Determination, Interpenetration oder Intereffikation? Ein Analysedesign zur Untersuchung von PR und Öffentlichkeitsarbeit aus systemtheoretischer Perspektive

Die Non-Profit-Organisation "Amnesty International"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

33 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 PR, Non-Profit und die Systemtheorie
1.1 Intersystemische und interorganisatorische Beziehungen – Das Drei Ebenen-Konzept
1.2 Spezielle intersystemische und interorganisatorische Beziehungen
1.2.1 Interdependenz
1.2.2 Interpenetrationen
1.2.3 Determination
1.2.4 Intereffikation
1.3 ‚Non-Profit’ als System?
1.4 PR – eigenständiges System oder intersystemische Beziehung?
1.5 Eingrenzung und Präzisierung der Fragestellung

2 Kurzdarstellung der zu untersuchenden Organisationen
2.1 Amnesty International
2.2 Der Spiegel
2.3 Focus

3 Entwicklung eines Analysedesigns für die Öffentlichkeitsarbeit von Non-Profit-Organisationen am Beispiel Amnesty International
3.1 Operationalisierung
3.1.1 Determination
3.1.2 Interpenetration
3.1.3 Intereffikation
3.2 Methode
3.3 Struktur der Ergebnispräsentation und möglicher Inhalt

Zusammenfassung und Fazit

Literaturverzeichnis

Quellenverzeichnis

Einleitung

Bei der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Public Relations (PR) und Öffentlichkeitsarbeit von Non-Profit-Organisationen (NPO’s) stößt man zunächst auf verschiedene theoretische Probleme: Zum einen ergibt sich das Problem der theoretischen Erfassung des Phänomens innerhalb eines theoretischen Rahmens; zum anderen ergibt sich die Frage, ob sich die konkreten PR von Non-Profit-Organisationen in ihrer Funktionsweise prinzipiell oder graduell von der anderer Organisationen unterscheiden. Bei der Beschreibung komplexer Phänomene wie der von Massenkommunikationsprozessen übt – wohl wegen ihres universalistischen Anspruches – seit Beginn der 90er Jahre die Systemtheorie einen besonderen Reiz auf die Publizistik- und Kommunikationswissenschaften aus (vgl. Scholl, 2001). Daher wurde der Versuch unternommen, auch PR innerhalb dieser Logik als System zu beschreiben (vgl. Ronneberger/ Rühl, 1992). Wie aber verhält es sich mit Non-Profit-Organisationen? Lassen sie sich in die Systemtheorie integrieren und wenn ja, wie lassen sie sich dort verorten? Neben Systemen gibt es in der Systemtheorie auch Beziehungen zwischen Systemen (Relationen), und es stell sicht die Frage, ob PR, wie es der Ausdruck ja auch nahe legt, nicht eher als ein intersystemisches Verhältnis zu bezeichnen wären denn als eigenständiges System. Wie verhalten sich also insgesamt Non-Profit-Organisationen, PR und andere Systeme wie Publizistik oder Journalismus innerhalb der Systemtheorie zueinander?

In der Literatur finden sich verschiedene Arten von Beziehungen zwischen Systemen. In der einfachsten, nicht-systemtheoretischen Variante gehen einige Autoren beispielsweise von der Determination des Journalismus durch PR aus (vgl. Baerns 1991)[1]. Andere Autoren wie Westerbarkey (1995) sehen mit Bezug auf die Systemtheorie das interdependente Verhältnis von Journalismus und Politik durch gegenseitige Durchdringung bzw. die wechselseitige Übernahme systemfremder Funktionen – kurz: Interpenetrationen – gefährdet.[2] Alexandra Schantel (2000), Vertreterin einer autopoietischen Systemtheorie weist die Möglichkeit derartiger Verflechtungen zurück und spricht stattdessen von Intereffikationen als der wechselseitigen Bedingtheit der jeweiligen Systemleistungen. Meines Erachtens ist die Frage der richtigen theoretischen Beschreibung des Verhältnisses verschiedener Systeme zueinander keine rein theoretisch-abstrakte Frage, sondern eine, die mit Blick auf die Empirie beantwortet werden muss. Die Güte eines theoretischen Konzeptes muss sich auch oder gerade an seiner Eignung messen lassen, sich in empirische Korrelate übersetzten zu lassen und so einer möglichen Falsifizierung zugänglich zu sein. Gerade der Systemtheorie mangelt es aufgrund ihres holistischen Anspruchs aber häufig an dieser Eignung und damit letztlich auch an Erkenntnisgewinn. Diese Arbeit ist daher als ein Versuch zu verstehen, systemstheoretische Konstrukte zu operationalisieren und sie damit einer empirischen Überprüfung zugänglich zu machen. Ziel ist es, ein Analysedesign zu entwickeln, mit dem man in die empirische Arbeit einsteigen könnte, um die folgende Forschungsfrage empirisch zu beantworten: Inwieweit lässt sich mit Beziehungskonstrukten wie Interdependenz, Determination, Interpenetration oder Intereffikation das Verhältnis von PR, Non-Profit-Organisation und Publizistik/Journalismus beschreiben, und ggf. welches dieser Konstrukte beschreibt das Verhältnis am besten?

