Politikverflechtung im föderativen System der Bundesrepublik Deutschland vor und nach der Föderalismusreform von 2006


Seminararbeit, 2006

21 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung in den Untersuchungsgegenstand und Literaturbericht

2. Kurzüberblick: Der kooperative Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland

3. Politikverflechtung im föderalen System Deutschlands vor der Föderalismusreform des Jahres 2006
3.1. Administrative Verflechtung
3.2. Parteiennetzwerke
3.3. Kooperationen von Exekutive und Legislative
3.4. Gemeinschaftsaufgaben
3.5. Ländervertretungen beim Bund
3.6. Rechtliche Vereinbarungen
3.7. Planungsverflechtungen

4. Probleme der Politikverflechtung und Reformansprüche
4.1. Verflechtung der Gesetzgebung
4.2. Zustimmungspflichtige Bundesgesetze
4.3. Mischfinanzierung
4.4. Gemeinschaftsaufgaben

5. Die Föderalismusreform des Jahres 2006 – Anspruch und Wirklichkeit
5.1. Verflechtung der Gesetzgebung
5.2. Zustimmungspflichtige Bundesgesetze
5.3. Mischfinanzierung
5.4. Gemeinschaftsaufgaben

6. Fazit: Politikverflechtung in der BRD vor und nach der Föderalismusreform

7. Literaturverzeichnis

8. Eidesstattliche Erklärung

1. Einführung in den Untersuchungsgegenstand und Literaturbericht

Im Allgemeinen bezeichnet der Begriff „Föderalismus“ das Organisationsprinzip für ein geglieder-tes Gemeinwesen, in dem gleichberechtigte und mehr oder weniger eigenständige Glieder zu einem übergeordneten Ganzen zusammengeschlossen sind.[1] Ein Beispiel für eine solche politische Organi-sationsform ist der (west-)deutsche Bundesstaat nach 1949. Diese föderative Ordnung entwickelte sich, entgegen anfänglicher unitaristischer Tendenzen, bis zum Beginn der neunziger Jahre immer stärker zu einem so genannten kooperativen Föderalismus. Allerdings wird in der politischen und politikwissenschaftlichen Debatte bereits seit Jahren häufig die Auffassung vertreten, dass bedeu-tende innenpolitische Probleme mit dieser hierzulande herausgebildeten Form des Föderalismus nicht mehr befriedigend gelöst werden können.[2] Gerade das Phänomen der Politikverflechtung rückt dabei oftmals in das Blickfeld wissenschaftlicher Untersuchungen, nicht zuletzt deshalb, weil die fö-derale Ordnung der Bundesrepublik Deutschland in diesem Jahr von der großen Koalition reformiert wurde.

Aus diesem Grund soll im ersten Schritt dieser Hausarbeit zunächst der Frage nachgegangen wer-den, weshalb es im föderativen System der Bundesrepublik Deutschland zu Politikverflechtung kommt, und in welchen Bereichen dies vor der Föderalismusreform konkret der Fall war. Schließ-lich wird in einem zweiten Schritt untersucht, welche Probleme und damit Reformansprüche sich in den letzten Jahrzehnten im Bezug auf die Politikverflechtung herauskristallisiert haben, und in-wieweit diesen im Rahmen der Föderalismusreform von 2006 Rechung getragen wurde.

