Welche Folgen hat das 'free-rider dilemma' für die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di?


Hausarbeit, 2006

15 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Mancur Olsons free-rider dilemma in großen Gruppen

3. Warum gibt es free-rider bei der Ver.di?

4. Die free-rider und ihre Folgen für die Ver.di
Folge erster Ordnung: Mitgliederdivergenz
4.1. Folge zweiter Ordnung: Finanzprobleme
4.1.1. Folge dritter Ordnung: Streikprobleme
4.2 Folge zweiter Ordnung: Geschwächte Verhandlungsposition
4.2.1 Folge dritter Ordnung: Bedeutungsverlust

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die aktuell andauernden Streiks im Öffentlichen Dienst sind die längsten und teuersten aller Zeiten (Balzli/Tietz/Ulrich 2006: 102). Sie werden organisiert von der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft (Ver.di), die ihre Mitglieder gegen die Implementierung längere Arbeitszeiten im Tarifvertrag protestieren lässt. Doch wer wird am Ende von den Streiks profitieren, wenn der Arbeitskampf der Ver.di erfolgreich ist? Es werden alle Beschäftigten im Öffentlichen Dienst sein, deren Arbeitgeber den Tarifvertrag anerkennen. Hierbei ist es nicht von Bedeutung, ob die Beschäftigten Mitglied in der Ver.di sind oder nicht und ob sie mit ihrem Mitgliedsbeitrag die Streiks unterstützen. Diese Divergenz zwischen Mitgliedern einerseits und Nichtmitgliedern andererseits ist ein klassisches Fallbeispiel für Olsons ‚free-rider dilemma’ (Trittbrettfahrer-Dilemma). Welche Konsequenzen diese Situation für die Ver.di hat, soll in der folgenden Arbeit unter der Leitfrage: ‚Welche Folgen hat das ‚free-rider dilemma’ für die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di?’ untersucht werden.

Zu Beginn der Arbeit wird die theoretische Basis der Untersuchung beschrieben. Sie wird von Mancur Olsons ‚The logic of collective action’ gebildet. Es geht speziell um die Problematik großer Gruppen bei der Bereitstellung von Kollektivgütern sowie um die Gewerkschaften als einen Sonderfall großer Gruppen. Außerdem wird der Begriff ‚free-rider’ definiert und ein Ausweg aus der Dilemmasituation aufgezeigt. Im zweiten Teil der Arbeit wird die Praxis anhand der Theorie erklärt. Zuerst wird die Anfälligkeit der bei ihrer Gründung größten deutschen Gewerkschaft (vgl. Müller/Niedenhoff/Wilke 2002: 160) für free-rider analysiert. Anschließend werden die Folgen für die Ver.di dargestellt und empirisches Material eingeführt. Der an dieser Stelle in der Gliederung erfolgte Bruch mit der wissenschaftlichen Praxis dient der Anschaulichkeit. Ausgehend vom Phänomen des free-ridings gliedern sich die Folgen in drei Ordnungen. Die wichtigste Folge ist die Divergenz zwischen beitragszahlenden Mitliedern auf der einen und kollektivgut-konsumierenden Akteuren auf der anderen Seite. Im Folgenden soll diese Gegebenheit als Mitgliederdivergenz bezeichnet werden. Als erste Folge zweiter Ordnung kommt es zu Finanzproblemen innerhalb der Ver.di, die sich besonders im Streik bemerkbar machen, wenn das Streikpersonal eine finanzielle Entschädigung bekommt. Als zweite Folge zweiter Ordnung führt die durch das Trittbrettfahren ausgelöste Mitgliederdivergenz zu einer schwachen Verhandlungsposition. Für ihre wichtigste Aufgabe, die Arbeitsbedingungen der Menschen zu verhandeln, braucht die Ver.di wie jede andere Gewerkschaft auch die breite Unterstützung der Beschäftigten. Ist diese, hier als Ergebnis von free-riding, nicht gegeben, werden sich die Zugeständnisse der Arbeitgeber diesem gesunkenen Solidaritätsniveau anpassen. Daraus folgt ein Bedeutungsverlust, der sich bis zur Sinnfrage ausweiten kann. Im Anschluss an diese empirische Analyse der Situation der Ver.di werde ich im Fazit nach einer pointierten Zusammenfassung die konkreten Auswege aus der Dilemmasituation aufzeigen. Diese erheben, wie die empirische Analyse auch, aus Gründen der Komplexität des Themas keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr soll im Fazit gezeigt werden, dass die Ver.di der gegebenen Situation nicht ausweglos ausgeliefert ist.

