"Es ist ein eigentümlicher Apparat" - Schuld und Strafe im Rechtssystem "der Strafkolonie" Franz Kafkas


Seminararbeit, 2005

15 Seiten, Note: 2.0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

A) „Kaum zu zweifeln, (…) dass Franz Kafkas „In der Strafkolonie“ vom Bösen handelt“

B) Die Verwendung von Schuld und Strafe „ [i]n der Strafkolonie
1. Ein primitives Rechtssystem
1.1. Der Urheber
1.2. Schuld und Strafmaß des Gefangenen
1.3. „ Das Recht ist Mittel der Macht “ – das Rechtssystem der „ Strafkolonie
1.4. Die Exekutions-Maschine
2. Der Offizier als Vollstrecker des Urteils
2.1. Vertreter der (alten) Autorität – und deren Schuld-Bewusstsein
2.2. In Konfrontation mit europäischen Werten
2.3. „ Sei gerecht “ – Selbst-Bestrafung im Dienste der Einsicht
3. Der Forschungsreisende und der Zusammenbruch des Systems
3.1. Der stumme Beobachter
3.2. Im Zwiespalt
4. Alte Mächte versus Neue Mächte

C) „Es ist ein eigentümlicher Apparat“

D) Literaturverzeichnis/Siglenverzeichnis

A) „Kaum zu zweifeln, (…) dass Franz Kafkas „In der Strafkolonie“ vom Bösen handelt“

Die[1] vorliegende Hausarbeit beschäftigt sich mit der ungewöhnlichen Verwendung der Thematik von Schuld und Strafe in Franz Kafkas Erzählung „ In der Strafkolonie[2].

Die positive Konnotation von Begriffen wie Gesetz, Vernunft, Gerechtigkeit und Menschlichkeit wandeln in einigen von Franz Kafkas Werken – u.a. auch in Texten wie „ Der Prozess “ oder „ Das Urteil “ – ihre Bedeutung, so dass sie gleichsam für Gewalt, Strafe, Schuld, Tod und Grausamkeit stehen. Genau dies trifft auf sein Werk „ In der Strafkolonie “ zu. Hier zeigt sich eine absolute Macht, die das unumschränkte Recht beansprucht, Todesurteile zu verhängen und zu vollstrecken.

So soll „ In der Strafkolonie “, als Kafka diesen Text am 10.November 1916 in München vorlas, vor allem „Abscheu erregt“[3] haben. Kafka selbst plante, die Geschichte mit einigen anderen unter dem Titel „ Strafen “ zu publizieren. Es handelt sich um einen der wenigen Texte, in denen von Seiten der Protagonisten diese Thematik der Strafe in ihrer Anwendung kritisch gesehen wird.

Daher soll untersucht werden, wie sich „ [i]n der Strafkolonie “ der Begriff von Schuld und Strafe darlegt, was er in diesem abgeschlossenen Rechts-System bedeutet und wie sich letztlich durch das Zusammenspiel der Personen der Prozess der Exekution entwickelt. In diesem Sinne wird nach der allgemeinen Bestimmung von Schuld und Strafmaß der Schwerpunkt auf die beiden Protagonisten gelegt – den Offizier und den Forschungsreisenden.

Der Text soll intern untersucht werden, ungeachtet jeglicher biographischen Bezüge zu Franz Kafka oder Personen aus seiner Umwelt. In Anbetracht des vorgegebenen Umfangs der Hausarbeit werden auch keine Bezüge zu anderen Texten des Autors hergestellt.

B) Schuld und Strafe „ [i]n der Strafkolonie “

1. „ Ein primitives Rechtssystem “

Die[4]Strafkolonie “ befindet sich auf einer Insel im fernen Osten. Ein umher reisender Forscher stattet der Kolonie für einen Tag einen Besuch ab und wird dort mit dem hiesigen Rechtssystem konfrontiert.

1.1. Der Urheber

Das Rechtssystem der „ Strafkolonie “ geht zurück auf einen früheren Kommandanten, der als „gottähnliche Gründerfigur“[5] bis zu seinem Tod als höchste Autorität fungierte. Sein Wille und Werk scheinen unantastbar und keiner höheren Instanz untergeordnet.[6] Das System basiert darauf, dass der Kommandant die letzte Gerichtsinstanz ist, er fällt und vollzieht das Urteil, so dass sich ein Gerichtsverfahren im üblichen Sinne erübrigt. Er ist es auch, der die Hinrichtungsmaschine erfunden hat, deren Funktion der Offizier und Richter dem Reisenden im Laufe der Erzählung erklärt. Somit fungiert er als „Soldat, Richter, Konstrukteur, Chemiker und Zeichner“ (K60) in einer Person.