Die Operationalisierung abstrakter Funktionssysteme wie Non-Profit, sofern man denn in diesem Fall von einem solchen sprechen kann, bringt es mit sich, dass der Forschungsgegenstand stark eingegrenzt und auf eine konkrete Ebene heruntergebrochen werden muss. Als möglicher Untersuchungsgegenstand für die empirische Analyse ist in diesem Fall die Non-Profit-Organisation Amnesty International (ai) und ihre Beziehung zu journalistischen Organisationen am Beispiel der Nachrichtenmagazine Der Spiegel und Focus ausgewählt worden. Die Auswahl der konkreten Untersuchungsgegenstände ist dem speziellen Erkenntnisinteresse des Autors geschuldet und entbehrt daher nicht einer gewissen Willkür. Das Hauptanliegen dieser Arbeit liegt aber in der Erarbeitung eines Analysedesigns auf Grundlage der Systemtheorie, in dem die konkreten Untersuchungsgegenstände im Prinzip nur exemplarischen Charakter haben, also prinzipiell austauschbar sind, solange die Auswahl forschungspragmatisch und -logisch zu rechtfertigen ist.

Zunächst wird also die Systemtheorie als theoretischer Rahmen erarbeitet, die wesentlichen Begriffe, System, intersystemische Beziehung, Non-Profit und PR, definiert und in ihr verortet werden. Hier wird auch die theoretische Frage thematisiert, ob es sich bei PR um ein eigenständiges System oder vielmehr um eine intersystemische Beziehung handelt. Aus dem theoretischen Rahmen ergibt sich die konkrete Forschungsfrage. Nachdem diese präzisiert und weiter eingegrenzt ist, werden die Untersuchungsgegenstände, also ai, Spiegel und Focus kurz vorgestellt. Zuletzt erfolgt die Operationalisierung der Fragestellung und die Vorstellung eines möglichen methodischen Vorgehens.

1 PR, Non-Profit und die Systemtheorie

Die Systemtheorie hat verstärkt seit Beginn der 90er Jahre an Popularität in der Kommunikationswissenschaft gewonnen (vgl. Scholl, 2002). Ihr Reiz liegt sicherlich darin, dass sie selbst den Anspruch erhebt, eine Supertheorie zu sein, d.h. Wirklichkeit in all ihren Facetten von der Mikro- bis hin zur Makroebene beschreiben zu können (vgl. Weber 2003, 16 f.). Dieser Reiz spricht wohl in besonderem Maße die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an, die über keine eigenen Basistheorien verfügt und dementsprechend auf den ‚Import’ von Basistheorien aus anderen Wissenschaften angewiesen ist; zumindest wenn sie nicht auf ihren Anspruch verzichten möchte, auch die Gesellschaft als Ganze in den Blick zu nehmen (vgl. ebd. 21 ff.; vgl. Saxer, 1993, 175 ff.).

