Die biblische Geschichte vom verlorenen Sohn in der europäischen Literatur des 20. Jahrhunderts

Ausgewählte Beispiele


Magisterarbeit, 2006

83 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Das Gleichnis vom verlorenen Sohn, Lukas 15: 11-32
2.1 Exkurs: Bedeutung und Funktion der Gleichnisse Jesu
2.2 Die exegetische Auslegung
2.3 Die Einordnung in das Spektrum parabolischer Rede
2.4 Struktur und Figurenkonstellation

3 Das Gleichnis vom verlorenen Sohn in der Literatur des
20. Jahrhunderts
3.1 André Gide: Die Rückkehr des verlorenen Sohnes -
Aufbruch und Resignation
3.1.1 Struktureller Handlungsaufbau der Erzählung
3.1.1.1 Das Vorwort des Erzählers
3.1.1.2 Der verlorene Sohn
3.1.1.3 Der Verweis des Vaters
3.1.1.4 Der Verweis des älteren Bruders
3.1.1.5 Die Mutter
3.1.1.6 Das Zwiegespräch mit dem jüngeren Bruder
3.1.2 Der Konflikt des Zurückgekehrten
3.2 Rainer Maria Rilke: Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge -
„Die Legende dessen, der nicht geliebt werden wollte“
3.2.1 Die Handlungsstruktur des Romans
3.2.2 Die Legende vom verlorenen Sohn
3.2.2.1 Der Weg des Sohnes
3.2.2.2 Die Heimkehr des Sohnes
3.3 Franz Kafka: Heimkehr - Die verfehlte Heimkehr
3.3.1 Struktureller Aufbau der Erzählung
3.3.2 Die vollständige Entfremdung
3.4 Robert Walser: Die Geschichte vom verlorenen Sohn -
Der Bruder des verlorenen Sohnes
3.4.1 Form und Aufbau der Erzählung
3.4.1.1 Die gegensätzlichen Söhne
3.4.1.2 Der Wechsel der Perspektive:
Der „wahrlich Unzufriedene“
3.4.2 Der Umkehrschluss

4 Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Thema der vorliegenden Arbeit ist die biblische Geschichte vom verlorenen Sohn in der europäischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Die vier modernen Variationen der alten Geschichte Die Rückkehr des verlorenen Sohnes von André Gide,[1] das letzte Fragment der Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge von Rainer Maria Rilke,[2] Heimkehr von Franz Kafka[3] und Die Geschichte des verlorenen Sohnes von Robert Walser[4] werden komparativ untersucht. Die Begrenzung auf vier Werke der großen Anzahl von Variationen des biblischen Motivs im 20. Jahrhundert beruht auf einer primär pragmatischen Entscheidung, um den Rahmen der Arbeit nicht zu sprengen.

Die von Jesus erzählte Geschichte eines Sohnes, der sich vom Vater löst, in die Welt hinauszieht und schließlich reuig zurückkehrt, hat herausragende Position unter den Gleichnissen Jesu und eine große Wirkungsgeschichte in der internationalen Literatur. Kein anderes der Gleichnisse Jesu wurde in vergleichbarer Vielzahl und Vielfalt zum rezipierten Gegenstand.[5] Jede Epoche der Neuzeit hat das Bild des verlorenen Sohnes geformt, die Literatur der Reformation anders als die des 20. Jahrhunderts. Die festgeprägten Eigenschaften des biblischen verlorenen Sohnes und die ursprüngliche Auslegung wurden im 20. Jahrhundert in der um die Existenz des Menschen bemühten Philosophie entscheidend erweitert. Anstelle der alten Symbolik tritt in den vier zu betrachtenden Werken der Moderne die psychologische Erfassung einer Situation, der biblische Stoff wird konsequent aus literarischen und nicht aus religiösen Gründen herangezogen, um einen säkularisierten Text zu beleuchten.[6]

Die umfangreichen literaturwissenschaftlichen Arbeiten,[7] in denen die intertextuellen Bezüge zwischen dem biblischen Gleichnis und den literarischen Bearbeitungen untersucht worden sind, zeugen von der Bedeutung der Geschichte vom verlorenen Sohn als einem literarischen Prätext und zugleich von dem ungebrochenen Interesse der Forschungs-literatur an den zahlreichen Variationen des Stoffes der jüngeren Zeit. In weiten Teilen der Forschung besteht Einigkeit darüber, dass der Einfluss der Bibel auf die Literatur die religiösen Befindlichkeiten einer Gesellschaft spiegelt und gleichsam die Stufen der Säkularisation kenntlich macht. Dieser Forschungsaspekt steht in der vorliegenden Arbeit nicht im Vordergrund, den Schwerpunkt bildet die Frage, inwieweit die Autoren den Prätext umgewertet haben und welche Konsequenzen aus den jeweiligen Umwertungen resultieren.

Methodisch geht die Arbeit dabei folgendermaßen vor: Im ersten Teil wird zunächst die inhaltliche Dimension und literarische Qualität der biblischen Geschichte analysiert. Eine genaue Analyse des Prätextes erscheint in sofern sinnvoll, als dass deutlich werden soll, warum gerade dieser biblische Text so oft rezipiert wurde und worin sein generatives Potential besteht.

Der zweite Teil beschäftigt sich mit Einzeluntersuchungen, die Antworten auf die Frage der literarischen Umsetzung der biblischen Geschichte liefern. Die Erzählungen von Gide, Rilke, Kafka und Walser weisen sowohl in ihrer stofflichen und motivlichen Struktur als auch durch explizite Verweise im Titel oder Text direkt auf die Referenzgeschichte hin, haben jedoch einen signifikanten Sinnzuwachs erfahren. Im Folgenden werden die Texte hinsichtlich der Konsequenzen untersucht, die sich aus einer Ausweiterung bzw. Reduktion des ursprünglichen Textes oder einer Änderung der Erzählperspektive ergeben.