Für die Untersuchung der Politikverflechtung im föderativen System Deutschlands, sowie deren Entstehungsursachen und –geschichte wurde hauptsächlich der Aufsatz „Politikverflechtung im ko-operativen Föderalismus“ von Ursula Münch und Kerstin Meerwaldt sowie die Monographie „Das föderative System der Bundesrepublik Deutschland“ von Heinz Laufer verwendet. Bei der Analyse der Probleme der Politikverflechtung bzw. der Formulierung von Reformansprüchen im zweiten Teil der Arbeit erwiesen sich neben den soeben genannten Quellen schließlich auch die rechtswis-senschaftliche Abhandlungen „Staatsrecht“ von Alfred Katz und „Staatsorganisationsrecht“ von Jörn Ipsen, sowie aktuelle Arbeiten zur Reformdebatte in politikwissenschaftlichen Fachzeitschriften wie „Aus Politik und Zeitgeschichte“ und „Informationen zur politischen Bildung“, die den neuesten Forschungsstand auf diesem Gebiet dokumentieren, als nützlich. Da die Föderalismusreform erst vor wenigen Wochen verabschiedet wurde, ließen sich im Zuge der Literaturrecherche für den letzten Teil der Arbeit allerdings keine politikwissenschaftlichen Aufsätze oder Abhandlungen ausfindig machen, die die Ergebnisse der Reform nachträglich zufrieden stellend untersuchen und bewerten, sodass sich die abschließende Analyse dieser Grundgesetzänderung ausschließlich auf das neue Ge-setz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006 stützt.

2. Kurzüberblick: Der kooperative Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland

Artikel 20 Absatz 1 des seit 1949 gültigen deutschen Grundgesetzes legt fest, dass „[d]ie Bundesre-publik Deutschland [...] ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“ ist. Im Gegensatz zum Staa-tenbund behalten die Gliedstaaten in einer derartigen föderativen Ordnung durch den Zusammen-schluss zum Bundesstaat zwar ihre Staatlichkeit und eine partielle Selbständigkeit, nicht aber ihre uneingeschränkte völkerrechtliche Souveränität.[3] Die Unantastbarkeit dieser Bundesstaatlichkeit ist im Grundgesetz nochmals explizit verfassungsrechtlich festgeschrieben (Art. 79 Abs 3 GG). Sie um-fasst im Wesentlichen vier Elemente, nämlich die Bestandsgarantie von Bund und Ländern, die Staatsqualität der Länder, die finanzielle Selbstständigkeit von Bund und Ländern, sowie die Mit-wirkung der Länder an der Gesetzgebung durch den Bundesrat.[4]

Zwischen 1949 und dem Ende der sechziger Jahre war der bundesdeutsche Föderalismus zunächst von einer unitaristischen Gewichtsverlagerung im Kompetenzbereich hin zum Zentralstaat geprägt, die sowohl in der bundesstaatlichen Tradition Deutschlands als auch im Grundgesetz angelegt war. In den darauf folgenden Jahren setzte sich allerdings das Prinzip des kooperativen Föderalismus – zugunsten der Länder - immer weiter durch[5] und wird erst seit der deutschen Wiedervereinigung zunehmend hinterfragt[6]. Diese Form des Föderalismus ist dadurch gekennzeichnet, dass ursprüng-lich autonome Entscheidungseinheiten nun solche Aufgaben zusammen lösen, die eine einheitliche und planend abgestimmte Zusammenarbeit aller Ebenen und Träger der öffentlichen Verwaltung (Bund, Länder, Gemeinden) erfordern.[7]

Die durch das Grundgesetz vorgegebene bundesstaatliche Aufgabenteilung[8] legt fest, dass für ge-wisse Aufgaben nur der Bund zuständig ist und für andere Aufgaben ausschließlich die Länder. Für bestimmte Aufgabenfelder sieht die Verfassung hingegen vor, dass Bund und Länder jeweils einen Teil der betreffenden Aufgabe zu erledigen haben. Durch die Koordination und das Zusammenwir-ken aller Beteiligten kommt es bei der Erfüllung solcher Staatsaufgaben zu einer gewissen Ver-schränkung zwischen Bund und Ländern.[9] Auf diese so genannte Politikverflechtung soll im Fol-genden ausführlicher eingegangen werden.

3. Politikverflechtung im föderalen System Deutschlands vor der Föderalismusreform des Jahres 2006

Allgemein bezeichnet der Begriff Politikverflechtung den Umstand,

„dass in einem politischen System, in dem alle wesentlichen politischen Entscheidungen nur im Verbund der verschiedenen Systemebenen und mittels Verhandlungslösungen unter den beteiligten Akteuren getroffen und in dem die meisten öffentlichen Aufgaben nicht autonom und getrennt von Zentral- und Gliedstaaten ausgeführt, sondern überhaupt nur in der Zusammenarbeit der Gebietskörperschaften wahrgenommen werden können.“[10]

Das daraus entstehende Geflecht von sich überschneidenden Zuständigkeiten, von Koordinations- und Absprachemustern sowie von formellen und informellen Mitsprachebefugnissen zwischen staat-lichen Akteuren bedingt sowohl eine horizontale als auch eine vertikale Verzahnung der zahlreichen Organisations- und Entscheidungsebenen in einem Bundesstaat.[11]

Während der Bundgesetzgeber noch in den fünfziger und sechziger Jahren - unter Berufung auf die Bedürfnisklausel „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“[12] gemäß Grundgesetz-Artikel 72 Abs. 2 –annähernd alle Gesetzgebungszuständigkeiten für sich in Anspruch genommen hatte, war die Ent-wicklung der bundesstaatlichen Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland seit dem Ende der sechziger Jahre maßgeblich vom Phänomen der Politikverflechtung geprägt.[13] In diesem Sinne hielt man es für immer wichtiger, die Kooperation von Bund und Ländern zu intensivieren, um den zu-nehmenden wirtschaftlichen, konjunktur- und strukturpolitischen Problemen durch besser abge-stimmtes Planen und Handeln begegnen zu können. Zudem sprachen bzw. sprechen zwei weitere Aspekte für eine stärkere Politikverflechtung: Erstens werden Planung und Umsetzung bestimmter politischer Aufgaben – im Sinne der vertikalen Gewaltenteilung - auf gesonderte staatliche Insti-tutionen verteilt. Zweitens können durch gemeinsames Agieren auch solche politische Vorhaben in Angriff genommen werden, an denen beispielsweise einzelne Länder alleine scheitern würden.[14]

Aus politischer Sicht ergeben sich aus der Politikverflechtung und dem daraus resultierenden „Mehrebenenmodell der Entscheidungsfindung“[15] also zunächst gewisse Vorteile. So ist es bei-spielsweise möglich, Kosten bestimmter Maßnahmen auf mehrere staatliche Akteure zu verteilen, und somit auch Projekte zu realisieren, die von einzelnen Akteuren finanziell nicht getragen werden könnten. Zudem lässt sich gesellschaftlicher Problemdruck auf einen staatlichen Akteur dadurch verringern, dass die Bearbeitung bzw. Lösung einer bestimmten politischen Angelegenheit auf verschiedenen Ebenen erfolgt. Dem gegenüber steht allerdings ein permanenter Zwang, mittels Ver-handlung, die oftmals auch von parteipolitischen Kalkülen beeinflusst wird, und Kompromissbil-dung, politische Entscheidungen zwischen den Akteuren auf verschiedenen staatlichen Ebenen aus-zuhandeln. Dies wiederum verleitet in solchen Verbundsystemen leicht dazu, Konflikte zu vermei-den und Innovationen aufzuschieben bzw. sogar zu verhindern.[16] Trotz dieser Problematik setzte sich die Politikverflechtung in der Bundesrepublik seit den Siebzigern durch und fand ihren Nieder-schlag in zahlreichen Politikbereichen und Institutionen.