Pürer (1993, 153f) definiert Systeme – Basiseinheiten der Systemtheorie – als „Bündel von Elementen oder Objekten, die in ihrer je konkreten Beschaffenheit untereinander ständig in Beziehung stehen und ein Ganzes darstellen“. Ähnlich definiert auch Becker Systeme: „Systeme sind Mengen von Elementen, zwischen denen Wechselbeziehungen bestehen. Alles, was nicht Element des Systems ist, was nicht dazu gehört, ist dessen Umwelt.“ (Becker, 2001, 21). Elemente eines Systems können wiederum andere (Sub-)Systeme sein, die wiederum aus kleineren Systemen bestehen können. Diese Eigenschaft macht die Systemtheorie für Beschreibungen ganz unterschiedlicher Reichweiten einsetzbar. Aus den genannten Definitionen ist allerdings noch nicht ersichtlich, woran man erkennen kann, ob ein Element zum System oder zu dessen Umwelt gehört, unter welchen Gesichtspunkten ein System also als „ein Ganzes“ zu betrachten ist. Zunächst ist zu bemerken, dass sowohl die Umwelt als auch das System aus vielfältigen Beziehungen bestehen, die einen gewissen Komplexitätsgrad besitzen. Ein System lässt sich gegenüber seiner Umwelt abgrenzen, da es Komplexität reduziert. Dies ist ganz allgemein das konstituierende Merkmal von Systemen (vgl. ebd. 23). Jedes einzelne (Sub-)System reduziert nun Komplexität auf seine spezifische Weise, nach seinem spezifischen Code, der die sog. Leitdifferenz des Systems ausmacht (vgl. ebd. 59 f.). So bestimmte etwa Marcinkowski (1993, 147)[3] die Unterscheidung öffentlich/nicht-öffentlich als die Leitdifferenz des publizistischen Systems. Diese Leitdifferenz stellt gleichsam auch die Funktion des Systems gegenüber dem übergeordneten Gesamtsystem (in diesem Fall der Gesamtgesellschaft) dar, mit Hilfe derer es sich behaupten und von seiner Umwelt abgrenzen muss. Primärfunktion des publizistischen Systems sei dementsprechend, „Nicht-Öffentliches aus allen Arkan- und Privatbereichen der Gesellschaft in Öffentliches zu verwandeln.“ (ebd.)[4]

Auch wenn das System mehr sei als die Summe seiner Elemente (vgl. Becker, 2001, 26 f.), ist es doch so, dass die Funktion des Systems gewissermaßen in seinen Elementen realisiert sein muss. Das publizistische System kann schließlich nur deswegen seine Funktion erfüllen, weil konkrete Organisationen und Personen gewissermaßen – bewusst oder unbewusst – auf diese Funktion hinarbeiten. Nach Becker seien Elemente eines Systems jedoch nicht als statische Materialitäten wie Personen oder Organisationen zu verstehen, sondern als die Handlungen bzw. Kommunikationen[5], die zum Erhalt des jeweiligen Systems, also zur systemspezifischen Reduktion von Komplexität beitragen (vgl. ebd., 37). So kann jemand in einem Moment Teil des Systems Wissenschaft sein, etwa als Universitätsprofessor, im nächsten Moment kann diese Person als Verbraucher Teil des Systems Wirtschaft, als Wähler Teil des politischen Systems sein usw.; je nachdem welcher Systemlogik sie bei ihren Interaktionen gerade folgt: „(…) die sozialen Systeme sind keine feststehenden Entitäten, sondern kommunikative Sinnwelten, die unaufhörlich aufgebaut werden und wieder zerfallen.“ (ebd., 53). Demnach entscheidet also nicht die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Organisation oder Berufgruppe über die Zugehörigkeit zu einem gesellschaftlichen Funktionssystem: „Nach welchen Sinnverarbeitungsregeln kommuniziert wird, ist entscheidend, nicht wo oder von wem diese Kommunikation betrieben wird“ (ebd., 51).

Das schließt allerdings nicht aus, dass innerhalb bestimmter Organisationen oder Institutionen bestimmte „Sinnverarbeitungsregeln“ wahrscheinlicher sind als andere. Denn während etwas nicht per formaler Zugehörigkeit zum Element eines Systems wird, ist der umgekehrte Weg durchaus möglich: Neben Leitdifferenz bzw. Funktion ist auch die Herausbildung von internen Strukturen, also beispielsweise die Bildung von Organisationen, die zur Optimierung der Funktionserfüllung dienen, ein weiteres Merkmal von Systemen (vgl. Dernbach, 2002, 143). Die Elemente des Systems treten somit auch untereinander stärker in Interaktion und geben sich formale und institutionalisierte Rahmen für ihre Interaktionen.

Systeme lassen sich zusammenfassend auf mindestens drei Ebenen beschreiben: 1. Auf der Funktionsebene (Makroebene), 2. auf der Struktur- oder Organisationsebene (Mesoebene) und 3. auf der Akteursebene (Mikroebene). Damit sei jedoch nicht gesagt, dass die Einheiten der untergeordneten Ebenen notwendigerweise Elemente[6] des Gesamtsystems sind; sondern sie werden nur dessen Elemente, sofern sie jeweils an den systemkonstituierenden Interaktionen beteiligt sind. Im Folgenden soll es nun darum gehen, Beziehungen auf diesen unterschiedlichen Ebenen genauer zu identifizieren.