Nach seinem Tod hinterlässt er seinen Anhängern Aufzeichnungen, die den Bau und die Funktionsweise der Exekutionsmaschine betreffen. Diese werden vom Offizier wie ein „heiliges Original“[7] behandelt, welches er nur mit sauberen, reinen Händen anzufassen wagt. (vgl.K61) Obwohl der frühere Kommandant tot ist, ist seine Macht also nicht aufgehoben, sondern er ist dadurch vielmehr dem Menschlichen in seiner möglichen Anfechtbarkeit entrückt und gehört nun endgültig dem Bereich des Absoluten, Unberührbaren an.[8] Der göttliche Bezug zeigt sich auch in seinen Hinterlassenschaften. Sein Strafvollzug bringt Sühne und Erlösung, seine Schrift ist heilig und nur derjenige kann sie lesen, der daran glaubt. Die Inschrift auf dem Grabstein des alten Kommandanten hat einen stark heilslastigen Charakter. Die Prophezeiung sagt die Wiederauferstehung des alten Kommandanten und dem, für was er steht, vorher und schließt mit den Worten „Glaubet und wartet!“ (K87)

Für den Offizier ist die „Strafkolonie“ damit eine abgeschlossene Einrichtung, deren altes System es zu bewahren gilt, auch wenn er der letzte Anhänger ist. Denn der neue Kommandant ist ein Reformer, der die „Strafkolonie“ in eine „Zivilkolonie“[9] umwandeln und sie wirtschaftlich weiterentwickeln will. Es wird sich zeigen, dass Kafka hier den Gegensatz „zwischen Standrecht und Rechtsstaatlichkeit, zwischen (…) Offizier[ ] und Reisende[m]“[10], auf die Spitze bringen wird.

1.2. Schuld und Strafmaß des Gefangenen

Zu dem Zeitpunkt, an dem der Forschungsreisende die Kolonie besucht, findet gerade ein Hinrichtungsverfahren statt. Der Verurteilte habe, so erklärt der Offizier dem Reisenden, beim Dienst versagt. Er habe es versäumt, jede Stunde vor dem Gemach seines Vorgesetzten zu salutieren, da er eingeschlafen sei. Den Hauptmann, der ihn mit der Peitsche aus dem Schlaf riss, habe er an den Beinen gefasst, geschüttelt und angeschrien: „Wirf die Peitsche weg, oder ich fresse dich“(K63). Dies verstärkt den Eindruck, den der Reisende von dem Verurteilten bekommt: er sei „ein stumpfsinniger, breitmäuliger Mensch“, der „hündisch ergeben“ scheint. (K56)

Der Schuldige erfährt jedoch in seinem Prozess weder eine Anklage, noch wird er verhört und hat somit keine Möglichkeit zur Verteidigung. Es wird ihm auch kein Urteilsspruch verkündet. Denn das Urteil, das jenseits aller Logik bürgerlicher Gerichtsbarkeit gefällt wird, hat er mit seinen Wunden zu entziffern - ein Todesurteil, wie alle Urteile „ [i]n der Strafkolonie “. Der Spruch, der ihm durch die Exekutionsmaschine auf den Leib gestochen werden soll, heißt – gemäß dem Sprichwort „Wer nicht hören will, muss fühlen“ – „Ehre deinen Vorgesetzten“(K61).

Da der Offizier und der Reisende sich auf französisch – eine für ihn fremde Sprache – unterhalten, hat der Verurteilte auch keine Chance, etwas über sein Strafmaß zu erfahren.

1.3. „Das Recht ist Mittel der Macht“ – Das Rechtssystem der „Strafkolonie“

In der[11] Strafkolonie “ ist die Teilung der Gewalten in eine gesetzgebende, anklagende, verteidigende, richtende und vollziehende aufgehoben.[12] Es gibt also kein „vielköpfig[es]“ Gericht (K62), der Offizier und Richter führt Rechtsprechung und Exekution im Alleingang aus. Denn sobald die Eindeutigkeit der Schuld in Frage gestellt würde, oder sich jemand gegen seinen Vorgesetzten auflehnt, mutet dies wie „eine systemfeindliche Revolution an, die die ganze Hierarchie gefährdet“.[13] So darf auch der juristische Kodex keinerlei Zweifel ausgesetzt werden.

