Zur Konstruktion von Identität in zeitgenössischer jüdischer Literatur. Vertlibs "Zwischenstationen" und Bezmozgis' "Natasha and Other Stories"


Hausarbeit, 2006

25 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Biografischer Überblick zu den Autoren
1. Biografischer Überblick zu Vladimir Vertlib
2. Biografischer Überblick zu David Bezmozgis

II. Vergleichende formale Analyse
1. Erzählstil und Sprache in Bezmozgis’ Natasha and Other Stories
2. Erzählstil und Sprache in Vertlibs Zwischenstationen

III. Vergleichende inhaltliche Analyse,,,
1. Doppelte Identität – Eine Einleitung
2. Religiöse Observanz und jüdische Identität
3. Sprache als Fundament kultureller Identität
4. Die Erfahrung von Migration
5. Das Gedächtnis der Schoah
6. Die Erfahrung des Antisemitismus

IV. Rezeption
1. Die Rezeption von Bezmozgis’ Natasha and Other Stories
2. Die Rezeption von Vertlibs Zwischenstationen

V. Resümee

Bibliographie

I. Biografischer Überblick zu den Autoren

1, Biografischer Überblick zu Vladimir Vertlib

Vladimir Vertlib wurde 1966 in Leningrad geboren. 1971 emigrierte er mit seinen Eltern nach Israel, später weiter nach Österreich, zurück nach Israel, in die USA und schließlich neuerlich nach Österreich (1981). Er studierte Volkswirtschaftlehre in Wien und lebt heute in Salzburg.

Von Vertlib erschienen bisher die Erzählung Abschiebung (1995) sowie die Romane Zwischenstationen (1999), Das besondere Gedächtnis der Rosa Masur (2001) und Letzter Wunsch (2003).

Er erhielt unter anderem 2001 den Adelbert-von-Chamisso-Preis.[1]

2, Biografischer Überblick zu David Bezmozgis

David Bezmozgis wurde 1973 in Riga geboren. Er emigrierte 1980 mit seinen Eltern nach Kanada. Er lebt seither in Toronto.

Natasha and Other Stories, das 2004 erschienen ist, stellt Bezmozgis’ erste Buchveröffentlichung dar. Die Erzählungen daraus waren zuvor bereits einzeln in renommierten Zeitschriften wie dem New Yorker oder Harper’s erschienen.[2]

II. Vergleichende formale Analyse

1, Erzählstil und Sprache in Bezmozgis’ Natasha and Other Stories

Der Erzählband Natasha and Other Stories besteht aus sieben kurzen Erzählungen, die lose aneinander gereiht sind. Jede einzelne von ihnen könnte für sich alleine stehen, zusammen ergeben sie aber einen chronologisch gereihten, sequentiellen Abriss eines Prozesses des Heranwachsens der Erzählerfigur, welcher eng mit dem Integrationsprozess des Protagonisten in die kanadische Gesellschaft verbunden ist.

Der Erzählstil Bezmozgis’ bleibt über weite Strecken äußerst distanziert. Der Erzähler kommentiert kaum, zeigt beim Erzählen wenig persönliche Involviertheit ins Geschehen, so als läge das Geschehene bereits weit zurück. Meghan O’Rourke verweist darauf, dass es sich beim Erzähler weniger um den klassischen Helden der Geschichten als vielmehr um our witness and interpreter[3] handelt. Der/die LeserIn bekommt dadurch nur sehr begrenzt die Möglichkeit, für die Hauptfigur Empathie zu entwickeln, sondern erhält eine nüchterne Darstellung des Geschehens.

Die Sprache bleibt einfach und unmetaphorisch. Abrupte Endungen sind, wie Wood ausführt, ein bestimmendes Merkmal des Textes. Der Ich-Erzähler, der ohne einen allwissenden Erzähler in der dritten Person auskommen muss, fungiert hierbei als Mittel, die Irritation und Verwirrung zum Ausdruck zu bringen.[4]

2. Erzählstil und Sprache in Vertlibs Zwischenstationen

Der Erzählstil Vladimir Vertlibs unterscheidet sich grundlegend von jenem Bezmozgis’. Er scheint in größerem Maß dem realistischen Erzählen verhaftet. Die Figuren werden detailliert, und facettenreich gezeichnet, sodass sie für den Leser/die Leserin lebendig werden und die RezipientInnen so eine deutlich weiter gehende Möglichkeit zur Empathie erhalten.

Zeillinger betont die aus dieser Art des Erzählens resultierende Authentizität des Textes, der beim Leser/der Leserin den Eindruck erweckt, es handle sich um einen autobiografischen Bericht, obgleich der Text explizit als Roman ausgewiesen ist, was seine Fiktionalität inkludiert und betont.[5]

Die Sprache erscheint dabei in erster Linie Mittel zum Zweck. Sie bleibt eher einfach und verzichtet auf ästhetizistische Ausschmückungen. Ihre Aufgabe ist es vielmehr, lebendige Bilder von Menschen und Situationen zu zeichnen.

III. Vergleichende inhaltliche Analyse ausgewählter Themenbereiche

1. Doppelte Identität – Eine Einleitung

Gershon Shaked formulierte in seinem Aufsatz Die Macht der Identität die These der doppelten Identität. Er geht dabei davon aus, dass die doppelte Identität, also die Identifikation mit der Majoritätskultur und die jüdische Identität der literarischen Figuren, ein wesentliches Merkmal der deutsch- und englischsprachigen jüdischen Literatur darstellt.[6]

Im folgenden Hauptteil der Arbeit sollen die Texte Vertlibs und Bezmozgis’ dahingehend untersucht werden, inwieweit die These Shakeds auch auf zeitgenössische Texte der jüdischen Literatur anzuwenden ist. Dazu sollen ausgewählte, zentrale Aspekte jüdischer Identität untersucht werden: Zunächst soll die Rolle der Religion beleuchtet werden, welche in traditionellen Konstruktionen jüdischer Identität eine essentielle Rolle spielt. Anschließend soll näher auf Themenkomplexe (auch) säkularer Identitätsmodelle eingegangen werden. Es sollen die Aspekte der Sprache und Mehrsprachigkeit, die spezifischen Auswirkungen von Migration auf individuelle Identität, der Stellenwert der Schoah im Rahmen des kollektiven Gedächtnisses sowie die Erfahrung des Antisemitismus dargestellt werden.

2. Religiöse Observanz und jüdische Identität

Das Verhältnis der zentralen Figuren zum religiösen Judentum ist in Bezmozgis’ Erzählband ebenso wie in Vertlibs Roman äußerst distanziert, wie im Folgenden noch eingehender ausgeführt werden soll.

In Natasha and Other Stories sind die Eltern Berman nicht religiös observant. So ist etwa die Küche nicht koscher. Mit der jüdischen Religion und Kultur scheinen beide Elternteile nur sehr wenig vertraut. Nichtsdestotrotz besteht vor allem die Mutter des Ich-Erzählers darauf, dass der Sohn die jüdische Schule besucht, um jüdische Bildung zu erhalten: She believed that in Canada I should get what I could never have gotten in Latvia.[7]

Der Großvater des Erzählers ist das einzige Familienmitglied, das observant lebt. Er besucht täglich die Synagoge und erhält deshalb nach dem Tod der Großmutter einen Platz in einem jüdischen Altersheim, da er das Zustandekommen des Minjan sichert. Auch Mark besucht eine Zeit lang regelmäßig Gottesdienste im Betraum des Altersheims, wenn er seinen Großvater besucht. Die Motivation der Anwesenden, am Schabbat-Gottesdienst teilzunehmen, beschreibt er allerdings so:

Most of the old Jews came because they were drawn by the nostalgia for ancient cadences. I came because I was drawn by the nostalgia for old Jews. In each case the motivation was not tradition but history.[8]

Während der Begriff der Tradition auf die Weitergabe des religiösen Erbes von Generation zu Generation verweist, impliziert der Begriff der Nostalgie, dass es sich bei ihrem Objekt um etwas Vergangenes, Untergegangenes oder Untergehendes handelt, um ein kulturelles Erbe, dessen Weitergabe an die nächste Generation nicht mehr möglich ist. Der Aspekt des Verlusts bezieht sich im Fall Mark Bermans einerseits auf ein orthodox-religiöses Judentum, wofür der Großvater steht, andererseits aber auch auf die Ebene der Sprache. Nicht nur die religiösen Traditionen der Großeltern gehen verloren, auch deren säkulare Sprache, das Jiddische, konnte nicht an die kommenden Generationen weitergegeben werden.

[...]


[1] vgl. Vladimir Vertlib, Zwischenstationen, überarb. Ausg., München, 2005, Verlagsinformation/Peritext

[2] vgl. David Bezmozgis, Natasha and Other Stories, London, 2004, Verlagsinformation/Peritext

[3] Meghan O’Rourke (Rez.), The Latvian Debutante’s Handbook, in: The New York Times, 27. 6. 2004

[4] vgl. James Wood (Rez.), A Long Day at the Chocolate Bar Factory, in: London Review of Books, Vol. 26 No. 24, 16. 12. 2004

[5] vgl. Gerhard Zeillinger (Rez.), Ein ironisches „Hollaraitulijöötulijahiii“ trotz allem, in: Die Presse, 30. 4. 1999

[6] vgl. Gershon Shaked, Die Macht der Identität. Über deutsche und amerikanische Literatur von Juden, in: ders.: Die Macht der Identität. Essays über jüdische Schriftsteller, Frankfurt a. M., 1992, 192-229

[7] David Bezmozgis, Natasha and Other Stories, London, 2004, S. 69

[8] David Bezmozgis, Natasha and Other Stories, London, 2004, S. 134

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Zur Konstruktion von Identität in zeitgenössischer jüdischer Literatur. Vertlibs "Zwischenstationen" und Bezmozgis' "Natasha and Other Stories"
Hochschule
Universität Wien  (Vergleichende Literaturwissenschaft)
Veranstaltung
PS: Doppelte Identität in zeitgenössischer deutsch- und englischsprachiger jüdischer Literatur
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2006
Seiten
25
Katalognummer
V64232
ISBN (eBook)
9783638571043
ISBN (Buch)
9783656787358
Dateigröße
558 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Doppelte, Identität, Konstruktion, Identität, Literatur, Vladimir, Vertlibs, Zwischenstationen, David, Bezmozgis, Natasha, Other, Stories, Doppelte, Identität, Literatur
Arbeit zitieren
Bernd Csitkovics (Autor:in), 2006, Zur Konstruktion von Identität in zeitgenössischer jüdischer Literatur. Vertlibs "Zwischenstationen" und Bezmozgis' "Natasha and Other Stories", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/64232

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