2 Das Gleichnis vom verlorenen Sohn, Lukas 15: 11-32

2.1 Exkurs: Bedeutung und Funktion der Gleichnisse Jesu

Bevor der eigentliche Untersuchungsgegenstand, die Parabel vom verlorenen Sohn,[8] analysiert wird, sollen zunächst die Bedeutung und die Funktion der Gleichnisse Jesu grundsätzlich zu klären sein. Der Betrachtung wird vorangestellt, dass die Gleichnisse Teil der Verkündigung sind. Damit weist ihre Handlung über das eigentlich Gesagte hinaus, der Handlungsablauf dient vor allem der sinnbildlichen Verdeutlichung eines Geschehens. Ein Gleichnis wird durch eine reale Situation provoziert und veranlasst und will durch die eigene narrative Realität auf die Wirklichkeit ein- und zurückwirken. Hinweise auf die grundsätzliche Bedeutung der Gleichnisse finden sich in den synoptischen Evangelien. Jesus offenbart den Jüngern die Absicht der parabolischen Rede. In Mt. 13 heißt es:

„10Und die Jünger traten zu ihm und sprachen: Warum redest du zu ihnen in Gleichnissen?

11Er antwortete und sprach zu ihnen: Euch ist’s gegeben die Geheimnisse des Himmelreichs zu verstehen, diesen aber ist’s nicht gegeben.

12Denn wer da hat, dem wird gegeben, daß er in Fülle habe; wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen, was er hat.

13Darum rede ich zu ihnen in Gleichnissen. Denn mit sehenden Augen sehen sie nicht und mit hörenden Ohren hören sie nicht; und sie verstehen es nicht.“[9]

Weil dem Volk die Geheimnisse des Himmelreichs verschlossen sind, spricht Jesus zu seiner Hörerschaft in Gleichnissen; diese Art der Verkün-digung dient vor allem der Verständniserleichterung. Denn „die intellek-tuelle Stumpfheit und Armut der Menge konnte nur von einer Lehrart ergriffen werden, die sich so tief zu ihnen herniederbog“[10].

Auch bei Mk. 4 ist der Zweck der Gleichnisse erklärt:

„33Und durch viele solcher Gleichnisse sagte er ihnen das Wort so, wie sie es zu hören vermochten.“

Lange Zeit ging die formgeschichtliche Forschung und Kritik von einer Verstockungsabsicht der Gleichnisse Jesu aus. Jesus habe mit den Gleichnissen verdunkeln wollen, die Gleichnisse wurden als uneigentliche, deutungsbedürftige Rede interpretiert.[11] Diese Deutung der Formgeschichte wird nach den bedeutenden Thesen Adolf Jülichers, in seinem bereits 1886 erschienenen Werk Die Gleichnisreden Jesu, zurückgenommen und durch die Frage nach der Rezeptionssituation der Zuhörer Jesu abgelöst. Wenn Jesus seinen Jüngern auf die Frage nach dem Zweck der Gleichnisse bei Mk. 4 antwortet:

„11Euch ist das Geheimnis des Reiches Gottes gegeben; denen aber draußen widerfährt es alles in Gleichnissen“,

kann es sich nicht um eine Verstockungsabsicht im Sinn allegorischer, „auf der Einweihung Weniger beruhender und auf sie abzielenden Interpre-tation der Gleichnisse“[12] handeln. Allein der Kontrast zwischen den beiden Klassen der Hörer Jesu, auf der einen Seite die glaubende Gemeinde, welche die Jünger einschließt, auf der anderen die „Draußengebliebenen“, denen die Verständnismöglichkeiten der Verkündigung nicht gegeben sind, weil sie nur durch den Glauben erreicht werden können, wird hier gekennzeichnet.

Der ersten Gruppe erschließt sich das Geheimnis des Gottesreichs ohne Gleichnisrede und Aufschlüsselung, jenen „draußen“ wird es in Gleichnissen verkündet und zugänglich gemacht.[13]

Eine Verstockungsabsicht würde in letzter Konsequenz der Verkündigung widersprechen, denn „es ist ja gerade das Ziel der Verkündigung, das Geheimnis offenbar werden zu lassen“[14]. Damit hat „Jesus seine Lehre nach dem Vermögen seiner Hörerschaft eingerichtet“ und wählte „ihrer noch schwachen Fassungskraft zulieb die parabolische Unterrichtsform“[15]. Um unmittelbar verstanden zu werden, sind die Gleichnisse auf notwendigste literarische Mittel reduziert, ohne dass sie der Exegese oder Auslegungen, wie es Allegorien erfordern, bedürfen.[16] Sie sind als „Anschauungsunterricht“ zu verstehen, der sich auch „der schwachen Fassungskraft (...) erschließen will“[17] und erscheinen als eine „Form des Sagens, die das Sprachbild zur Geschichte erweitert und, gleich dem Sprach-Bild, selbst Deutung anbietet“[18]. „Denn wer der Buchstabenschrift nicht mächtig ist, bedarf der Bilderschrift“.[19] Vor diesem Hintergrund soll im folgenden Abschnitt die Parabel vom verlorenen Sohn analysiert werden.

2.2 Die exegetische Auslegung

Lukas berichtet im 15. Kapitel vom Unwillen der Pharisäer und Schriftgelehrten gegenüber dem Umgang Jesu mit Zöllnern und Sündern, die sein Wort hören wollen. Der Unwillen und Protest gilt insbesondere der Tischgemeinschaft Jesu mit den Sündern:

„2Und die Pharisäer und Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und ißt mit ihnen.“

Jesus durchbricht das mosaische Gesetz, das die Frommen und die Gottlosen rigide voneinander trennt und ihnen gemeinschaftliches Leben untersagt. Jesu Umgang mit Sündern, Zöllnern und Aussätzigen ist Inhalt vieler Gleichnisse[20] und es ist dieser Umgang, der Anklagen der Pharisäer und Schriftgelehrten hervorruft, also derjenigen, die die Gesetzesreligion des Alten Testaments in buchstäblicher Weise zu befolgen suchten und die reine Gemeinde Gottes von aller Unheiligkeit trennen und absondern wollten. Um sein Verhalten zu erläutern, erzählt Jesus drei Gleichnisse. Das Gleichnis vom verlorenen Sohn ist das Endstück eines dreigliedrigen Gleichnisses; bruchlos vorangestellt wird das Gleichnis vom verlorenen Schaf, Lk. 15:4-7, und das vom verlorenen Groschen, Lk. 15:8-10. Für die Interpretation ist der Wortlaut maßgebend:

„11Und er sprach: Ein Mensch hatte zwei Söhne.

