The Matrix - und die Gretchenfrage


Seminararbeit, 2002

17 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Kapitel 1: „The Matrix“ und seine religiösen Anspielungen
1.1 Inhaltsangabe
1.2 religiöse Motivik

Kapitel 2: „The Matrix“ und seine religiöse Handlung?
2.1 Stufen der Handlung
2.2 Grundmotive
2.2.1 griechische Philosophie
2.2.2 jüdisch-christliche Eschatologie und Gnosis
2.2.3 östliches Weltverständnis

Nachwort

Literaturverzeichnis

Einleitung

We are such stuff

As dreams are made of, and our little life

Is rounded with a sleep

(Shakespeares Prospero)

Seit den Tagen Platons und Aristoteles ist das Staunen fest im abendländischen Denken verankert und war eine der wichtigsten Triebfedern des Dranges nach Erkenntnis und Strebens nach Wissen. Dem verständigen Wissen der Aufklärung freilich und dem wohl vereinseitigten rationalen Denken der Moderne war das Staunen als eine Art von wundersam-obskurem Nichtwissen aber auch verdächtig – bevor es von der Romantik und Denkern wie Nietzsche unter dem Gesichtspunkt des Ästhetischen erneut emphatisch zur Geltung gebracht worden ist. Doch Staunen ist nicht nur eine Qualität der theoretischen Neugierde; in der Lebewelt, im Alltag und auch in der Kunst ist es eine nicht minder wichtige Voraussetzung zur Erfahrung des Unbekannten, des Neuen und zur Wahrnehmung des Fremden, – vielleicht hat nun für das Wahrnehmen des bewegten Bildes das Staunen eine besonders hervorgehobene Bedeutung.

„Erwachen“, heißt es bei Walter Benjamin im Passagen-Werk als eine Definition von Staunen, „ist der exemplarische Fall des Erinnerns. Es gibt noch nicht bewusstes Wissen vom Gewesen, dessen Förderung die Struktur des Erwachens hat“[1]. So ist im Staunen das Erinnern eine Funktion des Erwachens – von Stufe zu Stufe –, was wiederum bedeutet, dass die Potenz zum Staunen einen wie auch immer gearteten Schlaf bzw. Traum bedingt.

Die Matrix ist Gebärmutter einer hundertprozentig hüllenden Illusion, ohne Schlupfwinkel, noch offensichtliche Schwachstellen: „The Matrix is everywhere, it`s all around us, here even in this room. You can see it out of your window, or on your television. You feel it when you go to work, or go to church or pay your taxes. It is the world that has been pulled over your eyes to blind you from the truth a prison for your mind“[2]. Es ist so auch kein Zufall, wenn in einer Einstellung von The Matrix das wohl bekannteste Buch des französischen Philosophen Jean Baudrillards[3] zu sehen ist: Simulacres et Simulation.[4]

Dem Blick von außen freilich – aber wie wäre er möglich? – erscheint sie in ihrer zweiten, eigentlichen Bedeutung, wenn ein Regen von Zahlenkolonnen in diesem Film, vielleicht vom Ende und Nachspiel der Neuzeit kündend, vor den Beobachter der simulierten Welt ein Schleier- oder Gitternetz legt, das dem gleicht, mit dem an deren Anfang Leon Battista Alberti den Sehkegel zerschnitten hatte, um den Blick zu rahmen und durch wortwörtliche Vorstellung auf dem zweidimensionalen Medium die Linearperspektive zu konstruieren. Durch die Neuerfindung der Perspektive in der Renaissance und der mit ihr verbundenen Emanzipation des Tafelbildes löst sich die Darstellung von ihrem Gegenstand und wird selbst symbolische Form.

Auch René Descartes erfährt dies auf der Schwelle von Renaissance und Barock in jenen Träumen, von denen wir wissen, dass sie ihn am 10. November 1619 heimsuchen und überzeugen, die Grundlage einer wunderbaren Wissenschaft gefunden zu haben. „Ich will glauben“, so Descartes, „Himmel, Luft, Erde, Farben, Gestalten, Töne und alles Äußere sei nichts als täuschendes Spiel von Träumen, durch die (der deus malignus) meiner Leichtgläubigkeit Fallen stellt, mich selbst will ich so ansehen, als hätte ich keine Hände, kein Fleisch, kein Blut, überhaupt keine Sinne, sondern glaubte nur fälschlich, das alles zu haben“[5]. Bekanntlich ist angesichts dieses möglichen deus malignus die Erkenntnis bei Descartes von der Gottesgarantie abhängig; und zum vorläufigen Höhepunkt solcher Episteme gerät also der kybernetische oder systemtheoretische Regelkreis. Unausgesetzte Rückkopplung und Kontrolle sagen nichts aus über seine ontologische Wahrheit, sondern nur über seine „Passung“. „Das passt“ sagen heute nicht nur Ingenieure, sondern auch Philosophen und Religionswissenschaftler. Nur Menschen wie Neo – der Hauptprotagonist des Filmes – haben gelegentlich ein Gehör für eine unerklärbare und existenzielle Unstimmigkeit menschlichen Daseins in der Welt.