2. Mancur Olsons free-rider dilemma in großen Gruppen

Ausgehend von der Grundannahme, dass Organisationen zur Bereitstellung von kollektiven Gütern gegründet werden (vgl. Braun 1999: 105), definiert Olson die Logik kollektiven Handelns in seinem gleichnamigen Werk von 1965. Organisationen sind für Olson Zweckbündnisse, die sich neben ihren Zielen besonders in ihrer Größe unterscheiden. Organisationen erleichtern die Fokussierung auf bestimmte Themen, reduzieren die Interessensheterogenität und vereinfachen die Kommunikation. Das die eigennützig handelnden Akteure (vgl. Braun 1999: 117) einer Gruppe verbindende Argument ist das gemeinsame Interesse. Über dieses Interesse wird die Bereitstellung eines Kollektivgutes zur Erfüllung der gemeinsamen Wünsche beschlossen (vgl. Braun 1999: 105). „Ein Kollektivgut x ist ein Gut, nach dessen Produktion Nichtzahler nicht vom Konsum ausgeschlossen werden können…“ (Schmidt-Trenz 1996: 11). Jedes der Mitglieder hat einerseits ein großes Interesse an der Erstellung dieses Kollektivgutes. Andererseits geht Olsons Theorie davon aus, dass jeder der Akteure den geringsten Beitrag zur Erstellung leisten will (vgl. Olson 1965: 21). Eine Masse nutzenmaximierender Akteure ergibt also zusammen eine Gruppe (vgl. Schmidt-Trenz 1996: 2). An dieser Stelle hebt Olson die Bedeutung der Gruppengröße hervor. Kleine Gruppen können sich erfolgreicher behaupten, erreichen überdimensional oft ihre Ziele und sanktionieren besser als große Gruppe die Nichtteilnahme bei der Erstellung des Kollektivgutes (vgl. Olson 1965: 22-36). Große Gruppen sind Einheiten, in denen sich nicht mehr alle Mitglieder persönlich kennen. Sie sind besonders anfällig für das so genannte free-rider oder Trittbrettfahrer-Dilemma. Damit sind Personen gemeint, die ein Kollektivgut zwar konsumieren, dafür aber nicht bezahlen. Dass dieses Problem besonders in großen Gruppen auftritt, ist folgerichtig. „Zum einen gibt es weder soziale Belohnungen, wenn Mitglieder einen Beitrag leisten, noch negative Sanktionen, wenn sie ihn nicht leisten. Es wird schlicht nicht bemerkt“ (Braun 1999: 106). So fehlt in großen Gruppen der Anreiz zur Mitarbeit und die Menschen machen sich die „Nicht-Ausschlußfähigkeit“ (Braun 1999: 106) von Kollektivgütern zueigen. Was hat nun diese Theorie mit Gewerkschaften zu tun? Auch dazu äußert sich Olson. Er betrachtet Gewerkschaften als einen Sonderfall der großen Gruppe und verweist dabei auf die Entstehungsgeschichte (vgl. Olson 1965: 66). Die zu Beginn als kleine, regionale Gruppen tätigen Arbeitervertretungen wurden mit der Zeit durch Fusionen zu großen Massengewerkschaften. Dieser Prozess wurde durch politische Machtfaktoren und verbesserte Infrastruktur bedingt (vgl. Olson 1965: 68). Zudem erschien die Erreichung ihres Kollektivgutes „…higher wages, shorter hours, and better working conditions…” (Olson 1965: 67) als zusammengeschlossene Gewerkschaft wahrscheinlicher denn als lokale Interessensvertretung. Zudem kann eine große Gewerkschaft Experten beschäftigen, für die einer kleinen Gewerkschaft keine finanziellen Kapazitäten zur Verfügung stehen (vgl. Olson 1965: 74). Wie alle großen Gruppen sehen sich auch Gewerkschaften dem free-rider dilemma ausgesetzt. Ihre Gruppe hat zu viele Mitglieder, als dass durch soziale Kontrolle eine Motivation zur Mitarbeit zustande käme. Zudem ist der Anteil am Erfolg (also höhere Löhne usw.) bei Mitarbeit genauso groß wie ohne Mitarbeit. Welchen Ausweg können große Gruppen aus dieser Dilemmasituation finden? Olson zeigt zwei verschiedene Wege auf: „…positive oder negative selektive Anreize…“ (Schmidt-Trenz 1996: 66). Im Kontext der gewerkschaftlichen Organisation wird Zwangsmitgliedschaft als legitimes Mittel des negativ selektiven Anreizes betrachtet. Dieses Prinzip ist bekannt als „closed shop“ (Olson 1965: 88). Diese „Zwangsgewerkschaft“ (Olson 1968: 87) wurde lange Zeit u.a. in England praktiziert. Positiv selektive Anreize werden in materielle, soziale und zweckbestimmte Anreize unterteilt. Materielle Anreize sollen die Bindung der Gruppe und des Individuums durch Vergütung, wie z.B. eine vergünstigte Versicherung (vgl. Olson 1965: 72), stärken. Soziale Anreize bezeichnen Bindungskomponenten wie Freude an der Mitgliedschaft, und zweckbestimmte Anreize schließlich motivieren die Mitglieder durch die Ziele der Gruppe zur Partizipation (vgl. Braun 1999: 116). Aus welchem Grund die Ver.di für das free-rider dilemma besonders anfällig ist, soll im nächsten Abschnitt behandelt werden. Auf die spezifischen Auswege aus der Dilemmasituation werde ich im Fazit noch einmal eingehen.

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Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Welche Folgen hat das 'free-rider dilemma' für die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di?
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Grundseminar Wirtschaft und Gesellschaft
Note
1,7
Autor
Jahr
2006
Seiten
15
Katalognummer
V65023
ISBN (eBook)
9783638576864
ISBN (Buch)
9783656777977
Dateigröße
512 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit beschäftigte sich mit den Folgen des free-riding in der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di und analysierte auf der Grundlage von Mancur Olsons 'The logic of collective action' die Ausgangsproblematik in großen Gruppen. Es wird belegt, dass 3,67 Millionen free-rider die Ver.di belasten. Daraus resultieren fünf Folgen. Fazit: Die Arbeit belegt das von Olson beschriebene Problem in großen Gruppen eindeutig und stellt ein aktuelles Beispiel für die Verbindung von Theorie und Praxis dar.
Schlagworte
Welche, Folgen, Dienstleistungsgewerkschaft, Grundseminar, Wirtschaft, Gesellschaft
Arbeit zitieren
Florian Pretz (Autor:in), 2006, Welche Folgen hat das 'free-rider dilemma' für die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/65023

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