Faktenwissen vs. Kontext- und Strukturwissen?


Seminararbeit, 2003

18 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Zur Begrifflichkeit des Wissens
2.1. Die Wissensformen
2.2. Faktenwissen
2.3. Kontext- und Strukturwissen
2.4. Anwendungs- und Handlungswissen
2.5. Die allgemeinen Ziele des Politikunterrichts

3. Fakten- und Strukturwissen im Sozialkundeunterricht
3.1. Kategorien als Werkzeuge zur Erschließung von Strukturwissen
3.2. Die Notwendigkeit von Faktenwissen
3.3. Die Notwendigkeit von Strukturwissen zur politischen Urteilsbildung
3.4. Handlungsorientierter Unterricht
3.5. Fallanalyse
3.6. Frontalunterricht

4. Schlussbemerkungen

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Grundintentionen des Sozialkundeunterrichts sind Lebenshilfe, soziales Lernen und politisches Lernen. In erster Linie aber soll Sozialkundeunterricht ein Verständnis für Demokratie vermitteln, er verfolgt das Ziel, den mündigen Bürger zu erziehen. Dazu ist im Politikunterricht sehr viel Stoff zu vermitteln. Zunehmend leiden die Schüler unter der Überfülle an Unterrichtsstoff, der heute in der Schule vermittelt wird. Auch Lehrer sind diesem Stoffdruck ausgeliefert. So kommt es oft zur schnellen Stoffvermittlung, um die Rahmenrichtlinien zu erfüllen. Die Schüler lernen den Stoff auswendig und vergessen ihn bald nach der nächsten Klausur wieder. Es gibt nicht wenige Kritiker des Schulsystems, die daher für einen radikalen Stoffabbau plädieren und dafür einstehen, dass in der Schule mehr die Methoden der Wissensbeschaffung vermittelt und geübt werden. Ihr Hauptargument lautet, dass es ausreiche zu wissen wo etwas steht, gerade in der heutigen Zeit des World Wide Webs. Doch kann diese Argumentation auf den Politikunterricht Anwendung finden? Wie viele Menschen würden sich „freiwillig“ alle nötigen Informationen zur Lösung eines Problem beschaffen, und würde nicht gerade im Feld der Politik das Desinteresse weiter fortschreiten? Auf eine Wissensvermittlung kann daher auch in Zukunft nicht verzichtet werden, ohne Wissen kann der Mensch kein mündiger Teilnehmer an der Gesellschaft werden oder sein. Wie die Wissensvermittlung auszusehen hat, ist eine andere Frage. Ob sie, wie heute leider häufig üblich, durch die Vermittlung von Fakten, die zur Leistungsbewertung abgefragt werden, oder durch neue innovative Unterrichtsmethoden geschehen sollte, wollen wir versuchen zu klären. Wie ist es also möglich, dem Schüler einen interessanten Unterricht zu bieten, bei dem am Ende ein politisch gebildeter, mündiger Mensch steht? Die Grundfrage, die uns dabei in der gesamten Arbeit begleiten wird, ist diejenige, ob es ein Miteinander oder ein Gegeneinander von Fakten- und Strukturwissen im Unterricht gibt oder geben sollte. Dabei wird es zunächst eine nüchterne Begriffsklärung geben, bei der betrachtet werden soll, was es für Wissensformen gibt und was sie unterscheidet. Im zweiten Teil soll dann das Herausgearbeitete auf den Politikunterricht Anwendung finden. Dabei soll untersucht werden, welche Wissensformen am besten zur Verwirklichung der Ziele des Politikunterrichts geeignet sind. Des Weiteren sollen einige Unterrichtsmethoden vorgestellt werden, die sich zur Vermittlung der verschiedenen Wissensformen eignen.

Das menschliche Hirn ist so konstruiert, dass es nur unter bestimmten Voraussetzungen bereit ist, Informationen im Langzeitgedächtnis zu speichern. Es soll also insgesamt untersucht werden, wie diese Voraussetzungen am Besten zu erfüllen sind. Denn schließlich sollen die Schüler etwas für ihr Leben aus dem Politikunterricht mitnehmen.

2. Zur Begrifflichkeit des Wissens

2.1. Die Wissensformen

Der Begriff „Wissen“ beschäftigt die Philosophie und die Psychologie schon seit jeher, in der modernen Wissenschaft tragen auch die Neurobiologie und die Neuropsychologie zahlreiche Erkenntnisse zur Problematik bei. Es ist nicht einfach, eine saubere Trennung zwischen Wissensformen zu vollziehen. Einige Ansätze sollen in den nächsten Abschnitten erläutert werden. Eine Kategorisierung der Wissensformen versuchte der Wissenspsychologe Gilbert Ryle. Er postulierte, dass Wissen aus Faktenwissen und Anwendungswissen bestehe[1]. Peter Baumgartner erweiterte das Modell um das Handlungswissen[2]. In den nächsten Kapiteln ist auf diese Wissensformen näher einzugehen. Eine Einteilung in Fakten- und Strukturwissen ist dabei zu einfach. Strukturwissen wird in der Wissenschaft noch genauer untergliedert, doch auch dazu später mehr.

Die Menschen der sogenannten Informationsgesellschaft verfügen über zahlreiche Wissensquellen. Im Wesentlichen sind hier drei Hauptquellen herauszuarbeiten. Zunächst bezieht der Mensch sein Wissen aus dem alltäglichen Geschehen und aus seinem direkten Umfeld, diese Quelle unterliegt im Besonderen einer gewissen Beeinflussung, dieses Wissen wird dann als Alltagswissen bezeichnet. Als zweite große Wissensquelle sind die Erfahrungen aus der Berufswelt zu nennen, das Berufswissen und als dritte das wissenschaftliche Wissen. Die Schule befindet sich zwischen diesen Quellen und steht vor dem Problem, zwischen den „relativ autonomen Wissensformen“ zu vermitteln[3]. In der Schule „interagieren Alltagswissen, wissenschaftliches Wissen sowie berufliches und schulbezogenes Handlungswissen“[4]. Dabei ist die Schule verpflichtet, allen Wissensquellen gerecht zu werden und wissenschaftlich korrekte Zusammenhänge zu vermitteln. Die Annahme, schulisches Wissen sei „weniger“ als wissenschaftliches Wissen, ist dabei unzulässig, zutreffender ist die Aussage, dass es „anders“ ist. Die Aufgabe des Lehrers und der Fachdidaktik als Wissenschaft ist es, aus der Fülle von Stoff und Material auszuwählen (didaktische Perspektive) und die Strukturen, welche sich hinter Problemstellungen verbergen, offen zu legen und zu verdeutlichen. Der Umfang der Informationen ist dabei so zu reduzieren (didaktische Reduktion), dass die Strukturen nicht nur erhalten bleiben, sondern zur Erhöhung der Lernbarkeit und Bildungswirksamkeit führen[5]. Die didaktische Reduktion soll also die Komplexität der Sache erhalten und dem Lernenden verdeutlichen, dabei soll etwas Wesentliches am Inhalt herausgearbeitet werden[6].

2.2. Faktenwissen

Ein Fakt ist eine nachweisbare Tatsache beziehungsweise ein nachweisbares Ereignis. Ewald Jarz nennt die Kenntnis von Sachverhalten oder von Aussagen über Sachverhalte Faktenwissen[7]. Typisches Faktenwissen ist zum Beispiel die Kenntnis bestimmter Jahreszahlen der Geschichte. Nach Gilbert Ryle ist Faktenwissen „knowing that“, das heißt, dass man weiß, das etwas so ist wie es ist[8]. So kann ein Mensch alle Regeln des Schachspiels auswendig wissen, was jedoch für Ryle nicht bedeutet, dass dieser Mensch tatsächlich auch Schach spielen kann. Schach spielen können wäre nach Ryle mit „knowing how“ zu bezeichnen. In Ryles Modellvorstellung ist Faktenwissen statisch und deklarativ. Deklarativ, weil man damit (vermeintliche) Tatsachen erklärt und statisch, weil Faktenwissen zwar ergänzt oder erweitert werden kann, aber selbst nicht die Quelle neuen Wissens sein kann[9]. Das Faktenwissen existiert nicht als einzelnes isoliertes Faktum, sondern es ist eingebunden in eine sich gegenseitig bedingende, netzartige Struktur sich stützender Fakten. Jarz führt dazu weiter aus, dass Faktenwissen durch Speicherung von sprachlichen (digital) und nichtsprachlichen Aussagen durch die Sinne (analog) erworben wird. Beide Formen von „Aussagen“ können also zur Repräsentation von Faktenwissen im Gehirn führen[10]. Er unterstreicht hierbei, dass einzelne Personen gewisse Neigungen haben können, das Faktenwissen eher in dieser oder jener Sinnesform zu kodieren. In dieser Richtung argumentiert auch Rolf Dubs, er sieht das Lernen als einen Interaktionsprozess eines Individuums mit seiner Umwelt, in dem es eine Vielzahl von Informationen und Erfahrungen aufnimmt. Den Unterricht sieht Dubs dann als eine „intentionale Interaktion“[11], in der den Schülern bewusst Fakten vermittelt werden, und er fügt hinzu, dass sich schlechter Unterricht allein damit begnügt. Dubs versteht unter Faktenwissen im Gegensatz zu Jarz Einzelwissen, welches nicht systematisiert und vernetzt ist[12].

Die Intensität des Lernens an sich kann in drei Ebenen dargestellt werden, erstens das Reproduktionsniveau, zweitens das Anwendungsniveau und drittens das Problemlösungsniveau. Das Faktenwissen ist dabei auf der ersten Ebene anzusiedeln. Es besteht allein aus lexikalischem Wissen[13].

2.3. Kontext- und Strukturwissen

Eine Struktur ist eine unsichtbare Anordnung der Teile eines Ganzen zueinander und deren gegliederter Aufbau. Unter einer Struktur versteht man auch eine innere Gliederung oder ein Gefüge, das aus Teilen besteht, die wechselseitig voneinander abhängen. Ein Kontext ist ein Zusammenhang. Kontextwissen ist daher Wissen über ein konkretes Milieu und eine konkrete Situation. Strukturwissen wiederum ist Wissen, das den konkreten Kontext in einen größeren Zusammenhang einbettet. Rolf Dubs führt dazu aus, dass Strukturwissen zwar aus Faktenwissen bestehe, aber in erster Linie die Ordnung des Ganzen betrachtet werde und nicht das einzelne Faktum[14]. Er nennt das Strukturwissen dann Begriffswissen oder deklaratives Wissen[15]. Strukturwissen wird in Form von Netzwerken im Gedächtnis gespeichert, es bildet sozusagen einen „Rohbau“, in dem Fakten am „richtigen Ort“ gesucht werden können. Diese Netzwerke sind dann im Langzeitgedächtnis gespeichert. Das Langzeitgedächtnis hilft bei der Bearbeitung und bei der Speicherung neuer Informationen, es ermöglicht auch die Lösung neuer Probleme und die Anwendung von Regeln zum Denken und zur Kreativität, um die bisherigen Erfahrungen zu überschreiten[16]. Da Strukturen im Langzeitgedächtnis gespeichert werden können und Fakten im Wesentlichen nicht oder nur schlecht, ist es wichtig, in der Unterrichtsgestaltung auf die Vermittlung von Kontext- und Strukturwissen Wert zu legen.

So ist laut Rolf Dubs Strukturwissen sogar die Voraussetzung für die Erlangung von deklarativem Wissen (dem Wissen was) und von prozeduralem Wissen (dem Wissen wie), aus dem dann wiederum die oben beschriebenen kognitiven Fähigkeiten und Strategien entstehen[17]. Kontext- und Strukturwissen ist daher die Voraussetzung um über das Anwendungsniveau die höchste Stufe der Lernintensität, das Reproduktionsniveau, zu erreichen.

[...]


[1] Vgl. Ryle, G.: Der Begriff des Geistes, Stuttgart 1969, S. 26 – 77.

[2] Vgl. Baumgartner, P.: Der Hintergrund des Wissens. Vorarbeiten zu einer Kritik der programmierbaren Vernunft, Klagenfurt 1993.

[3] Vgl. Grammes, T.; Weißeno, G.: Einleitung. Aspekte interpretativer Unterrichtsforschung in der Fachdidaktik, in: Grammes, T.; Weißeno, G. (Hrsg.): Sozialkundestunden. Politikdidaktische Auswertung von Unterrichtsprotokollen, Opladen 1993, S. 11.

[4] Grammes, T.; Weißeno, G.: Einleitung. Aspekte interpretativer Unterrichtsforschung in der Fachdidaktik, in: Grammes, T.; Weißeno, G. (Hrsg.): Sozialkundestunden. Politikdidaktische Auswertung von Unterrichtsprotokollen, Opladen 1993, S. 11.

[5] Vgl. Vogel, P.: Reduktion didaktische, in: Enzyklopädie Erziehungswissenschaft, Bd. 3, Stuttgart 1995, S. 567.

[6] Vgl. Grammes, T.: Vorüberlegungen zu Planungsdidaktiken von Lehren. Die Trägerfunktion des Materials bei der Konstruktion von Wirklichkeit im Unterricht, in: Grammes, Tillmann; Weißeno, Georg (Hrsg.): Sozialkundestunden. Politikdidaktische Auswertung von Unterrichtsprotokollen, Opladen 1993, S. 124.

[7] Vgl. Jarz, E.: Entwicklung multimedialer Systeme. Planung von Lern- und Masseninformationssystemen, Wiesbaden 1997, S. 72.

[8] Vgl. Ryle, G.: Der Begriff des Geistes, Stuttgart 1969, S. 26 – 77.

[9] Vgl. Jarz, E.: Entwicklung multimedialer Systeme. Planung von Lern- und Masseninformationssystemen, Wiesbaden 1997, S. 72.

[10] Vgl. Jarz, E.: Entwicklung multimedialer Systeme. Planung von Lern- und Masseninformationssystemen, Wiesbaden 1997, S. 72.

[11] Dubs, R.: Der Stellenwert des Wissens im Unterricht der Wirtschaftsfächer, in: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, 85(1989), S. 635.

[12] Vgl. Dubs, R.: Der Stellenwert des Wissens im Unterricht der Wirtschaftsfächer, in: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, 85(1989), S. 635.

[13] Vgl. Jarz, E.: Entwicklung multimedialer Systeme. Planung von Lern- und Masseninformationssystemen, Wiesbaden 1997, S. 100.

[14] Vgl. Dubs, R.: Der Stellenwert des Wissens im Unterricht der Wirtschaftsfächer, in: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, 85(1989), S. 635.

[15] Bezüglich des Begriffswissens ist sauber zwischen Wort und Begriff zu unterscheiden. Begriffe sind außersprachliche Gegebenheiten, die einen größeren, komplexen Zusammenhang beschreiben. Wenn also Begriffswissen vorhanden ist, bedeutet das, dass Wissen über die Strukturen, die sich hinter dem Begriff verbergen, existiert. Ein Beispiel soll das näher erläutern: ein Schüler kann im Geschichteunterricht lernen, das 814/15 der Wiener Kongress stattgefunden hat, das ist ein Fakt. Das Wortgefüge „Wiener Kongress“ ist aber auch ein Begriff, hinter dem sich ein Kongress, in dessen Folge tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen im 19. Jahrhundert stattfanden, verbirgt. Wenn also eine Person Kenntnisse von den Begleitumständen, den Ursachen und Wirkungen des Wiener Kongresses besitzt, verfügt sie über Strukturwissen zum geschichtlichen Begriff „Wiener Kongress“.

[16] Vgl. Zimbardo, P.: Psychologie, Berlin, Heidelberg 61995, S. 324.

[17] Vgl. Dubs, R.: Der Stellenwert des Wissens im Unterricht der Wirtschaftsfächer, in: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, 85(1989), S. 637.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Faktenwissen vs. Kontext- und Strukturwissen?
Hochschule
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg  (Institut für Politikwissenschaften)
Veranstaltung
Proseminar
Note
1,3
Autor
Jahr
2003
Seiten
18
Katalognummer
V64123
ISBN (eBook)
9783638570107
ISBN (Buch)
9783656773085
Dateigröße
498 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Faktenwissen, Kontext-, Strukturwissen, Proseminar
Arbeit zitieren
Matthias Kolodziej (Autor:in), 2003, Faktenwissen vs. Kontext- und Strukturwissen?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/64123

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