Die begriffliche Fixierung von Institution, Organisation und totale Institution und deren begrifflicher Vergleich


Hausarbeit, 2006

23 Seiten


Leseprobe


Gliederung:

I. Einleitung

II. Institution
1. Etablierung der Institutionen als Forschungsgegenstand
2. Zum Begriff der Institution

III. Organisationen
1. Etablierung der Organisation als Forschungsgegenstand
2. Zum Begriff der Organisation

IV. Die totale Institution
1. Die totale Institution nach Ervin Goffman
2. Die totale Institution nach Foucault

V. Vergleich der Definitionen Institution, Organisation und der totalen Institution
1. Institution und Organisation
2. Organisationen und totale Institutionen
3. Institution und Totale Institution

VI. Fazit

I. Einleitung

Goffman in Asyle und Foulcault in Überwachen und Strafen greifen auf den Begriff der „totalen Institution“ für psychiatrische Anstalten und Gefängnisse zurück. Die Verwendung des Begriffs der totalen Institution stieß in der Literatur auf Kritik. Esser formulierte beispielsweise folgendes: Totale Institutionen sind somit offensichtlich – vor dem Hintergrund des üblichen Verständnisses von Institutionen – keine Institutionen. Es sind spezielle Arten von Organisationen[1].

Allerdings lässt diese Kritik an sich wiederum Fragen offen. So ist z.B. unklar, was Institutionen sind. Auch steht in Frage, was das übliche Verständnis von Institutionen ist und was im Hintergrund dieser üblichen Auffassung eine Institution ausmacht. Was ist eine Organisation? Was ist eigentlich eine „totale Institution“?

Im Alltagsverständnis scheint kein Konsens darüber zu bestehen, was Institution oder was Organisation genau sind. Vielfach wird nicht zwischen beiden unterschieden. So ist die Universität im Verständnis vieler zum Einen Institution, aber zum Anderen auch gleichzeitig eine Organisation. Auch wird vielfach die Behörde sowohl als Institution aber auch als Organisation bezeichnet. Spannend hingegen ist das Verständnis von dem Begriff der „totalen Institution“. Es scheint, als existiere eine immanente Einigkeit darüber, wie so ein Gebilde auszusehen hat. So wird unter einer „totalen Institution“ meistens das Gefängnis genannt, aber auch Einrichtungen wie das Militär und Krankenhäuser.

Ausgehend von diesem Eindruck können die oben genannten Fragen also nicht mit den Alltagsverständnis beantwortet werden und bedürfen daher einer Untersuchung um festzustellen, ob Gefängnisse und Asyle „totale Institutionen“ oder doch Organisationen sind und Esser mit seiner Kritik an den Autoren Recht behalten soll.

II. Institution

Der erste Abschnitt beschäftigt sich mit dem Begriff der Institution. Dabei wird kurz auf die geschichtliche Entwicklung eingegangen und anschließend eine begriffliche Fixierung vorgenommen.

1. Etablierung der Institutionen als Forschungsgegenstand

Die Fragen, was Institutionen sind und welche Bedeutung sie für das gesellschaftliche Zusammenleben haben, sind in der soziologischen Literatur eines der wichtigsten Grundkonzepte überhaupt[2]. Dennoch ließ die Erkenntnis und die Bedeutung in der soziologischen Literatur lange auf sich warten. Ausgehend von getrennt nebeneinander sich entwickelnder[3] Geschichte der Handlungstheorie und Geschichte der Staatstheorie wurde bis dato in einer Gegenüberstellung von individuellem Handeln und gesellschaftlicher Ordnung sachliche und begriffliche „Zwischeninstanzen“ nur unzureichend erfasst[4].