„Hattest du schon einmal einen Traum, Neo, von dem du glaubtest, er sei real?“ fragt Morpheus im Film. „Und was wäre, wenn du aus diesem Traum nicht mehr aufwachst? Und woher wüßtest du, was Traum ist und was Realität?“ – Wir wissen, dass Descartes am Anfang der Moderne die Versicherung, dass das Leben kein Traum aus Phantasmen und Simulacren des großen, malignen Demiurgen sei, träumend erhält.

Nur träumend, träumend auf eine sehr bewusste Weise, das lehren Science-fiction-Filme wie The 13th floor oder The Matrix, können einige vielleicht den Traumcode der Welt knacken. Die Neuzeit, so soll hier der Versuch einer teilweisen Charakterisierung gewagt sein, versucht krampfhaft (und vielleicht auf sehr ungeeignete Weisen) aus dem „Code Welt“ aufzuwachen, den sie sich vorstellt und dem sie sich vor-stellt. Nach dem vielbeschworenen Ende der Moderne aber ist es vielleicht der Programmierer Anderson, der als Neophyt unter seinem Hacker namen Neo nicht vom Philosophen, sondern vom Schlaf- und Traum gott Morpheus die Versicherung erhalten muss, dass sein bewusstes Leben kein Leben, sondern ein virtuelles Programm ist.

Das eingangs erwähnte Erwachen im Vorgang des Staunens hat aber noch eine andere, eine explizit religiöse Bedeutung – die der Erweckung.

Zielt der Titel dieser Arbeit auf die „Religiosität des Films“, also ob der Film bewusst oder minder bewusst aus religiöser Sicht von unserer Welt künden will – oder bloße Science-fiction ist, so sei hier doch von einer integral kulturwissenschaftlich verstandenen, empirischen Religionswissenschaft ausgegangen. Nicht nur, weil es erstaunlich (!) wenig Literatur zu diesem Film gibt, muss sich in dem hier gebotenen Rahmen die Untersuchung aber mehr als eine solche zur empirischen Hypothesenbildung verstehen. Doch die bloße Frage wandelt sich von „Sag, wie hältst du’s mit der Religion?“ zu „Sag, in welchen kulturellen religiösen Kategorien beschreibst du dein Verhältnis zu dem von dir so oder so aufgefaßten Kulturbegriff von Religion?“ (was natürlich Goethes Versmaß etwas überfordern würde...).[6]

Zu diesem Zweck soll in dieser Arbeit – und wie es sich für ihren Umfang geziemt – lediglich in einem ersten Teil die explizite bzw. in einem zweiten Teil die im Handlungsverlauf zu vermutende implizite religiöse Motivik herausgestellt werden, – die Frage, ob der Film jetzt religiös an sich ist, wird aus kulturwissenschaftlicher Perspektive aber obsolet.

– Denn das ist das Experiment, oder besser: die Wette, die der Film Matrix eingeht: Ob es ihm gelingt, den Zuschauer zu wecken, indem er ihn zum Staunen bringt.

[...]


[1] W. Benjamin, Passagen, 491.

[2] Sagt Morpheus in dem Film zu Neo.

[3] Vgl. allgemein seine Theorie der Moderne, in welcher „die Dinge ihr eigenes Spiel spielen. Sie rächen sich an den Zumutungen des Subjekts, ihnen einen Sinn, einen Wert, eine Geschichte zu diktieren und winken mit fatalen Strategien der Verführung, die den Zufall gegen den Sinn, den Tod gegen den Wert und die Überraschung gegen die Geschichte ausspielen“, aus: B. Lutz, Philosophen, 85; seine Philosophie liest sich wie eine Science-fiction des Verlusts allen Sinns in der Simulation des Sozialen.

[4] Übrigens am Anfang des Kapitels „Über Nihilismus“.

[5] Zit. aus: R. Zons, Zeit, 244.

[6] An dieser Stelle wäre es natürlich interessant, durch eine statistische Erhebung zu ermitteln, in welchen (religiösen?) kulturellen Kategorien der Film – ob bewusst oder unbewusst – beim Konsumenten rezipiert wird.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
The Matrix - und die Gretchenfrage
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Note
1,5
Autor
Jahr
2002
Seiten
17
Katalognummer
V63533
ISBN (eBook)
9783638565646
ISBN (Buch)
9783656620129
Dateigröße
478 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Eine Untersuchung des Kinoereignisses "The Matrix" aus religionswissenschaftlicher Sicht: religiöse Motivik, dem Plot der Geschichte inhärente religiöse Struktur, religiöse Grundmotive (griechische Philosophie, jüdisch-christliche Eschatologie und Gnosis, östliches Weltverständnis etc.) Eine Meilenstein der Filmgeschichte: dem Betrachter zum Genuss und dem Genießer zur Betrachtung empfohlen!
Schlagworte
Matrix, Gretchenfrage
Arbeit zitieren
Magister Dominic Lüthi (Autor:in), 2002, The Matrix - und die Gretchenfrage, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/63533

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