12Und der jüngere von ihnen sprach zu dem Vater: Gib mir, Vater, das Erbteil, das mir zusteht. Und er teilte Hab und Gut unter sie.

13Und nicht lange danach sammelte der jüngere Sohn alles zusammen und zog in ein fernes Land; und dort brachte er sein Erbteil durch mit Prassen.

14Als er nun all das Seine verbraucht hatte, kam eine große Hungersnot über jenes Land, und er fing an zu darben

15und ging hin und hängte sich an einen Bürger jenes Landes; der schickte ihn auf seinen Acker, die Säue zu hüten.

16Und er begehrte, seinen Bauch zu füllen mit den Schoten, die die Säue fraßen; und niemand gab sie ihm.

17Da ging er in sich und sprach: Wie viele Tagelöhner hat mein Vater, die Brot in Fülle haben und ich verderbe hier im Hunger!

18Ich will mich aufmachen und zu meinen Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir.

19Ich bin hinfort nicht mehr wert, daß ich dein Sohn heiße; mach mich zu einem deiner Tagelöhner!

20Und er machte sich auf und kam zu seinem Vater. Als er aber weit entfernt war, sah ihn sein Vater, und es jammerte ihn; er lief und fiel ihm um den Hals und küßte ihn.

21Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr wert, daß ich dein Sohn heiße.

22Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: Bringt schnell das beste Gewand her und zieht es ihm an und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Schuhe an seine Füße

23und bringt das gemästete Kalb und schlachtet´s; lasst uns essen und fröhlich sein!

24Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an, fröhlich zu sein.

25Aber der ältere Sohn war auf dem Feld. Und als er nahe zum Hause kam, hörte er singen und tanzen

26und rief zu sich einen der Knechte, und fragte, was das wäre.

27Der aber sagte ihm: Dein Bruder ist gekommen, und dein Vater hat das gemästete Kalb geschlachtet, weil er ihn gesund wieder hat.

28Da wurde er zornig und wollte nicht hineingehen. Da ging sein Vater heraus und bat ihn.

29Er antwortete aber und sprach zu seinem Vater: Siehe, so viele Jahre diene ich dir und habe dein Gebot noch nie übertreten, und du hast mir nie einen Bock gegeben, dass ich mit meinen Freunden fröhlich gewesen wäre.

30Nun aber, da dieser dein Sohn gekommen ist, der dein Hab und Gut mit Huren verprasst hat, hast du ihm das gemästete Kalb geschlachtet.

31Er aber sprach zu ihm: Mein Sohn du bist allezeit bei mir, und alles, was mein ist, das ist dein.

32Du solltest aber fröhlich und guten Mutes sein; denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist wiedergefunden.“

Die Geschichte des verlorenen Sohnes fingiert eine Wirklichkeit, die vom Zuhörer als erzählte Wirklichkeit akzeptiert werden kann.[21] Die Geschichte hat sich so nicht zugetragen, aber sie hätte sich durchaus so zutragen können. Der äußere Ablauf der Handlung ist knapp, die Handlung selbst ist in zwei Hauptteile gegliedert.[22] Die Einzelergebnisse Aufbruch, Scheitern, Entschluss zur Umkehr, Rückkehr, Klage des älteren Bruders und Widerspruch des Vaters sind durch zwei Höhepunkte – die Rückkehr des Sohnes und die Aufnahme des Vaters sowie die Rückkehr des älteren Sohnes vom Feld und die Auseinandersetzung mit dem Vater – strukturiert. Trennung, Not und Rückkehr des jüngeren Sohnes werden im ersten Teil der Geschichte erzählt (Vers 12-24), im zweiten Teil folgt die Gegenreaktion des älteren Bruders (Vers 25-32). Der Vater hält die beiden konträren Pole zusammen. Er verbindet beide Teile, in jedem hat er gegenüber den Söhnen das letzte Wort. Demzufolge scheint er und nicht der jüngere Sohn im Mittelpunkt der Erzählung zu stehen, was die Exegese immer wieder zu der Aussage geführt hat, das Gleichnis solle treffender das „Gleichnis von der Liebe des Vaters“[23] heißen. Beide Abschnitte sind inhaltlich miteinander verbunden und greifen aufeinander zurück. Die Überlegung einiger Exegeten, der zweite Abschnitt sei angefügt, da der erste Teil völlig in sich abgeschlossen sei, ist auszu-schließen. Die Erzählung ist als eine geschlossene Einheit zu verstehen und so konzipiert. Ein Beleg dafür ist die refrainartig wiederkehrende Aussage des Vaters am Schluss beider Erzählungen (Vers 24 und 32), die das Stück in sich schließen. Einen zweiten Hinweis bietet die Intention des Gleichnisses, die sich auf den zweiten Teil stützt. Nach Joachim Jeremias:

„Nichts berechtigt dazu, den zweiten Teil für einen Zusatz zu halten. Er hält sich sprachlich und sachlich völlig im Rahmen der Erzählung (...), ist durch 15,11 vorbereitet und hat in der Gegenüberstellung von den zwei Söhnen Mt. 21:28-31 seine Entsprechung. Warum fügt Jesus ihn an? Es gibt nur eine Antwort: um der konkreten Situation willen! Das Gleichnis ist zu Menschen gesagt, die dem älteren Bruder gleichen, d.h. zu Menschen, die sich am Evangelium ärgern. Sie sollen im Gewissen getroffen werden. (...) Das Gleichnis vom verlorenen Sohn ist also primär nicht Verkündigung der Frohbot-schaft an die Armen, sondern Rechtfertigung der Frohbotschaft gegenüber ihren Kritikern.“[24]