Der Begriff der Institution wurde zwar schon bei Luther und Calvin gebraucht, dennoch hatte er keine engere Beziehung zum sozialwissenschaftlichen Problem der „Zwischeninstanzen“[5] als für das theologische Denken. Eingeführt wurde der Begriff der Institutionen in das soziologische Denken durch Herbert Spencer, welcher die Gesellschaft als ein Organismus eines lebendigen Funktionszusammenhangs sah. Hiernach bildeten Institutionen den Gliedern eines Organismus ähnliche, mehr oder minder spezialisierte Funktionsträger[6]. Ein ernsthafter Bezug zur Frage, was Institutionen sind und welche Bedeutung sie haben, entstand dennoch erst später durch Maurice Hauriou, welcher die Institutionen als soziale Tatsachen verstand[7]. Ihm zufolge sind Institutionen die einer Rechtsordnung zugrunde liegenden Leitideen, die unmittelbar verkörpert und mit den Sanktionen der gesellschaftlichen und staatlichen Macht verbunden werden[8]. Weiter etablierte Malinowski die Institutionen in der Soziologie. Anders als bei Hauriou sind Werte der Grund des sinnvoll menschlichen Handelns, die im Hauriouschen Sinn als Leitidee der Institution zugrunde liegen[9]. Konkret genommen sind Institutionen zwar Einheiten der gesellschaftlichen Organisation des Verhaltens, sie dienen aber dabei der stabilisierten und auf Dauer gestellten Befriedigung individueller Bedürfnisse[10]. Weitere Etablierungen fanden durch Talcon Parson und Gehlen statt. Parson verstand die Bedeutung der Institutionen als Orientierungsmuster für gesellschaftliches Handeln. Gehlen seinerseits verstand die Bedeutung der Institutionen als Instinktersatz[11]. Das heißt der Einzelne wird durch Institutionen dadurch entlastet, dass diese ein Handeln unabhängig vom Einzelnen festlegen. Eine Symbiose beider vorgenannten Ansätze fand sich in der gesellschaftstheoretischen Auseinandersetzung Helmut Schelskys wieder, welche später der Verfestigung der Bedeutung von Institution in der Soziologie dienlich war. Jüngere Autoren beantworten die Frage, was Institutionen sind und welche Bedeutung sie für das soziale Zusammenleben haben, wieder klassisch[12]. So sehen Berger und Luckmann die Funktion und die Bedeutung folgendermaßen: Institutionen sind Regeln für Problemlösungen des Alltags, sie „definieren“ das was möglich ist und gewinnen über das Handeln der Menschen bald eine objektive Macht, der sie sich kaum noch entziehen können, obwohl nur sie die Regeln und die darauf aufbauenden Institutionen geschaffen haben und durch ihr Tun auch fortwährend reproduziert[13].

2. Zum Begriff der Institution

Ausgehend von den unterschiedlichen soziologischen Vorstellung über die Bedeutung der Institution im gesellschaftlichen Zusammenleben, ist die begriffliche Bestimmung, also die Frage, was eine Institution ist, ebenfalls weitgehend den unterschiedlichen Theorierichtungen angepasst. Eine allgemeine Definition des Begriffs „der“ Institution, lässt sich demnach in der soziologischen Literatur nur schwer ausmachen. Dieses Problem wird unter anderem auf Folgendes zurückgeführt: „Die in der Literatur auftretende Vielfalt und Diffusität der Definition des Begriffs Institution reflektiert, die unterschiedlichen Fragestellungen, […], die mit der Verwendung des Ausdrucks Institution verbunden sind.[…] Ein Begriff ist nicht richtig oder Falsch, ein Begriff bewährt sich durch die analytische Kraft, die er für die Erschließung und die Bearbeitung eines Problems besitzt.“[14]

