Islamismus in Afghanistan 1975 - 2001


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

18 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Index

Einleitung

1. Was ist Islamismus?
1.1. Der Neofundamentalismus

2. Die Ausprägungen des Islamismus in Afghanistan
2.1. Der Islam als Basis des Widerstandes
2.2. Die sunnitischen islamistischen Mujahidun-Parteien
2.3. Die Taliban
2.3.1. Der Ursprung der Taliban
2.3.2. Das Islamische Emirat Afghanistan
2.3.3. Gebote und Verbote – Der Neofundamentalismus der Taliban

3. Ein Ausblick in die Zeit nach den Taliban

4. Literatur
4.1. Monographien

Artikel

Einleitung

Erst spät entstand Afghanistan als staatliche Einheit. Es wurde im 19. Jahrhundert als Pufferstaat zwischen englischem und russischem Weltreich gegründet und erlangte erst 1921 die Unabhängigkeit[1]. Daraus erklärt sich die große Heterogenität der afghanischen Bevölkerung. Diese besteht aus mindestens 50 ethnischen Gruppen.[2] Die zahlreichsten sind die Paschtunen – das Staatsvolk Afghanistans, ursprünglich als Afghanen bekannt – , die Tajiken – unter denen alle sunnitischen, persischsprachigen Gruppen zusammengefasst werden – , die Usbeken und die schiitischen Hazaras.

Trotz ungünstiger Lage zwischen starken Nachbarn und innerer Heterogenität war Afghanistan seit Ende der 1920er bis weit in die 1970er Jahre eines der stabilsten und friedlichsten Länder Asiens.[3] Heute gibt es jedoch ein anderes Bild ab. Seitdem gingen drei Wellen des Krieges über Afghanistan hinweg und ließen große Teile der Traditionen und der althergebrachten Lebensformen zerstört zurück:

1. 1979-92: Der Kampf gegen die Herrschaft des kommunistischen Regimes und die sowjetischen Besatzungstruppen.
2. 1992-2001: Die innerafghanischen Bürgerkriege und der Aufstieg der Taliban.
3. 2001-heute: Der amerikanische Angriff und das internationale Engagement für ein Nationbuilding.[4]

Diese Kriegsjahre haben nicht nur die Existenz der Menschen, sondern sogar der Gesellschaften selbst gefährdet. Diese Kriege haben islamistischen Tendenzen und Gruppierungen zum Aufstieg verholfen. Deshalb gilt es innerhalb dieses zeitlichen Rahmens zu fragen, wie der Islamismus in Afghanistan auftrat, und von wem diese Arten vertreten wurden.

Dabei orientiere ich die untersuchten Ausprägungen vor allem an den beiden ersten Kriegswellen. Die heutige Situation werde ich am Ende der Arbeit zu umreißen versuchen, um einen Ausblick auf künftige Entwicklungen zu geben.

Drei Ausprägungen des Islamismus werden in dieser Arbeit in chronologischer Reihenfolge untersucht werden:

1. Der Islam als Basis des frühen Widerstands gegen die Kommunisten.
2. Der Islamismus der Muhjahidun-Parteien.
3. Der Islamismus der Taliban

Bevor ich die Schilderung der einzelnen Gruppen beginne, gilt es, den zentralen Begriff zu umreißen. Was bedeutet Islamismus? Nachdem die Natur dieser Ideologie und ihre Ziele klar sind, lässt sich einschätzen, inwieweit die einzelnen Gruppen sich in ihren Anstrengungen dem eigenen Ideal annähern.

1. Was ist Islamismus?

Islamismus oder Islamischer Fundamentalismus sind Begriffe, die ebenso häufig in heutigen Debatten auftreten wie sie neudefiniert werden. Auch über den zeitlichen Rahmen, in dem der Islamismus gibt es Kontroversen.[5] Ich schließe mich der Definition Olivier Roys an.[6] Er beschreibt den Islamismus als eine moderne politische und Geistesströmung, die ihren Höhepunkt in den 1980er Jahren erreichte. Sie strebt einen islamischen Staat als höchstes Ziel an. Zur Erreichung dieses Ziels werden bewaffneter wie politischer Kampf eingesetzt. Islamisten übernahmen westliche Konzepte und waren in westliche Diskurse eingebunden. Sie versuchten, die Kompatibilität des Islam mit westlichen Idealen wie Demokratie und Menschenrechten aufzuzeigen. Dabei gab es große Unterschiede in den Ansichten, wie ein idealer islamischer Staat aussehen sollte. Im Fall Afghanistans führten die Streitigkeiten nach Abzug des gemeinsamen Feindes direkt in den Bürgerkrieg.

In diese Zeit, schlussfolgert Olivier Roy, fällt der Niedergang des Islamismus als revolutionäre Kraft. Den Bewegungen bleiben nur zwei Möglichkeiten, sich dem Zeitgeist anzupassen:

They could opt for political normalisation within the framework of the modern nation-state, or evolve towards what I termed neofundamentalism, a closed, scripturalist and conservative view of Islam that rejects the national and statist dimension in favour of the ummah […][7]

Der Neofundamentalismus wurde die vorherrschende Ideologie der Taliban. Aufgrund der großen Bedeutung dieser Bewegung für die afghanischen Entwicklungen in den letzten anderthalb Dekaden sollen im Folgenden kurz die Eigenschaften ihres Neofundamenta­lismus vorgestellt werden, um ein besseres Verständnis der Ziele und Handlungs­weisen der Talibanbewegung zu ermöglichen.

1.1. Der Neofundamentalismus

Die Taliban gehören zu den Bewegungen, die sich unter dem Begriff der salafiyya (Fundamentalismus) zusammenfassen lassen.[8] Diese Gruppen streben einen reinen Islam an, wie er in ihrer Ansicht nach in der Zeit des Propheten und der rechtgeleiteten Kalifen war. Jede Vermischung dieses Islams mit lokaler Kultur und Tradition lehnen sie kategorisch ab. Sie lehnen auch die Rechtsschulen ab, setzen stattdessen auf iğtihād , die unabhängige Auslegung der heiligen Schriften durch Religionsgelehrte. Die Schriften dürfen nicht nur wortwörtlich interpretiert werden. Gleichzeitig beschränken sie aber den Korpus der Prophetentraditionen auf jene, die in ihr Bild des Propheten passen. Dabei verwerfen sie viele bekannte Überlieferungen als schwach, also nicht glaubwürdig.[9]

Für die Neofundamentalisten ist der Westen zwar der Hauptfeind. Ihn zu bekämpfen ist jedoch erst der zweite Schritt. Die Taliban zielten zuerst gegen – in ihren Augen – schlechte Muslime. Die konkreten Maßnahmen werden im Abschnitt über die Taliban behandelt werden.

In ihren Augen sind die Taliban die einzigen wahren Muslime. Als höchstes Ziel gilt ihnen einzig und allein die Einführung und umfassende Anwendung der Šarī’a.[10] Sie ist das göttliche Recht, neben dem kein menschliches Recht stehen darf. Deshalb lehnen die Taliban den modernen Staat an sich ab. Sie streben nicht den Aufbau islamischer Institutionen an, da sie der Reinigung des Islams von širk und bid’a nicht dienen. Das Ziel der Taliban war aber niemals Revolution der Gesellschaft, sondern Erlösung des Individuums.[11] Der Islam ist für das Leben des einzelnen allumfassend, während ihnen die gesamte Welt als übel erscheint, als Hindernis auf dem Weg des Gläubigen zur Erlösung. Diese kann der Gläubige nur durch Vertrauen auf Gott erlangen.

[...]


[1] Gisbert Gemein/Hartmut Redmer: Islamischer Fundamentalismus, Münster 2005, S. 100.

[2] Die Zahlen schwanken erheblich. So führt Conrad Schetter in einem Artikel in der Inamo zwei Studien an. Eine deutschsprachige Studie geht von ca. 50 Ethnien aus, eine sowjetische von 200. Conrad Schetter: Afghanistan – Die Ethnisierung eines Konflikts, in: Inamo 28, Jhrg. 7 (2001), S. 10.

[3] William Maley: The Afghanistan Wars, Basingstoke u.a. 2002, S. 1.

[4] Ich folge damit der Einteilung William Maleys: Maley Afghanistan Wars, S. 1f.

[5] Zur Begriffsbestimmung und zeitlichen Einordnung siehe: Gemein/Redmer: Islamischer Fundamentalismus, S. 11-23.

[6] Die Definition entstammt einer Gegenüberstellung des Islamismus und des Neofundamentalismus. Olivier Roy: Globalised Islam. Search for a new Umma, London 2004, S. 247f.

[7] Roy: Globalised Islam, S. 1. Siehe auch: Ders.: Has Islamism a Future in Afghanistan?, in: William Maley (Hrsg.): Fundamentalism Reborn? Afghanistan and the Taliban, New York 2001, S. 201-204.

[8] Diese heutigen Gruppen stehen dem Wahhabismus näher als den Reformern des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Deshalb schlägt Olivier Roy den Begriff Neofundamentalismus als Abgrenzung zu jener Geistesströmung vor: Roy: Globalised Islam, S. 233.

[9] Ebd., S. 244.

[10] Ebd., S. 248.

[11] Ebd.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Islamismus in Afghanistan 1975 - 2001
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Institut für Sprachen und Kulturen des Vorderen Orients)
Veranstaltung
Ursachen und Erscheinungsformen des Islamismus
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
18
Katalognummer
V65145
ISBN (eBook)
9783638577847
ISBN (Buch)
9783638767644
Dateigröße
508 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Jeder hat von den Taliban gehört. Aber der Islamismus hat in Afghanistan eine ältere Tradition und mehr Gesichter als das der Taliban. Die Arbeit versucht, die verschiedenen Erscheinungsformen chronologisch zu untersuchen und einen Ausblick auf kommende Entwicklungen zu geben. Sie hat vor allem kompilatorischen und Überblickscharakter.
Schlagworte
Islamismus, Afghanistan, Ursachen, Erscheinungsformen, Islamismus
Arbeit zitieren
Torsten Wollina (Autor:in), 2006, Islamismus in Afghanistan 1975 - 2001, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/65145

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