Auch Dan Otto Via sieht den zweiten Teil als ursprünglich an. Angesichts der „erzählerischen Ökonomie“ wären die zwei Söhne im ersten Teil (Vers 11) nicht explizit erwähnt worden, wenn nicht die Absicht bestanden hätte, beide in der Erzählung auftreten zu lassen.[25] Eta Linnemann hat diese Deutung präzisiert. Die Funktion der Erzählung sei primär apologetisch, denn sie folgt unmittelbar auf den Protest der Pharisäer und Schriftgelehrten, die Jesu Tischgemeinschaft mit den Zöllnern und Sündern kritisieren. Der Hauptakzent liegt demnach auf der zweiten Hälfte der Erzählung, in welcher der Vater das Fest für den wiedergekehrten Sohn rechtfertigt.[26] Das Gleichnis kann demnach als Entgegnung Jesu auf die Angriffe der Pharisäer verstanden werden, als Appell, die Kritik zu überdenken und die eigene selbstgerechte Position zu überprüfen.

Die Erzählung vom jüngeren Sohn lässt sich in drei Abschnitte gliedern: Exposition und Krise (Vers 11 bis 16), Erkenntnisszene (Vers 17 bis 19) und Lösung (Vers 20 bis 24). Die Exposition schildert knapp die Ausgangslage: Der jüngere zweier Söhne fordert vom Vater das ihm zukommende Erbteil. Die Forderung wird in der Forschung unterschiedlich bewertet. Während die jüngeren Untersuchungen die Forderung als einen gebräuchlichen Vorgang bewerten,[27] sieht Julius Schniewind in der Bitte des jüngeren Sohnes „ein(en) Bruch der Liebe und Treue“[28].

Die Bibelstelle 5. Moses 21:17 Vom Recht des Erstgeborenen besagt, dass dem Erstgeborenen nach dem Gesetz zwei Teile des väterlichen Vermögens zustehen; der Jüngere erhält demnach ein Drittel des Vermögens. Die Forderung des Sohnes stellt folglich keinen „Bruch der Liebe und Treue“ dar, sondern ist gängige Praxis. Wolfgang Pöhlmann hat nachgewiesen, dass es sich bei dem in Vers 12 dargestellten Fall um geläufige Rechtsordnung handelt - das den Hörern vertraute Rechtsmodell der „Abschichtung“ – welches die Abfindung eines erbberechtigten Kindes noch zu Lebzeiten des Vaters vorsieht.[29]

Wie der Quelle zu entnehmen ist, macht der Sohn sich schuldig. Wenn die Forderung des Sohnes nicht unmoralisch ist und juristisch vertretbar, muss folglich eine Ur-Schuld bestehen, eine Schuld, der kein Sohn entkommt. Warum der Sohn bereits schuldig ist, bevor er sich überhaupt durch sein Handeln verschuldet, soll die folgende Betrachtung deutlich machen.[30]

In Martin Luthers Großem Katechismus steht die Aussage: „Gott, den Eltern und Schulmeistern kann man nimmer genugsam danken noch vergelten“[31]. Nach dieser Aussage gibt es eine existentielle Schuld des Sohnes gegenüber dem Vater. Diesen Gedanke führt bereits Aristoteles aus. In der Nikomachischen Ethik beschreibt Aristoteles das Verhältnis von Vater zu Sohn als ein ungleichgewichtiges, da die Beziehung auf der Überlegenheit des einen Teils - der des Vaters - basiert. Ein Sohn könne dem Vater nicht vergelten, was seinem Verdienst entsprechend zukomme:

„Daher gilt es auch als unerlaubt, dass ein Sohn sich von seinem Vater, nicht aber dass ein Vater sich von seinem Sohn lossagt. Wer in Schuld steht, hat Gegenleistung zu bieten. Aber ein Sohn, auch wenn er aktiv gewesen ist, hat nichts zustande gebracht, was die Vor-Leistung des Vaters gebührend abdingen könnte: er bleibt also immer in Schuld.“[32]

Es ist also das Schicksal der Söhne, dass sie schon durch ihre Existenz eine Gabe erhalten haben, die sie niemals vergelten können. Wenn sich der ohnehin durch sein Dasein verschuldete Sohn vom Vater löst, steigert dieses „Vergehen“ seine Schuld in ein unermessliches Maß.

