Die Ostverträge der sozialliberalen Koalition

Zementierung der deutschen Teilung?


Seminararbeit, 2006

17 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung

2. Regierungswechsel und erste Anzeichen für die neue Ostpolitik

3. Kontroverse um Brandts Regierungserklärung: Wird das Ziel der deutschen Einheit aufgegeben?

4. Die Ostverträge- Beitrag zur Entspannung zwischen Ost und West, aber Besiegelung der deutschen Spaltung?
4.1. Der Moskauer Vertrag und der „Brief zu deutschen Einheit“
4.2. Die Beziehungen zur DDR: Der Grundlagenvertrag zwischen beiden deutschen Staaten

5. Zusammenfassung und Ergebnis

7. Quellen und Literatur

1. Einführung

Wenige außenpolitische Konzepte in der Bundesrepublik polarisierten die Öffentlichkeit so sehr wie die Ostpolitik der sozialliberalen Koalition, die den westdeutschen Teilstaat seit Oktober 1969 regierte. Vergleichbar ist sie in ihrer Bedeutung nur mit der Westintegration des ersten Bundeskanzlers Konrad Adenauer, die ebenfalls sehr umstritten war, aber die Politik der Bundesrepublik für viele Jahre entscheidend prägte.

Auf der einen Seite rief die Ostpolitik in weiten Teilen der Gesellschaft und auch bei einem Großteil der Intellektuellen - wie dem Schriftsteller Günter Grass – große Zustimmung hervor. Bei vielen Kritikern stieß sie jedoch auf harsche Ablehnung. Sie warfen den Vertretern dieser Politik vor, zu große Zugeständnisse an den kommunistischen Osten Europas zu machen und eine Wiedervereinigung für lange Zeit unmöglich werden zu lassen.

In dieser Seminararbeit wird die Frage untersucht, ob die Ostpolitik der Regierung Willy Brandts eine Perspektive zur Wiederherstellung der deutschen Einheit bot und dem Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes gerecht wurde oder die Teilung der Nation eher noch „zementierte“, wie es die Opposition der sozialliberalen Koalition vorwarf. Im Vordergrund werden der Moskauer Vertrag und der Grundlagenvertrag mit der DDR stehen, die unter dem Aspekt der vorgenannten Fragestellung untersucht werden sollen.

Zu Beginn der Arbeit wird kurz auf den Regierungswechsel nach den Wahlen von 1969, die ersten Anzeichen einer außenpolitischen Wende unter der neuen politischen Führung in Bonn sowie die Kontroverse um die erste Regierungserklärung Brandts eingegangen. Im Anschluss werden anhand der Entstehung, Hintergründe und Inhalte der beiden Ostverträge die Bemühungen der sozialliberalen Regierung um die nationale Einheit Deutschlands untersucht. Abschließend sollen die Ergebnisse dieser Untersuchung zusammengefasst und ein kurzes Fazit gezogen werden.

2. Regierungswechsel und erste Anzeichen für die neue Ostpolitik

Zu einer Annäherung von Sozialdemokraten und Liberalen kam es schon in den beiden Jahren vor dem Regierungswechsel im Oktober 1969. In der FDP setzten sich zunehmend die reformorientierten, sozialliberalen Kräfte unter Walter Scheel, der im Januar 1968 schließlich auch zum Bundesparteivorsitzenden gewählt wurde, gegen den nationalliberalen Flügel der Partei durch. Bezeichnend für die Besserung des Verhältnisses zwischen beiden Parteien war die Wahl des Sozialdemokraten Gustav Heinemann zum neuen Bundespräsidenten, bei der dieser auch von der FDP, die in der Bundesversammlung über die letzten Endes entscheidenden Stimmen verfügte, unterstützt wurde.[1] Heinemann selbst bezeichnete seine Wahl zum Staatsoberhaupt in einem Interview mit der „Stuttgarter Zeitung“ als „ein Stück Machtwechsel“.[2] Der eigentliche Machtwechsel im Sinne einer neuen Regierung folgte jedoch erst im Jahre 1969:

