Adverse Selektion in der Krankenversicherung - Alternative Lösungsansätze in Theorie und Praxis


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

22 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

ABKÜRZUNGS-/SYMBOLVERZEICHNIS

A. Motivation

B. Grundlagen der adversen Selektion
I. Merkmale der adversen Selektion
II. Folgen der adversen Selektion
III. Grundmodell von Rothschild und Stiglitz
1. Symmetrische Informationsverteilung
2. Asymmetrische Informationsverteilung

C. Lösungsansätze in der Theorie 6
I. Staatliche Regulierung
1. Staatliche Vollversicherung
2. Staatliche Basisversorgung und private Zusatzversicherung
3. Freiwillige staatliche Vollversicherung und »opting out«
II. Risk Adjustment
1. Merkmale des Risk Adjustments
2. Bewertung des Risk Adjustments

D. Lösungsansätze in der Praxis 10
I. Deutschland
1. Merkmale des RSA
2. Beurteilung
II. Schweiz
1. Merkmale des Krankenversicherungssystems
2. Beurteilung
II. USA
1. Merkmale des Krankenversicherungssystems
2. Beurteilung

E. Schlussfolgerungen, Ausblick

Literaturverzeichnis

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abb. 1: Separierendes und Pooling-Gleichgewicht

Abb. 2: Existenz eines Gleichgewichts

Abb. 3: Staatliche Basisversorgung und private Zusatzversicherung

Abb. 4: Freiwillige staatliche Vollversicherung und »opting out«

Abb. 5: Risk Adjustment Modell A

Abb. 6: Risk Adjustment Modell B

ABKÜRZUNGS-/SYMBOLVERZEICHNIS

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

A. Motivation

Der Markt für Krankenversicherungen ist gekennzeichnet durch adverse Selektion, die durch eine asymmetrische Informationsverteilung zwischen Anbietern und Nachfragern von Leistungen entsteht und im extremsten Fall zu Marktversagen führen kann (Schulenburg & Greiner, 2000; Wynand & Ellis, 2000). Aufgrund des deutlichen Anstiegs der Ausgaben für Gesundheit am Bruttosozialprodukt in allen westlichen Industrieländern in den letzten vier Jahrzehnten (Breyer & Zweifel, 1999), kommen der adversen Selektion sowie den Lösungsansätzen zu deren Reduzierung heute eine gestiegene Bedeutung zu. Dies wird nicht zuletzt durch die Verleihung des Nobelpreises für Wirtschaft im Jahr 2001 an die Wissenschaftler Akerlof, Spence und Stiglitz deutlich, die für ihre Analyse der Märkte mit asymmetrischer Information ausgezeichnet wurden (Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, 2001; Emons, 2001).

Die vorliegende Arbeit liefert einleitend grundlegende Informationen über adverse Selek-tion, deren Merkmale sowie deren Folgen. Wesentliche Erkenntnisse hinsichtlich Existenz und Gestalt von Gleichgewichten auf Versicherungsmärkten unter asymmetrischer Informationsverteilung gehen auf Rothschild und Stiglitz (1976) zurück. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit erfolgt zunächst die Beschreibung der in der Theorie aufgeführten Lösungsansätze der adversen Selektion. Die staatliche Regulierung in Form einer obligatorischen staatlichen Vollversicherung, einer staatlichen Basisversicherung in Verbindung mit einer privaten Zusatzversicherung oder einer freiwilligen staatlichen Vollversicherung sind in der Theorie diskutierte Lösungsansätze. Ein weiterer Lösungsansatz stellt das Risk Adjustment dar. Die in der Praxis existierenden Lösungsansätze werden entsprechend ihrer Anwendung nationenweise betrachtet. Der Umfang der vorliegenden Arbeit begrenzt die Betrachtung auf einzelne ausgewählte Nationen. Der Fokus ist dabei auf den in Deutschland eingeführten Risikostrukturausgleich (RSA) gerichtet. Die aufgeführten Lösungsansätze werden jeweils hinsichtlich ihrer Wirksamkeit gegen die Mechanismen der adversen Selektion einer kritischen Beurteilung unterzogen. Daraus resultierende Folgerungen und ein Blick in die Zukunft bilden den Schluss dieser Seminararbeit.

B. Grundlagen der adversen Selektion

I. Merkmale der adversen Selektion

Adverse Selektion auf dem Versicherungsmarkt[1], in der Literatur auch mit dem Synonym Anti- oder Risikoselektion bezeichnet, tritt auf, wenn gute und schlechte Risiken, d.h. Personen mit einem niedrigen und mit einem hohen Erwartungsschaden in einer Tarif- bzw. Risikogruppe zusammen gefasst werden (Schulenburg & Greiner, 2000). Dies erfolgt aufgrund vorliegender asymmetrischer Informationen, da der Versicherer zwischen guten und schlechten Risiken nicht unterscheiden kann. Es handelt sich hierbei um sogenannte „hidden information“, ein Grundtyp von asymmetrischer Information, der vorliegt, wenn sich das Informationsdefizit des Prinzipals auf die Ausprägung eines exogen gegebenen Merkmals bezieht, welches durch den Agenten nicht beeinflussbar ist wohl aber die Ergebnisse seines Handelns beeinflusst (Richter, 1995). Der Versicherungsnehmer kennt ganz offensichtlich sein Schadensrisiko besser als die Versicherung, die lediglich in der Lage ist einzelne Risikomerkmale zu ermitteln; eine exakte Risikoklassifizierung ist jedoch nicht zu realisieren. Damit zahlen aber nun sowohl Versicherungsnehmer mit hohem Erwartungsschaden sowie Versicherungsnehmer mit niedrigem Erwartungsschaden einen einheitlichen Prämiensatz. Dies hat zur Folge, dass in Relation zu ihrem Anteil an der Gesamtheit der Versicherungsnachfrager die Versicherungsnehmer mit größerem Risiko überproportional in den Versicherungsbeständen vertreten sind. Dadurch entstehen bei gesamtgesellschaftlicher Betrachtung Wohlfahrtsverluste, da die guten Risiken die Versicherung in einem zu geringen Umfang beanspruchen, die schlechten Risiken hingegen die Versicherung zu stark beanspruchen.

II. Folgen der adversen Selektion

Bei gleichen Tarifen für alle Versicherungsnehmer werden die guten Risiken auf den Versicherungsschutz verzichten, da für diese Personengruppe das Verhältnis von zu zahlender Prämie und erwarteten Krankheitskosten ungünstig ist (Breyer & Zweifel, 1999). Dadurch steigt der Bestand der schlechten Risiken und die Versicherung muss daraus resultierend entweder Verluste realisieren oder die Prämie erhöhen, was wiederum die Wettbewerbsfähigkeit einschränkt. Bei Erhöhung der Prämie wird der Versicherungsschutz für die Gruppe der nur geringfügig schlechten Risiken unattraktiv, so dass diese ebenfalls fortbleiben. Der beschriebene Prozess, der in der Literatur auch als Todesspirale der adversen Selektion bezeichnet wird, setzt sich so lange fort, bis im Gleichgewicht nur noch die schlechtesten Risiken im Versicherungspool verbleiben, so dass die Versicherung bei realistischer Prämienfestsetzung nicht mehr überlebensfähig ist (Cutler & Reber, 1998; Folland, Goodman & Stano, 2001).

Das Problem des durch adverse Selektion bedingten Marktversagens geht zurück auf das sogenannte Zitronenprinzip von Akerlof (1970), der den Einfluss asymmetrischer Information auf die Funktionsfähigkeit des Marktmechanismus in dem Aufsatz „The Market for Lemmons“ als einer der ersten herausarbeitet. Anhand des Gebrauchtwagenmarktes zeigt Akerlof, wie schlechte Fahrzeuge bedingt durch asymmetrische Informationsverteilung hinsichtlich der Qualität der Fahrzeuge die guten immer mehr verdrängen. Daraus schließt Akerlof, dass Krankenversicherungen bestimmten, besonders risikogefährdeten Personengruppen keinen Versicherungsschutz gewähren. Aus diesem Grund fordert er den Abschluss einer Krankenversicherung staatlich obligatorisch zu machen, um die beschriebenen Konzentrationstendenzen – die adverse Selektion – zu unterbinden.

III. Grundmodell von Rothschild und Stiglitz

Rothschild und Stiglitz untersuchen die Folgen von asymmetrischer Information in einem vereinfachenden Modell auf dem Versicherungsmarkt und entwickeln einen Lösungsansatz der die durch die asymmetrische Information entstehende Ineffizienz reduziert indem „gute“ Risiken teilweise versichert werden.[2]

Es wird von an sich identischen Versicherungsnehmer ausgegangen, die sich nur in der exogen vorgegebenen Schadenswahrscheinlichkeit p unterscheiden. Die Schadenswahrscheinlichkeit kann auch beschrieben werden als die Wahrscheinlichkeit, mit der die Individuen einen Schaden in Höhe von L erleiden, der das exogen gegebene Vermögen W reduziert.

1. Symmetrische Informationsverteilung

Die Betrachtung beschränkt sich zunächst auf den Fall der symmetrischen Informationsverteilung, d.h. sowohl dem Versicherungsnehmer als auch der Versicherung ist die Schadenswahrscheinlichkeit bekannt. Damit kann die Versicherung für jeden Risikotyp einen eigenen Vertrag ausarbeiten, der nur von diesem käuflich erworben werden kann. Die getroffenen Annahmen, dass die Versicherungen risikoneutral sind und auf einem Markt vollständiger Konkurrenz agieren, implizieren, dass Versicherungen im Gleichgewicht keine Gewinne machen. Es werden Verträge der Form C=(pD,D) mit fairer Prämie angeboten, wobei pD die zu zahlende Prämie und D die Höhe der Deckungszahlung im Schadensfall darstellt. Daraus ergibt sich gemäß der von Neumann-Morgenstern-Nutzenfunktion folgende Maximierung des Erwartungsnutzens:

[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] mit [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] und [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] (1)

Die Bedingung erster Ordnung lautet wie folgt

[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] (2)

Die Bedingung erster Ordnung ist genau im Falle y1= y2 erfüllt, d.h. wenn die Höhe des Schadens mit der Deckungszahlung übereinstimmt. Jeder Versicherungsnehmer wählt daraus resultierend den für seinen Risikotyp optimalen Vertrag, so dass ein sogenanntes separierendes bzw. trennendes Gleichgewicht zustande kommt. Der Marktmechanismus kann eine Pareto-optimale Allokation des Risikos erreichen (Kessner, 1998).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Separierendes und Pooling-Gleichgewicht

Bei symmetrischer, aber unvollständiger Information ist der Risikotyp sowohl dem Versicherungsnehmer als auch -geber unbekannt, so dass zur Berechnung des Erwartungsnutzens und der erwarteten Deckungszahlung die erwartete Schadenswahrscheinlichkeit Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten verwendet wird. Die Versicherung bietet dann den von allen Versicherungsnehmern gewählten sogenannten Pooling-Vertrag an, es kommt zu einem Pooling-Gleichgewicht bzw. zu einem vereinenden Gleichgewicht (siehe Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten* in Abb. 1) (Breyer & Zweifel, 1997).

2. Asymmetrische Informationsverteilung

Unter asymmetrischer Informationsverteilung sind die unter symmetrischer Informationsverteilung beschriebenen Gleichgewichtsformen – das separierende und das Pooling-
gleichgewicht – denkbar, jedoch ist ihre Existenz nicht zwingend gegeben.

Angenommen es existiert unter asymmetrischer Informationsverteilung ein Pooling-Vertrag vom Punkte a (siehe Abb. 1). Dieser Vertrag stellt jedoch kein Gleichgewicht dar, da es immer einen Vertrag c geben würde, der oberhalb der Indifferenzkurve der niedrigen Risiken, aber unterhalb der Indifferenzkurve der hohen Risiken liegen würde, so dass dieser Vertrag ausschließlich von niedrigen Risiken nachgefragt werden würde und der Vertrag a ausschließlich von hohen Risiken gekauft wird. Der Vertrag müsste aufgrund der realisierten Verluste vom Markt genommen werden.

Das im Fall der symmetrischen Informationsverteilung existierende separierende Gleichgewicht kann im Fall asymmetrischer Informationen nicht aufrechterhalten werden, da sich die hohen Risiken stets als niedrige ausgeben würden und den Vertrag Cl* wählen würden. Dieser realisiert daraus resultierend Verluste und wird vom Markt genommen.

Um ein mögliches Gleichgewicht auch bei asymmetrischer Information erreichen zu können, muss die Versicherung ein Vertragssystem anbieten, dass den Individuen einen Anreiz verschafft, den für ihren Risikotyp geeigneten Vertrag zu wählen. Dies bedeutet anschaulich, dass der beste Vertrag für hohe Risiken durch den Vertrag Ch* dargestellt wird, wie bereits im Falle vollständiger Informationen. Der beste Vertrag für niedrige Risiken, der zu gleich den hohen Risiken keinen Anreiz bietet, stellt der Vertrag C'l dar. Niedrige Risiken zahlen dabei eine faire Prämie können jedoch nur einen Teil ihres Schadens versichern, so dass die Attraktivität des Vertrages für hohe Risiken durch die Teildeckung des Schadens verloren geht. Die Allokation (Ch*, C'l) muss jedoch kein Gleichgewicht darstellen. Denkbar wäre die Situation, dass die Anzahl der hohen Risiken sehr gering ist, d.h. l< l* und ein Pooling-Vertrag a existiert (vgl. Abb. 2). Dieser Vertrag erwirtschaftet keine Verluste, da aufgrund des geringen Anteils schlechter Risiken die Kosten zu dessen Subvention sehr gering sind, und stellt für beide Risikotypen eine Verbesserung dar. Ein Pooling-Vertrag stellt jedoch wie bereits gezeigt ebenfalls kein Nash-Gleichgewicht dar, so dass nach Rothschild und Stiglitz für l< l* kein Gleichgewicht existiert.

Wilson entwickelte dieses Gleichgewichtskonzept weiter indem er den Aspekt der Voraussicht berücksichtigt. So werden Unternehmen berücksichtigen, dass alte Verträge vom Markt verdrängt werden und neue Verträge daraus resultierend Verluste realisieren. Wilson bezeichnet a als ein antizipatorisches Gleichgewicht, da keine Versicherung c anbieten wird, denn dadurch würde a vom Markt verdrängt und c würde Verluste realisieren. Unter dieser Annahme existiert auch für l< l* ein Pooling-Gleichgewicht und für l> l* ist das separierende Nach-Gleichgewicht auch ein antizipatorisches Gleichgewicht nach Wilson (1977).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Existenz eines Gleichgewichts (in Anlehnung an Kessner, 1998)

[...]


[1] Adverse Selektion tritt nicht ausschließlich auf Versicherungsmärkten, die im Rahmen dieser Arbeit betrachtet werden, auf. Äquivalente Probleme ergeben sich bspw. auch auf dem Arbeitsmarkt und dem Gebrauchtwagenmarkt.

[2] Dieser Abschnitt stützt sich inhaltlich im Wesentlichen auf Rothschild & Stiglitz (1976) sowie Sellgren (2001).

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Adverse Selektion in der Krankenversicherung - Alternative Lösungsansätze in Theorie und Praxis
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel  (Lehrstuhl für Sozialpolitik)
Veranstaltung
Seminar Gesundheitsökonomie
Note
1,0
Autor
Jahr
2002
Seiten
22
Katalognummer
V6557
ISBN (eBook)
9783638140997
Dateigröße
402 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Abbildungen 1 bis 4 sind nicht exakt, sondern haben erklärenden Charakter!
Schlagworte
Adverse Selektion, RSA
Arbeit zitieren
Silja Schröder (Autor:in), 2002, Adverse Selektion in der Krankenversicherung - Alternative Lösungsansätze in Theorie und Praxis, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/6557

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