Eine kritische Auseinandersetzung mit George Lakoffs "Women, Fire and Dangerous Things"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

18 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Lakoffs Thesen
A. Kategorien und Prototypen
B. Idealized Cognitive Models (ICMs)
C. Verkörperung

III. Kritikpunkte
A. Prototypen-Effekte und "Idealized Cognitive Models"
B. Verwechslung von "concepts" und "conceptualization"
C. "Motivation" und "Compositionality"

IV. Wertung

V. Literatur

I. Einleitung

Das Verhältnis zwischen Körper und Geist gehört zu den klassischen Themen der Philosophie und ist in den letzten Jahren vor allem durch die Entwicklungen in den Naturwissenschaften und in der Informatik in den Mittelpunkt der philosophischen Diskussion gerückt. Die Forschungsergebnisse der Neurobiologie legten dabei oft eine reduktionistische Sichtweise nahe, in der Denkprozesse als unmittelbare Ergebnisse biologischer Vorgänge erschienen. Die rasante Entwicklung der Rechenkapazität von Computern hat in der KI-Forschung zu der Frage geführt, bis zu welchem Grad kognitive Leistungen des Menschen von Computern nachgeahmt werden können.

Die philosophische Position, die mit dem noch sehr vagen Oberbegriff "embodied cognition" beschrieben wird, greift diese Tendenzen teilweise auf, setzt sich aber gleichzeitig deutlich von ihnen ab: So gehen die Vertreter der "embodied cognition" von einer Einbettung des Denkens in körperliche Vorgänge aus, aber sie wollen das Denken nicht reduktionistisch auf Naturvorgänge zurückführen. Vielmehr soll gerade in der Verbindung von Geist und Körper der zentrale Unterschied zwischen menschlichem Denken und dem Rechnen von Computern bestehen. Der Körper ist dabei nicht mehr das zu überwindende Erkenntnishindernis, sondern er macht Arten von Erfahrung möglich, die Computern und anderen körperlosen Wesen unzugänglich sind. Damit wendet sich "embodied cognition" auch gegen die in der Kognitionswissenschaft bis in die 80er Jahre verbreitete, dann aber immer heftiger kritisierte Auffassung, Denken sei eine Art von Informationsverarbeitung, die in Analogie zur Manipulation von abstrakten Symbolen verstanden werden könne.

George Lakoff hat seit den 80er Jahren immer wieder die Bedeutung des Körpers für das Denken hervorgehoben. In seinem wohl bekanntesten Buch "Women, Fire and Dangerous Things" argumentiert er vor allem aus linguistischer Perspektive für eine Bedeutungstheorie, die den Körper berücksichtigt. Er geht von der Frage aus, nach welchen Kriterien wir Objekte kategorisieren und Begriffe bilden. Dabei greift er auf empirische Erkenntnisse der Kognitionswissenschaft und der Psychologie zurück. Lakoff will letztlich zeigen, dass die Strukturen, die der Sprache Bedeutung verleihen, nicht von unserer körperlichen Verfasstheit zu trennen sind.

Lakoffs Überlegungen sind innerhalb der Linguistik und der Philosophie auf sehr breites Interesse gestoßen. Auch wenn viele Rezensenten in Einzelfragen Lakoff kritisiert haben, herrschte die Einschätzung vor, dass Lakoffs Werk der Semantik eine ganz neue Richtung gegeben hätte.[1] Gerade weil Lakoffs an vielen Stellen traditionellen Theorien widerspricht und ein sehr weites Spektrum von Fragen aus der Sprachphilosophie und Linguistik behandelt, berührt die Diskussion um das Buch einige grundsätzliche Aspekte der Semantik. Dies soll in dieser Hausarbeit vor allem anhand eines kritischen Aufsatzes von John Vervaeke und Christopher Green deutlich werden. Im ersten Teil der Arbeit werde ich dabei zunächst Lakoffs Thesen zusammenfassen, dann werde ich einige der von Vervaeke und Green gegen Lakoff vorgebrachten Argumente erörtern.

II. Lakoffs Thesen

A. Kategorien und Prototypen

Die von Lakoff als "klassisch" bezeichnete Bedeutungstheorie geht davon aus, dass Kategorien durch gemeinsame Eigenschaften definiert sind: "Things were assumed to be in the same category if and only if they had certain properties in common."[2] Diese Annahme geht wesentlich auf Aristoteles zurück und ist, zum Beispiel bei Wittgenstein, schon häufig kritisiert worden. Weiter in Frage gestellt worden ist die "klassische" Theorie der Kategorisierung durch empirische Forschungen in der Psychologie und in den Kognitionswissenschaften in den 70er Jahren, etwa durch Eleanor Rosch.[3]

So haben empirische Studien gezeigt, dass Versuchspersonen für viele Kategorien besonders typische Beispiele angeben: Wenn Versuchspersonen gebeten werden, einen Baum zu zeichnen, dann zeichnen sie überdurchschnittlich oft einen Nadelbaum. Die Kategorie "Baum" scheint also weniger durch gemeinsame Eigenschaften bestimmt zu sein, sondern eher durch einzelne, besonders charakteristische Beispiele. Auch wenn man Versuchspersonen bitten würde, ein Säugetier zu nennen, würden die meisten wohl eher ein Hund oder ein Pferd nennen, als einen Blauwal. In anderen Fällen, etwa bei der Kategorie "großer Mensch", sind die Grenzen der Kategorie selber unscharf.[4]

Gerade diese beiden Phänomene legen eine Theorie der Kategorisierung nahe, die schon vor Lakoff als "Prototypentheorie" der Kategorisierung bezeichnet wurde. Demnach gibt es bestimmte Mitglieder einer Kategorie, die als Prototypen besonders repräsentativ für eine Kategorie sind. Die Mitgliedschaft zu einer Kategorie ist deswegen auch nicht immer eindeutig bestimmbar wie in der klassischen Theorie, sondern ist abgestuft.

Die Prototypentheorie lässt jedoch viele Fragen offen: Vor allem ist nicht klar, wie genau das Verhältnis zwischen Prototypen und einzelnen Mitgliedern einer Kategorie ist, inwiefern die Prototypen also eine Kategorie definieren.

Diese Fragen versucht George Lakoff im Rahmen einer linguistischen Theorie zu beantworten. An einer Stelle verdeutlicht er seine Sichtweise am Beispiel der Partikel "hon"[5], mit der im Japanischen Nomen klassifiziert werden. So wird "hon" etwa beim Zählen von langen, dünnen Gegenständen (etwa Haaren, Kerzen, Stiften) an das Zählwort angehängt. Jedoch ist die Kategorie "hon" nicht durch diese gemeinsamen Eigenschaften erschöpft, sondern man benutzt "hon" auch in anderen Fällen: So etwa, um Kampfsportduelle mit Stöcken oder Schwertern, "hits" beim Baseball oder vom Arzt verabreichte Spritzen zu zählen. Einzelne, für die genannten Handlungen wichtige Objekte, nämlich die Waffen, den Baseballschläger und die Spritze, die lang und dünn sind, werden wie beim Stilmittel der Metonymie als stellvertretend für die gesamte Handlung genommen. Ein ähnliches Beispiel sind Klebebänder, die, wenn sie in ausgerolltem Zustand ihre Funktion erfüllen, lange und dünne Objekte sind, und deswegen ebenfalls mit "hon" gezählt werden. Der Funktionszusammenhang ist hier also der Grund dafür, dass Objekte in die Kategorie einbezogen werden.

Diese Ergebnisse ließen sich vielleicht noch in einer klassischen Theorie der Kategorisierung erklären. Erstaunlicherweise fallen aber Telefonanrufe, Radio- und Fernsehprogramme und Filme ebenfalls unter die Kategorie "hon", obwohl man von ihnen beim besten Willen nicht mehr sagen kann, sie seien lange und dünne Gegenstände. Die Eigenschaften "lang" und "dünn" werden in diesen Fällen, so Lakoffs Erklärung, metaphorisch auf die bildlich vorgestellte Verbindung zwischen den Kommunizierenden und schließlich auf die Kommunikation insgesamt übertragen. Man kann sich auch vorstellen, dass der Telefondraht diese metaphorische Übertragung nahe gelegt hat.

Gemeinsam ist den von Lakoff erwähnten Beispielen, dass der bildlich vorgestellte Prototyp eines langen und dünnen Objekts auf andere Objekte übertragen wird. Diese Übertragungen können auf unterschiedliche Weise geschehen, etwa als Metonymie (der Teil, z.B. die Spritze, steht für den gesamten Injektionsvorgang) oder als Metapher (Kommunikation wird durch ein langes und dünnes Verbindungsmedium symbolisiert).

Lakoff erweitert und differenziert die Prototypentheorie also beträchtlich. Die Kategorien werden nicht eindeutig durch Prototypen bestimmt, sondern die Beziehungen zwischen den Prototypen und den einzelnen Mitgliedern einer Kategorie entstehen durch komplizierte metaphorische Verbindungen.

[...]


[1] Vgl. dazu die Rezensionen von von Violi, Patrizia: Body, Experience and Meaningful Things, in: Semiotica 80 (1990), S. 321-336 und Nuyts, Jan: Cognitive Linguistics, in: Journal of Pragmatics 20 (1993), S. 269-290.

[2] Lakoff, George: Women, Fire and Dangerous Things, Chicago 1987, S. 6.

[3] Ebd., S. 37ff.

[4] Vgl. die Zusammenfassung in ebd., S. 56.

[5] Vgl. ebd., S. 104.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Eine kritische Auseinandersetzung mit George Lakoffs "Women, Fire and Dangerous Things"
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Philosophie)
Veranstaltung
Hauptseminar: Embodied Cognition
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
18
Katalognummer
V63549
ISBN (eBook)
9783638565752
ISBN (Buch)
9783640139200
Dateigröße
525 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit gibt einen guten Überblick über die zentralen Argumente in Lakoffs berühmtem Buch "Women Fire and Dangerous Things" und stellt anhand eines kritischen Aufsatzes einige mögliche Einwände gegen Lakoff dar. Eignet sich auch gut als Überblick über einige grundsätzliche Fragen in der neueren bedeutungstheoretischen Diskussion.
Schlagworte
Eine, Auseinandersetzung, George, Lakoffs, Women, Fire, Dangerous, Things, Embodied, Cognition, Sprachphilosophie, Bedeutungstheorie, Körper, Geist
Arbeit zitieren
Moritz Deutschmann (Autor:in), 2006, Eine kritische Auseinandersetzung mit George Lakoffs "Women, Fire and Dangerous Things", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/63549

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Eine kritische Auseinandersetzung mit George Lakoffs "Women, Fire and Dangerous Things"



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden