Assistance-Leistungen in der Versicherungswirtschaft. Die Zukunft des Marktes?

Eine Analyse aus Kunden- und Unternehmenssicht


Diplomarbeit, 2006

71 Seiten, Note: 1,8


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Anlagenverzeichnis

Einleitung und Motivation

1 Definition des Begriffes ‚Assistance‘
1.1 Die linguistische Definition
1.2 Die juristische Definition
1.3 Versicherungstechnische Definition
1.3.1 Klassische Assistance
1.3.2 Moderne Assistance

2 Abgrenzungen
2.1 Abgrenzung von Assistance- zu Versicherungsleistungen
2.2 Die vertragliche Beziehung zwischen den beteiligten Personen

3 Situationsanalyse
3.1 Gesellschaftliche Veränderungen
3.1.1 Globalisierung
3.1.2 Demographische und sozio-ökonomische Veränderungen
3.1.3 Psychographische und kulturelle Veränderungen
3.2 Veränderungen in der Versicherungswirtschaft
3.3 Situation des Assistance-Marktes und Angebotes

4 Assistance-Leistungen aus Unternehmenssicht
4.1 Unternehmensziele
4.1.1 Unternehmenswertsteigerung
4.1.1.1 Differenzierung und Abgrenzung zu Konkurrenzprodukten
4.1.1.2 Unternehmensimage
4.1.1.3 Kostenreduktion
4.1.1.4 Kudenorientierung und -bindung
4.2. Unternehmensbefragung

5 Die Entwicklung von Assistance auf der Kundenseite
5.1 Psychologische Faktoren
5.2 Soziale Faktoren
5.3 Kundenbefragung
5.3.1 Akzeptanz
5.3.2 Zahlungsbereitschaft
5.3.3 Servicegedanke

6 Resümee

7 Eigene Stellungnahme und Ausblick

Anhang

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Abgrenzung von Risiko- und Dienstleistungsgeschäft

Abbildung 2: Der erweiterte Produktbegriff

Abbildung 3: Die vertragliche Beziehung zwischen Anbieter, Kunde, Assisteur und weiteren Dienstleistern

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Anlagenverzeichnis

Anlagen-Nr.

1. Vorgehensweise bei der Auswertung der Fragebögen der Unternehmen

2. Auswertung der Unternehmensfragebogen

3. Auswertung der Fragebögen der Assistance-Unternehmen

4. Vorgehensweise bei der Auswertung der Kundenfragebögen

5. Kundenfragebogen

6. Auswertung der Kundenfragebögen

Einleitung und Motivation

Lange Zeit war die deutsche Versicherungswirtschaft den Marktkräften nicht im gleichen Maße ausgesetzt wie andere Wirtschaftszweige. Die staatliche Aufsicht beschränkte und erschwerte den Wettbewerb im Inland. Der solchermaßen regulierte Markt ermöglichte und erforderte weder substantielle Produktinnovationen noch entsprechende Differenzierungen. Im Zuge der europäischen Öffnung erlebt die Versicherungswirtschaft nun einen enormen Umbruch und gewinnt zunehmend an Dynamik. Die Veränderungen durch die Verwirk-lichung der Dienstleistungsfreiheit und der Deregulierung beeinflussen den Unternehmens-wettbewerb und dessen spezielles Dienstleistungsangebot beachtlich.

Ein enormer Wandel zeigt sich auch auf der Nachfrageseite. Das Kundenverhalten hat sich signifikant verändert. Die Struktur, Kultur und Werte der Bevölkerung eröffnen neue Handlungsmöglichkeiten und Ansatzpunkte für die Marktteilnehmer. Die Wettbewerbs-intensität auf der einen, sowie die Kundenanforderungen auf der anderen Seite, erfordern neue Konzepte und Strategien. Es gilt Lösungsansätze zu ermitteln, um den veränderten Markt-gegebenheiten im Verdrängungswettbewerb gewachsen zu sein und somit die veränderte Erwartungshaltung der Kunden zu befriedigen.

Mittel, die in letzter Zeit zunehmend an Aufmerksamkeit gewinnen, sind Produkt-differenzierungen bzw. -innovationen. Mit ihrer Hilfe erhoffen sich die Anbieter Vorteile im Wettbewerb zu generieren. In diesem Zusammenhang erlangen ‚Assistance-Leistungen‘ das Interesse der Unternehmen. Der Begriff ‚Assistance‘ ist in Deutschland noch relativ neu und unbekannt. Doch die Tatsache, dass immer mehr Unternehmen Assistance-Leistungen anbieten zeigt, dass sie sich auf diese Weise einen Vorteil im Verdrängungswettbewerb versprechen.[1]

Das Ziel dieser Ausarbeitung ist es, die Zukunftsträchtigkeit der Assistance-Leistungen aus Kunden- und Unternehmenssicht zu untersuchen. In der vorliegenden Arbeit soll zunächst ein Überblick gegeben werden, was Assistance-Leistungen sind und wie sie definiert werden. Folgend wird systematisch die Darstellung der konzeptionellen Grundlagen der Assistance und die Abgrenzung zum Begriff ‚Versicherung‘ vorgenommen. Die Untersuchung der Beziehungen und die Feststellung von Unterscheidungsmerkmalen helfen, ein Verständnis von Wirkungsweisen, Zusammenhängen und Differenzierungsmöglichkeiten entwickeln zu können. Nachdem ein Überblick geschaffen wurde, gilt es die momentane Marktsituation zu beschreiben. Hierbei wird auf die wesentlichen Faktoren des gesellschaftlichen Wandels eingegangen. Des Weiteren werden die für die folgende Untersuchung maßgeblichen Änderungen in der Versicherungswirtschaft kurz vorgestellt. Im Anschluss wird die derzeitige Situation im Assistance-Markt beleuchtet. Die Darstellung einiger Veränderungsprozesse der wirkenden Faktoren, betont komprimiert den Anlass dieser Untersuchung. Sie präsentiert eine grobe Vorstellung der gegenwärtigen Umfelddynamik. Auf diese Weise wird zum Untersuchungsschwerpunkt, dem Nutzen von Assistance-Leistungen auf Kunden- und Unternehmensseite, hingeführt.

Der Hauptteil befasst sich mit den Einstellungen der beiden Interessengruppen gegenüber dem Assistance-Produkt. Hierzu werden die wichtigsten Ergebnisse vergangener, repräsentativer Studien aufgegriffen, um die Entwicklung der Assistance-Leistungen nachvollziehbar zu machen. Der aktuelle Standpunkt des Entwicklungsstadiums wird durch eine eigene Befragung auf Anbieter- und Verbraucherseite verdeutlicht. Es gilt zu diskutieren und theoretisch sowie praktisch zu fundieren, welcher Nutzen durch das Angebot von Assistance-Leistungen generiert werden kann. Es wird die These untersucht, ob die vorherrschenden zwei Stoßrichtungen der Neuausrichtungen der Assekuranz mit dem Einbezug von Assistance-Leistungen umsetzbar sind. Hier wird zum einen das Ziel verfolgt, sich durch die Leistung von den Wettbewerbern abzuheben und zum anderen die Kostenbelastungen auf ein kompetitives Niveau zu senken. Des Weiteren wird der ‚Kunde von morgen‘ durch die veränderten Rahmenbedingungen neue Lösungsansätze brauchen. Diese Ausarbeitung soll zeigen, inwieweit die Akzeptanz dieser Leistungen bereits in der Gesellschaft bereits vorhanden ist.

1 Definition des Begriffes ‚Assistance‘

Eine detaillierte Begriffserklärung ist als Ausgangspunkt für den Fortgang der Arbeit erforderlich, da es sich bei ‚Assistance‘ nicht um einen definitorisch feststehenden Ausdruck handelt. Die Bezeichnung Assistance hat sich auf Kundenseite noch nicht vollkommen durchgesetzt, so dass viele Anbieter das Wesen dieses Gedankens mit verschiedenen Umschreibungen greifbar machen möchten. Im Folgenden wird auf die linguistische, juristische und ausschlaggebende versicherungstechnische Definition eingegangen, um das Verständnis für Assistance umfassend zu generieren.

1.1 Die linguistische Definition

Der Begriff ‚Assistance‘ wird im praktischen Sprachgebrauch französisch ausgesprochen. Trotz der Dominanz der englischen Sprache, wird der Begriff nicht nur im Versicherungs-wesen international in Europa verwendet. Es steht für eine umfassende Form der Hilfeleistung. Übersetzt man ‚Assistance‘ wörtlich ins Deutsche, hat es unter anderem die Bedeutung von Beistand, Nothilfe und Unterstützung. Ursprünglich stammt das Wort aus der lateinischen Sprache, wo ‚assistere‘ soviel wie helfen oder beistehen bedeutet.[2]

1.2 Die juristische Definition

Eine juristische Definition von Assistance-Leistungen befindet sich in der EG-Richtlinie 84/641/EWG vom 10. Dezember 1984. In der deutschsprachigen Fassung dieser Richtlinie wird Assistance mit ‚Beistandstätigkeit‘ übersetzt, was der obigen linguistischen Definition entspricht. In Artikel 1 Absatz 2 dieser Richtlinie werden Beistandsleistungen dadurch charakterisiert, dass sie Personen zugute kommen sollen, die nach vorheriger Zahlung einer Prämie in Abwesenheit von ihrem Wohn- oder ständigen Aufenthaltsort in Schwierigkeiten gekommen sind. Dabei können Hilfeleistungen sowohl in Geld- als auch in Naturalleistungen erbracht werden. Ermöglicht wird ebenfalls der Einsatz von eigenem Personal und Material des Leistungserbringers. Der Erlaß dieser Richtlinie führte dazu, dass Assistance-Leistungen am 1. Januar 1987 unter der Bezeichnung ‚Beistandsleistungen‘, als 18. Versicherungszweig Aufnahme in das Versicherungsaufsichtsgesetz fanden.[3] Bezog sich die EG-Richtlinie nur auf Personen, die sich in Abwesenheit von ihrem Wohnort in Schwierigkeiten befinden, geht das VAG weiter und bezieht auch Schwierigkeiten „unter anderen Bedingungen, sofern diese Risiken nicht unter andere Versicherungssparten fallen“[4], mit ein.

1.3 Versicherungstechnische Definition

Der relativ neue Begriff ‚Assistance‘ beinhaltet ein Spektrum von Dienstleistungen, das seit den 60er Jahren, ausgehend von Frankreich, historisch gewachsen ist. Assistance-Leistungen haben sich in Deutschland vor allem in der Versicherungsbranche, basierend auf dem Hintergrund der Liberalisierung des europäischen Binnenmarktes seit den 90er Jahren, etabliert. Dies darf als Reaktion auf ausländische Angebote und des in diesem Sektor schon lange tätigen ADAC im Sinne von ‚me-too-Konzepten‘ interpretiert werden.[5] Dieter Farny beschreibt Assistance-Geschäfte als Hilfs-, Beistands-, Notfall-, Problemlösungs- und Serviceleistungen in bestimmten Situationen, bei denen es hauptsächlich darum geht, unmittelbar und unbürokratisch rund um die Uhr zu helfen.[6] Die Dienstleistung besteht in der Unterstützung des Kunden in technischen, medizinischen, juristischen und sonstigen Angelegenheiten sowie der sofortigen Kostenübernahme-Zusage gegenüber den Leistungserbringern.[7] „Die Leistungen der Assistance werden als Naturalleistungen erbracht. Unter einer Naturalleistung ist dabei eine Art von Versicherungsleistung zu verstehen, die nicht in Geld besteht.“[8] Die weltweite Erreichbarkeit, die rund um die Uhr gewährleistet ist, stellt die Grundvoraussetzung für die Assistance-Arbeit. Als Medium der ‚Notrufzentralen‘ wird meist das Telefon genutzt.

Derzeit werden die meisten Assistance-Leistungen als komplementäre Leistungserweiterung oder Ergänzung des Kernproduktes ‚Versicherung‘ angeboten. Sie stellen eine Diversifikation des Leistungsprogramms dar. Die Diversifikation beinhaltet die gezielte Ausweitung des Leistungsprogrammes von Produkten. Diese Bestandteile stellen nicht direkt Versicherungs- bzw. Kapitalanlageprodukte dar, sondern werden als sonstige Sortimentsteile klassifiziert.[9] Mit der Sortimentsausweitung um Assistance- Leistungen werden horizontale Diversi-fikationen vorgenommen, indem die vorhandenen Produkte um Leistungen ergänzt werden. Assistance-Leistungen lassen sich jedoch nicht ausschließlich als Bestandteile des sonstigen Sortiments zusammenfassen, sondern können auch einen eigenen Versicherungszweig darstellen und somit Kernleistungen eines Produktes ausmachen (z.B. Schutzbrief-versicherungen).

Assistance-Leistungen sind versicherungstechnisch noch differenzierter zu betrachten. Hierbei ist zunächst die Unterscheidung nach dem Leistungsumfang der Assistance zu treffen. Diese kann in vier wesentliche Leistungsstufen unterteilt werden. Die Komplexität der Leistungserbringung sowie der Umfang der Unterstützung steigen mit jeder Stufe graduell an. Die reine Informationsgebung und die Beratung in speziellen Angelegenheiten bzw. Lebenslagen bilden die erste und zweite Stufe. Hierbei handelt es sich im Wesentlichen um die Hilfe zur Selbsthilfe. Die dritte Stufe umfasst die konkrete Handlung oder Hilfe durch Beratung und Organisationstätigkeit. Da der Assisteur diese zeitintensiven Handlungen nicht allein durchführen kann, bedient er sich meist der Hilfe spezialisierter Unternehmen wie z.B. Handwerkern. Eine Zusage der Kostenübernahme beinhaltet dieser Leistungsumfang nicht. Die Leistung erfolgt ausschließlich durch eine Soforthilfe in Form von beratenden und organisatorischen Tätigkeiten. Die anfallenden Kosten des externen Dienstleisters übernimmt der Kunde selbst. Die vierte und letzte Stufe unterscheidet sich nunmehr durch die Übernahme und Erstattung der angefallenen Kosten zur Wiederherstellung des Ursprungszustandes.[10] Bezogen auf die Versicherungsbranche, kann hierbei auch gleich die Schadenregulierung erfolgen.[11] Die unterschiedlichen Leistungsintensitäten bilden den Gestaltungsraum jeglicher Assistance-Möglichkeiten ab.

Die Vielseitigkeit des Assistance-Angebotes und ihre neusten Erscheinungsformen machen eine Abgrenzung nach Assistance-Kategorien nötig. Der Charakter dieser Hilfsleistung hat sich in den vergangenen Jahren weiterentwickelt. Hierbei wird die klassische von der modernen Assistance unterschieden. Diese beiden Hauptformen werden in den folgenden Unterkapiteln gesondert vorgestellt. Die spezielle Unterscheidung ist für das bessere Verständnis der nachfolgenden Untersuchung von großer Bedeutung. Sie zeigt die Entwicklung, die jene Form der Leistungserbringung durchlaufen hat. Zudem lassen sich so die Aktualität und das noch vorhandene Potential erkennen, welches in Zukunft genutzt werden kann.

Die Leistungsart und -komplexität ist unterschiedlich kombinierbar. Die einzelnen Produktkombinationen sollen in dieser Arbeit nicht zum Gegenstand werden. Sie erzeugen keinen Nutzen für das Ziel der untersuchten Thematik.

1.3.1 Klassische Assistance

Der klassische Grundgedanke ist das Angebot der Allgemeinen Assistance. Diese schaffte die Grundvoraussetzung für alle übrigen Assistance-Leistungen. Sie beinhaltet die ständige telefonische Erreichbarkeit des Anbieters. Die klassische Assistance ist fast ausschließlich als Bestandteil eines Versicherungsproduktes vorzufinden. Ihre Koppelung findet meist mit Versicherungsleistungen in bekannten Standardprodukten des Massenversicherungsgeschäftes statt. Als bekannteste Bereiche sind technische, medizinische, juristische und touristische Assistance im Angebot der Versicherer vorzufinden. Der Versicherer arbeitet mit eigenen oder externen spezialisierten Assistance-Unternehmen zusammen. Diese Unternehmens-partner informieren, beraten bzw. koordinieren und organisieren die sofortige Beistands-leistung über den telefonischen Kontakt mit den Kunden. Durch die vertragliche Festlegung der Hilfeleistungen stehen dem Versicherungsnehmer keine Ansprüche bezüglich des Wahlrechts eines anderen Assisteurs zu. Innerhalb der unternehmerischen Praxis dominiert die klassische Assistance-Variante. Jene Ausrichtung ist durch die inhaltliche Nähe dieser Leistungen zum Versicherungsgeschäft zu erklären.

Als weitere Leistung kann durch die Assistance-Gesellschaft auch die komplette administrative Bearbeitung von Schadenfällen übernommen werden. Diese Möglichkeit ergibt sich besonders im Bereich der Kraftfahrzeugbranche. Durch die entsprechende Wissensbasis können im Business-to-Business-Bereich Benennung und Vermittlung von Vertrags-werkstätten durch die Assisteure ermöglicht werden.[12] Die Nutzung des aktiven Schaden-managements steht in diesem Zusammenhang jedoch noch nicht im Vordergrund.[13] Dieses Management bezeichnet die Erweiterung der Schadenbearbeitungsfunktion.[14] Es handelt sich hierbei vielmehr um Informations- und Koordinierungshilfen der Leistungsintensitätsstufe ‚eins‘.

1.3.2 Moderne Assistance

Im Gegensatz zur traditionellen Assistance hat die moderne Assistance einen eigenständigen Produktcharakter und kann als separate Dienstleistung angeboten werden. Diese Leistungen sind nicht mehr ausschließlich an Notfallsituationen gebunden, sondern können um diverse Servicefunktionen aus dem Alltagsleben erweitert werden. Hierbei wird von lateraler Diversifikation gesprochen.[15] Der Notfall wird bei moderner Assistance relativiert. Es werden aktuelle Bedürfnisse und Wünsche der Kunden in das Angebotsprogramm integriert. Jeglichen neuen Angeboten der Problembewältigungen und Dienstleistungen, steht die Tür der innovativen Leistungsergänzungen offen. Einen weiteren Unterschied zum klassischen Modell stellt die erhöhte Leistungskomplexität. Der moderne Assistance-Prozess endet nicht nach der Erledigung der Sofort-Hilfsmaßnahmen. Vielmehr dient dieser als Anstoß zur Steuerung des Reparatur-, bzw. Wiederherstellungsprozesses. Die Assistance begleitet den Prozess vom Schadeneintritt bis hin zur vollständigen Instandsetzung. Aktives Schaden-management wird somit genutzt. Der Vorgang wird nicht wie bei der klassischen Assistance aus den Händen gegeben. Die moderne Variante geht weit über die Assistance-Leistungen im ursprünglichen Sinne hinaus. Die umfassende Dienstleistung dient der vollständigen Problemlösung des Kunden.[16] Neben den Kerntätigkeiten, wie etwa der Organisation von Hilfsmaßnahmen, treten zusätzliche Aufgaben in den Vordergrund. Sie erreichen eine neue Auffassung von Dienstleistungen in der Versicherungswirtschaft. Die moderne Assistance befasst sich mit der Anforderung, qualifizierte ‚Komplett-Lösungen‘ zu kreieren.

Es wurde aufgezeigt, dass die klassische Assistance zwei bedeutende Weiterentwicklungen vollzogen hat. Auf der einen Seite wird die einstige telefonische Soforthilfe zu einem allumfassenden Dienstleistungsangebot gesteigert, auf der anderen Seite bewirken die Loslösung vom ersatzpflichtigen Versicherungsfall und die eigenständige Produktdarstellung einen immensen Gestaltungsraum des Anwendungsgebietes. Es lassen sich mittlerweile Assistance-Angebote auf nahezu alle Lebensbereiche ausdehnen.

2 Abgrenzungen

2.1 Abgrenzung von Assistance- zu Versicherungsleistungen

Eine Abgrenzung von Assistance und Versicherung ist nicht ohne weiteres vorzunehmen. Vergleicht man beispielsweise die bedarfstheoretische Versicherungsdefinition, wonach Versicherung als „Deckung eines im einzelnen ungewissen, insgesamt geschätzten Mittelbedarfs auf der Grundlage des Risikoausgleichs im Kollektiv und in der Zeit“[17] charakterisiert wird, stellt man fest, dass die klassischen Assistance-Leistungen dieser Definition sehr ähnlich sind. Bei ihnen geht es hauptsächlich darum, in objektiven Notfällen Hilfe zu leisten. Das Kriterium der Ungewissheit des einzelnen Notfalls ist gegeben. Da ein Versicherungs- oder Assistance-Unternehmen eine Vielzahl gleichartiger Risiken übernimmt, wird auch der Ausgleich im Kollektiv und in der Zeit gewährleistet. Unterschiede existieren jedoch bei dem Begriff des Mittelbedarfs. Bei der Assistance besteht ein Großteil der Leistungen darin, dem Betroffenen sofort und unbürokratisch konkrete Hilfe zu leisten und nicht wie bei Versicherungsleistungen anhand einer finanziellen Kostenerstattung. Die Art der Leistungserstellung im Schaden- bzw. Notfall scheint die bedeutendste Abgrenzung zwischen Assistance- und Versicherungsleistungen zu sein.[18]

Eine andere Abgrenzung von Assistance und Versicherung kann durch die Bestandteile des Versicherungsgeschäfts erfolgen. Zu diesem gehören neben den Kapitalanlagegeschäften, die bei Assistance-Produkten zu vernachlässigen sind, hauptsächlich das Risiko- und das Dienstleistungsgeschäft.[19] Der Anteil der einzelnen Bestandteile kann als Abgrenzungs-kriterium herangezogen werden. Während bei Versicherungen das Risikogeschäft deutlich überwiegt, ist das Verhältnis bei Assistance-Leistungen mit dem Dienstleistungsanteil genau umgekehrt. Wie groß die jeweiligen Teile jedoch sind, kann nicht genau bestimmt werden, so dass eine Abgrenzung fließend vorzunehmen ist (vgl. Abbildung 1, S. 9). Leistungen sind erst dann eindeutig zu den Assistance-Leistungen zu zählen, wenn der Risikoanteil auf Null gesunken ist, da eine Versicherung immer einen Risikoanteil enthält.[20] Deutlicher wird der Unterschied bei den modernen Assistance-Leistungen. Diese sind nicht mehr direkt an das Eintreten eines objektiven Notfalls gebunden. Sie bieten hingegen in subjektiven Notlagen Hilfe an. Diese Leistungen dienen nicht mehr als Notfall-Hilfe, sondern zur Steigerung des Komforts im Alltag. Das Kriterium der Ungewißheit fällt weg.[21]

Der Kunde kann die Inanspruchnahme dieser Leistung subjektiv beeinflussen. Eine exakte Abgrenzung ist demzufolge nicht für jede Art der Assistance möglich. Es lässt sich jedoch feststellen, dass sich die Assistance hauptsächlich in der Leistungserbringung von der Versicherungsleistung unterscheidet. Zudem überwiegt bei den meisten Assistance-Leistungen, vor allem aber bei der modernen Assistance, der Dienstleistungscharakter.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Abgrenzung von Risiko- und Dienstleistungsgeschäft[22]

Ein anderer Erklärungsansatz ist das 3-Ebenen Konzept des Versicherungsproduktes nach Haller. In diesem Modell wird der Aufbau eines Versicherungsproduktes in drei Sektoren unterteilt (vgl. Abbildung 2, S. 10). Die erste Ebene umfasst das eigentliche Kernprodukt, den

Versicherungsschutz. Sie stellt die Risikoübernahme, verbunden mit einem finanziellen Ausgleich im eingetretenen Schadenfall, dar. Auf der zweiten Ebene kommen die Kern-Marktleistungen hinzu. Jene beinhalten z.B. die Schadensbearbeitung und -abwicklung sowie die Beratungsfunktion. Sie bildet die Kernfunktion des Versicherungsproduktes. Für die Untersuchung stellt die dritte Ebene ‚Assistance-Leistungen‘ dar. Assistance kann mit dem Ausgangsprodukt (Ebene 1 und 2) verknüpft oder auch isoliert angeboten werden.

Auf diesem Plateau wird die Versicherungsdimension verlassen, bzw. eventuell durch versicherungsfremde Produkte und Dienstleistungen ergänzt. Der Kernbereich ‚Sichern durch Versicherung‘ wird hier durchbrochen und ‚stößt als Sortimentspolitik im weitesten Sinne in neuartige Dienstleistungsebenen‘ vor.[23] Diese erweiterte bedürfnis- bzw. funktionsorientierte Leistungsbetrachtung zeigt den Wandel vom Produktdenken hin zur Problemlösung für den Kunden. Über den klassischen Versicherungsschutz hinaus wird flexibler Gestaltungsraum gegeben, welcher für ‚Leistungseinbindungen‘ kaum Grenzen erkennen lässt.

Der Tätigkeitsbereich der Versicherer wird durch die umfassende Dienstleistungssicht ergänzt bzw. vervollständigt. Insbesondere die Öffnung des Leistungsfokus auf diese neuen Gebiete führt zu einer Relativierung der Bedeutung des Kernproduktes ‚Versicherungsschutz‘.[24]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Der erweiterte Produktbegriff[25]

Die modernen Assistance-Leistungen können sich bereits auf die Kern-Marktleistung, den Bereich des Schadenmanagements bzw. der -regulierung, beziehen. Organisation der Hilfeleistung sowie der Behebungsprozess selbst, gehören zum Tätigkeitsfeld der Netzwerk- und Partnerunternehmen der Versicherer. Die Teilleistungen der unterschiedlichen Ebenen fügen sich so zu einem sinnvollen ‚Systemgedanken‘ für den Kunden zusammen. Es ergibt sich ein auf seine Bedürfnisse oder Probleme zugeschnittenes ‚Ganzes‘.[26] Die Verschiebungen von den Bedeutungen der einzelnen Ebenen sind noch nicht in ihrem Ausmaß erfassbar. Jedoch lässt sich erkennen, dass die Vielzahl der verschiedenartigen Marktleistungen in Ebene drei, das Schadenmanagement und die neuen Möglichkeiten der Regulierungspraxis in der zweiten Ebene, vielleicht bald ein Problemlösungskonzept ‚mit Versicherung‘ darstellt.

Jedoch müssen rechtliche Grenzen beachtet werden. Die erste Beschränkung besteht hinsichtlich der Abgrenzung des Versicherungsgeschäftes zum versicherungsfremden Geschäft. In §7 Absatz 2 VAG lassen sich drei Geschäftsarten unterscheiden. Zunächst das Versicherungsgeschäft selbst und zum Zweiten versicherungsfremde Geschäfte im Zusammenhang mit Versicherungsgeschäften. Die dritte Art stellt versicherungsfremde Geschäfte ohne unmittelbare Verbindung des Absicherungsgeschäfts dar. Nur die Letztere ist verboten. Wenn sich jedoch für die Geschäftstätigkeit des Versicherungsunternehmens ein funktionaler, inhaltlicher oder historischer Zusammenhang herstellen lässt, so scheidet das Verbot des versicherungsfremden Geschäfts aus.[27] In diesem Rahmen kann dem innovativen Dienstleistungsangebot nachgegangen werden.

[...]


[1] Vgl. Tolle, M./ Greiner, W. (1999), S.1.

[2] Vgl. Krust, K .H. (1995), S.26.

[3] Vgl. Schobesberger, W. (1997), S. 1724.

[4] C.H. Beck´sche Verlagsbuchhandlung (Hrsg.) , (1997), Anlage zum VAG Abschnitt A, Nr.18b.

[5] Vgl. Esser, M. (2004), S. 3.

[6] Vgl. Farny, D. (2000), S. 350.

[7] Vgl. Schobesberger, W. (1997), S. 1724.

[8] Esser, M. (1999), S. 14.

[9] Vgl. Farny, D. (2000), S. 484.

[10] Vgl. Schobesberger, W. (1997), S. 1725.

[11] Vgl. Silbernagel, K. (1992), S. 56.

[12] Vgl. Silbernagel, K. (1992), S. 56; Esser, M. (2004), S.82.

[13] Vgl. Buhl, A. (2003), S. 137.

[14] Vgl. Farny,D. (2000), S. 624.

[15] Vgl. Esser, M. (2004), S. 240.

[16] Vgl. Buhl, A. (2003), S.137.

[17] Farny, D. (2000), S. 8.

[18] Vgl. Tolle, M./ Greiner, W. (1999), S. 5.

[19] Vgl. Farny, D. (2000), S. 22.

[20] Vgl. Tolle, M./ Greiner, W. (1999), S. 5.

[21] Vgl. Immhoff, J. (1993), S. 15.

[22] Entnommen aus: Tolle, M./ Greiner, W. (1999), S.5.

[23] Vgl. Haller, M. (1988), S. 566.

[24] Vgl. Ehler, B. (1999), S. 77.

[25] Mit Änderungen entnommen aus: Haller, M. (2000) S. 282.

[26] Vgl. Jara, M. (2000), S. 36.

[27] Vgl. Entzian, T. (1999), S. 83ff.

Ende der Leseprobe aus 71 Seiten

Details

Titel
Assistance-Leistungen in der Versicherungswirtschaft. Die Zukunft des Marktes?
Untertitel
Eine Analyse aus Kunden- und Unternehmenssicht
Hochschule
Duale Hochschule Baden-Württemberg, Karlsruhe, früher: Berufsakademie Karlsruhe
Note
1,8
Autor
Jahr
2006
Seiten
71
Katalognummer
V64082
ISBN (eBook)
9783638569781
ISBN (Buch)
9783638934879
Dateigröße
818 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Assistance-Leistungen, Versicherungswirtschaft, Zukunft, Marktes, Eine, Analyse, Kunden-, Unternehmenssicht
Arbeit zitieren
Jasmin Bauer (Autor:in), 2006, Assistance-Leistungen in der Versicherungswirtschaft. Die Zukunft des Marktes?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/64082

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