1.1 Intersystemische und interorganisatorische Beziehungen – Das Drei Ebenen-Konzept

Die Beziehungen eines Systems zum übergeordneten Gesamtsystem, dessen Teil es ist, wurden bereits als Funktionen charakterisiert. Bei intersystemischen Beziehungen, also Beziehungen zwischen nebengeordneten Systemen, handelt es sich um Leistungen (vgl. Becker, 2001, 65 ff.). Ronneberger/ Rühl unterscheiden je nach Ebene zwischen drei Arten von Beziehungen: Auf der gesellschaftlichen Makroebene sprechen sie von Funktionen, auf der Mesoebene von Leistungen und auf der Mikroebene von Aufgaben (vgl. vgl. Ronneberger/ Rühl, 1992, 249; vgl. auch Dernbach, 2002, 135-139)[7]. Obwohl es sich bei Leistungen um Leistungen eines Systems handelt, sei ein System auf der Mesoebene nicht im Stande als Gesamtheit zu handeln – anders als auf der Makroebene, wo das System nur als Gesamtheit eine Funktion erfüllt. Leistungen und Gegenleistungen erbringe ein System über Märkte und durch Organisationen (vgl. Ronneberger/ Rühl, 1992, 259). Bei Aufgaben handelt es sich schließlich um inter- und intraorganisatorische Beziehungen (vgl. ebd. 250). Ich werde auf diese Ebenen später noch am konkreten Beispiel näher eingehen.

1.2 Spezielle intersystemische und interorganisatorische Beziehungen

Neben der allgemeinen Beschreibung von Beziehungen als Funktionen, Leistungen und Aufgaben sprechen einige Autoren auch von spezielleren Beziehungen, die sich wiederum teils auf verschiedenen Ebenen beobachten lassen. So findet sich etwa bei Baerns (1991)[8] der Ausdruck der Determination, der jedoch nicht aus der Systemtheorie stammt und von dieser auch nicht integriert wurde. Bei Westerbarkey (1995) finden sich die Ausdrücke Interdependenz und Interpenetration, und Alexandra Schantel stellt als Gegenentwurf zur Determination das Intereffikationsmodell vor. Auf diese verschiedenen Beziehungsarten soll im Folgenden kurz eingegangen werden.

1.2.1 Interdependenz

Der Ausdruck der Interdependenz ist von Westerbarkey (1995, 152 f.) als wechselseitige Abhängigkeit und zwar einerseits auf der Systemebene und andererseits auf der Akteursebene definiert worden. Auf Systemebene beschreibt er die Abhängigkeit eines Systems von den Funktionen eines anderen Systems. Da jedes System innerhalb der Gesellschaft eine Funktion hat, die ihrerseits zum Erhalt des Gesellschaftssystems beiträgt, sind auch die Einzelsysteme wechselseitig voneinander abhängig. Insofern beschreibt Interdependenz den Normalzustand intersystemischer Beziehungen. Auf der Akteursebene äußern sich Interdependenzen als gegenseitige Verhaltenserwartungen.

1.2.2 Interpenetrationen

Anders als bei den relativ statischen Interdependenzen handelt es sich bei Interpenetration um die aktive „wechselseitige Durchdringung von Systemen mit fremden Leistungsanforderungen“ zum Zwecke beidseitiger Leistungssteigerung, indem etwa die Operationsweisen des jeweils anderen Systems übernommen würden (vgl. ebd. 154). Konkret spricht Westerbarkey von der Instrumentalisierung der Medien durch die Politik respektive der Medialisierung der Politik. Das politische System übernehme auf der einen Seite die Operationsweisen des Mediensystems, also beispielsweise spezifische journalistischen Selektions- und Gestaltungsregeln; auf der anderen Seite übernehme das Mediensystem Themenvorgaben der Politik und entledige sich damit teilweise seiner Aufgaben der Themenfindung und Recherche. Wie die entsprechende Wortwahl bereits andeutet, befinden wir uns hier auf der Ebene der System leistungen und organisatorischer wie individueller Aufgaben und damit auf der Meso- oder Mikroebene. Die prinzipielle Autonomie des Gesamtsystems bleibt also erhalten. Die Frage ist allerdings, ob man nicht ab einem bestimmten ‚Interpenetrationsgrad’ von einer Fusion beider Systeme ausgehen müsste, wie dies Plasser (1987, 81 ff.)[9] tut. Allerdings geht auch Westerbarkey davon aus, dass Interpenetrationen zu Legitimitätsproblemen des Gesamtsystems unter normativen Gesichtspunkten führen können, wenn beispielsweise PR den Journalismus dergestalt durchdringe, dass dieser aus den Selbstdarstellungen etwa von Politikern Fremddarstellungen mache, PR also den Glaubwürdigkeitsbonus der Medien auf „parasitäre“ Weise für sich in Anspruch nehme (vgl. Westerbarkey, 1995, 160 f.).

1.2.3 Determination

Der Determinationsbegriff am Beispiel der vermeintlichen Determination des Journalismus durch Public Relations ist aus systemtheoretischer Perspektive insbesondere von Schantel (2000) kritisiert worden. Neben Mängeln bei der empirischen Bestätigung der Determinationsthese äußert Schantel auch grundsätzliche theoretische Bedenken hinsichtlich deren Erklärungskraft und Reichweite. Stattdessen betont sie die grundsätzliche Autonomie des publizistischen Systems (vgl. ebd. 86). In der Tat ist aus systemtheoretischer Perspektive die Determinationshypothese zunächst auf den organisatorischen Kontext beschränkt, sofern hier von einem einseitigen Informationstransfer gesprochen wird und Informationen nur zwischen Organisationen und nicht zwischen Systemen transferiert werden können (vgl. ebd. 71). Informationstransfer lässt sich aber durchaus auch als Leistungstransfer übersetzen, sofern er ein bestimmtes Ausmaß erreicht. Dann ist aber auch hier wie schon bei der Interpenetration die Frage, ob nicht ein solcher einseitiger Leistungstransfer, sofern er wirklich empirisch eintritt, auch Folgen für die Systemebene haben müsste.[10] Dort müsste Determination dann auch als vollständige Funktionsübernahme definiert werden, wodurch jedoch die Existenz des Systems, dessen Funktion nunmehr von einem anderen System übernommen wird, zumindest als nebengeordnetes System beendet würde. Allenfalls würde es bei vollständiger Determination zum Subsystem des anderen degradiert. Die Existenz und Autonomie eines Systems wird aber bei Schantel gewissermaßen axiomatisch vorausgesetzt, womit Schantel allerdings zirkulär argumentiert, denn die Autonomie ist ja gerade der strittige Punkt. Determination ließe sich also durchaus auch systemtheoretisch formulieren. Die Frage des Eintretens von Determination wäre dann empirisch zu überprüfen.

1.2.4 Intereffikation

Als Gegenentwurf zur Determinationshypothese stellt Schantel das Intereffikationsmodel von Bentele, Liebert und Seeling (1997, 240 ff.)[11] vor. Dieses besagt, dass die Funktionen des einen Systems die Funktionen des anderen erst ermöglichen und umgekehrt. Insoweit entspricht es dem Konzept der Interdependenz. Es reicht allerdings noch weiter und schließt auch dynamische Beziehungen wie Interpentrationen mit ein. Schantel spricht allerdings nicht von partieller Funktionsübernahme, sondern von Induktionen und Adaptionen (vgl. ebd. 77). Induktionen, also etwa das, was als Determination verstanden wird, gingen immer auch mit Anpassungsleistungen (Adaptionen) einher. Eine Anpassungsleistung wäre demnach etwa die Übernahme journalistischer Selektionskriterien durch Public Relations. An diesem Punkt stellt sich aber die Frage, inwieweit das Intereffikationsmodell gegenüber dem Interdependenz/Interpenetrationskonzept von Westerbarkey überhaupt einen Erkenntnisfortschritt darstellt; denn nichts anderes als gegenseitige Übernahme von Operationsweisen war ja unter Interpenetration verstanden worden. Den einzigen Erklärungsfortschritt, den das Intereffikationsmodell für sich beansprucht, nämlich neben Mikro- und Mesoebene auch auf der intersytemischen Makroebene zu gelten, stellt Schantel zumindest vorläufig in Frage (vgl. ebd., 77 f.).

Nachdem nun die zentralen Begrifflichkeiten der Systemtheorie geklärt wären, wird dieses abstrakte, theoretische Gerüst nun auf die Public Relations bzw. Öffentlichkeitsarbeit von Non-Profit-Organisationen herunter gebrochen.

1.3 ‚Non-Profit’ als System?

