Die Landwehren des Tecklenburger Landes unter besonderer Berücksichtigung des Kirchspiels Lienen


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2006

14 Seiten


Leseprobe


Seit einigen Jahren ist im Rahmen der westfälischen Bodendenkmalpflege die systematische Erfassung und Unterschutzstellung eines besonderen Bodendenkmals erfolgt, welches von elementarer Bedeutung für die mittelalterliche und neuzeitliche Geschichte Westfalens ist: die Landwehren.[i]

Der althochdeutsche Begriff „landweri“ kommt erstmals im Jahre 847 vor und bezeichnet die Gesamtheit der zur Landesverteidigung aufgebotenen Männer. Spätestens im Hochmittelalter hatte sich die Bedeutung dieser Bezeichnung erweitert. Der Ausdruck „Landwehr“ charakterisierte nun, neben der Landesverteidigung, eine Befestigungs- und Verteidigungsanlage an der Landesgrenze, aber auch das umfriedete Gebiet selbst. Erst in den Preußischen Militärreformen griff General Gerhard Johann David von Scharnhorst 1808 den Begriff erneut auf und bezeichnete damit, auf die ursprüngliche Bedeutung des Wortes „Landwehr“ zurückgreifend, das Aufgebot der Wehrfähigen zur Verteidigung des Vaterlandes, das unter dem offiziellen Namen „Landwehr“ bis 1918 im deutschen Reichsheer als Reservisteneinheit vom stehenden Heer getrennt war.[ii]

In der folgenden Untersuchung soll es jedoch um die Landwehr als mittelalterliche Befestigungsanlage gehen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Normalprofil einer zweiwalligen Landwehr.

In diesem Sinne stellte eine Landwehr ein lineares Befestigungssystem aus Wall und Graben dar, das in seiner Schutzwirkung durch das Aufpflanzen einer Hecke – dem sogenannten „Gebück“ – verstärkt wurde. Die Anzahl der nebeneinander liegenden Wälle und Gräben sowie deren Höhe bzw. Tiefe und Breite waren nicht festgelegt, sondern variierten von Fall zu Fall. Durch intensive Pflege, die im Heckenschnitt und Verflechten der jungen Triebe bestand, wurde der Strauchbewuchs derart verdichtet, dass mit der Zeit eine undurchdringliche natürliche Mauer entstand.

Im Gegensatz zu den Mauern der Städte, die ebenfalls zu den mittelalterlichen Befestigungswerken zählen, schützten Landwehren den ländlichen Raum, also Höfe und Bauerschaften, Kirchdörfer und Kirchspiele, aber auch die städtische Feldmark außerhalb der urbanen Ummauerung.[iii]

Besonders gefährdet waren in diesem System die durch Straßen und Wege bedingten Durchgänge.

In Friedenszeiten genügte zu ihrer Sperrung ein Schlagbaum, der oft von einem den Schließdienst versehenden Wachtmann beaufsichtigt wurde. Dieser Aufseher wohnte häufig in der unmittelbaren Umgebung. Viele Hof- und Familiennamen mit dem Grundwort –bäumer oder –schlüter haben sich aus dieser Aufseherfunktion entwickelt. In unruhigen Zeiten konnten die Durchgänge in der Landwehr auch „vergraben“, also gänzlich unzugänglich gemacht werden.

Die defensive Funktion der Landwehren ist nur zu verstehen, wenn man sich die Weise der mittelalterlichen Kriegsführung vor Augen führt. Die häufigste Art gewaltsamer Auseinandersetzung im Mittelalter war die Fehde. Eigentlich war sie in einer Zeit ohne stark ausgeprägte öffentliche Gerichtsgewalt nur ein legitimes Mittel zur Durchsetzung und Wahrung des eigenen Rechts. Die Fehde folgte bestimmten Regeln. So musste sie durch einen begründenden Fehdebrief dem befehdeten Kontrahenten drei Tage vor Beginn der Kampfhandlungen angekündigt werden. Auch wir kennen heute noch den sprichwörtlichen Fehdehandschuh, den man aufnimmt, wenn man jemandes „Kampfansage“ entgegennimmt.

Dass dieses Instrument zur Rechtsselbsthilfe jedoch auch zu grobem Missbrauch einlud, bedarf keiner weiteren Erläuterung.[iv]

Die Durchführung der Fehde bestand nun praktisch darin, dass der Besitz des Befehdeten durch Überfall und Zerstörung bedroht war. Felder und Gebäude konnten ein Raub der Flammen und das Vieh weggetrieben werden. Aber genau dieser Form der Kriegsführung konnte ein System von Landwehren effektiv begegnen. Durch die wenigen Durchlässe in der Landwehr wurden die Einfälle der Feinde kanalisiert. Der Feind wurde bereits früh beim Passieren des Schlagbaumes von in der Nähe wohnenden Aufseher gesichtet und die Bevölkerung konnte so durch den „Glockenschlag“, d.h. durch das Läuten Kirchenglocken, zur Verteidigung aufgeboten werden.