So schlägt Lepsius in Anlehnung an Karl-Siegbert Rehberg, der Institutionen als Sozialregulatoren bezeichnet, in denen Prinzipien und Geltungsansprüche symbolisch zum Ausdruck gebracht werden, folgende Definition vor: „Institutionen sollen […] Prozesse bezeichnet werden, die soziales Verhalten strukturieren und auf Wertvorstellungen beziehen.“[15]. Unklar bleibt, auch wenn er den Vorteil in Abgrenzung zu Regulierungen, Erwartungsnormierungen und Einrichtungen[16] sieht, welches das Abgrenzungskriterium genau ist. Der Versuch, eine Abgrenzung durch die Dauerhaftigkeit von solchen Prozessen zu statuieren, kann keinen Erfolg haben, wenn z.B. Asyle oder Gefängnisse als Organisationen definiert[17] werden und dabei festgestellt wird, dass diesen auch Dauerhaftigkeit anlastet. Auch wenn darauf abgestellt wird, dass Institutionen der Kern von Organisation sind[18], bleibt unklar, wo genau die Grenze zwischen dem Kern und dem umgebenden Ganzen zu finden ist. Allgemeiner definiert Esser die Institution. Er sieht in einer Institution eine Erwartung über die Einhaltung bestimmter Regeln, die verbindliche Geltung beanspruchen[19]. Abgrenzungskriterien zu sozialen Regelmäßigkeiten oder Organisationen werden allein aus der Definition nur schwer, um nicht zu sagen überhaupt nicht, deutlich,

Eine andere Annäherung an den Begriff findet Helmut Dietl. In der Kritik an Schünlein und seinem Verständnis, dass Institutionen dauerhafte Einrichtungen sind und damit das begriffliche Spektrum weit ausgedehnt wird[20], lehnt er seine Definition an zwei von Frey definierten Arten von Institutionen an. Dieser definierte Institutionen zum Einen als Regeln, die die Bedingung zwischen-menschlichen Handelns festlegen und zum Anderen als Organisationen. Dabei stellt Dietl sich die Frage, welche der beiden Institutionsformen Unsicherheitsreduzierende oder Flexibilitätserhöhende Eigenschaften zugeschrieben werden[21] können. Aus dieser eher funktionsorientierten Herangehensweise stellt er eine die beiden Institutionsarten umfassende Definition auf. Danach sollen Institutionen sozial sanktionierbare Erwartungen sein, die sich auf die Handlungs- und Verhaltensweisen eines oder mehrerer Individuen beziehen[22]. Diese Definition löst sich von dem üblichen Abgrenzungskriterium der Häufigkeit oder Regelmäßigkeit und setzt stattdessen die Grenze bei der Sanktionierbarkeit der Erwartungen. Jedoch soll das nicht dazu führen, dass alle sanktionierbaren Erwartungen gleich begrifflich eine Institution sind, dies wäre für sich ein zu offener und zu weit führender Begriff, das Abgrenzungskriterium wird hier durch die gesellschaftliche akzeptierte Sanktionierbarkeit[23] selber noch einmal begrenzt. Fraglich bleibt bei dieser Theorie, was Erwartungen sind. Dietl bezieht nur subjektive Erwartungen für die Definition ein[24]. Diese Erwartungen sollen handlungsspezifisch sein[25]. Einfacher sieht René König eine Institution definiert. Ihm zufolge ist eine Institution schlicht die Art und Weise, wie bestimmte Dinge getan werden müssen[26]. Diese Definition weist ebenso kaum Abgrenzungskriterien zu Organisationen oder sozialen Regelmäßigkeiten auf.

Aus den vielfältigen Verstehensweisen wird schnell das Dilemma des Begriffs klar. Der Begriff Institution ist also je nach theoretischer Ausrichtung an unterschiedliche Voraussetzungen geknüpft, so dass eine allgemeine Definition als unmöglich erscheint. Allerdings lässt das folgenden Schluss zu. Die Frage, was eine Institution sein soll, hängt immer von der dahinter stehenden Frage ab und somit auch von der Intention oder dem Forschungsauftrag. Mithin ist der Kritik totale Institutionen sind somit offensichtlich- vor dem Hintergrund des üblichen Verständnisses von Institutionen- keine Institutionen[27] nichts abzugewinnen, da es offensichtlich kein „übliches“ Verständnis von Institutionen gibt.

Es erscheint daher sinnvoll, die kleinste Gemeinsamkeit der Auffassungen zu sezieren und daraus eine begriffliche Fixierung für diese Arbeit zu kreieren. Hierfür ist es zweckmäßig, auf Folgendes zurückzugreifen. Bei Institutionen handelt es sich um Handlungen[28], Regeln[29] bzw. Erwartungen[30], die von Akteuren eines Kollektivs erwartet werden, und die im Kollektiv eine bestimmte Geltung beanspruchen[31]. Zusammengefasst: Institutionen sind Regeln des Handelns[32].

Allerdings sei darauf hingewiesen, dass damit nicht geklärt ist, wie intensiv das Handeln durch eine Institution geregelt ist.

[...]


[1] Esser, spezielle Grundlagen, Bnd. 5 S.14.

[2] Esser, spezielle Grundlagen, Bnd. 5 S. 2.

[3] Luckmann, Theorie des sozialen Handelns, S. 126.

[4] Luckmann, Theorie des sozialen Handelns, S.126.

[5] Luckmann, Theorie des sozialen Handelns, S. 127.

[6] Luckmann, Theorie des sozialen Handelns, S. 128

[7] Esser, spezielle Grundlagen, Bnd. 5 S.3.

[8] Maurice Hauriou, Die Theorie der Institutionen; in : Roman Schnur (Hrsg.), Die Theorie der Institutionen und zwei andere Aufsätze von Mauriou, Berlin 1965, S. 26 ff.

[9] Luckmann, Theorie des sozialen Handelns, S. 128.

[10] Luckmann, Theorie des sozialen Handelns, S. 128.

[11] Luckmann, Theorie des sozialen Handelns, S. 129.

[12] Wie Fn. zu vor.

[13] Esser, spezielle Grundlagen, Bnd. 5 S. 3.

[14] M. Rainer Lepsius, Institutionalisierung und Deinstitutionalisierung von Rationalitätskriterien, in: Gerhard Göhler, Institutionenwandel, Leviathan 16 Sonderhaft, S. 58.

[15] wie Fn. zuvor.

[16] M. Rainer, Lepsius, Institutionsanalyse und Institutionspolitik, in: Birgitta Nedelmann und René König, Politische Institutionen im Wandel, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 35 S. 394.

[17] So Esser in: Esser, Spezielle Grundlagen, Bnd. 5 S.12 f.

[18] so dargestellt in: M. Rainer Lepsius, Institutionalisierung und Deinstitutionalisierung von Rationalitätskriterien, in: Gerhard Göhler, Institutionenwandel, Leviathan 16 Sonderhaft, S. 58., am Besipiel der Schule, aber auch: Esser, Spezielle Grundlagen, Bnd. 5. S.7.

[19] Esser, Spezielle Grundlage, Bnd. 5 S.2.

[20] Dietl, Institutionen und Zeit, S.35.

[21] Dietl, Institutionen und Zeit, S.36.

[22] Dietl, Institutionen und Zeit, S.37.

[23] Dietl, Institutionen und Zeit, S.38.

[24] Dietl, Institutionen und Zeit, S.39.

[25] wie Fn. zuvor.

[26] König, Institutionen, in: René König, Soziologie, S.143.

[27] Esser, Spezielle Grundlagen, Bnd.5 S.14.

[28] Esser.

[29] König.

[30] Dietl.

[31] Esser, Spezielle Grundlagen, Bnd. 5 S.8.

[32] Esser, Spezielle Grundlagen, Bnd. 5 S.237.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Die begriffliche Fixierung von Institution, Organisation und totale Institution und deren begrifflicher Vergleich
Hochschule
Universität Leipzig  (Soziologie)
Veranstaltung
Theorie und Theoriegeschichte
Autor
Jahr
2006
Seiten
23
Katalognummer
V65711
ISBN (eBook)
9783638582179
ISBN (Buch)
9783638670821
Dateigröße
521 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Arbeit befasst sich mit dem Begriff der Totalen Institution, insbesondere der von Goffmann und Foucault geschaffenen Merkmale.
Schlagworte
Organisation, Institution, Fixierung, Vergleich, Theorie, Theoriegeschichte
Arbeit zitieren
Alex Theile (Autor:in), 2006, Die begriffliche Fixierung von Institution, Organisation und totale Institution und deren begrifflicher Vergleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/65711

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