Gleichzeitig scheint es sogar generelles Gesetz „ [i]n der Strafkolonie “ zu sein, dass das Dasein des Menschen überhaupt mit Schuld verbunden ist.[14] Die Aussage des Offiziers: „Die Schuld ist immer zweifellos“ (K62) bezieht sich nicht nur auf den konkreten Fall, sondern kann allgemein angewandt werden. Das bedeutet, dass gegenüber dem Willen der Macht, welche über dem Menschen steht, der Mensch immer schuldig ist, da er sich zu Lebzeiten nie total unterwerfen kann, sondern immer eine gewisse Eigenständigkeit behält.[15]

Wer also gegen das System „ [i]n der Strafkolonie “ verstößt, vermehrt seine bereits vorausgesetzte Schuld zusätzlich durch ein „individuelles Verbrechen“.[16] Der Strafvollzug dient demnach dazu, den Verurteilten zur Erkenntnis seiner Schuld und gleichzeitig durch ihre Sühne zur absoluten Befreiung und Erlösung zu führen, denn „Verstand geht [während der Exekution] dem blödesten auf.“ (K67) Mit anderen Worten: „Die Absicht der Strafe ist die Identifikation von Schuld und Existenz“.[17]

[...]


[1] Zimmermann, Hans Dieter: In der Strafkolonie – Die Täter und die Untätigen. In: Interpretationen Franz Kafka. Romane und Erzählungen. Hg. von Michael Müller. Stuttgart: Reclam 2003 (= Universalbibliothek 17521). [Anm. MB: Im folg. abgekürzt: Zimmermann 2003]

[2] Kafka, Franz: Das Urteil und andere Prosa. Hg. von Michael Müller. Stuttgart: Reclam 1995. [Anm. MB: Im folgenden Sigle: K]

[3] Zimmermann 2003, S.168.

[4] Politzer, Heinz: Franz Kafka. Der Künstler. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1978, S.172. [Anm. MB: Im folg. abgekürzt: Politzer 1978]

[5] Hecker, Axel: An den Rändern des Lesbaren. Dekonstruktive Lektüren zu Franz Kafka: Die Verwandlung, In der Strafkolonie und Das Urteil. Wien: Passagen 1998, S. 91. [Anm. MB: Im folg. abgekürzt: Hecker 1998]

[6] Honegger bezeichnet die Figur sogar als die „größte Machtgestalt Kafkas überhaupt“. Vgl. Honegger, Jürg Beat: Das Phänomen der Angst bei Franz Kafka. Berlin: Erich Schmidt Verlag 1975 (=Philologische Studien und Quellen 81), S. 233. [Anm. MB: Im folg. abgekürzt: Honegger 1975]

[7] Hecker 1998, S. 91.

[8] vgl. Honegger 1975, S. 234.

[9] Politzer 1978, S.180.

[10] Vogl, Joseph: Ort der Gewalt. Kafkas literarische Ethik. München: Wilhelm Fink 1990 (=Münchner Germanistische Beiträge 38), S.171. [Anm. MB: Im folg. abgekürzt: Vogl 1990]

[11] Hiebel, Hans Helmut: Die Zeichen des Gesetzes. Recht und Macht bei Franz Kafka. München: Wilhelm Fink 1983, S. 130. [Anm. MB: Im folg. abgekürzt: Hiebel 1983]

[12] Hiebel 1983.

[13] Eschweiler, Christian: Kafkas Erzählungen und ihr verborgener Hintergrund. Bonn/Berlin: Bouvier 1991, S.152. [Anm. MB: Im folg. abgekürzt: Eschweiler 1991]

[14] Vgl. Hiebel 1983, S.137.

[15] vgl. Honegger 1975, S.235.

[16] Vgl. Eschweiler 1991, S. 152.

[17] Scholz, Ingeborg: Franz Kafka. Interpretationen und Anregungen zur Unterrichtsgestaltung. 5.Auflage. Hollfeld: Joachim Beyer Verlag 1997 (=Analysen und Reflexionen 22), S. 86. [Anm. MB: Im folg. abgekürzt: Scholz 1997]

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
"Es ist ein eigentümlicher Apparat" - Schuld und Strafe im Rechtssystem "der Strafkolonie" Franz Kafkas
Hochschule
Otto-Friedrich-Universität Bamberg  (Lehrstuhl für Neuere Deutsche Literatur)
Veranstaltung
Traumkraut. Wahrnehmungsänderungen in der literarischen Moderne
Note
2.0
Autor
Jahr
2005
Seiten
15
Katalognummer
V65349
ISBN (eBook)
9783638579438
ISBN (Buch)
9783640439997
Dateigröße
451 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Apparat, Schuld, Strafe, Rechtssystem, Strafkolonie, Franz, Kafkas, Traumkraut, Wahrnehmungsänderungen, Moderne
Arbeit zitieren
Michelle Bayona (Autor:in), 2005, "Es ist ein eigentümlicher Apparat" - Schuld und Strafe im Rechtssystem "der Strafkolonie" Franz Kafkas, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/65349

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