Was wissen Europäer kulturell von Afrika?


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2006

12 Seiten


Leseprobe


Was wissen Europäer kulturell von Afrika?

Jacob Emmanuel Mabe

1. Einführung

Die negative Einstellung vieler Europäer gegenüber anderen Kulturen hat sich bis heute kaum geändert. Besonders beklagenswert ist ihr weiterhin infam menschenverachtender Umgang mit afrikanischen Denk- und Lebensstilen. Selbst manch hoch gebildete Europäer betrachten Afrika unentwegt als fremde, kulturell unbedeutende Welt und können sich daher keine Vorstellungen von dem konkreten Leben der dort lebenden Menschen machen. Doch von ihrer finanziellen und wissenschaftlichen Infrastruktur her wären die Europäer wohl in der Lage, sich mit afrikanischen Geisteskulturen angemessen auseinander zu setzen, werden aber durch ihr selektives, überwiegend durch Klischees und Stereotype geprägtes Bild von diesem Erdteil gehindert.[1]

Zudem wird das mit Vorurteilen behaftete Bild von Afrika als Inkarnation apokalyptischer Krisen, Katastrophen, Misere etc.[2] öfters den Journalisten, Geschäftstreibenden und Wissenschaftlern zu Recht, wegen ihrer zum Teil überzogenen Falschmeldungen, angelastet. Man scheint bei dieser restriktiven Anschuldigung allerdings zu übersehen, dass gerade die sich als unwahr erweisenden Berichte meist weitgehend den Informationserwartungen und
-bedürfnissen einer überwiegenden Mehrheit der Europäer entsprechen. Womöglich deshalb wurden sie bislang weder konsequent destruiert noch als entwürdigende, menschenverachtende Desinformationsmilitanz demaskiert. Warum aber manche Europäer an einem bleibend schlechten Image Afrikas festhalten und ihr Wissen über diesen Kontinent immerfort aus unseriösen sowie umstrittenen Quellen schöpfen, das kann nur an ihrem Bewusstsein der Schäden liegen, die sie den Afrikanern in der Vergangenheit vorsätzlich zugefügt haben und weiter zufügen. Sie scheinen dermaßen an einem dauerhaft schlechten Gewissen zu leiden, dass sie sich kaum vorstellen können, ganz normale freundschaftliche, gleichrangig- partnerschaftliche Beziehungen mit den Völkern Afrikas aufzubauen.

Doch statt sich energisch für die kulturelle Annäherung zwischen den beiden Kontinenten einzusetzen, um dadurch gegenseitiges Vertrauen zu gewinnen, beharren die Europäer vielmehr bei einer Entwicklungspolitik, die wegen der für Afrika kulturell unergiebigen Prestigeprojekte die Afrikaner eher erzürnt. Sie sollten endlich begreifen, dass diese heimtückische Politik keineswegs zur Wiedergutmachung der in der Vergangenheit verübten Verbrechen beitragen kann. Im Gegenteil, je mehr die so genannte Entwicklungspolitik hinter den von den Europäern selbst mit ihr verknüpften Erwartungen bleiben wird, desto größer wird ihr schlechtes Gewissen sein, umso aggressiver sowie extrem pharisäischer werden sie auftreten. Abgesehen davon ist es unanständig, Entwicklungspolitik weiter als Einschüchterungsideologie zu benutzen und den Opfern der europäischen Barbarei in Afrika stets das Gefühl zu vermitteln, die Entwicklung ihres Kontinents hänge nicht von ihnen selbst, sondern von der Gnade das Westens ab. Insbesondere Europa sollte sich nicht ewig als Messias aufspielen, der Afrika im Namen der Menschlichkeit zu erlösen habe, sondern endlich Konsequenz aus seiner bisherigen Afrikapolitik ziehen. Die Europäer wären deshalb gut beraten, rückhaltlose Selbstkritik[3]zu üben, statt sich übermäßigem Selbstmitleid hinzugeben, das jedoch nicht in Selbsthass, sondern in perverse Abneigung gegen sämtliche unschuldige Opfer ihrer Geschichte umschlägt. Unter Selbstkritik ist allerdings nicht das bloße Moralisieren mittels ethischer ‚Vorzeigetheorien’ der Kommunikation zu verstehen. Man erwartet dabei vielmehr konsistente Überlegungen, die zunächst den Europäern selbst zu einer resoluten Emanzipation vom eurozentrischen Geist hin zu einem lebendigen Dialog zwecks Verständigung mit Afrikanern verhelfen können.[4]

Das hier bezeichnete Selbstmitleid hängt indes u.a. mit dem sehr schmerzenden und bedrückenden Wissen vieler Europäer vom Sklavenhandel und Kolonialismus zusammen, das sie dazu bringt, sich stets hypokritisch jeglicher geistigen Berührung mit Afrikanern zu entziehen. Gerade vor dem Hintergrund des Selbstmitleides wird das ambivalente Verhältnis mancher Europäer zu ihrer Zivilisation offensichtlich.[5]Einerseits geben sie sich eingedenk ihrer historischen Errungenschaften in Technik und Wissenschaft sehr stolz (zumindest nach außen). Andererseits aber werden sie ihr inneres Leiden in permanentem Andenken an die in und von Europa aus verübten Verbrechen gegen die Menschlichkeit kaum los. Aufgrund dieses historisch-psychologischen Faktors können manche Europäer kein wertbeständiges Selbstvertrauen aufbauen, geschweige denn dauerhaft zufrieden wirken, obwohl sie alles zu besitzen scheinen, was der Mensch für die Befriedigung seiner materiellen Bedürfnisse benötigt.

Oft manifestieren die Europäer ihre Unzufriedenheit entweder psychologisch durch Verachtung der kulturellen Werte anderer Völker oder politisch durch technische sowie finanzielle Maßnahmen, die andere Länder in schwer lösbare Krisen stürzen. Wenngleich das lästige Wissen um die Vergangenheit den Konflikt der Europäer mit ihrer Identität erklärt, genügt das jedoch nicht als stichhaltiges Argument, um ihre oft exzentrisch schamlosen Attitüden gegenüber anderen Völkern zu rechtfertigen.[6]Damit ist insbesondere die prinzipielle Neigung zur Geringschätzung afrikanischer Lebenswelten selbst seitens mancher Großgelehrten der Gegenwart gemeint, die sich aus Prinzip weigern, universalistische Kategorien wie die der Philosophie, Wissenschaft, Kultur und Religion auch auf Afrika auszuweiten oder adäquat anzuwenden.

Dieser Artikel ist keineswegs der Präsentation der afrikanischen Kulturen gewidmet. Sein Ziel besteht vielmehr in der Erörterung der Frage nach der Verantwortung der intellektuellen Eliten nicht nur Europas, sondern auch Afrikas für das allgemein miese Image von Afrika in der Welt. Er beginnt mit einer philosophischen Klärung des Kulturbegriffs und fragt im Anschluss daran an das Wesen des Kulturellen in Afrika. Die Untersuchung endet mit einer detaillierten Kategorisierung der Intellektuellen in beiden Kontinenten.

[...]


[1] Dieser Artikel geht auf eine Ringvorlesung am 28.4.2005 an der Universität Marburg sowie einen Vortrag bei der Gesellschaft für Afrikanische Philosophie in Berlin zurück. Einige Aspekte wurden unter Berücksichtigung der Anregungen und Diskussionen überarbeitet und präzisiert.

[2] Vgl. M. Towa: Die Aktualität der afrikanischen Philosophie, in: F.M. Wimmer (Hrsg.): Vier Fragen zur Philosophie in Afrika, Asien und Lateinamerika, Wien 1988, S. 55-66.

[3] Domenico Losurdo gehört zu den wenigen mutigen Philosophen der Gegenwart, die europäische Selbstkritik wagen. Vgl. D. Losurdo: Selbstbewusstsein, falsches Bewusstsein, Selbstkritik des Abendlandes, in: Das geistige Erbe Europas, hrsg. von Manfred Buhr, Napoli 1994, S.733-770.

[4] Die Forderung von Jürgen Habermas, die Menschen müssten kommunikativ handeln und dazu eine gemeinsame Sprache sprechen, die jeder versteht, ist zwar richtig. Doch Habermas hätte diese These vertiefen müssen, indem er zeigt, wie die Europäer universelle Verständigung aufnehmen können, ohne ihre Kultur zur Bedingung für den Universalismus zu erheben. Einzelheiten bei J. Habermas: Die Einheit der Vernunft in der Vielfalt ihrer Stimmen, in ders.: Nachmetaphysisches Denken, Frankfurt/M. 1988, s. 153-186.; ders.: Die Einbeziehung des Anderen. Studien zur politischen Theorie, Frankfurt 1996.

[5] Siehe dazu Michael Fischer: Les perspectives d’avenir de l’Europe, in: Manfred Buhr und Xavier Tilliette (Hrsg.): Penser européen – qu’est-ce que cela veut dire?, Lisbonne: Cosmos 199), S.27-40.

[6] Vgl. u.a. P.-A. Taguieff: La force du préjugé. Essai sur le racisme et ses doubles, Paris 1987: E. Balibar/I. Wallerstein: Race, nation, classe. Les identités ambigües, Paris 1988.

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Details

Titel
Was wissen Europäer kulturell von Afrika?
Autor
Jahr
2006
Seiten
12
Katalognummer
V64374
ISBN (eBook)
9783638572101
ISBN (Buch)
9783638792660
Dateigröße
543 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Europäer, Afrika
Arbeit zitieren
PD Dr. Dr. Jacob Emmanuel Mabe (Autor:in), 2006, Was wissen Europäer kulturell von Afrika?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/64374

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