Die Eile mit der der Sohn seinen Anteil des Vermögens in bewegliche Habe umsetzt und fortgeht: „13Und nicht lange danach“, mag ein Indiz für den Konflikt mit dem Vater sein. Der folgende Aufbruch in „ein fernes Land“ wird überwiegend als Exodus in heidnisches Gebiet ausgelegt.[33] Der Anteil am väterlichen Vermögen scheint groß gewesen zu sein, denn es bedurfte der „Prasserei“, um ihn durchzubringen. Die Prasserei erscheint im biblischen Kontext moralisch verwerflich, weil sie zunächst der Tugend der Mäßigung zuwider handelt und in letzter Konsequenz das Resultat der Trennung vom Vater ist. Die folgenden Verse 14 bis 16 beschreiben in rascher Folge die Krise, die „Bewegung von anfänglicher Mittellosigkeit bis zur Lebensbedrohung weist eine ständige Steigerung der Not auf“[34]. Eine Hungersnot (Vers 14) führt den Sohn in eine extreme Notlage. Sein Elend wird besonders deutlich, wenn er seine Freiheit verliert und in der Fremde als Schweinehüter arbeiten muss (Vers 15). Das Schweinehüten galt den Juden als religiöses Verdikt, der Umgang mit unreinen Tieren (3. Mose 11:7) war ein Verstoß gegen das mosaische Gesetz. Die Darstellung der Lebensumstände in der Fremde weisen auf den „Abfall vom Glauben seiner Väter“[35] und letztendlich auf die „Verleugnung der Religion“[36] hin, denn er heiligt weder den Sabbat noch nimmt er rituelles Essen ein. Darüber hinaus ist anzunehmen, dass er zum Dieb wird, denn „16er begehrte seinen Bauch zu füllen mit den Schoten, die die Säue fraßen; und niemand gab sie ihm“ – er wird sie folglich gestohlen haben.[37] In seiner äußeren und inneren Not erinnert sich der Sohn an die Güte des Vaters. Wie er in sich geht, berichtet die Erkenntnisszene (Vers 17). Seine Erkenntnis und Reue sind jedoch wenig akzentuiert, im Grunde resultieren sie weder aus einer tiefen Sinnesänderung noch Läuterung. Seine Umkehr wird vielmehr durch die äußere Not hervorgerufen.[38] Die Erkenntnisszene kulminiert im Redeentwurf an den Vater (Vers 18 und 19). Das Eingeständnis, sich gegen den Vater versündigt zu haben, ist mehr als das bloße Bedauern seiner wirtschaftlich schlechten Situation. Denn die enthaltene moralische Selbstverurteilung: „Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir“ mündet im Verzicht auf die Sohnesrechte: „Ich bin hinfort nicht mehr wert, daß ich dein Sohn heiße“ und der Bitte um eine Position am Hof, die sein Leben sichern würde: „mache mich zu einem deiner Tagelöhner“.[39] Der Sohn erkennt seine Schuld und ist bereit die Konsequenzen auf sich zu nehmen. Gott und der irdische Vater sind die Instanzen, denen er sich unterwirft und vor denen er seine Verfehlung bekennt. Da er durch die Abfindung jeden Anspruch an den Vater verloren hat, will der verlorene Sohn den Vater lediglich um die Position eines Knechtes bitten. In Vers 20 vollzieht sich mit Eintritt der Lösung ein Perspektivwechsel, das Folgende wird aus der Sicht des Vaters erzählt. Dieser sieht den heimkehrenden Sohn von Ferne und eilt ihm entgegen. Noch bevor der Sohn sein Sündenbekenntnis sprechen kann, hat ihm der Vater vergeben, denn er umarmt und küsst ihn. Der Kuss ist wie bei 2. Samuel 14:33 Zeichen der Vergebung.[40] Erst nach dieser Begrüßung kann der Sohn sein Sündenbekenntnis vortragen. Doch die Bitte, ihn als Knecht aufzunehmen, entfällt. Der Vater überhört das Schuldbekenntnis und nimmt den Zurückgekehrten wieder als Sohn an. Die in Vers 22 genannten Anordnungen an die Knechte verbürgen seine wiederverliehene Sohnschaft: Das beste Gewand ist ein Ehrenkleid und gebührt dem ersten im Haus, der Ring bedeutet Vollmachtsübertragung, die Schuhe trägt der Freie, nur der Sklave läuft barfuss.[41] In der Vorbereitung des Festmahles (Vers 23) manifestiert sich die Freude über den heimgekehrten Sohn. Es ist die Liebe und überschwängliche Freude des Vaters, die hier auffällt, nicht die Initiative des Sohnes.

Die Erzählung vom älteren Sohn gliedert sich in zwei Abschnitte: In Exposition und Krise (Vers 25 bis 28) und Lösung (Vers 29 bis 32). In der Exposition befindet sich der ältere Sohn auf dem Weg vom Feld zum Haus des Vaters. Warum er sich außerhalb des eigentlichen Geschehens befindet, bleibt ungeklärt. Durch die Geräusche der Vorbereitung für das Freudenfest erhält der Sohn indirekt Informationen über das Ereignis und die Reaktion darauf. Ein herbeigerufener Knecht berichtet ihm von der Heimkehr seines Bruders, worauf der ältere Sohn sich weigert, ins Haus zu gehen und an der Freude teilzuhaben. Der zweite Abschnitt kennzeichnet den Vater abermals als entgegenkommend: „28Da ging sein Vater hinaus und bat ihn“. Die folgende Äußerung des älteren Sohnes steht der des jüngeren antithetisch entgegen: Beschuldigt der Jüngere sich selbst, wirft der Ältere dem Vater im Hinblick auf das Fest indirekt Verschwendung vor. Mit Nachdruck macht er ihn auf die vielen Jahre seines Dienstes aufmerksam. Er beschwört seinen Gehorsam und seine Rechtschaffenheit. Dagegen setzt er das Verhalten des Vaters, der ihm „nie einen Bock gegeben“ habe, damit er mit seinen Freunden „fröhlich gewesen wäre“. Der Ältere wird nach seinem Empfinden für seine Rechtschaffenheit nicht belohnt, der Jüngere für sein unmoralisches Verhalten nicht bestraft. Der Hauptvorwurf seiner Anklage ist, dass der Versündigte sogar noch belohnt wird. Seine Position ist die des selbstgerechten Gesetzestreuen, Gehorsamen, die sich im Anspruch auf den Vater und der Ablehnung des Bruders manifestiert. Er verweigert dem Heimgekehrten den Brudernamen, spricht verächtlich von „30dieser dein Sohn (da)“, statt von einem Bruder. Seine Anschuldigung, der Jüngere habe das väterliche Vermögen mit Huren verprasst, lässt die Distanz zwischen den Brüdern erkennen. In der Klage des Älteren wirken die Taten des Jüngeren sehr viel negativer als in der eigentlichen Erzählung. Die Diskrepanz zwischen den zuvor geschilderten Verstößen des Jüngeren und der Beurteilung des Älteren ist überdeutlich, so dass mit Dan Otto Via vermutet werden kann, das Gleichnis stelle den Älteren bewusst „in ein schlechtes Licht“. Denn auch „er befindet sich am falschen Platz, (...) er befindet sich nicht nur außerhalb des Hauses (...), sondern er bleibt absichtlich draußen“[42]. Der Weg des älteren Sohnes führt spiegelbildlich zum Weg des verlorenen Sohnes auf das Haus des Vaters zu, jedoch ist seine Heimkehr aus eigenem Antrieb unterbrochen. Diese Tatsache weist auf die Haltung des Älteren, denn die nicht vollzogene Heimkehr erscheint als Korrelat seiner inneren Entfremdung. Hat er, „der immer beim Vater blieb, (...) sich dennoch schon lange vom Vater getrennt“[43] ?

Die Antwort des Vaters widerspricht den Distanzierungen des Älteren gegenüber dem Jüngeren und setzt ihnen ein verbindendes „32Dieser dein Bruder“ entgegen. Durch die Anrede „Mein Sohn“ bindet er den Älteren an sich und erinnert den Unwilligen an die unbegrenzte Zeit der ihm gewährten Gemeinschaft, welche die Teilhabe am väterlichen Vermögen einschließt. Die Erzählung endet mit der Aufforderung des Vaters sich mitzufreuen, sie erzählt aber nicht, ob es gelingt den unversöhnlichen Sohn und den reuigen Sohn wieder zusammenzuführen.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Jesus seine Tischgemeinschaft mit Sündern gegenüber den Pharisäern mit drei Gleichnissen rechtfertigt, die dasselbe Thema referieren: Die Freude am wiedergefundenen Verlorenen. Er spricht die Gleichnisse, jedoch ohne sie zu deuten. Jesu Wort beansprucht autoritative Geltung, indem es den Verlauf der Kontroverse beschließt. Seine Rechtfertigung ist von überzeugendem Charakter, die gesamte Bildrede ist argumentativ.

Die dem Gleichnis vom verlorenen Sohn vorangehenden Gleichnisse machen ihre übertragene Bedeutung sogleich deutlich. Ein verlorenes Schaf heimzubringen (Lk. 15:1-7) oder einen verlorengegangenen Groschen wiederzufinden (Lk. 15:8-10), erfüllt den Finder mit Freude. Bezogen auf die Gesprächssituation geben die Gleichnisse ein Modell vor, in dem sich der Streitpunkt spiegelt: Die Sünder, die die Nähe Jesu und sein Wort suchen, sollen als wiedergefundene Verlorene wahrgenommen werden.[44] Die wörtliche Bedeutung zielt auf die sinnbildliche Bedeutung: „7So wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen.“ In den beiden ersten Gleichnissen wird also die Lehre, die dem Zuhörer vermittelt werden soll, sogleich explizit formuliert.

Die anschließende Erzählung vom verlorenen Sohn weicht bezüglich des Erzählten und des Erzählens von der Struktur der vorangehenden Gleichnisse ab. Im Präteritum berichtet Jesus eine abgeschlossene Geschichte, deren Chronologie durch die Rückwendung des älteren Sohnes unterbrochen ist. Ein erläuternder Schlusssatz fehlt, doch die Konfliktpartner treten figurativ in Erscheinung und verweisen auf den transzendierenden Sachzusammenhang: Die Umkehr des Sohnes verweist auf die des bußwilligen Sünders zu Gott, auf die Wende vom Verlorensein zum Wiedergefunden-Werden. Das Geschehen ist innerhalb der erzählten Welt durch die Begründung des Vaters motiviert: „Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden“. Das Geschehen soll auf die Welt außerhalb der erzählten Geschichte durch die Analogien Vater-Gott und Sohn-Mensch wirken. Die Figur des älteren Sohnes spielt auf die Schreiber und Pharisäer an, die Jesu Verhalten gegenüber den religiös Deklassierten als gesetzeswidrig verstehen. Die Parallelisierung versteht sich aus den Worten des älteren Sohnes: „29(...) Siehe, so viele Jahre diene ich dir und habe dein Gebot noch nie übertreten“. Der Zuhörer/Leser ist aufgefordert, eine Antwort zu finden; der offene Schluss überantwortet ihnen die Entscheidung: „Jesu Hörer sind in der Lage des älteren Sohnes, der sich entscheiden muss, ob er den bittenden Worten des Vaters Folge leisten und sich mitfreuen will“[45]. Die offene Leerstelle wirkt als Provokation in die aktuelle Situation hinein und erfordert eine Antwort von denen, die den Umgang mit den Wiedergekehrten ablehnen.

Im Folgenden wird das Gleichnis in das Spektrum parabolischer Rede eingeordnet, anschließend werden Handlungsstruktur und Figurenkonstel-lation analysiert. Diese Untersuchungen zielen nicht auf eine erschöpfende Analyse des Gleichnisses in seiner theologischen Dimension, sondern sollen primär diejenigen Elemente herausstellen, die zur Klärung der einzigartigen literarischen Rezeption beitragen können. Im Hinblick auf die Anzahl der Adaptionen drängt sich die Frage auf, welche inhaltlichen und strukturellen Besonderheiten ein biblischer Text haben muss, um derart stark epochenübergreifend fortzuwirken und immer neu belebt zu werden.

[...]


[1] André Gide: Die Rückkehr des verlorenen Sohnes. In: Gesammelte Werke in zwölf Bänden. Hrsg. von Raimund Theis und Hans Hinterhäuser. Bd. VII: Erzählende Werke. Stuttgart 1989-2000, S. 485-506. Die Rückkehr des verlorenen Sohnes wird nach dieser Ausgabe nur mit Angabe der Seitenzahl im fortlaufenden Text zitiert. Weitere Textstellen aus den Gesammelten Werken werden im Folgenden mit der Sigle GW, Bandangabe und Seitenzahl zitiert.

[2] Rainer Maria Rilke: Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge. München 2004. Im Folgenden abgekürzt als Malte-Roman.

[3] Franz Kafka: Heimkehr. In: Die Erzählungen und andere ausgewählte Prosa. Hrsg. von Roger Hermes. Frankfurt/Main 2004, S. 464. Nach dieser Ausgabe wird Heimkehr nur mit Angabe der Satzzahl im fortlaufenden Text zitiert.

[4] Robert Walser: Die Geschichte vom verlorenen Sohn. In: Das Gesamtwerk in 12 Bänden. Hrsg. von Jochen Greven. Zürich, Frankfurt/Main 1978. Bd. VIII: Verstreute Prosa I, S. 258-261. Die Geschichte vom verlorenen Sohn wird nach dieser Ausgabe nur mit Angabe der Seitenzahl im fortlaufenden Text zitiert. Weitere Textstellen aus den Gesammelten Werken werden im Folgenden mit der Sigle GW, Bandangabe und Seitenzahl zitiert.

[5] Vgl. bezüglich der zahlreichen Adaptionen: Daemmrich, Horst und Ingrid: Themen und Motive in der Literatur. Ein Handbuch. Tübingen 1987, S. 331-332; Kallensee, Kurt: Die Liebe des Vaters. Das Gleichnis vom verlorenen Sohn in der christlichen Dichtung und bildenden Kunst. Berlin 1960.

[6] Wie Theodore Ziolkowski nachgewiesen hat, wurde im 18. Jahrhundert die Säkularisation der Heiligen Schrift wirksam. Ziolkowski, Theodore: Die Säkularisation der Bibel. Zur Unentbehrlichkeit einer vergleichenden Literaturwissenschaft für das Studium der modernen deutschen Literatur. In: Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache. Hrg. Alois Wierlacher. Bd. 3. Heidelberg 1977, S. 137-149.

[7] Vgl. für den nationalen Sprachraum: Brettschneider, Werner: Die Parabel vom verlorenen Sohn. Das biblische Gleichnis in der Entwicklung der europäischen Literatur. Berlin 1978; Camenzind – Herzog, Elisabeth: Robert Walser - „eine Art verlorener Sohn“. Bonn 1981 (Studien zur Germanistik, Anglistik und Komparatistik, Bd. 107); Hamburger, Käte: Die Geschichte des Verlorenen Sohnes bei Rilke. In: Fides et Communicatio. Festschrift für Martin Doerne. Hrsg. von Dietrich Rössler. Göttingen 1970, S. 126-143; Kittsteiner, Heinz-Dieter: Von der Gnade zur Tugend. Über eine Veränderung in der Darstellung des Gleichnisses vom verlorenen Sohn im 18. und frühen 19. Jahrhundert. In: Spiegel und Gleichnis. Festschrift für Jacob Taubes. Hrsg. von Norbert W. Bolz und Wolfgang Hübener. Würzburg 1983, S. 135-148; Marsch, Edgar: Die verlorenen Söhne. Konstitution und Reduktion in der Parabel. In: Die deutsche Parabel. Zur Theorie einer modernen Erzählform. Hrsg. von Josef Billen. Darmstadt 1986 S. 364-388; Pfaff, Peter: Einspruch gegen die Landwirtschaft: Kafkas „Heimkehr“ – die Parabel zur Parabel. In: Die Sprache der Bilder: Gleichnis und Metapher in Literatur und Theologie. Hrsg. von Hans Weder. Gütersloh 1989, S. 76-91; Rohowski, Gabriele: „Der verlorene Sohn“: Narration und Motivation in den Prosatexten von André Gide, Rainer Maria Rilke, Franz Kafka und Robert Walser. In: Spielende Vertiefung ins Menschliche. Festschrift für Ingrid Mittenzwei. Hrsg. von Monika Hahn. Heidelberg 2002 (Frankfurter Beiträge zur Germanistik, 37), S. 289-302; Schlienger-Stähli, Hildegard: Rainer Maria Rilke – André Gide. Der verlorene Sohn. Vergleichende Betrachtung. Diss. Zürich 1974; Schmeling, Manfred: Verlorene Söhne. Rilke und Gide im übersetzerischen Dialog. In: Rilke und die Weltliteratur. Hrsg. von Manfred Engel und Dieter Lamping. Düsseldorf/Zürich 1999, S. 123-149.

[8] Ich setze bereits an dieser Stelle voraus, dass es sich bei der Geschichte des verlorenen Sohnes um eine Parabel handelt. Die Einordnung der Geschichte vom verlorenen Sohn in das Spektrum parabolischer Rede erfolgt im Kapitel 2.3. In der Literatur ist der Begriff „Gleichnis“ doppelt belegt und wird in einem engeren und weiteren Sinne gebraucht: Im weiteren Sinn zur Bezeichnung aller Erscheinungsformen der parabolischen Rede als eine Art Überbegriff, im engeren Sinn zur Bezeichnung des Gleichnisses als eine der Erscheinungsformen, d.h. nur für die von der Parabel, der Allegorie und der Beispiel-erzählung unterschiedene Erzählform. Der Tradition Adolf Jülichers folgend, verwende ich in der Arbeit den üblichen Terminus „Gleichnis“ als Überbegriff der Erscheinungsformen parabolischer Rede.

[9] Sämtliche Bibelzitate der Arbeit werden nach der Bibelausgabe der Evangelischen Haupt-Bibelgesellschaft zu Berlin und Altenburg (1988) zitiert.

[10] Jülicher, Adolf: Die Gleichnisreden Jesu. Reprogr. Nachdr. der Ausg. Tübingen 1910. Darmstadt 1976, S. 131.

[11] Nach Josef Billen wurden die Gleichnisse Jesu bereits von den Synoptikern missver-standen. Die Synoptiker hätten die Gleichnisse zu uneigentlicher, der Übersetzung bedürftiger Rede gemacht, was in der jahrhundertelangen Rezeptionsgeschichte zu allegorisierenden, gequälten Interpretationen geführt habe. Billen, Josef: Erzählform Parabel – Traditionshintergrund und moderne Erscheinungsformen. In: Die deutsche Parabel. Zur Theorie einer modernen Erzählform. Hrg. Josef Billen. Darmstadt 1986 (Wege der Forschung, Bd. 384), S. 389-446, hier S. 393.

[12] Philippi, Klaus-Peter: Parabolisches Erzählen. Anmerkungen zu Form und möglicher Geschichte. In: Die deutsche Parabel. Zur Theorie einer modernen Erzählform. Hrg. Josef Billen. Darmstadt 1986 (Wege der Forschung, Bd. 384), S. 222-265, hier S. 233.

[13] Das Nichtverstehen des Geheimnisses des Gottesreichs jener „Draußen“ klärt sich mit Blick auf die alttestamentliche Prophezeiung des Jesaja 6:10: „Verstocke das Herz dieses Volks und laß ihre Ohren taub sein und ihre Augen blind, daß sie nicht sehen mit ihren Augen noch hören mit ihren Ohren noch verstehen mit ihrem Herzen und sich nicht bekehren und genesen“. Diese Prophezeiung scheint sich bei Mt. 13:11: „Euch ist’s gegeben, die Geheimnisse des Himmelsreichs zu verstehen, diesen aber ist’s nicht gegeben“ und Mk. 4:11: „Euch ist das Geheimnis des Reiches Gottes gegeben; denen aber draußen widerfährt es alles in Gleichnissen“ zu erfüllen. Fast wörtlich findet sich die Prophezeiung Jesajas bei Mt. 13:13. Das Volk ist demnach von Gott geschlagen und kann die Worte des Messias gar nicht verstehen, allein den Jüngern ist das Begreifen gegeben.

[14] Philippi, S. 323, der These Jülichers folgend: „Christus (...) kann (...) in Parabeln nicht gesprochen haben mit jener Absicht, von irgend einem seiner Hörer nicht verstanden zu werden.“, S. 143.

[15] Jülicher, S. 119.

[16] Vgl. Brettschneider, S. 11.

[17] Jülicher, S. 136.

[18] Brettschneider, S. 11.

[19] Ebd., S. 12.

[20] Im Lukasevangelium: Lk. 5:8, Lk. 5:12-14, Lk. 7:36, Lk. 18:9-14, Lk. 19:1-10, Lk. 23:34, Lk. 23:43, im Matthäusevangelium: Mt. 11:19 und im Markusevangelium: Mk. 2:1-12, Mk. 2:14, Mk. 2:15-17.

[21] Vgl. Philippi, S. 226.

[22] Die Exegeten gliedern die Erzählung vom verlorenen Sohn uneinheitlich. Diese Arbeit folgt der Gliederung von Schnider, Franz: Die Verlorenen Söhne. Strukturanalytische und historisch-kritische Untersuchungen zu LK 15. Freiburg Schweiz 1977, S.46f.

[23] Vgl. Jeremias, Joachim: Die Gleichnisse Jesu. Göttingen 91977, S. 86 und Brettschneider, S. 16.

[24] Jeremias, S. 89.

[25] Via, Dan Otto: Die Gleichnisse Jesu. Ihre literarische und existentiale Dimension. München 1970 (Beiträge zur evangelischen Theologie Bd. 57), S. 152-164, hier S. 153.

[26] Vgl. Linnemann, Eta: Die Gleichnisse Jesu. Einführung und Auslegung. Göttingen 61978, S. 78.

[27] Vgl. Jeremias, S. 87; Kallensee, S. 10 und Linnemann, S. 72.

[28] Schniewind, Julius: Die Freude der Buße. Zur Grundfrage der Bibel. Hrsg. von Ernst Kähler. Göttingen 1956, S. 69.

[29] Pöhlmann, Wolfgang: Die Abschichtung des Verlorenen Sohnes (Lk 15,12 f.) und die erzählte Welt der Parabel. In: Zeitschrift für Neutestamentliche Wissenschaft 70 (1979), S. 194-213.

[30] Vgl. Kittsteiner, S. 143.

[31] Des Martin Luthers Großer Katechismus 1529. Hrsg. von Gotthilf Hermann. Berlin 111954, S. 37.

[32] Aristoteles: Nikomachische Ethik. Stuttgart 1969, S. 242.

[33] Schnider hingegen stellt fest, dass die Wendung „in ein fernes Land“ den jüngeren Sohn nicht zum Typus des Heiden macht, sondern in der Struktur der Erzählung verdeutlicht, dass sich der jüngere Sohn vom Vater getrennt hat, S. 83.

[34] Harnisch, Wolfgang: Die Gleichniserzählungen Jesu. Eine hermeneutische Einführung. Göttingen 31995, S. 202.

[35] Linnemann, S. 73.

[36] Kallensee, S. 11.

[37] Vgl. Jeremias, S. 87.

[38] Vgl. Hamburger, S. 129. Gegen Schniewind, der die Umkehr als Akt der „Reue und Buße“ wertet, S. 51.

[39] Vgl. Harnisch, S. 204.

[40] Nach Jeremias, S. 88.

[41] Ebd.

[42] Via, S. 159.

[43] Schniewind, S. 65.

[44] Vgl. Harnisch, S. 227.

[45] Jeremias, S. 89.

Ende der Leseprobe aus 83 Seiten

Details

Titel
Die biblische Geschichte vom verlorenen Sohn in der europäischen Literatur des 20. Jahrhunderts
Untertitel
Ausgewählte Beispiele
Hochschule
Technische Universität Berlin  (Institut für Literaturwissenschaften)
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
83
Katalognummer
V63667
ISBN (eBook)
9783638566650
ISBN (Buch)
9783638669481
Dateigröße
680 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Vier moderne Variationen des biblischen Gleichnisses werden komparativ untersucht: "Die Rückkehr des verlorenen Sohnes" von André Gide, das letzte Fragment der Aufzeichnungen des "Malte Laurids Brigge" von Rainer Maria Rilke, "Heimkehr" von Franz Kafka und "Die Geschichte des verlorenen Sohnes" von Robert Walser. Die Erzählungen weisen direkt auf die Referenzgeschichte hin, haben aber einen signifikanten Sinnzuwachs erhalten. Dieser wird in der Arbeit jeweils herausgestellt.
Schlagworte
Geschichte, Sohn, Literatur, Jahrhunderts, Beispiele
Arbeit zitieren
Magistra Artium Melanie Finck (Autor:in), 2006, Die biblische Geschichte vom verlorenen Sohn in der europäischen Literatur des 20. Jahrhunderts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/63667

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Titel: Die biblische Geschichte vom verlorenen Sohn in der europäischen Literatur des 20. Jahrhunderts



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