Integration der Migranten in Deutschland


Magisterarbeit, 2006

104 Seiten, Note: 2,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

2. Migration
2.1 Eine Definition
2.2 Art und Ursache von Migration

3. Migrantengruppen
3.1 Arbeitsmigranten
3.1.1 Arbeitsmigration bis 1945
3.1.2 Arbeitsmigration nach 1945
3.1.3 Die türkischen Arbeitsmigranten
3.2 Aussiedler
3.2.1 Deutsche in der Sowjetunion
3.2.2 Deutsche in Polen
3.2.3 Deutsche in Rumänien

4. Integration
4.1 Eine Definition
4.2 Integrationstheorien
4.2.1 Integrationstheorien von Gordon und Eisenstadt
4.2.2 Integrationstheorie von Hartmut Esser
4.2.2.1 Die Eingliederung aus Sicht des Wanderers

5. Die Ausländer- und Integrationspolitik Deutschlands
5.1 Die Aufgaben der Ausländerpolitik
5.2 Die Notwendigkeit der Integrationspolitik
5.3 Die Notwendigkeit der Einbürgerung
5.4 Die Geschichte des Ausländergesetzes
5.5 Bestimmungen des Ausländergesetzes bis 2004
5.6 Das Zuwanderungsgesetz
5.6.1 Förderung der Integration
5.6.2 Einbürgerung
5.7 Maßnahmen zur Integration von Migranten

6. Gesetzliche Bestimmungen für Aussiedler
6.1 Gesetzliche Bestimmungen zur Regelung der Aussiedlerzuwanderung
6.2 Das Bundesvertriebenengesetz (BVFG)
6.3 Der Einbürgerungsprozess
6.4 Der Sprachtest
6.5 Die Wohnortzuweisung

7. Voraussetzungen zur Integration seitens der Migranten
7.1 Sprachkenntnisse
7.2 Soziale Beziehungen
7.3 Wohnsituation
7.4 Schulische Bildung
7.5 Berufliche Bildung und Berufstätigkeit
7.6 Bleibeabsicht

8. Fazit

9. Literaturverzeichnis

Anhang

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Aussiedlerzuzug nach Herkunftsländern 1950-2004

Abbildung 2: Aussiedlerzuwanderung 1951-1988

Abbildung 3: Aussiedlerzuwanderung 1986-2001

Abbildung 4: Deutschkenntnisse (Verstehen) nach Altersgruppen

Abbildung 5: Ethnische Zusammensetzung der Wohngegend

Abbildung 6: Wohnsituation im Zeitvergleich 1999 bis 2002

Abbildung 7: Heimatverbundenheit nach Rückkehrabsicht

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Typologie der Migration nach William Petersen

Tabelle 2: Begriffliche Dimensionen der Eingliederung von Wanderern

Tabelle 3: Kommunikationsverhalten im Alltag/Altersgruppen

Tabelle 4: Die Sprachpraxis der vor dem 1.1.1993 eingereisten Aussiedler

Tabelle 5: Die Sprachpraxis der zwischen dem 1.1.1996 und dem 28.2 eingereisten Aussiedler

Tabelle 6: Ethnische Zusammensetzung der Wohngegend nach bestehenden Kontakten in der Nachbarschaft und nach Wunsch nach mehr Kontakten zu Deutschen

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

„Eine Weltkarte. Schwärme von blauen und roten Pfeilen, die sich zu Wirbeln verdichten und gegenläufig wieder zerstreuen. Unterlegt ist dieses Bild mit Kurven, die farbig getönte Zonen verschiedenen Luftdrucks voneinander abgrenzen“ (Enzensberger 1992: 9).

Diese blauen und roten Pfeile auf einer Wetterkarte sind mit Migrationsströmen zu vergleichen. Sie führen unter anderem auch nach Deutschland. Durch die zu- nehmenden Wanderungen hat sich das Gesellschaftsbild Deutschlands verändert. Seit dem Zweiten Weltkrieg ist die Bundesrepublik Deutschland durch Wande- rungsbewegungen geprägt. Im Jahre 2004 lebten 6,7 Millionen Ausländer in Deutschland. Das sind 8,1% der deutschen Bevölkerung (vgl. BAMF (Hrsg.) 2004: 71). Hinzu kommt eine große Anzahl an Aussiedlern. Seit 1950 kamen über 4,5 Millionen Deutschstämmige aus den ost- und südosteuropäischen Staaten nach Deutschland (vgl. Focus Migration 2005). Trotz rückgängiger Zuwanderungszah- len wird Deutschland auch in Zukunft ein Land mit hohem Ausländer- und Aus- siedleranteil sein.

Der in der Arbeit behandelte Begriff „Migration“ bezeichnet den Wechsel des Wohnortes auf unbestimmte Zeit. Mit der genaueren Darstellung des Migrationsbegriffs wird eine Grundlage für alle weiteren Punkte, die im Verlauf der Arbeit behandelt werden, geschaffen. Die Migration lässt sich in verschiedene Arten unterscheiden, die jeweils mit unterschiedlichen Ursachen in Verbindung gebracht werden können. Dies wird anhand von einzelnen Theorien belegt.

Die Integration von Migranten wird an zwei Einwanderergruppen analysiert. Gastarbeiter und Aussiedler werden nebeneinander betrachtet und miteinander verglichen. Der wirtschaftliche Aufschwung in Deutschland und die darauf fol- genden Anwerbeabkommen führten eine große Zahl an Arbeitsmigranten nach Deutschland. Anhand der Gastarbeiter wird eine Gruppe dargestellt, die einen großen Anteil der Ausländer ausmacht. Sie sind mit der festen Absicht nach Deutschland gekommen, nach einer gewissen Zeit wieder in ihre Heimat zurück- zukehren. Sie selbst, wie auch die Deutschen, sahen seinerzeit keine Notwendig- keit für Integrationsmaßnahmen. Die Gastarbeiter werden durch die Gruppe der Türken dargestellt. Die seit 1961 angeworbenen Arbeitskräfte und zahlreiche Zu- züge von Familienangehörigen sowie die geringen Rückkehrzahlen machen die türkischstämmigen Zuwanderer zu der größten Gruppe der ausländischen Bevöl- kerung in Deutschland. Mit 1.764.318 Personen betrug der Anteil der in Deutschland lebenden Türken im Jahre 2004 gut 26% des gesamten Ausländeranteils (vgl. BAMF (Hrsg.) 2004: 75).

Der größte Teil der türkischen Bevölkerung lebt heute in Nordrhein-Westfalen. Insgesamt beheimatet dieses Bundesland knapp ein Drittel aller in Deutschland lebenden Türken. Nach Nordrhein-Westfalen folgt Baden-Württemberg; hier le- ben 17% aller Türken (vgl. www.zft-online.de am 14.03.2006). Dies zeigt, dass die herangezogene Studie über die türkische Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen als repräsentativ gelten kann.

Die in den 50er und 60er Jahren zugewanderten Gastarbeiter waren Gäste, die nach einer gewissen Zeit wieder in ihre Heimat zurückkehren wollten. Als sich abzeichnete, dass sie nicht mehr in ihre Heimat zurückgehen würden, wurden aus den Gästen Fremde. Der Status des Fremden ist mit einer Zwitterstellung verbunden. Denn Fremdsein bedeutet einerseits die Nähe zu Einheimischen, andererseits fehlt die Zugehörigkeit zur Gesellschaft.

An dieser Stelle ist die Betrachtung der Aussiedler besonders interessant. Einerseits sind sie aus Sicht des Staates Deutsche (Einheimische), andererseits haben sie häufig einen anderen kulturellen Hintergrund sowie eine andere Geschichte und sind somit fremd. Sie sind zwar deutsche Staatsbürger und erhalten die gleichen Rechte und Sozialleistungen wie andere Deutsche, jedoch gelten sie in der Gesellschaft meist als Ausländer.

Die Geschichte der Aussiedler beginnt mit der Aussiedlung von Deutschen in die osteuropäischen Gebiete. Die Nachfahren der schon zum Teil seit 900 Jahren in Osteuropa lebenden Deutschen kommen heute als Aussiedler nach Deutschland. Diskriminierung und Unterdrückung brachte viele Deutschstämmige, vor allem zum Ende der 80er bis zu Beginn der 90er Jahre, aus der ehemaligen Sowjetunion, Polen und Rumänien nach Deutschland. Jede Gruppe aus den einzelnen Her- kunftsländern weisen unterschiedliche Auswanderungsgründe und Ausreisezeit- punkte auf.

Hauptsächlich werden die Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion in dieser Arbeit als Beispiel zugrundegelegt. Sie machen die größte Gruppe der in Deutschland lebenden Aussiedler aus und platzieren sich mit ihrem „Deutschsein“ zwischen den Rumänen und Polen.

Hartmut Esser hat mit seiner Eingliederungstheorie ein Modell entwickelt, bei dem Fremde im Idealfall zu Einheimischen werden können. Er betrachtet den Wanderungsprozess und die folgende Eingliederung von Migranten in die Auf- nahmegesellschaft. Für seine Theorie bieten die Erkenntnisse von Milton M. Gor- don und Shmuel N. Eisenstadt die Grundlage. Esser verbindet beide Theorien miteinander und ergänzt sie in einigen Punkten. In der folgenden Arbeit wird Es- sers Begriff der Eingliederung außerhalb seiner Theorie mit dem Begriff der In- tegration gleichgesetzt.

Mit der Vorstellung der Ausländer- und Integrationspolitik wird dem Integrati- onsprozess ein bestimmter Rahmen geboten. Durch politische Bestimmungen werden Vorgaben aber auch Hilfestellungen für die Integration gegeben. Die zu- nehmende Zahl an Migrationsbewegungen erfordert eine Ausländerpolitik, die sich auch mit dem Thema Integration befasst. Die lange Geschichte der Auslän- derpolitik in Deutschland stellt den unterschiedlichen Umgang mit der Zuwande- rung von Ausländern und deren Leben in Deutschland dar. Vor allem die Be- schreibung des Ausländergesetzes bis 2004 steht in Zusammenhang mit der später beschriebenen Integration von Migranten in Deutschland. Das im Jahre 2005 in Kraft getretene Zuwanderungsgesetz zeigt, dass bis zu diesem Zeitpunkt noch keine ausreichende Ausländer- und Integrationspolitik gemacht wurde. Verbesser- te Regelungen der Zuwanderung und Integration sollen Migranten in Deutschland eine bessere Eingliederungsmöglichkeit und Lebensqualität bieten. Vor allem neue Maßnahmen für eine bessere Integration wirken hier unterstützend.

Die gesetzlichen Regelungen für Aussiedler weichen auf Grund ihrer besonderen Stellung von denen für Ausländer ab. Unterschiedliche Aussiedlerzahlen machen ständige Gesetzesänderungen notwendig. Das Bundesvertriebenengesetz regelt den Aussiedlungsvorgang von der Antragsstellung bis zur Einbürgerung. Besondere Beachtung finden die gesetzlichen Regelungen zum Einbürgerungsprozess, dem Sprachtest und der Wohnortzuweisung.

Die Aufgabe der Politik aber auch der Gesellschaft besteht nun darin, aus den Fremden Freunde zu machen.

Anhand von sechs verschiedenen Aspekten, wie beispielsweise Sprachkenntnisse oder Schulbildung werden die beiden Migrantengruppen miteinander verglichen. Die Theorie Essers verdeutlicht die Bedeutung der einzelnen Punkte.

Nach Zusammenfassung der sechs Integrationsmerkmale ist der Integrationsgrad der beiden Migrantengruppen festzustellen. Sind Türken und Aussiedler zu glei- chen Teilen integriert oder sind Unterschiede zwischen diesen beiden Gruppen zu erkennen?

Die folgende Arbeit wird sich mit diesem Prozess beschäftigen. Sie wird die Vor- gehensweise der Politik zu einer erfolgreichen Integration von Migranten darstel- len und überprüfen, ob eine erfolgreiche Integrationspolitik durchgeführt wird. Anhand von unterschiedlichen Aspekten, wird die Integration der Migranten er- mittelt.

2. Migration

2.1 Eine Definition

„Migration“1 ist ein sehr weitgefasster und komplexer Begriff. Aus dem Lateini- schen abgeleitet von „migratio“ bedeutet er Wanderung. Ob bei dieser Wanderung kurze oder nur weite Strecken zurückgelegt werden, ob es einen dauerhaften oder nur einen temporären Wohnortwechsel gibt oder ob die Wanderung freiwillig oder unfreiwillig erfolgt, ist durch den Begriff der „Migration“ nicht genau festgelegt (vgl. Han 2005: 7ff). Erschwerend kommt hinzu, dass die Migration schon seit Beginn der Menschheit existiert. Bestand einst das Leben aus ständiger Wande- rung und einem „nicht sesshaft“ sein (dieses gilt nach vielen Definitionen als Mig- ration), hat sich mit der Zeit die Migration von einer Lebensform zu einem Ereig- nis im Lebenslauf reduziert (vgl. Pries 2001: 5).

Die Sozialwissenschaften bezeichnen die Migration als „Bewegungen von Perso- nen und Personengruppen im Raum (spatial movement) [...], die einen dauerhaf- ten Wohnortwechsel (permanent change of residence) bedingen“ (Han 2005:7). Eine weitere Bedingung ist, dass Grenzen einer politischen Gemeinde überschrit- ten werden.

Rudolf Heberle beschreibt den Begriff der „Wanderung“ als jeden Wechsel des Hauptwohnsitzes. Hierbei ist es unwichtig, ob es sich um einen freiwilligen oder unfreiwilligen Wechsel handelt oder ob er auf Dauer stattfindet oder nur vorüber- gehend ist. Jedoch muss die Gemeindegrenze überschritten werden und es darf keine Rückkehrabsicht zum alten Wohnsitz vorliegen. Wanderarbeiter, Landstrei- cher und Saisonarbeiter werden mit in den Begriff der Wanderer hineingenommen (vgl. Heberle 1955: 2).

Ludger Pries definiert Migration als „einen Wechsel von einem nationalstaatli- chen ‚Container’ in einen anderen“ (Pries 2001: 5). Voraussetzung hierbei ist, dass der Wohnort auf unbestimmte Zeit gewechselt wird (vgl. ebd.: 5). Bei Betrachtung der Definition „Wanderung“ von Günter Albrecht lässt sich fest- stellen, dass es sich um „die Ausführung einer räumlichen Bewegung, die einen vorübergehenden oder permanenten Wechsel des Wohnsitzes bedingt, einer Ver- änderung der Position also im physischen und im ‚sozialen Raum’“ (Albrecht 1972: 23) handelt (vgl. ebd.: 23).

Die Empfehlung der UN bezeichnet alle Personen als Migranten, die für mindes- tens ein Jahr ihren Hauptwohnsitz in ein anderes Land verlegen (vgl. IOM 2003: 296).

In allen aufgeführten Definitionen von Migration ist von einer „geographischen Mobilität“ (Albrecht 1972: 23) die Rede. Da die Migration Einfluss auf die Ver- änderung der sozialen Stellung hat, ist zu überlegen, ob auch von einer sozialen Mobilität gesprochen werden kann. Einen Zusammenhang zwischen sozialer Mo- bilität und Migration stellt Pitirim A. Sorokin in seiner Theorie her. Er betrachtet die Gesellschaft als sozial geschichtet (social stratificatet).2 Sorokin unterteilt die Bevölkerung in hierarchische Schichten mit unterschiedlich umfangreichen Privi- legien. Neben zahlreichen Formen der sozialen Schichtungen konzentriert er sich im Wesentlichen auf die politische, ökonomische und berufliche Stratifikation (vgl. Sorokin 1964: 11). Unter dem Begriff der sozialen Mobilität (social mobili- ty) versteht Sorokin die Bewegung eines Individuums in einem sozialen Raum (social space), mit der die soziale Position (social position) verändert wird. Die soziale Mobilität lässt sich in zwei grundlegende Typen unterteilen - die horizon- tale und die vertikale Mobilität (vgl. ebd.: 133).

By social mobility is understood any transition of an individual or social object or value - anything that has been created or modifies by human activity - from one social position to another. There are two principal types of social mobility, horizontal or vertical (ebd.: 133 Hervorhebung im Original).

Die horizontale Mobilität (horizontal mobility) beschreibt den Wechsel der sozia- len Gruppe, die auf gleicher Ebene angesiedelt ist. Die soziale Position wird je- doch beibehalten. Als Beispiel kann hier der Umzug von einer Stadt in eine ande- re genannt werden. Unter vertikaler Mobilität (vertical mobility) versteht man den Wechsel der sozialen Schicht (social stratium). Hier liegen die Möglichkeiten des sozialen Aufstiegs (social climbing) oder sozialen Abstiegs (social sinking) vor. Der Aufstieg kann in zwei Arten erfolgen. Entweder dringt das Individuum aus einer niederen Schicht in eine höhere ein oder es bildet sich eine Gruppe, die sich in die höhere Schicht einfügt. Beim Abstieg verläuft es ähnlich. Entweder findet der Abstieg eines einzelnen Individuums oder einer gesamten Gruppe statt. Der

Aufstieg wie auch der Abstieg benötigt unterschiedliche Zeitspannen und die Dis- tanz zur vorherigen Position ist jeweils unterschiedlich. Dieser Wechsel der Schichten kann durch verschiedene Faktoren hervorgerufen werden. Als wichtigs- te sieht Sorokin vor allem politische, ökonomische und berufliche Faktoren (vgl. ebd.: 133f).

Sorokin unterscheidet in seiner Theorie die Gesamtheit (universe) in einen geo- metrischen und einen sozialen Raum. Innerhalb dieser Gesamtheit hat jeder Mensch eine feste Position die zu jedem anderen Menschen in einer Beziehung steht. Diese Positionen werden von Menschen selbst festgelegt. Beziehungsnetz- werke ermöglichen es, die genaue Position eines Menschen festzustellen. Perso- nen, die im geometrischen Raum eng beieinander sind, können im sozialen Raum weit voneinander entfernt sein, so zum Beispiel ein König und sein Diener. Eben- falls können im geographischen Raum distanzierte Menschen im sozialen Raum eng beieinander sein, wie Generäle gleichen Ranges, die jedoch in unterschiedli- chen Ländern stationiert sind (vgl. ebd.: 3ff).

Der soziale Raum ist in viele Dimensionen unterteilt, die streng voneinander abgegrenzt und nicht identisch sind. Um diese Dimensionen besser strukturieren zu können, wird eine Einteilung in vertikale und horizontale Dimensionen vorgenommen (vgl. ebd.: 7).

Die territoriale Mobilität (territorial mobility) bzw. die territoriale Migration (territorial migration) thematisiert Sorokin als eine besondere Form der horizontalen Mobilität (vgl. ebd.: 381f).

Pitirim A. Sorokin ist einer derer, die den Begriff „social mobility (soziale Mobi- lität) in die Fachsprache eingeführt haben. In seiner Theorie legt er den Schwer- punkt deutlich auf die vertikale Mobilität (Auf- und Abstieg von Individuen oder Gruppen innerhalb der sozialen Schichten) die im engeren Sinne mit sozialer Mo- bilität gleichgesetzt werden kann. Die horizontale Mobilität beschreibt den Wech- sel der sozialen Lage, der jedoch keinen sozialen Auf- oder Abstieg bedeutet. So- rokin schenkt der horizontalen Mobilität keine so ausführliche Beachtung. Zudem sieht er die geographische Mobilität als einen Unterpunkt der horizontalen Mobili- tät (vgl. Hoffmann 1976: 104).

Auf den Aspekt der Migration bezogen, steht zunächst der Wohnortwechsel, also die geographische Mobilität, im Mittelpunkt. Petrus Han kritisiert, „die Migration als eine Form der sozialen Mobilität zu bezeichnen“ (Han 2005: 20). Durch die Migration kann sich jedoch ein Auf- oder Abstieg im sozialen Raum vollziehen. Da durch eine unfreiwillige Migration die vertikale Mobilität eine nebensächliche Tatsache ist, darf die Absicht der sozialen Mobilität nicht als primäres Ziel der Migration gesehen werden. Hier ist es sinnvoll, eine Unterscheidung zwischen der geographischen und der sozialen Mobilität im Sinne der vertikalen Mobilität nach Sorokin zu machen (vgl. ebd.:20).

„Berücksichtigt man jedoch die Vielzahl von unfreiwillig erfolgenden Formen der Migration, bei der die Veränderung sozialer Positionen nur einen Nebenef- fekt darstellt, dürfte die primäre Zielsetzung der Migration nicht generell und nicht immer in der beabsichtigten Veränderung unbefriedigender sozialer Positi- onen der Migranten gesehen werden. [...] Die Migration als geographische Mo- bilität mit einem dauerhaften Wohnortwechsel ist daher von der sozialen Mobili- tät im Sinne der vertikalen Mobilität nach Pitirim A. Sorokin zu unterscheiden.“ (ebd.: 20)

2.2 Art und Ursache von Migration

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat sich eine Vielzahl von Migration- sarten entwickelt. Besonders durch ökonomische, soziale und politische Entwick- lungen wurden Migrationsbewegungen hervorgerufen. So haben die Veränderun- gen des Ostblocks, das partielle Auftreten der Apartheid in Südafrika, Kriege, Hungersnöte und Krisen in ganz Afrika, das stark ansteigende Wachstum und die Entwicklung Asiens, die Entwicklung von der diktatorischen Herrschaft zu insta- bilen demokratischen Systemen in Lateinamerika und die wachsende wirtschaftli- che und politische Integration Westeuropas dazu beigetragen. All dies ermöglicht es, die letzten Jahre des 20. Jahrhunderts und den Beginn des 21. Jahrhunderts als „age of migration“ (Castles und Miller 1998: 3) zu bezeichnen. Und auch im wei- teren Verlauf des 21. Jahrhunderts wird das Phänomen der Migration ein bedeu- tender Bestandteil des globalen Wandels bleiben. Ökonomische Ungleichheiten bewegen Menschen, ihre Heimat zu verlassen in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Politische, ökologische und demographische Probleme zwingen Men- schen, an einem anderen Ort Zuflucht zu suchen. Immer weiter ansteigende politi- sche und ethnische Konflikte in vielen Teilen der Welt sind Ursachen für eine Massenflucht. Und auch die Entstehung von neuen freien Handelszonen bewirkt Migration, unabhängig davon, ob es von den beteiligten Regierungen beabsichtigt ist oder nicht. Eine Folge dessen ist, dass alle Staaten der Erde immer häufiger von der internationalen Migration betroffen sein werden: sowohl als Einwanderungs- wie auch als Auswanderungsland (vgl. ebd.: 3f).

Die Beweggründe werden von Everett S. Lee als Push- oder Pull-Faktoren be- zeichnet. Werden die Migranten zur Auswanderung durch den Heimatort oder das Heimatland gezwungen, nennt man diese Faktoren Push-Faktoren (Druckfakto- ren). Verlassen Migranten ihren Heimatort oder ihr Heimatland in der Hoffnung, ein besseres Leben an einem anderen Ort zu beginnen, werden die Faktoren als Pull-Faktoren bezeichnet (Sogfaktoren). Mit der Entwicklung von modernen In- formations-, Kommunikations- und Transportmöglichkeiten haben die Push- und Pull-Faktoren weiter an Bedeutung zugenommen (vgl. Han 2005: 14ff).

Es ist schwierig, eine Auflistung der Gründe für Migrationsentscheidungen und den damit ausgelösten Migrationsbewegungen zu erstellen. Eine Ursache hierfür ist die Tatsache, dass „Migration“ ein sehr umfassender Begriff ist und selten mo- nokausal. Jede einzelne Ursache herauszufiltern, ist kaum möglich. Des weiteren können die jeweils unterschiedlichen historischen Kontexte, welche die jeweiligen epochalen Migrationsschübe einzelner Weltreligionen auslösen, nicht verallge- meinert werden. Zuletzt kann die Migrationsentscheidung nicht immer rational begründet werden. Besonders bei Massenbewegungen lassen sich Menschen oft- mals ohne rationale Gründe mitreißen (vgl. ebd.: 21f). Anstatt einer umfassenden Kausalanalyse der Migration werden in der Literatur meist „allgemeine und um- fassende strukturelle Bedingungen der jeweiligen Gesellschaft“ (ebd.: 25) ge- nannt. Hauptsächlich werden politische, ökonomische und ökologische Gründe aufgeführt. Ebenfalls spielen religiöse und soziokulturelle wie auch kriegerische und ethnische Bedingungen eine Rolle. All diese Faktoren verursachen den kom- plizierten Zusammenfall einzelner Ursachen der Migration wie auch für die wech- selseitigen Push-Pull-Beziehungen (vgl. ebd.:25).

Für die theoretisch-klassifikatorische Zusammenfassung unterschiedlicher Anläs- se der Migrationsbewegung, ist die Typologisierung der Migrationsformen von William Petersen ein Beispiel. Petersen kritisiert die psychologischen allgemeinen Aussagen (psychological universals), die Menschen in sesshaft oder wanderlustig unterteilen. „If wanderlust and what might be termed sitzlust are to useful as psy- chological universals, they do suggest a criterion for a significant distinction” (Pe- tersen 1958: 258). Er beabsichtigt vielmehr, anhand der individuellen Wunschvor- stellungen zu untersuchen, warum Menschen wandern bzw. sesshaft sind. Als Grundlage unterscheidet er zwei Migrationsursachen. Einen Anlass bezeichnet Petersen als innovating. Hier spielt der Wunsch etwas Neues zu erlangen eine Rolle. „Some persons migrate as a means of achieving the new” (ebd.: 258). Con servative bezeichnet er die Gegebenheit, dass Personen auf Grund von Veränderungen migrieren, um Altgewohntes wieder herzustellen.

„Others migrate in response to a change in conditions, in order to retain what they have had; they move geographically in order to remain where they are in all other respects” (ebd.: 258).

Auf diesen zwei Charakterisierungen baut Petersen fünf Migrationstypen auf - primitive, forced, impelled, free und mass migration (vgl. ebd.: 257f ). Die primitive migration wird durch ökologische Ursachen ausgelöst. Hierbei han- delt es sich nicht um die Migration primitiver Menschen, sondern es migrieren Personen, die gegenüber den Mächten der Natur hilflos sind. Da vor allem den Naturvölkern (primitive people) die technologische Entwicklung und damit die Möglichkeiten der Kontrolle der Naturmächte fehlt, werden durch diese meist die primitive migration ausgeführt. Häufig wird versucht, die alten Lebensgewohnhei- ten wieder neu aufzubauen. So sucht die Landbevölkerung Weideland auf, um die gewohnte Tätigkeit fortzuführen. Eine weitere Ursache für die primitive migration ist die Überbevölkerung. Leben zu viele Menschen an einem Ort, und herrscht ein Mangel an Nahrungsmitteln, sind Menschen gezwungen, sich einen neuen Wohn- ort zu suchen (conservative migration). Ziehen die Menschen in die Stadt (Land- flucht) handelt es sich um innovative migration, da diese Menschen bereit sind ihren Lebensstandard zu ändern. Petersen bezeichnet dies als flight from land. Neben dieser Gruppe existieren die Gruppen der Völker- und Seewanderer und der Sammler und Nomaden (vgl. ebd.: 259ff).

Für die Zwangsmigration ist der Auslöser der Staat bzw. ihm gleichgestellte funktionale soziale Institutionen. Petersen unterteilt die Zwangsmigration in zwei Punkte. Zum einen kann die Migration zwar erzwungen sein, jedoch haben die Migranten eine gewisse Möglichkeit zu eigenen Entscheidungen. Dies bezeichnet er als impelled migration. Forced migration bedeutet nach Petersen, dass den Migranten keine eigene Entscheidungsmacht gegeben wird.

„It is usefull to devide this class into impelled migration, when the migrants re- tain some power to decide whether or not to leave, and forced migration, when they do not have this power” (ebd.: 261 Hervorhebung im Original).

Es ist jedoch schwer festzustellen, wann den Migranten noch die Möglichkeit für eigene Entscheidungen zur Migration gegeben ist. Auch die Auslöser der Migrati- on lassen sich in zwei Typen unterscheiden. Besteht auf Seiten von Staat und Or- ganisationen die reine Absicht zur Vertreibung bestimmter Gruppen, nennt Peter- sen dies impelled migration. Diese ist gleichzusetzen mit der conservative migra- tion. Die Deportation von Juden in Arbeitslager, zur Zeit des Nationalsozialismus, kann als forced migration bezeichnet werden. Hier sollen Menschen nicht nur vertrieben, sondern an bestimmten Orten zwangsweise gezielt eingesetzt werden (vgl. ebd.: 226f).

Free migration umschreibt eine Migration, bei der die persönliche Entscheidung der Migranten eine zentrale Rolle spielt. Als ein historisches Beispiel für diesen Migrationstypus gilt die transatlantische Migration von Europa nach Nordamerika im 19. Jahrhundert. Petersen bezeichnet die freie Migration auch als pioneer mo- vement. Hierbei ziehen Pioniere in den damals noch fremden Kontinent Nordame- rika. Mit der Migration in die „Neue Welt“ machen die Pioniere überwiegend gute Erfahrungen. Durch die positiven Beschreibungen des neuen Lebens in Briefen und Zeitungsartikeln wird bei den Zurückgebliebenen ein „Amerika-Fieber“ aus- gelöst. Es kommt schließlich zu einer Vielzahl von Migrationsströmen (group migration) in die Neue Welt (vgl. ebd.: 263).

Dass Menschen auf der Suche nach neuen Lebensbedingungen freiwillig migrieren, ist eher selten. Jedoch haben diese Pioniere die Eigenschaft, dass sie Wege einschlagen, denen andere Personen folgen. Gelegentlich vergrößert sich der kleine Strom aus Verfolgern. Individuelle Migrationsursachen spielen bei dem Folgestrom eine eher untergeordnete Rolle. „Die Masse wird vom Migrationsfieber angesteckt.“ (Han 2005: 29). Dieses Phänomen wird als mass migration bezeichnet. Petersen unterscheidet wiederum den Begriff der Massenmigration in settle ment und urbanization (vgl. Petersen 1958: 263f ).

Tabelle 1: Typologie der Migration nach William Petersen (Quelle: Petersen 1958: 266)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Theorie von William Petersen bietet eine gute Zusammenfassung der Formen und komplexen Gründe für die Migration. Für eine theoretische Erfassung der Migrationsbewegungen seit 1945 ist diese Einteilung jedoch nicht mehr ausrei- chend. Mittlerweile haben sich die vielfältigen Ursachen, strukturellen Entste- hungsbedingungen und Erscheinungsformen der Migrationsbewegungen stark verändert, so dass man von einer Diversifizierung der Migrationsformen sprechen kann (vgl. Han 2005: 29f).

3. Migrantengruppen

3.1 Arbeitsmigranten

Die Arbeitsmigration ist nach dem Familiennachzug die zweitwichtigste Wande- rungsform. Sie tritt in unterschiedlichen Formen auf. Arbeitsmigranten kommen als ungelernte oder qualifizierte Arbeitskräfte, hochqualifizierte Techniker, Wis- senschaftler oder Manager in die Industrienationen, um dort dauerhaft oder befris- tet beschäftigt zu werden.

Häufig sind es ungelernte Saisonarbeiter, die in der Landwirtschaft, der Produkti- on oder im Dienstleistungsgewerbe des jeweiligen Industrielandes eingesetzt wer- den. Sie übernehmen Aufgaben, die von Einheimischen meist nicht ausgeführt werden, da sie für diese oft als zu schwer, zu schmutzig, zu gefährlich oder als zu niedrig bezahlt angesehen werden. Für die Wirtschaft haben die Arbeitsmigranten inzwischen eine große Bedeutung, weil ohne diese Arbeitskräfte bestimmte Wirt- schaftszweige nicht mehr konkurrenzfähig wären. In einigen europäischen Staaten gibt es deshalb Überlegungen, Möglichkeiten für eine dauerhafte, auf den Ar- beitsmarkt bezogene, Migration zu schaffen (vgl. Angenendt 2005).

3.1.1 Arbeitsmigration bis 1945

Schon Mitte des 17. Jahrhunderts ist eine frühe Form der Arbeitsmigration er- kennbar. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts sind schätzungsweise 15 Millionen Afri- kaner als Sklaven nach Amerika gebracht worden. Man hat sie dort im Bergbau und auf Plantagen eingesetzt. Nach Abschaffung der Sklaverei in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind die Sklaven durch Vertragsarbeiter ersetzt wor- den. Die Arbeitsverträge waren meist auf mehrere Jahre ausgerichtet und haben den Arbeitern meist keine Entscheidungsbefugnisse gelassen. So ist die Beendi- gung der Vertragsarbeit kaum möglich gewesen, da der Bruch des Arbeitsvertrags hart bestraft wurde. Die Lebensverhältnisse waren zum Teil noch schlechter als die der Sklaven. Jedoch hat die Vertragsarbeit den Menschen die Möglichkeit geboten, ihrer Armut und Unterdrückung in der Heimat zu entkommen. Nach Be- endigung ihres Vertrages haben die Arbeiter ihre Angehörigen nachholen können. Sie haben teilweise weiter auf großen Anwesen gearbeitet oder agierten als Vermittler zwischen der weißen herrschenden Klasse und der schwarzen Minderheit (vgl. Castles und Miller 1998: 53f).

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist auch Deutschland zum Einwande- rungsland für Arbeitsmigranten geworden. Der schnelle Aufschwung der Industri- alisierung in den 60er Jahren hat mehr Arbeitskräfte gefordert, als auf dem deut- schen Arbeitsmarkt zur Verfügung standen. Zunächst deckten die Zuwanderer aus dem Rheinland und Hessen den Bedarf an Arbeitskräften im Bergbau und in der Eisenindustrie ab. Mit Ausbreitung des Bergbaus in den 70er Jahren des 19. Jahr- hunderts haben jedoch die vorhandenen Arbeitskräfte nicht mehr ausgereicht.

Ein Geburtenüberschuss in den preußischen Provinzen verursachte dort eine höhere Arbeitslosigkeit. Der zeitgleich herrschende Arbeitskräftemangel im Ruhrgebiet konnte durch Zuwanderer aus Ostpreußen, Westpreußen, Posen und Oberschlesien abgedeckt werden. Folglich kam es zu einer Ost-West-Wanderung. Diese dauerte bis zum Ersten Weltkrieg. An dieser Stelle kann ein Bezug zur Theorie von Everett S. Lee hergestellt werden. Lee beschreibt den Arbeitskräfteüberschuss oder den Arbeitkräftemangel als Push- bzw. Pull-Faktor.

Mit der Zeit entstand in den preußischen Provinzen, vor allem in der Großlandwirtschaft, ein Mangel an Arbeitskräften, der vor allem durch den großen Abwanderungsstrom Richtung Westen verursacht wurde. Dieser Bedarf wurde durch polnische Saisonarbeiter, die in Russland lebten, abgedeckt.

Den deutschen folgten die polnischen Arbeitsmigranten in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts in das Ruhrgebiet. Ebenfalls wurden Personen aus der Steiermark wie aus Slowenien angeworben. Im Jahre 1910 lebten und arbeiteten ungefähr 1,2 Millionen Ausländer in Deutschland (vgl. Heckmann 1981: 146ff). In der Weimarer Republik ist ein starker Rückgang der Zahl der Arbeitsmigranten zu erkennen. 1932 wurde ein Tiefstand von 140.000 ausländischen Arbeitern ver- zeichnet (vgl. ebd.: 19).

Auch in der Zeit des Zweiten Weltkrieges ist die Beschäftigung ausländischer Arbeiter in Deutschland festzustellen. Zunächst wurde der Bedarf an Arbeitskräf- ten, wie schon in den Jahren vorher, durch Anwerbung polnischer Arbeiter abge- deckt. Kurz darauf kam eine große Zahl an polnischen Kriegsgefangen hinzu. Seit 1940 wurden Polen aus ihrer Heimat zwangsweise zur Arbeit nach Deutschland gebracht. Die Anwerbung polnischer Arbeiter mündete „seit dem Frühjahr 1940 in eine regelrechte Menschenjagd im sog. Generalgou- vernement [...], wo mit jahrgangsweisen Dienstverpflichtungen, kollektive Re- pressionen, Razzien, Umstellungen von Kinos, Schulen oder Kirchen Arbeits- kräfte eingefangen wurden. Bis zum Mai 1940 waren auf diese Weise mehr als eine Mio. polnische Arbeiter ins Reich gebracht worden“ (Herbert 1992: 355)

Wenn man an dieser Stelle einen Bezug zu William Petersens Theorie herstellt, kann diese Art der Zwangsmigration als forced migration bezeichnet werden. Aber schon ab Mai 1940 herrschte wieder ein Mangel an Arbeitskräften. Erneut wurden Kriegsgefangene aus anderen Staaten zur Arbeit eingesetzt. Insgesamt arbeiteten im Sommer 1944 etwa 7,8 Millionen Ausländer im Deutschen Reich. Davon waren 5,7 Millionen Zivilarbeiter und knapp 2 Millionen Kriegsgefangene. Hinzu kamen ca. 500.000 KZ-Häftlinge (vgl. ebd.: 354ff).

„Der nationalsozialistische ‚Ausländereinsatz’ zwischen 1939 und 1945 stellte den größten Fall der massenhaften, zwangsweisen Verwendung von ausländi- schen Arbeitskräften in der Geschichte seit dem Ende der Sklaverei im 19. Jahr- hundert dar“ (ebd.: 354).

3.1.2 Arbeitsmigration nach 1945

Die ersten Zuwanderungsströme nach dem Zweiten Weltkrieg bestanden aus deutschen Flüchtlingen und Vertriebenen. Die Vertreibung der Deutschen aus den ehemalig deutschen Gebieten, können nach Petersen als impelled migration be- zeichnet werden Nach der Gründung der beiden deutschen Staaten kamen bis zum Bau der Mauer 3,1 Millionen Deutsche aus Ost- nach Westdeutschland (vgl. Bade und Oltmer 2004: 71).

Schon in den 50er Jahren bestand trotz der großen Zahl an zugewanderten Deutschen ein Mangel an Arbeitskräften. Es begann die Zeit der Gastarbeiter. 1955 schloss die Bundesrepublik Deutschland das erste Anwerbeabkommen mit Italien. Innerhalb von zehn Jahren stieg die Zahl der Ausländer in Deutschland um 257.000 auf 329.000 im Jahre 1960 an. Durch die Verlängerung der Ausbildungszeit, das sinkende Rentenalter und den Babyboom, der die Erwerbsbeteilung der Frauen verringerte, stieg die Nachfrage an ausländischen Arbeitskräften. Der wichtigste Faktor für eine zunehmende Zuwanderung war jedoch das sogenannte „Wirtschaftswunder“ (vgl. Münz et al. 1997: 36f).

Dem Anwerbeabkommen mit Italien folgten im Jahre 1960 Abkommen mit Spanien und Griechenland. Ein Jahr später wurde das Anwerbeabkommen mit der Türkei geschlossen. Es folgten Marokko (1963), Tunesien (1964) und Jugoslawien (1968) (vgl. Bade und Oltmer 2004: 72).

Durch die zwischenzeitliche wirtschaftliche Stagnation in den Jahren 1966/67 kehrten viele der angeworbenen Arbeiter in die Heimat zurück. Zwischen 1968 und 1973 erreichte die Zuwanderung von Gastarbeitern ihren Höhepunkt. Im Jah- re 1973 lag die Zahl der ausländischen Beschäftigten bei 2,6 Millionen. Insgesamt lebten in diesem Jahr 4 Millionen Ausländer in Deutschland (vgl. Münz et al.1997: 37ff).

Ein Rotationsmodell, welches den fortwährenden Austausch von Arbeitern bein- haltete, wurde von Arbeitgebern zunehmend kritisiert, weil laufend neue Arbeiter eingestellt und damit angelernt werden mussten. Auch durch Beschwerden seitens einiger Herkunftsländer lockerte die Bundesregierung die Bestimmungen für eine Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung. Durch das Ausbleiben des Rotations- prinzips wurde den Arbeitsmigranten ein längerer Aufenthalt in Deutschland möglich. Dieses veranlasste sie vielfach, Familienangehörige nachzuholen. Die Ermittlung des Bedarfs an Gastarbeitern zur Abdeckung des Mangels auf dem deutschen Arbeitsmarkt wurde durch die zusätzliche Einwanderung von Famili- enangehörigen erschwert (vgl. ebd.: 40).

Im Oktober 1973 erfolgte der Anwerbestopp. Die Erkenntnis eines stetigen Rückgangs des Wirtschaftswachstums in Deutschland machte die Neuanwerbung von Gastarbeitern überflüssig (vgl. Bade und Oltmer 2004: 72).

Die Regelung, dass ausländische Arbeitnehmer nach einem temporären Aufent- halt in der Heimat nicht als Arbeitsmigranten nach Deutschland zurückkehren konnten, veranlasste viele in Deutschland zu bleiben. Die Zahl der ausländischen Erwerbstätigen sank. Sie betrug 1989 jedoch immer noch 1,8 Millionen. Durch den erhöhten Familiennachzug stieg die Zahl der Ausländer auf 4,9 Millionen (vgl. ebd.: 73).

In den Jahren 1990 und 1991 kam es erneut zu einem wirtschaftlichen Auf- schwung, der wiederum die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte notwendig machte. Die angeworbenen Arbeitsmigranten stammten nun überwiegend aus Osteuropa. Sie kamen als Saisonarbeiter, Kontaktarbeiter, Gastarbeiter oder Grenzgänger in die Bundesrepublik. Ihnen wurden jedoch nur Zeitverträge für drei Monate im Jahr angeboten. Ein Verbot des Familiennachzugs wurde ausge- sprochen. Im Jahre 1995 lebten ungefähr 5.500 „neue Gastarbeitnehmer“ (Münz et al. 1997: 44) und insgesamt ca. 7,2 Millionen Ausländer in Deutschland (vgl. ebd.: 44f).

Am 31.12.2004 lebten insgesamt 6.717.115 Ausländer in Deutschland. Davon waren 1.764.318 türkischer Herkunft, 548.194 italienischer Herkunft. Aus dem ehemaligen Jugoslawien lebten noch 381.563 Personen in Deutschland. Die Zahl der Griechen betrug 315.989 und die der Spanier 108.276 (vgl. www.destatis.de am 26.1.2006).

3.1.3 Die türkischen Arbeitsmigranten

Die etwa tausend jährige Beziehung zwischen Deutschland und der Türkei begann mit kriegerischen Auseinandersetzungen zur Zeit der Kreuzzüge (vgl. Gemein und Oezsinmaz 2001: 5).

Im Jahre 1912 lebten ungefähr 1350 Türken in Berlin, und 1916 wurde ein Lehrlingsabkommen mit der türkischen Regierung geschlossen. In Folge dessen kamen 1917 etwa 750 junge Türken nach Berlin. Unter der nationalsozialistischen Herrschaft suchten viele Deutsche in der Türkei Zuflucht. Seit dem Zweiten Weltkrieg bis Mitte der 50er Jahre ruhte der Austausch zwischen den beiden Staaten (vgl. Königseder 2001: 17).

Mit dem Wirtschaftswunder wurde die Beziehung zwischen Deutschland und der Türkei wieder neu belebt und die ersten Migranten wanderten 1957 in die Bun- desrepublik ein. Das Anwerbeabkommen 1961 war der Anlass dafür, dass ein großer Zuwanderungsstrom von Arbeitern aus der Türkei nach Deutschland be- gann.

„Der 31. Oktober 1961 [Anwerbeabkommen] kann dabei im historischen Rückblick als einer der wichtigsten Meilensteine in der bisherigen deutsch-türkischen Geschichte gelten“ (Sen und Goldberg 1994:10).

Heute ist die Integration von Türken in Deutschland das wichtigste Thema der deutsch-türkischen Beziehungen (vgl. ebd.: 10).

Die Migration von Türken kann mit einem Zusammenspiel von Push- und Pull- Faktoren als Ursache begründet werden. Durch neue Bedingungen in der Landar- beit wurden Arbeitsplätze für die Landbevölkerung in der Türkei immer knapper.

„In der Nachkriegszeit wurde im Zuge des Marshallplans mit einer Modernisierung der Landwirtschaft begonnen. Man änderte die Produktionspalette, führte Bewässerungsprogramme und Kunstdünger ein und begann körperliche Arbeit durch Maschinen zu ersetzen“ (Akkaya et al. 1998: 213).

Vor allem die türkischen Kleinbauern wurden durch die Veränderungen hart ge- troffen. Finanzielle Mittel waren meist nicht vorhanden, und ein Kredit wurde nicht jedem gewährt. Teilweise blieb den Bauern keine andere Wahl als ihren Hof aufzugeben.

Es begann eine Landflucht. Die jungen Türken verließen auf Grund der schwierigen finanziellen Situation den Hof der Eltern, um in der Stadt Arbeit zu suchen. Erntehelfer, die durch Maschinen ersetzt wurden, folgten ihnen in die nahegelegenen Städte. Ein großer Teil der abwandernden Landbevölkerung migrierte in den westlichen Teil der Türkei.

Kennzeichnend für die Türkei sind die großen Entwicklungsunterschiede des Landes. Vor allem die Schwarzmeerregion, Zentral- und Ostanatolien waren von Armut betroffen und bildeten Ausgangspunkte der Binnenmigration. Das wirt- schaftlich bestgestellte Gebiet war die Marmara-Region und galt somit als bevor- zugtes Migrationsziel.

In den Städten entstand zudem ein Arbeitskräftebedarf. Die Industrialisierung und vor allem das Anwachsen des Dienstleistungssektors schufen eine große Zahl an Arbeitsplätzen (vgl. ebd.: 213).

Viele der eintreffenden Arbeitsmigranten konnten von den Städten, deren Bevöl- kerungszahl bereits stark angestiegen war, nicht mehr aufgenommen werden. Während 1961 noch 1,4 Millionen Menschen in Istanbul lebten, betrug die Be- völkerungszahl 1992 ungefähr 10,7 Millionen. Das Arbeitsplatzangebot war längst ausgeschöpft. Verelendung und Perspektivlosigkeit waren die Folgen. Die Migranten lebten zwei bis drei Jahre in der Stadt mit der Hoffnung auf Arbeit, die vielfach enttäuscht wurde. Somit bot sich mit dem Bedarf an Arbeitskräften in der Bundesrepublik ein passender Ausweg.

Das Anwerbeabkommen, Zeitungsartikel und Berichte der schon in Deutschland lebenden Türken über Aussicht auf Wohlstand ließen viele Türken nach Deutsch- land kommen. Die Erlaubnis von Seiten der türkischen Regierung, das Land zu verlassen, unterstützte die Entscheidung zur Migration (vgl. Sen und Goldberg 1994: 13f).

Insgesamt verließen 2,5 Millionen türkische Bürger ihre Heimat in Richtung Westeuropa. Rund 1,7 Millionen von ihnen kamen nach Deutschland (vgl. Ferdowsi 1997: 234).

Die Zahl der türkischen Bevölkerung in Deutschland nahm seit diesem Abkom- men stetig zu. Lebten noch 1960 lediglich 2.700 Türken in Deutschland, waren es bereits 1965 gut 132.800. Die Millionengrenze wurde 1975 mit 1.077.100 Men- schen aus der Türkei in Deutschland überschritten (vgl. Sen und Goldberg 1994: 15).

Die Ölkrise im November 1973 stoppte die Anwerbung von Arbeitsmigranten. Folglich stagnierte die Anzahl der Türken in der Bundesrepublik für ein Jahr. Ab 1976 stieg die Zahl der türkischen Arbeiter wieder an. Zum einen waren die deutschen Unternehmen nicht bereit, gerade angelernte Arbeiter durch neue unge- lernte zu ersetzen. Andererseits erkannten die Türken, dass sich in der geplanten kurzen Aufenthaltszeit nicht genügend Geld für eine Existenzgründung in der Türkei ansparen ließ. So holten immer mehr Arbeiter auf dem Weg der weiterhin erlaubten Familienzusammenführung ihre Familien aus der Türkei nach. Trotz des Anwerbestopps 1973 stieg die Zahl der Türken, im Gegensatz zu der der Griechen und Spanier, weiter an (vgl. Müller 1981: 30).

Zwischen 1983 und 1985 ging die Zahl der Türken erstmals zurück. Sie sank von 1.552.300 (1983) auf 1.400.400 (1985). Seit diesem Zeitpunkt ist ein erneuter Zuwanderungsanstieg zu verzeichnen (vgl. Sen und Goldberg 1994: 15). Seit den 90er Jahren ist die Zahl der türkischstämmigen Personen in Deutschland nicht mehr genau feststellbar. Zwischen 1998 und 2002 wurden 326.965 Personen eingebürgert. Diese fallen durch die Einbürgerungen statistisch unter die deutsche Bevölkerung. Eine Untersuchung bezüglich der Integration von Migranten ist somit problematisch, da die Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft nicht mit erfolgreicher Integration gleichzusetzen ist (vgl. Sackmann 2004: 84). Inzwischen stellen die türkischen Mitbürger die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe nach den Deutschen in der Bundesrepublik. Am 31.12.2004 lebten 1.764.318 Bürger türkischer Abstammung in Deutschland. Dies sind 26,27% aller in Deutschland lebenden Ausländer. Von den in Deutschland lebenden Türken sind 35% in Deutschland geboren (www.destatis.de am 08.01.2006).

3.2 Aussiedler

Mitte des 12. Jahrhunderts begannen die ersten Wanderungen aus dem deutsch- sprachigen Raum nach Ost- und Südosteuropa. Die Siebenbürger Sachsen, aus dem Gebiet um Rhein und Mosel, wanderten in das damalige Königreich Ungarn. Siebenbürgen liegt im Zentrum Rumäniens zwischen den West-, Ost- und Süd- karpaten. Es folgten ihnen aus dem Süden Deutschlands stammende Siedler. Sie zogen in das Banat, eine Landschaft im Westen des heutigen Rumäniens. Neben diesen zwei großen Siedlungsgebieten entstanden kleinere Siedlungen im Norden und Osten Rumäniens (der Temeswarer, Sathmarer, Schwaben, Zipser und Bu- chenländer) (vgl. Schwab 1989: 81).

Zu Beginn des 13. Jahrhundert besiedelten meist deutsche Kaufleute das Baltikum und den Nordwesten Russlands mit der Absicht, Hansestädte zu gründen (z.B. Riga und Reval (Tallin)) (vgl. ebd.: 11). Ebenfalls zogen in dieser Zeit Deutsche nach Böhmen, Mähren und Schlesien, um zu der kulturellen Entwicklung dieser Gebiete beizutragen. Meist wurden die Deutschen von den dort Herrschenden gebeten, in den Osten zu gehen, um nicht bewohntes Land zu besiedeln. Ihnen wurde Siedlungsland zur Verfügung und Privilegien in Aussicht gestellt (vgl. ebd.: 97).

1689 wurde das Gebiet zwischen Plattensee und Donauknie im heutigen Ungarn besiedelt. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der Westen und Südwesten des Königreichs Ungarn von Deutschen bevölkert. In diesen Gebieten sprachen die Siedler deutsch, besuchten deutsche Schulen und behielten stets ihre deutsche Kultur bei.

Mit Ende des 18. und zu Beginn des 19 Jahrhunderts begann die Unterdrückung der deutschen Siedler (vgl. ebd.: 92f). So fühlten sich Deutsche in mehreren Teilen Osteuropas auf Grund von Unterdrückung und Wiederrufung der Privilegien zur Umsiedlung in andere Gebiete gezwungen.

Bis zum Jahre 1819 kamen deutsche Siedler in die Gebiete am schwarzen Meer und der heutigen Ukraine. Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts wurde Wolhynien (Gebiet im Nordwesten der heutigen Ukraine) von Kolonisten, die bereits seit längerer Zeit in Polen wohnten, besiedelt. Neue Siedler kamen auch nach Kasachstan und Mittelasien (vgl. ebd.: 14).

[...]


1 Der Begriff der Migration wird mit dem Begriff der Wanderung gleichgesetzt

2 „oft wird Klasse synonym für Schicht genutzt, weil im Englischen ‚class’ häufiger verwandt wird als ‚stratification’“ (Reinhold, Lamnek und Recker 2000: 329)

Ende der Leseprobe aus 104 Seiten

Details

Titel
Integration der Migranten in Deutschland
Hochschule
Universität Münster  (Institut für Soziologie)
Note
2,5
Autor
Jahr
2006
Seiten
104
Katalognummer
V63847
ISBN (eBook)
9783638567947
Dateigröße
3130 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Analyse des Grades der Integration von Arbeitsmigranten (am Beispiel der Türken)und Aussiedlern.
Schlagworte
Integration, Migranten, Deutschland
Arbeit zitieren
Svenja Barner (Autor:in), 2006, Integration der Migranten in Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/63847

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