Bei der Bundestagswahl vom 28. September 1969 wurde die Union – wie bei bisher allen Bundestagswahlen – stärkste politische Kraft. Erneut konnten CDU und CSU somit die stärkste Fraktion im deutschen Bundestag stellen. Zunächst schien - den ersten Hochrechnungen zufolge – sogar eine absolute Mehrheit für die Christdemokraten und deren Kanzlerkandidaten, den amtierenden Bundeskanzler Kiesinger, möglich, die sich im Laufe des Wahlabends jedoch nicht bestätigte. Willy Brandt, Kanzlerkandidat und Vorsitzender der SPD, schrieb dazu später in seinen „Erinnerungen“: „Im Palais Schaumburg war der Sekt zu früh eingeschenkt worden. Erste Hochrechnungen hatten ein falsches Ergebnis vorhergesagt.“[3] SPD und Liberale verfügten zusammen dagegen über eine parlamentarische Mehrheit. Noch in der Wahlnacht vereinbarte Brandt mit Walter Scheel, dem FDP-Chef, die Bildung einer gemeinsamen Bundesregierung- bestehend aus Ministern beider Parteien und unter Führung Willy Brandts als Bundeskanzler. Nach den Koalitionsverhandlungen wurde Brandt schließlich am 21. Oktober vom Bundestag knapp zum neuen deutschen Bundeskanzler gewählt- mit nur 2 Stimmen über der erforderlichen Mehrheit.[4]

In seiner ersten Regierungserklärung lobt der Sozialdemokrat die Leistungen seiner Vorgänger, die schon jetzt „Geschichte geworden“[5] seien. Weiterhin stellt sich Brandt in seiner Rede in die Tradition der Politik bis 1969, indem er feststellt, dass die Bundesregierung „ihren Willen zur kontinuierlichen und konsequenten Weiterführung der bisherigen Politik (…) deutlich machen wird.“[6] Dennoch werden auch Tendenzen zur Veränderung deutlich: zwar könne laut Brandt keine „völkerrechtliche Anerkennung der DDR durch die Bundesregierung (…) in Betracht kommen“[7], doch er spricht als erster Regierungschef der Bundesrepublik von der Existenz zweier deutscher Staaten, was bisher als undenkbar galt. Brandt kündigt an, dem Ministerrat der DDR Verhandlungen anzubieten, „die zu vertraglich vereinbarter Zusammenarbeit führen sollen.“[8] Konkrete Vorhaben in ostpolitischer Hinsicht wurden also schon in der Regierungserklärung des neuen Bundeskanzlers deutlich. Weiterhin plante Brandt die Aufnahme von Gesprächen mit der Volksrepublik Polen und der Sowjetunion.[9]

Walter Scheel wurde Außenminister der neuen Bundesregierung, womit er - neben dem Bundeskanzler - als einer der wichtigsten Vertreter und Verantwortlichen der Ostpolitik zu nennen ist. Egon Bahr, der vor dem Regierungswechsel schon im Außenministerium unter Willy Brandt gearbeitet hatte - damals noch im Rahmen der Großen Koalition - wechselte nun als Staatssekretär ins Bundeskanzleramt, wo er die Ostpolitik koordinieren sollte. Bahr - selbst aus Ostdeutschland stammend - war der Ausgleich und die Versöhnung mit dem Osten Europas ein besonderes Anliegen. Er wurde einer der Vordenker der neuen außenpolitischen Ausrichtung der BRD.[10] Sein Leitmotiv „Wandel durch Annäherung“[11] wurde zum Synonym der Ostpolitik. Bahrs Einfluss wird schon kurz nach Amtsantritt der neuen Regierung deutlich: der außenpolitische Teil von Bundeskanzler Brandts Regierungserklärung stützt sich zu einem wesentlichen Teil auf Strategiepapiere, die Bahr noch als Beamter im Auswärtigen Amt entworfen hatte.[12]

3. Kontroverse um Brandts Regierungserklärung: Wird das Ziel der deutschen Einheit aufgegeben?

Die Opposition kritisierte die erste Regierungserklärung des Bundeskanzlers Brandt scharf, da dieser darin keine Aussagen über eine mögliche Wiedervereinigung Deutschlands traf.[13] Führende Unions-Politiker bezweifelten nun den Willen der neuen Regierung, an dem Ziel der staatlichen Einheit festzuhalten. Der jüngst verstorbene damalige CDU-Fraktionsvorsitzende Rainer Barzel warf Brandt beispielsweise vor, das Wiedervereinigungsgebot in der Präambel des Grundgesetzes zu missachten.[14] Darin hieß es bis zur Wiedervereinigung 1990: „Das gesamte deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.“[15]