3.1. Administrative Verflechtung

Im Bereich der Administration sind im föderativen System Deutschlands grundsätzlich drei Arten formeller Verflechtung mit jeweils unterschiedlicher Intensität zu unterscheiden. Die stärkste Ver-flechtung findet bei der so genannten Mischverwaltung zwischen Bundes- und Landesverwaltung beispielsweise im Bereich des Finanzwesens (Oberfinanzdirektionen) statt. Dadurch sind die Behör-den der beiden staatlichen Ebenen zu einer engen Kooperation, u.a. im Bereich der Personalauswahl oder der Behördenorganisation, gezwungen. Des Weiteren lässt sich eine starke Verflechtung im Bereich der Bundesauftragsverwaltung, bei der die Länderverwaltungen ein Bundesgesetz im Auf-trag des Bundes ausführen, erkennen. Dabei greifen Bundesverwaltungen mittels Verwaltungsvor-schriften und Fachaufsicht in die Landesverwaltungen ein. Schließlich kommt es auch zu einer schwächeren administrativen Verflechtung, wenn Bundesrecht als landeseigene Angelegenheit aus-geführt wird.[17]

Um in diesen Bereichen die Funktions- und Leistungsfähigkeit der jeweiligen staatlichen Stellen zu garantieren, findet neben einem institutionalisierten auch regelmäßig ein informeller Austausch von Behörden und Institutionen statt. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang beispielsweise infor-melle Zusammenkünfte leitender Beamter des Bundeskanzleramts und der Staatskanzleien der Länder, sowie Arbeitstreffen von Ministerpräsidenten und Ministern einzelner Bundesländer. Schließlich tragen gesonderte Bund-Länder-Ausschüsse, die beispielsweise auch Modellgesetzent-würfe für Bund und Ländern vorbereiten, zu einer weiteren Politikverflechtung bei.[18]

3.2. Parteiennetzwerke

Auch aufgrund der Beschaffenheit des bundesdeutschen Parteiensystems, welches sich durch eine monopolartige Stellung der Parteien auszeichnet, kommt es zu Politikverflechtungen. Dies geschieht durch Etablierung von Parteiennetzwerken, was sich konkret darin zeigt, dass die politisch bedeutsa-men Parteien zwar in allen Gebietskörperschaften separat agieren, ihr Handeln aber kontinuierlich abstimmen und dadurch diese verschiedenen staatlichen Ebenen miteinander verschränken.[19]

[...]


[1] Münch/Meerwaldt 2002: 5.

[2] Laufer 1985: 5.

[3] Maunz/Zippelius 199: 102.

[4] Münch/Meerwaldt 2002: 16.

[5] Laufer/Münch 1997: 18.

[6] Münch/Meerwaldt 2002: 31.

[7] Ebenda: 5.

[8] welche zuletzt im Rahmen der Verfassungsreform von 1994 neu geregelt wurde.

[9] Laufer/Münch 1997: 95f.

[10] Schultze 2002: 682.

[11] Münch/Meerwaldt 2002: 30.

[12] seit der Verfassungsreform von 1994 „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“.

[13] Sturm 1999: 81-99.

[14] Münch/Meerwaldt 2002: 30.

[15] Schreyer/Schwarzmeier 2002: 74.

[16] Münch/Meerwaldt 2002: 30f.

[17] Ebenda: 31.

[18] Laufer 1985: 153.

[19] Laufer 1985: 155.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Politikverflechtung im föderativen System der Bundesrepublik Deutschland vor und nach der Föderalismusreform von 2006
Hochschule
Universität Regensburg  (Lehrstuhl für Vergleichende Politikwissenschaft (Schwerpunkt Westeuropa))
Veranstaltung
Grundkurs "Einführung in den Vergleich westlicher Regierungssysteme"
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
21
Katalognummer
V65677
ISBN (eBook)
9783638581905
ISBN (Buch)
9783638767781
Dateigröße
510 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Politikverflechtung, System, Bundesrepublik, Deutschland, Föderalismusreform, Grundkurs, Einführung, Vergleich, Regierungssysteme
Arbeit zitieren
Michael Adam (Autor:in), 2006, Politikverflechtung im föderativen System der Bundesrepublik Deutschland vor und nach der Föderalismusreform von 2006, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/65677

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Politikverflechtung im föderativen System der Bundesrepublik Deutschland vor und nach der Föderalismusreform von 2006



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden