Gedanken zum Volksbegriff Hans Freyers


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

30 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Zur Person Hans Freyers

3. Zur Person Ferdinand Tönnies´

4. Freyers Begriff des Volkes
4.1. Vorbemerkung
4.2. Das Entstehen des politischen Volkes
4.3. Schlussbemerkung

5. Tönnies´ Gemeinschaft und Gesellschaft
5.1. Wesenwille
5. 2. Kürwille

6. Politisches Volk und die Sozialformen Gemeinschaft und Gesellschaft

7. Bewertung des Freyerschen Werkes und Wirkens im Dritten Reich durch andere Soziologen
Hieran wird ersichtlich, wie diffizil sich eine Einschätzung Freyers gestaltet. Trotzdem soll im letzten Teil dieser Arbeit eine eigene Bewertung des Freyerschen Wirkens vorgenommen werden

8. Eigene Bewertung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

In dieser Hausarbeit soll der Versuch unternommen werden einen Überblick über den Volksbegriff von Hans Freyer zu geben.

Ausgehend von der Fragestellung, ob sich Gemeinsamkeiten zwischen dem Freyerschen Volksbegriff und der Konzeption von Gemeinschaft und Gesellschaft von Ferdinand Tönnies erkennen lassen oder ob diese völlig konträr zueinander stehen, soll der Begriff des Volkes untersucht werden und in Hinblick auf die Rezension anderer Soziologen bewertet werden.

Ziel dieser Arbeit ist also eine kritische Auseinandersetzung mit Freyers Werk, um ein stringentes Verständnis von der Begrifflichkeit des Volkes zu gewinnen, bereichert durch diverse Perspektiven, die andere Soziologen aufzuzeigen vermochten.

Zu Beginn soll auf Freyers und Tönnies´ Biographie eingegangen werden, um eine schlüssige und vor allem plastische Analyse vornehmen zu können. Im Anschluss wird der Volksbegriff als solcher vorgestellt und dabei auf die einzelnen Komponenten, die diesem zugrunde liegen, näher eingegangen. Daran schließt sich die Konzeption von Tönnies´ Gemeinschaft und Gesellschaft, wie auch der Titel seines wichtigsten Werkes lautet, an. Sind diese beiden Konzepte in ihren einzelnen Teilen vorgestellt, lässt sich der erste Teil der Fragestellung beantworten – nämlich, ob beide Begrifflichkeiten konform oder konträr zueinander stehen. Im letzten Teil dieser Arbeit soll dann im Rahmen der Rezension und Bewertung des Freyerschen Werkes und Schaffens durch andere Soziologen, dieses einer eigenen Beurtei- lung unterworfen werden.

2. Zur Person Hans Freyers

Hans Freyer wurde am 31. Juli 1887 als Sohn eines Postdirektors in Leipzig geboren und starb am 18. Januar 1969 in Ebersteinburg bei Wiesbaden.

Nach dem Studium der Theologie, Nationalökonomie, Geschichte und Philosophie promovierte er 1911 in Leipzig. Die deutsche Jugendbewegung beeinflusste er nachhaltig mit seinen frühen Werken „ Antäus – Grundlegung einer Ethik des bewussten Lebens“ von 1918 und „ Prometheus – Ideen zur Philosophie der Kultur“ von 1923.

1920 habilitierte er in Leipzig, nahm 1922 eine Philosophieprofessur in Kiel an und kehrte als Ordinarius für Soziologie 1925 nach Leipzig zurück, um dass von Karl Lamprecht gegründete Institut für Kultur- und Universalgeschichte zu übernehmen. Damit gilt Freyer als erster Inhaber eines Lehrstuhls für nichts anderes als Soziologie in Deutschland. Später, im Zuge der Etablierung des NS-Staates, ließ er seine Soziologie-Professur in eine für „Politische Wissen- schaft“ umbenennen. Eine sehr informative Darstellung der damaligen Ereignisse, die aus- schlaggebend für den Entscheid des „Sächsischen Ministeriums für Volksbildung“ für Freyer als Leiter des Leipziger Instituts war, lässt sich in Gerald Dieseners Beitrag: Die schwierige Nachfolge. Hans Freyer als Direktor des Instituts für Universal- und Kulturgeschichte. finden.

Im Dezember 1933 schließlich wurde Hans Freyer zum „Soziologen-Führer“, um in der damaligen nationalsozialistischen Semantik zu sprechen, der „Deutschen Gesellschaft für Soziologie“, kurz DGS, ernannt. Allerdings wurde diese bis zu ihrer Neugründung im April 1946 von Freyer „stillgelegt“. Kaesler bemerkt hierzu, dass Freyer zweifellos zu den einfluss- reichsten Repräsentanten seines Fachs im „Dritten Reich“ zu zählen sei. (Kaesler 2000: 129)

Von 1938 bis 1944 wirkte Freyer, ohne seine Leipziger Professur aufzugeben, als „kultureller Botschafter des Reiches“, als Gastprofessor in Budapest, wo er seit 1941 Direktor des hiesigen Deutschen Wissenschaftlichen Instituts war. Sein Assistent in den Jahren 1940-1941 war der später sehr einflussreiche westdeutsche Soziologe Helmut Schelsky (1912-1984). (Kaesler 2003b: 85) 1945 konnte Freyer schließlich, da er nie Mitglied der NSDAP war, auf seinen Leipziger Lehrstuhl zurückkehren, ließ ihn aber bald in eine Professur für Soziologie umbenennen. 1948 allerdings wurde der auswärtige Druck so stark, dass er die Leipziger Universität verließ und nach Wiesbaden ging, um als leitender Lexikon-Redakteur im Brockhaus-Verlag eine Stelle anzunehmen. (ebd.: 74) Durch die Vermittlung Helmut Schelskys wurde Freyer 1953 als emeritierter Professor nach Münster berufen und lehrte dort, unterbrochen von einigen Semestern als Gastprofessor in Ankara, für zehn Jahre.

Zentral für die Soziologie Freyers war, dass er sie immer als eine Wissenschaft der kapita- listischen Gesellschaft des Klassenkampfes ansah, als das geistige Korrelat der bürgerlichen Revolutionen. Dabei sah er im 19.Jh. deren unverfälschte Ausprägung. So ist in seinem 1931 erschienenen und viel diskutierten Werk, „Revolution von rechts“ nachzulesen: „Das neunzehnte Jahrhundert hat mit unerhörter Konsequenz sein ökonomisches und gesell- schaftliches System aufgebaut, und es hat dieses System bis zur Revolution, bis zu seiner Revolution vorangetrieben.“ (Freyer 1931: 25) Dieser Klassenkampfbezug stellt Freyer in die geistige Nähe zu Karl Marx (1818-1883), der eine ähnliche Auffassung des gesell- schaftlichen Klassenkampfes entwickelt hatte. Beleg hierfür ist Freyers Satz, wiederum in „Revolution von rechts“: „So ist alle Gesellschaft Klassenkampf, offen oder verdeckt, chronisch oder akut. Klassenkampf braucht nicht gesät zu werden, er wird nur geerntet.“ (ebd.: 16)

Soziologie war also für Freyer Resultat einer Spannung, die sich mit der Gestaltung neuer Produktionsmethoden des Kapitalismus über die Gesellschaft gelegt hatte. Sie war für ihn erst mit dem Aufkommen gesellschaftlicher Konflikte notwendig geworden.

„All dies zu überwinden war sein Ziel, weshalb auch die Soziologie als Wissenschaft jenes Säkulums durch eine Volks- und Gemeinschaftslehre ersetzt werden sollte.“ (Kaesler 2003b: 75) Volkswerdung, die politische Konstituierung des deutschen Volkes, ist dann auch die zentrale Achse des Freyerschen Denkens. (Diesener 1995: 130) „Die Volksgemeinschaft, ein „Vaterland ohne Parteien“, ein Volk in Gestalt einer elitär geführten volksdemokratischen Industriegesellschaft, die den Ausgleich im Inneren zu vollbringen vermag – das waren Visionen, denen seine Überlegungen galten und auf die auch sein wissenschaftliches Wirken an der Wende von den zwanziger zu den dreißiger Jahren zielten.“ (ebd.: 120f.)

Oftmals ist von Freyers Ambivalenz bezüglich seiner Rolle in der NS-Zeit zu lesen. Wie schon angemerkt wurde, war Freyer niemals Mitglied irgendeiner Partei gewesen, dennoch wurde und wird er sehr kritisch gelesen und bewertet. René König beispielsweise ist der Auffassung, dass „…sich Freyer mit Mitteln des Marxismus die Brücke zum Nationalsozia- lismus gebaut …“ hat. (König 1987: 369) Elfriede Üner ist dagegen ganz anderer Ansicht: „…das ganze Werk von Hans Freyer nur aus der Perspektive von 1931-1935 (und hier auch nur von „Revolution von rechts“ und „Pallas Athene“) zu deuten selbst diese Werke ent-halten konstruktive Elemente, die über diese weit – in die Vergangenheit wie in die Zukunft – hinausweisen; ….“ (Üner 1992: 84)

Schon bei dieser kleinen Auswahl wird ersichtlich, wie weit die Meinungen zur Bewertung des Freyerschen Werkes auseinander laufen. Im letzten Teil dieser Arbeit wird auf diese Thematik näher eingegangen.

Konstatierend ist festzuhalten, dass die Rolle Freyers zur NS-Zeit eine ambivalente war. Er war kein Nationalsozialist, aber auch kein entschiedener Gegner des neuen Regimes, wie es ein Ferdinand Tönnies war, auf dem im folgenden Kapitel eingegangen wird.

3. Zur Person Ferdinand Tönnies´

Ferdinand Tönnies wurde am 26. Juli 1855 im Kirchspiel Oldenswort auf der Halbinsel Eiderstedt, im damals noch dänischen Herzogtum Schleswig, geboren und verstarb im April 1936 in Kiel.

Seine ersten Lebensjahre verbrachte er auf einem großen friesischen Bauernhof, einem „Haubarg“, die auch heute noch architektonisches Zeugnis einer reichen, bürgerlichen und selbstbewussten Bauernschaft ablegen. Tönnies „ist der einzige Soziologe seiner Generation, der vom Lande stammt.“ (Kaesler 2003a: 113)

Nach dem Studium der Klassischen Philologie promovierte er mit 22 Jahren in Tübingen zum Doktor der Philosophie. Daneben beschäftigte er sich viel mit der Philosophie Thomas Hobbes´ (1588-1679), sowie mit Rechtsgeschichte, politischer Ökonomie und Ethnologie. Aus diesem Fundus diverser Richtungen der Wissenschaft entwickelte Tönnies schließlich in den achtziger Jahren seine Konzeption des Gegensatzes von Gemeinschaft und Gesellschaft, wie auch der Titel seines 1887 erschienenen Jugend- und Hauptwerkes lautet. (ebd.)

1881 habilitierte er an der Kieler Universität über Thomas Hobbes und lehrte nach eigenem Willen als Privatdozent der Philosophie, um seine wissenschaftliche Unabhängigkeit als Soziologe zu gewährleisten. Als wissenschaftlicher Beobachter engagierte sich Tönnies am Hafenarbeiterstreik (1896/97) in Hamburg und ergriff dabei Partei für die Hafenarbeiter, indem er in Reportagen nachwies, dass die Forderungen der Arbeiter berechtigt seien. Seine hier erkennbare Solidarität mit der Arbeiterbewegung und sein politisches Interesse und Engagement begleiteten Tönnies sein ganzes Leben hindurch. (ebd.: 113f.) Allerdings verzögerte dieses Engagement für die Arbeiterbewegung seine akademische Laufbahn – erst 1913 erhielt er eine Professur für „wirtschaftliche Staatswissenschaften“ an der Kieler Universität. (ebd.: 114) Insofern ist es aber auch nicht weiter verwunderlich, dass er später dem Nationalsozialismus äußerst kritisch gegenüberstand.

„In Veröffentlichungen, Briefen und privaten Notizen brandmarkte er den Nationalsozialismus als existentielle Gefahr nicht nur für Deutschland, sondern darüber hinaus für ganz Europa.“ (Rode 1991: 505) Klingemann unterstellt Tönnies eine Art „Kassandra-Blick“, da er bereits Anfang der 30er Jahre ein äußerst feinsinniges Gespür für gesellschaftliche Momente und eine nahende Katas- trophe historischen Ausmaßes fürchtete, wenn auch für ihn die Folgen letztlich unabsehbar blieben: „Er sah bereits zu Beginn der 30er Jahre in den Drohungen Hitlers gegen die Juden den Kern seines vergeblich nationalen Sozialismus und beschwor den Untergang des Deutschen Reiches für den Fall, daß die reaktionären Kräfte Erfolg haben würden. Er ahnte aber noch nicht, was die Herrschaft des Nationalsozialismus wirklich bedeuten würde, sondern befürchtete die Wiederherstellung monarchistischer Verhältnisse unter preußischer Vorherrschaft.“ (Klingemann 1996: 12)

Tönnies trat dann auch, um seinen Protest kund zu tun, am 1.April 1930 in die SPD ein. (ebd.) Resultat des Widerstandes in Rede und Schrift gegen das Dritte Reich war, dass Tönnies Lehre- und Redeverbot von den Nationalsozialisten erteilt wurde. (Clausen 1991: 10) Von 1909 (Gründungsjahr der DGS) bis 1933 war Tönnies langjähriger Präsident der DGS gewesen und hatte in dieser Zeit maßgeblich mitgewirkt, dass sich die Soziologie als Disziplin stabilisieren konnte. (ebd.: 9) Seine Rolle bei der Etablierung der wissenschaftlichen Soziologie ist demnach gar nicht hoch genug einzuschätzen. Ferdinand Tönnies gilt deshalb bekanntlich auch als Nestor, als Vater der deutschen Soziologie. Doch im Sommer 1933, im Zuge der Selbstauflösung der DGS, „…wurde durch die Intervention von Bernhard Harms, Direktor des Instituts für Weltwirtschaft und Seeverkehr, Kiel, Ferdinand Tönnies überredet, sein Amt als Präsident niederzulegen.“ (Klingemann 1996: 17f.) Tönnies´ Nachfolger als Präsident der DGS (und im Falle Freyers, als „Führer“ der DGS) wurde schließlich Hans Freyer.

Tönnies verfasste sein wichtigstes Werk „Gemeinschaft und Gesellschaft“ (Erstaus- gabe: 1887) in einer Zeit, in der das Deutsche Reich seine nationale Einheit in einem gewalti- gen Sprung nach vorn, zu etablieren suchte. Mit Tributzahlungen des besiegten Frankreich („Deutsch-Französischer-Krieg“ von 1871) erfuhr die deutsche Industrie einen Aufschwung und untergrub mit der einsetzenden Industrialisierung, bestehende feudale Strukturen. Eine erstarkende Arbeiterschaft war im Entstehen begriffen. Tönnies reagierte mit seinem Werk auf die sich in Veränderung befindlichen traditionellen Lebensformen. Seine Absicht lag darin, „…die gesamte „historische und actuelle Cultur“, d.h. die Wirklichkeit des menschlichen Zusammenlebens in ihrer gegenwärtigen Verfassung ebenso wie in ihrem geschichtlichen Gewordensein, denkbar und darstellbar zu machen als eine Einheit.“ (Merz-Benz 1991: 31) Als Soziologe sah er seinen Auftrag nicht so sehr in der Teilnahme am sozialistischen Theorieprozess, sondern eher in der Beförderung bürgerlicher Strukturen mit dem Ziel der Konsolidierung darauf basierender demokratischer Zivilität.

Mit „Gemeinschaft und Gesellschaft“ unternahm Tönnies den Versuch, auch den Begriff der Gemeinschaft wissenschaftlich fundiert darzulegen, wie es mit dem Begriff der Gesellschaft durch die rationale Naturrechtslehre der Aufklärung bereits seiner Meinung nach geschehen war. (Kaesler 2003: 116) Allerdings, so Kaesler, eröffnet sich bei dieser Zielstellung ein Problem, da Gemeinschaften „… nicht planmäßig gemacht, sondern historisch gewachsen sind…“, scheinen sie einer wissenschaftlichen Analyse verschlossen zu sein. (ebd.) Vorerst soll aber diese Eingrenzung der Person Ferdinand Tönnies´ genügen. Zentral für das folgende Kapitel wird der Begriff des Volkes bei Hans Freyer sein.

[...]

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Gedanken zum Volksbegriff Hans Freyers
Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg  (Institut für Soziologie)
Veranstaltung
Zeitgeschichte der Soziologie in Deutschland
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
30
Katalognummer
V65475
ISBN (eBook)
9783638580342
ISBN (Buch)
9783638670661
Dateigröße
586 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gedanken, Volksbegriff, Hans, Freyers, Zeitgeschichte, Soziologie, Deutschland
Arbeit zitieren
Sten Cudrig (Autor:in), 2005, Gedanken zum Volksbegriff Hans Freyers, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/65475

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