Brandt erwiderte auf diese und ähnliche Kritik in einer Bundestagsdebatte, dass man bezüglich der „deutschen Dinge (…) in der Tat keine Antwort zu geben versucht hat“, sondern „statt dessen gesagt“ habe, „was die Regierung (…) in der Deutschlandpolitik zu bewegen versuchen will.“[16] Außenminister Scheel stellte klar, dass es in den Regierungsparteien niemanden geben würde, „der diese staatliche Einheit nicht wünscht.“ Scheel fragte allerdings auch nach dem „praktischen Zweck, bei jeder deutschlandpolitischen Initiative als erstes lautstark“ den „Wunsch“ nach der Einheit zu artikulieren, „dessen Erfüllung, wenn überhaupt, nur in einer fernen und kaum überschaubaren Zukunft denkbar ist.“[17] Diese Äußerungen aus der Koalitionsführung deuten darauf hin, dass die sozialliberale Regierung eine deutsche Wiedervereinigung in absehbarer Zeit für nicht realisierbar hielt. Es ist anzunehmen, dass Brandt aus diesem Grund darauf verzichtete, diese in seiner Regierungserklärung, in der üblicherweise lediglich die Politik der laufenden Legislaturperiode - also für einen Zeitraum von vier Jahren – vorgestellt wird, zum Thema zu machen. Es wäre aber voreilig, daraus abzuleiten, dass die Koalition aus SPD und FDP das Ziel der deutschen Einigung aufgegeben hat. Vielmehr war es Ziel der Regierung, die Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten zu verbessern, beispielsweise mit dem Verhandlungsangebot Willy Brandts an die DDR, das er bereits in jener ersten Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 vor dem Parlament angekündigt hatte.

[...]


[1] Baring, Arnulf: Machtwechsel. Die Ära Brandt-Scheel. Stuttgart 1982, S. 95 ff.

[2] Ebenda, S. 122

[3] Brandt, Willy: Erinnerungen. München 2003, S. 184

[4] Ebenda, S. 166 ff., S.176 f.

[5] Brandt, Willy: Regierungserklärung vor dem deutschen Bundestag am 28. Oktober 1969. In: Presse-und

Informationsamt der Bundesregierung (Hrsg.): Bulletin des Presse- und Informationsdienstes der

Bundesregierung. Nr. 132/1969. Bonn 1969, S.1

[6] Ebenda, S.31

[7] Ebenda, S.6

[8] Ebenda, S. 6

[9] Ebenda, S.32

[10] Bender, Peter: Die neue Ostpolitik und ihre Folgen. Vom Mauerbau bis zu Vereinigung. München 1996, S.162f.

[11] Haftendorn, Helga: Deutsche Außenpolitik zwischen Selbstbeschränkung und Selbstbehauptung. Stuttgart 2001,

S. 155

[12] Vogtmeier, Andreas: Egon Bahr und die deutsche Frage. Zur Entwicklung der sozialdemokratischen Ost- und

Deutschlandpolitik vom Kriegsende bis zur Vereinigung. Bonn 1996, S. 121

[13] Vgl. Brandt: Regierungserklärung

[14] Tiggemann, Anselm: CDU/CSU und die Ost- und Deutschlandpolitik 1969-1972. Frankfurt am Main 1998

[15] Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Bonn 1985,

S. 3

[16] Zitiert nach: Bender, Peter: Die Ostpolitik Brandts oder die Kunst des Selbstverständlichen. Hamburg 1972, S.

53

[17] Zitiert nach: Derselbe, S. 53

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Die Ostverträge der sozialliberalen Koalition
Untertitel
Zementierung der deutschen Teilung?
Hochschule
Universität Rostock  (Historisches Institut)
Veranstaltung
Deutsch-deutsche Beziehungen nach 1945
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
17
Katalognummer
V65833
ISBN (eBook)
9783638583114
ISBN (Buch)
9783638839303
Dateigröße
483 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Fragestellung des Hausarbeit: In der Hausarbeit wird der Frage nachgegangen, ob die Ostpolitik der SPD/FDP-Koalition die deutsche Teilung verschärfte oder eine Perspektive zur deutschen Wiedervereinigung bot.
Schlagworte
Ostverträge, Koalition, Deutsch-deutsche, Beziehungen
Arbeit zitieren
Robert Liniek (Autor:in), 2006, Die Ostverträge der sozialliberalen Koalition, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/65833

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