Während der Feind das Vieh zusammentrieb, dessen Forttrieb durch die engen Landwehröffnungen fast unmöglich gemacht wurde, konnte sich die Bevölkerung am Durchgang der Landwehr sammeln und die Übeltäter dort abfangen. Die Notwendigkeit zur Errichtung solcher Landwehren, besonders im 14. Jahrhundert, wird auch vor dem Beispiel des Grafen Nikolaus I. von Tecklenburg (+ 1368) deutlich, der allein im Jahre 1360 durch seine Raubzüge im Münsterland 1114 Kühe, 3838 Schafe 143 Pferde und 480 Schweine erbeutet haben soll.[v]

Die Landwehr stellte aber auch eine Rechtsgrenze dar. Bis zu ihr durfte ein Übeltäter verfolgt und an Ort und Stelle im sogenannten „kurzen Prozess“ verurteilt werden. Wie wirkungsvoll Landwehr und Schlagbaum waren, soll an zwei kurzen, aber prägnanten Beispielen verdeutlicht werden: Während der Schlacht bei Varlar am 18. Juli 1454, die sich im Verlauf der Münsterischen Stiftsfehde ereignet hatte, wurde eine der sich bekämpfenden Parteien hinter die Landwehr bei Bösensell zurückgedrängt, bei welcher sie Stellung bezogen hatte. Es ist überliefert, dass bei diesem ungeordneten Rückzug zahlreiche Männer in den Gräben der Landwehr ertranken.[vi] – Knapp ein Jahrhundert später wird aus Herbern (bei Drensteinfurt) folgende Begebenheit berichtet:

Bernt van Hovel to Bickentorp is 1546 to Herbern tor sellschopp met anderen Junkhern gewesen in der tavern und als he avents to huis ryden wolde, is syn pert met eme gelopen up den Rennebom (Schlagbaum) vor syn herte, storte van dem perde und bleiw hastlick doit sunder ennige sprake.[vii]

Die Landwehrzüge stellten aber auch, abgesehen von den natürlichen Grenzen der Fluss- und Bachläufe, die ersten künstlich gezogenen linearen Grenzverläufe des Mittelalters dar. Zuvor bestanden mittelalterliche Grenzen in siedlungsleeren, unkultivierten oder unwegsamen Gebieten.[viii]

Die Anfänge der näheren Erforschung der Landwehren liegen bereits im 19. Jahrhundert.[ix] Für eine Beschäftigung mit den Landwehren Westfalens sind aber besonders die Forschungen von Karl Weerth aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die zum Teil bereits auf Untersuchungen seines Vaters Otto beruhen, auch heute noch grundlegend.[x]

[...]


[i] Kneppe, Cornelia, Die Stadtlandwehren des östlichen Münsterlandes, Münster 2004 (= Veröffentlichungen der Altertumskommission für Westfalen XIV).

[ii] Zur Etymologie des Wortes „Landwehr“ vgl.: Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, 16 Bde. [in 32 Teilbänden], Leipzig 1854-1960, Bd. 12, Sp. 149f.; Lexer, Matthias, Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch. Mit Nachträgen von Ulrich Prezel, 38. unveränderte Aufl., Stuttgart 1992, S. 122; Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, hrsg. v. Wolfgang Pfeiffer, 3. Aufl., Berlin 1997, S. 763.

[iii] Kneppe, Stadtlandwehren (wie Anm. 1), S. 9.

[iv] Zur Fehde und der westfälischen Landfriedensbewegung vgl.: Rothert, Hermann, das mittelalterliche Fehdewesen in Westfalen, in: Westfälische Forschungen, Bd. 3 (1940), S. 145 – 155; Welz, Maria, Zur Landfriedensbewegung im nordöstlichen Westfalen, in: 59. Jahresbericht des historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg (1956/57), S. 69 – 108.

[v] Smend, Friedrich, Kirchengeschichte der Grafschaft Tecklenburg, Gütersloh 1850, S. 9.

[vi] Hansen, Joseph, Westfalen und Rheinland im 15. Jahrhundert, Bd. 2: Die Münsterische Stiftsfehde, Leipzig 1890 (Publicationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven, Bd. 42), S. 108*-110*.

[vii] Tenhagen, Friedrich, Die Landwehr des Kirchspiels Herbern, in: Westfälische Zeitschrift, Bd. 79 (1921), S. 25 – 41, hier S. 38.

[viii] Vgl.: Butz, Reinhardt, Landwehren – wenig beachtete Kulturlandschaftsrelikte, in: Anthropogene Formenelemente in der Landschaft, hrsg. v. Agrar- und Freilichtmuseum Schloss Blankenstein (Mitteilungen zur Geographie, Landes- und Volkskunde, Bd. 5) Schloss Blankenhain 2001, S. 47ff.

[ix] Zur Forschungsgeschichte vgl.: Kneppe, Stadtlandwehren (wie Anm. 1), S. 12 – 15.

[x] Weerth, Karl, Westfälische Landwehren, in: Westfälische Forschungen, Bd. 1 (1938), S. 158 – 198; Ders., Westfälische Landwehren. Forschungsbericht über die Jahre 1938 – 1954, in: Westfälische Forschungen, Bd. 8 (1955), S. 206 – 213.

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Details

Titel
Die Landwehren des Tecklenburger Landes unter besonderer Berücksichtigung des Kirchspiels Lienen
Autor
Jahr
2006
Seiten
14
Katalognummer
V65733
ISBN (eBook)
9783638602921
ISBN (Buch)
9783640139279
Dateigröße
670 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Dieser regionalgeschichtliche Beitrag wurde in gekürzter Form in: Unser Kreis 2007. Jahrbuch für den Kreis Steinfurt, S. 244-251, veröffentlicht.
Schlagworte
Landwehren, Tecklenburger, Landes, Berücksichtigung, Kirchspiels, Lienen
Arbeit zitieren
Christof Spannhoff (Autor:in), 2006, Die Landwehren des Tecklenburger Landes unter besonderer Berücksichtigung des Kirchspiels Lienen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/65733

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