 14.

10 Vgl. Rehfeld, 1996. S. 140.

11 Ellrott; Pudel, 1998. S. 3.

12 Vgl. Rehfeld, 1996. S. 140.

13 Wirth, 1997. S. 4.

14 Vgl. Wirth, 1997. S. 4.

15 Vgl. Wayt Gibbs, 1996. S. 54.

16 Vgl. Wirth, 1997. S. 4- 6.

17 Wirth, 1997. S. 4.

18 Vgl. Wirth, 1997. S. 4f.

19 Vgl. Wayt Gibbs, 1996. S. 55.

20 Vgl. Wirth, 1997. S. 5; ebenso Wayt Gibbs, 1996. S. 55.

21 Vgl. Wirth, 1997. S. 5.

22 Vgl. Ellrott; Pudel, 1998. S. 4.

23 Vgl. Wirth, 1997. S. 7.

24 Vgl. Ellrott; Pudel, 1998. S. 4.

25 Ziroli, 1999. S. 333.

26 Vgl. Rehfeld, 1996. S. 140.

27 Ellrott; Pudel, 1998. S. 3.

28 Vgl. Hell; Miller (a), 2000. S. 13.

29 Vgl. Wirth, 1997. S. 8; ebenso Rehfeld, 1996. S. 140.

30 Vgl. Schlieper, 1998. S. 387.

31 Ellrott; Pudel, 1998, S. 3.

32 Vgl. Ellrott; Pudel, 1998, S. 3.

33 Vgl. Wirth, 1997. S. 8.

34 Vgl. Hell; Miller (a), 2000. S. 14.

35 Vgl. Wirth, 1997. S. 10f.

36 Vgl. Lautenschläger, 2004. S. 37.

37 Vgl. Lautenschläger, 2004. S. 37-40.

38 Vgl. Wirth, 1997. S. 10f.

39 Ziroli, 1999. S. 333.

40 Lautenschläger, 2004. S. 34.

41 Vgl. Lautenschläger, 2004. S. 34- 38.

42 Vgl. Ziroli, 1999. S. 333; ebenso Lautenschläger, 2004. S. 338- 340.

43 Epstein, 1993. S. 301.

44 Vgl. Wirth, 1997. S. 11f.

45 Vgl. Wirth, 1997. S. 12.

46 Wirth, 1997. S. 12.

47 Vgl. Warschburger u. a., 1999. S. 17.

48 Vgl. Wirth, 1997. S. 11- 13; ebenso Hell; Miller (a), 2000. S. 14- 15; ebenso Warschburger u.a., 1999. S. 17- 19.

49 Hell; Miller (a), 2000. S. 16.

50 Vgl. Hell; Miller (a), 2000. S. 16.

51 Vgl. Wirth, 1997. S. 38.

52 Vgl. "Die Gesellschaft für Ernährungsmedizin und Diätetik e.V.", http://www.ernaehrungsmed.de, 2005.

53 Vgl. "Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft", http://www.verbraucherministerium.de, 2005.

54 Vgl. Warschburger u. a., 1999. S. 22.

55 Vgl. Hell; Miller (a), 2000. S. 15.

56 Vgl. Wirth, 1997. S. 42.

57 Vgl. "Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft", http://www.verbraucherministerium.de, 2005.

58 Vgl. "Die Gesellschaft für Ernährungsmedizin und Diätetik e.V.", http://www.ernaehrungsmed.de, 2005

59 Vgl. Thimm, 2004. S. 175- 186.

60 Vgl. Thimm, 2004. S. 175- 186; ebenso Hell; Miller (a), 2000. S. 15; ebenso Lautenschläger, 2004. S. 22- 24.

61 Vgl. Wirth, 1997. S. 51.

62 Thorbrietz, 2005. S. 132.

63 Vgl. Wayt Gibbs, 1996. S. 54.

64 Vgl. Wirth, 1997. S. 41.

65 Vgl. Wirth, 1997. S. 52.

66 Vgl. Schusdziarra, 2003. S. 40f.

67 Vgl. "Die Gesellschaft für Ernährungsmedizin und Diätetik e.V.", http://www.ernaehrungsmed.de, 2005.

68 Vgl. Thimm, 2004. S. 180.

69 Ziroli, 1999. S. 333.

70 Vgl. "Die Gesellschaft für Ernährungsmedizin und Diätetik e.V.", http://www.ernaehrungsmed.de, 2005.

71 Vgl. Thimm, 2004. S. 179.

72 Vgl. Hell; Miller (a), 2000. S. 17.

73 Ziroli, 1999. S. 333.

74 Vgl. Schlieper, 1998. S. 388.

75 Schusdziarra, 2003. S. 16.

76 Vgl. Wirth, 1997. S. 59f.

77 Wirth, 1997. S. 59.

78 Vgl. Wirth, 1997. S. 60.

79 Vgl. Wirth, 1997. S. 60.

80 Evans; Beisiegel, 2000. S. 55.

81 Wirth, 1997. S. 63.

82 Bruch, 1992. S. 44.

83 Vgl. Wirth, 1997. S. 60-63.

Ende der Leseprobe aus 111 Seiten

Details

Titel
Adipositas - Erscheinungsformen, Ursachen und pädagogische Interventionsmöglichkeiten (Aufgaben der Gesundheitserziehung)
Hochschule
Universität Lüneburg  (Pädagogik)
Note
2,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
111
Katalognummer
V65843
ISBN (eBook)
9783638583183
Dateigröße
1264 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Adipositas, Erscheinungsformen, Ursachen, Interventionsmöglichkeiten, Gesundheitserziehung)
Arbeit zitieren
Ildiko Ackermann (Autor:in), 2005, Adipositas - Erscheinungsformen, Ursachen und pädagogische Interventionsmöglichkeiten (Aufgaben der Gesundheitserziehung), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/65843

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