Ein erstes Problem bei der Verortung von Non-Profit-Organisationen in der Systemtheorie ist die Frage, ob Non-Profit als eigenständiges System begriffen werden kann. Wie der Name bereits sagt, befindet man sich bei Non-Profit-Organisationen zunächst auf der organisatorischen Ebene. Organisationen sind aber, wie bereits oben angedeutet, nicht per se Element eines bestimmten Systems und bilden auch nicht in ihrer Summe ein bestimmtes System, sondern sind ihrerseits jeweils eigenständige Sozialsysteme besonderen Typs[12]: „[Sie] stellen eine eigene Art der Kontingenzreduktion und -produktion dar, ein autonomes Prinzip der Weltkonstruktion“ (Drepper, 2003, 47). Diese Eigenschaft gilt aber natürlich nicht nur für Non-Profit-Organisationen, sondern für Organisationen generell. Trotz der relativen Autonomie von Organisationen sind diese nicht vollkommen unabhängig von den gesellschaftlichen Funktionssystemen:

[...]


[1] Zitiert nach: Schantel, 2000, 70

[2] Ähnlich beschreibt es auch Plasser (1987)

[3] zitiert nach: Donges/Meier, 2001, 80

[4] Zitiert nach ebd.

[5] Der Kommunikationsbegriff ist hier allerdings missverständlich. Luhmann ging offenbar von einem sehr weiten Kommunikationsbegriff aus, unter den auch jegliche Form der Interaktion fällt. Mir scheint jedoch Interaktion als Oberbegriff sowohl für jegliche Form sozialen Handelns als auch von Kommunikation treffender (vgl. Pürer, 2003, 59). Zudem kollidiert der Interaktionsbegriff weniger mit den alltagssprachlichen Bedeutungen von Kommunikation einerseits und Handlungen andererseits. Ich werde also im Folgenden von Interaktionen sprechen.

[6] im systemtheoretischen Sinne

[7] Die genannten Autoren trennen diese drei Ebenen am Beispiel des PR-Systems

[8] Zitiert nach: Schantel, 2000, 70

[9] Zitiert nach Schantel, 2000, 76

[10] Insofern möchte ich der systemtheoretischen Vorstellung von Emergenz, also der Vorstellung, dass es sich bei Systemen um etwas vollkommen Eigenständiges handelt, das unabhängig von seinen Elementen existiert, widersprechen. Zwar erfüllen die Teilsysteme des Gesamtsystems nicht die Funktion des Gesamtsystems, aber sie haben doch die Funktion, das Gesamtsystem zu erhalten. Erfüllen sie ihre Funktion nicht mehr, kann auch das Gesamtsystem die seine nicht mehr erfüllen.

[11] Zitiert nach Schantel, 2000, 77

[12] Die Besonderheit von Organisationen liegt nach Drepper in ihrer formalen Organisation von Verhaltenserwartungen, deren Erfüllen eine Voraussetzung für die Mitgliedschaft in der Organisation ist, während etwa Gesellschaft ein „umfassendes Sozialsystem aller füreinander potentiell erreichbaren Kommunikationen“ sei (Drepper 2003, 46; Hervorhebung von Drepper ; vgl. auch Luhmann, 1999, 36 ff.).

Ende der Leseprobe aus 33 Seiten

Details

Titel
Determination, Interpenetration oder Intereffikation? Ein Analysedesign zur Untersuchung von PR und Öffentlichkeitsarbeit aus systemtheoretischer Perspektive
Untertitel
Die Non-Profit-Organisation "Amnesty International"
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum  (Sektion für Publizistik und Kommunikation)
Veranstaltung
Hauptseminar/ AG: Werbung und Öffentlichkeitsarbeit von Non-Profit-Organisationen
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
33
Katalognummer
V64486
ISBN (eBook)
9783638572897
ISBN (Buch)
9783656753797
Dateigröße
758 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Determination, Interpenetration, Intereffikation, Analysedesign, Untersuchung, Non-Profit-Organisationen, Perspektive, Beispiel, Amnesty, International, Hauptseminar/, Werbung, Non-Profit-Organisationen
Arbeit zitieren
Jörn-Jakob Surkemper (Autor:in), 2005, Determination, Interpenetration oder Intereffikation? Ein Analysedesign zur Untersuchung von PR und Öffentlichkeitsarbeit aus systemtheoretischer Perspektive, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/64486

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Determination, Interpenetration oder Intereffikation? Ein Analysedesign zur Untersuchung von PR und Öffentlichkeitsarbeit aus systemtheoretischer Perspektive



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden