Nihilismus bei F.M.Dostoevskij


Hausarbeit, 2006

22 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung

2. Nihilismus als Begriff

3. Der Begriff des Übermenschen bei Nietzsche

4. Bazarov als erster Nihilist

5. Politische Situation in Russland in den 60-er Jahren

6. Politischer Nihilismus bei Dostoevskij in den „Dämonen“

7. Ethischer Nihilismus bei Dostoevskij
7.1. Der Kellerlochmensch
7.2. Stavrogin als Steigerung des Kellerlochmenschen
7.3. Kirillov als logischer Selbstmörder
7.4. Raskolnikov

8. Überwindung des Nihilismus
8.1. Durch das Zurückkehren zur Erde
8.2. Durch Arbeit
8.3. Durch die Religiosität des Volkes

9. War Dostoevskij selbst ein Nihilist?
9.1. Die These von Leo Šestov
9.2. Dostoevskij als Darsteller der Idee nach M.Bachtin

10. Zusammenfassung

Literaturliste

1. Einführung

Die vorliegende Arbeit ist dem Thema „Nihilismus bei F.M. Dostoevskij“ gewidmet. Nihilismus als Phänomen des 19. Jahrhunderts wurde durch Dostoevskij in künstlerischer Form und dann durch Nietzsche als Philosophie dargeboten. Ich ziehe dabei Parallelen zwischen Nietzsches „Übermenschen“ und den Gestalten Dostoevskijs. Außerdem versuche ich unterschiedliche Formen des Nihilismus, so wie sie sich in Gestalten von Kellerlochmenschen, Raskolnikov, Stavrogin und Kirillov bieten, herauszuarbeiten. In meiner Arbeit verwende ich Transliteration für slavische Namen an, unabhängig davon, wie sie in den von mir verwendeten Quellen geschrieben werden.

2. Nihilismus als Begriff

Als allgemein übliche Definition des Nihilismus gilt die Folgende: Nihilismus (lat. „nihil“= nichts) bedeutet Überzeugung von der Nichtigkeit und Sinnlosigkeit alles Seienden, Verneinung aller Werte und Ziele.[1] Als bedeutendster Vertreter ist allgemein Nietzsche (1844-1900) bekannt, der aber Dostoevskij rezipiert hat und somit den Begriff nicht geprägt hat, sondern sich mit dem Phänomen ausgiebig beschäftigt und ihm eine Stimme verliehen hat. Nihilismus ist bei Nietzsche zweideutig:

A: Nihilismus als Zeichen der gesteigerten Macht des Geistes: der aktive Nihilismus.
B: Nihilismus als Niedergang und Rückgang der Macht des Geistes: der passive Nihilismus.[2]

Den gegenwärtigen Zustand der Menschheit empfindet Nietzsche als Rückgang der Macht des Geistes. Und dies muss überwunden werden. Es geht einzig um die Überwindung des passiven Nihilismus. Dazu ist es erforderlich, dass die bisherigen Werte entwertet werden. Die Werte von Wahrheit und Moral müssen in ihrer Totalität in Frage gestellt werden. Es gilt die alte Ordnung der Werte abzuschaffen, die neue wird schon von selbst folgen müssen. „Die scheinbare Welt und die erlogene Welt – ist der Gegensatz. Letztere hieß bisher die „wahre Welt“, die „Wahrheit“, „Gott“. Diese haben wir abzuschaffen.“[3]

Wie ich in späteren Kapiteln zeigen werde, ging es den Dostoevskijs Nihilisten in erster Linie um Zerstörung: Zerstörung der Werte, der bestehenden Ordnung bis zur Selbstzerstörung. Nietzsche bietet dagegen eine „Lösung“ an: durch seinen „neuen Menschen“, den „Übermenschen“ wird die alte Ordnung der Werte abgeschafft und der „Übermensch“ als Überwinder des Nihilismus gepriesen. Dostoevksij zeigt uns, dass der „Übermensch“ lebensunfähig ist.

3. Der Begriff des Übermenschen bei Nietzsche

Nietzsche teilt die Menschen in gewöhnlich und ungewöhnlich ein. Von gewöhnlichen Menschen pflegt er als von „Missratenen“ zu sprechen, gegen deren Leiden er nichts einzuwenden hat, wenn sie notwendig sind, einen großen Mann hervorzubringen. Die Masse sollte nach seiner Meinung nur um der wenigen Ausgezeichneten willen da sein, und ein Anspruch auf eigenes Glück oder Wohlergehen dürfte ihr nicht zugestanden werden.[4] Der „vornehme“ Mensch oder der „Übermensch“ wird grausam sein und gelegentlich auch Verbrechen begehen können. Pflichten erkennt er nur gegen seinesgleichen an. Er ist ein Wesen ohne jedes Mitgefühl, verschlagen, grausam, nur auf seine eigene Macht bedacht. Er wird Tod für seine Ziele einsetzen, für die er kämpft. Er ist der verkörperte „Wille zur Macht“. Nietzsche schreibt: „Ein Nihilist ist der Mensch, welcher von der Welt, wie sie ist, urteilt, sie sollte nicht sein, und von der Welt, wie sie sein sollte, urteilt, sie existiert nicht. Demnach hat dasein (handeln, leiden, wollen, fühlen) keinen Sinn […].“[5] Der Übermensch wird das Gegensätzliche verwirklichen können, er wird jenseits von Gut und Böse sein und alle Seiten des Lebens bejahen. Er wird weise und stark gleichzeitig sein. Weise, indem er bereit und fähig ist alle Erkenntnisse und Perspektiven aufzunehmen. Gleichzeitig wird er stark sein, um sich und seine Vorstellungen durchzusetzen, wobei seine Weisheit es ihm eigentlich unmöglich macht sich auf eine der Perspektiven festzulegen. Aber nur das Festlegen und Sicheinschränken zieht die Durchsetzungskraft nach sich. Nietzsches starker Mensch erkennt dieses Dilemma und ist fähig sich selbst einzuschränken, er überwindet Widersprüche und Gegensätze.[6]

4. Bazarov als erster Nihilist

Die Bezeichnung „Nihilismus“ wurde in Russland schon in den 30-er bis 50-er Jahren verwendet und zwar im Sinne des Skeptizismus, bis sie dann durch Turgenevs Roman „Väter und Söhne“ (1860) als Name für den revolutionären Intellektuellen allgemein gebräuchlich wurde.[7] Arkadij Kirsanov erläutert den Nihilisten so: ein Nihilist sei ein Mensch, der sich vor keinerlei Autoritäten beuge, der kein einziges Prinzip auf Treu und Glauben annehme, von wie viel Achtung es auch umgeben sei. Evgenij Bazarov, den Kirsanov somit beschreibt argumentiert, die Negation sei zurzeit nützlicher als alles andere, da erst einmal reiner Tisch gemacht werden müsse.[8] Hiermit sehen wir den Vorläufer Nietzsches „Übermenschen“, der erstmal die alte Ordnung der Werte zerstören muss. Bazarov wird als Naturforscher dargestellt, der sich allein auf die eigene Empirie verlässt und die Liebe für eine rein physiologische Funktion hält. Der bedeutende russische Kritiker des 19. Jahrhunderts Pisarev beschreibt ihn als jemanden mit Wissen und Willen, jemanden, bei dem Gedanken und Tat zu einem verschmelzen.[9] Turgenev hat dem Neuen, was er in der Luft gespürt hat, Gestalt gegeben und den Begriff „Nihilismus“ publik gemacht.

5. Politische Situation in Russland in den 60-er Jahren

Die 60-en Jahre in Russland war die Zeit der großen Reformen. Die letzten Regierungsjahre des Nikolaus I. (1824-1855) sind als das „finstere Jahrsiebent“ in die Geschichte eingegangen und gehören zu den bedrückendsten Zeiten der russischen Geschichte. Umso willkommener waren dann die Reformen des Alexander II. (Herrscherjahre 1855-1881).[10] Sowohl Slawophile als auch Westler als Vertreter der in zwei Lager gespaltenen Intelligenz stimmten den Maßnahmen des Kaisers Alexander II. zu. Doch schon bald nach Erlass des Manifestes von 1861 kam die Stimmung der Unzufriedenheit auf. Das einfache Volk fühlte sich von Bürokratie, die auf Befehl der Regierung handele, unterdrückt. Der Adel hatte vielerlei materielle Verluste einzubüßen und war somit der Regierung gegenüber feindlich eingestellt. Die gefährlichste politische Gruppe stellten so genannte „Seminaristen“ dar, das geistige Proletariat. Sie waren nur einseitig an Naturwissenschaften orientiert, ohne jegliche humanistische oder geschichtliche Bildung. Nihilismus fand in ihren Kreisen einen fruchtbaren Boden. Sie verneinten das gesamte politische System des Zarentums, die Vergangenheit und das Volk, den Glauben und die bürgerlichen Institutionen. Diese Bewegung wurde als politischer Sozialismus bekannt und zeichnete sich dadurch aus, dass seine Vertreter sich von jeglicher Theorie abwandten und unmittelbar mit der revolutionären Praxis begannen. Streiks, Flugblattpropaganda, Brandstiftungen, Attentate usw. waren die Früchte. Einer der frühesten Vertreter der Nihilisten war Bakunin, der ins Ausland gegangen war. Dessen Freund und Gesinnungsgenosse Netschajew (1847-1882) gründete in den 60-er Jahren in Russland geheime Komitees und veranlasste einige Mitglieder einer dieser Geheimorganisationen, den Studenten Ivanov (1879, Moskau) zu ermorden. Dieser politische Mord, der in den 70-er Jahren aufgedeckt wurde und dessen Prozess in allen Zeitungen zu lesen war, veranlasste M.F.Dostoevskij seinen Roman „Die Dämonen“ (1871/72) zu schreiben.[11]

6. Politischer Nihilismus bei Dostoevskij in den „Dämonen“

Das Ziel der Nihilisten, die bestehende Ordnung ohne Rücksicht auf den späteren Aufbau zu zerstören, zeichnete sich bereits in Turgenevs „Väter und Söhne“ ab. Dostoevskij nimmt diese Formel in den „Dämonen“ wieder auf. Dort erklärt der Revolutionär Petr Verchovenskij: „Ich mache die Sache, weil sie gemacht werden muss. Damit (mit der Zerstörung) muss naturgemäß jede Sache beginnen; das weiß ich, und darum beginne ich eben. Das Ende geht mich nichts an…[...].“[12]

Dostoevskij wollte mit seinem Roman ein Pamphlet verfassen, das alle Welt warnen sollte vor diesem sich in Russland ansammelnden Gebräu. Als Epigraph für seinen Roman benutzte er eine Stelle aus Lukas:

„Die Dämonen saßen im Menschen, und ihr Name war Legion, und sie baten ihn: „Erlaube uns, in die Säue zu fahren. Und er erlaubte es ihnen. Da fuhren die Dämonen in die Säue, und die Herde stürzte sich von dem Abhang in die See, und alle ersoffen.“

[...]


[1] Vgl.: Wahrig Lexikon, 1997.

[2] Nietzsche, F: Aus dem Nachlass der Achtzigerjahre, Werke in drei Bänden, III S.557

[3] Schupp, F.: Geschichte der Philosophie im Überblick, S.496, Hamburg, 2003.

[4] Russel, B.: Philosophie des Abendlandes, SS. 768-769, Zürich, 1950.

[5] Nietzsche, F.: Aus dem Nachlass der Achtzigerjahre, Werke in drei Bänden, III S. 494.

[6] Schupp, F.: Geschichte der Philosophie im Überblick, SS.499-500, Hamburg, 2003.

[7] Nigg, W.: Dostojewskij, S.32, Hamburg, 1950.

[8] Lauer, R.: Geschichte der russischen Literatur, S.342, München, 2000.

[9] Lauer, R.: Geschichte der russischen Literatur, S. 343, München, 2000.

[10] Ebd. SS. 256-257.

[11] Lauth,R.: Die Philosophie Dostojewskis, S.342, München, 1950.

[12] Lauth,R.: Die Philosophie Dostojewskis, S.343, München, 1950.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Nihilismus bei F.M.Dostoevskij
Hochschule
Otto-Friedrich-Universität Bamberg  (Institut für Slavistik)
Veranstaltung
HS: Realismuskonzepte bei L.N.Tolstoj, F.M. Dostoevskij und A.P.Čechov
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
22
Katalognummer
V63834
ISBN (eBook)
9783638567831
ISBN (Buch)
9783656771746
Dateigröße
533 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Nihilismus, Dostoevskij, Realismuskonzepte, Tolstoj, Dostoevskij
Arbeit zitieren
Helena Micheilow (Autor:in), 2006, Nihilismus bei F.M.Dostoevskij, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/63834

Kommentare

  • mi piace il vostro realismo terrestre. Qui da voi, tut- to è così ben determinato, ridotto in formule, geo- metrizzato, mentre, da noi, nient’altro che equa- zioni inde$nite!».1 Il diavolo soffre di reumatismi, ma li sopporta di buon grado come effetto dell’in- carnazione ed esclama: «Io m’incarno, e accetto tutte le conseguenze. Satana sum et nihil humanum a me alienum puto».2 La sua impazienza è di sentirsi come l’incognita di un’equazione che non ha an- cora ricevuto il valore che le compete; e infatti gli

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