Peter Abaelards - Auseinandersetzungen an der Domschule von Paris


Seminararbeit, 1999

29 Seiten, Note: 1-


Leseprobe


Inhalt

I. Einleitung

II. Zeitlicher Hintergrund
II. 1. Schulen zur Zeit Abaelards
II. 2. Wanderstudium und die ersten Lehrer
II. 3. Roscelin de Compiègne

III. Das erste mal in Paris
III. 1. Student und junger Lehrer
III. 2. Wilhelm von Champeaux und der Universalienstreit
III. 3. Die erste Auseinandersetzung mit seinem Lehrer

IV. Der Zwischenaufenthalt in Laon
IV. 1. Die Situation in Laon
IV. 2. Abaelards Auseinandersetzung mit Anselm von Laon
IV. 3. Rückkehr nach Paris als Leiter der Domschule

VI. Beurteilung

Lebenslauf

Quellen

Literatur

I. Einleitung

Abaelard (1079-1142) zählt wohl zu den führenden und umstrittensten Denkern seiner Zeit. Seine außergewöhnliche Lebensgeschichte, die im besonderen durch seine tragische Liebschaft mit Heloise bis heute immer wieder neu entdeckt wird, fällt besonders auf. Daß er dann von Rom aus noch als Ketzer verurteilt wurde, macht ihn fast zum Märtyrer für die Wissenschaft, denen besonders heute die Sympathie eines breiten Mainstream entgegenkommt.

Doch was war Abaelard für eine Persönlichkeit? War er der große, nicht verstandene Lehrer, gegen den der gesamte orthodox-konservative Klerus zu stehen schien?

In seinem eigenen Leidensbericht, der “Historia calamitatem”, in dem er Rechenschaft ablegt, sieht er sich vornehmlich als Opfer und somit ist diese nicht als objektive Quelle zu gebrauchen. Auch erinnert sie mich – dieser Vergleich mag weit hergeholt sein – an eine kürzlich in Deutschland erschienene Rechtfertigungsschrift eines bekannten Politikers.

Da “Historia calamitatem” also mit Vorsicht zu genießen ist, stellt sich die Frage, wie man sonst noch an die Persönlichkeit Abaelard herangehen kann.

Ein Weg könnte eine genauere Betrachtung seiner Auseinandersetzung mit seinen ersten drei Lehrern (Roscelin de Compiègne, Wilhelm von Champeaux und Anselm von Laon) sein.

Ging es bei diesen Auseinandersetzungen Abaelard um die wissenschaftliche Sachlichkeit oder waren persönlicher Ehrgeiz und Revierverteidigung andererseits der wahre Grund der Streitigkeiten? Um diesem Sachverhalt tieferen Aufschluß zu geben, werde ich im folgenden Abaelards anfängliche Zeit in Paris genauer betrachten. War er wirklich der Zeit in seiner Geisteshaltung voraus und war sein Eintreten für das Primat der Vernunft die Hauptquelle seines tragischen Schicksals?

Ich hoffe mit meinen Ausführungen dieser Frage etwas tiefer auf den Grund gehen zu können.

II. Zeitlicher Hintergrund

II. 1. Schulen zur Zeit Abaelards

Um einen kleinen Einblick in das Bildungssytem der damaligen Zeit zu geben, versuche ich erst einmal die Schulen der damaligen Zeit zu beschreiben, die sich dann im Laufe von Abaelards Leben in Universitäten umwandelten, wobei auch Abaelard auch einen großen Beitrag lieferte.

Als Abaelard sein Zuhause verließ um sich fortzubilden, suchte er Schulen und diese gab es zu dieser Zeit zum größten Teil an Bischofssitzen oder in Klöstern. Dort waren die Grundlagen des Unterrichts die artes liberales, die sieben freien Künste. Der volle Unterricht begann mit dem trivium, den drei sprachlichen Fächern Grammatik, Dialektik und Rhetorik, und setzte sich fort mit dem quadrivium, den mathematisch realen Fächern Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie und wir können davon ausgehen, daß auch Abaelard diese klassische Ausbildung durchlaufen hat[1].

Durch die Zulassung externer Schüler an Kloster- und Domschulen wandelte sich das Bildungssystem. Der Anspruch, ein Studium Generale vermitteln zu wollen und nicht nur den üblichen Elementarunterricht, war nun gegeben. Gleichzeitig vollzog sich auch ein verändertes disziplinarisches Verhalten. Die pueri, die bisher von ihrem grammaticus hart körperlich gezüchtigt wurden, wie auch Anselm von Canterbury berichtet: “Tag und Nacht schlagen wir mit der Rute und ohne Unterlaß bereitet sie Schmerzen”[2]. Doch schon kurze Zeit später berichtet der Prämonstratenser-Abt Philipp von Harvengt (=1183) von einer neuen Studentengeneration, die "frei ist von der Angst schulischer Unterwürfigkeit und dem Zwang der magisterlichen Zuchtrute”[3]. Es beginnt somit eine neue Zeit für die Lernenden, sie lernen nun aus Begeisterung zur Wissenschaft. Eine neue studentische Freiheit brach an, die nun aus der Enge der klösterlichen Zucht hinauswuchs und deren Konsequenz die Gründung der europäischen Universität war. Dieser Vorgang vollzog sich aber vorerst nur in Nordfrankreich, das damit die Schulen des deutschen Reiches, aber auch des Burgunds und Südfrankreichs abhängte. Dieses Nordfrankreich bildete nun den Lebensraum in dem Abaelard aufwuchs.[4]

In der Jugend Abaelards war die Klosterschule Le Bec in der Normandie bereits eine Institution. Diese Schule, die im Jahre 1043 von Lanfranc von Pavia (1005-1089), einem Norditaliener gegründet worden war, wurde besonders durch ihren bekanntesten Schüler Anselm von Canterbury (1033-1109) bekannt, der, ebenfalls Norditaliener, in seiner Schrift “Monologion” Abaelards Theologie den Weg bereitete.

In dieser Schrift versuchte er, allein auf die Vernunft (sola ratione) gegründet, die gesamte Glaubensweisheit zu begründen, wobei er zwei Ziele verfolgte, einerseits die Ungläubigen durch Vernunft vom Glauben zu überzeugen, andererseits aber die ”Gläubigen” zur Einsicht zu bringen.

Dieses Programm stieß aber auf keinerlei Widerstand. Wahrscheinlich war er seiner Zeit zu weit voraus. Das wesentlich bescheidenere Programm Abaelards hingegen erfuhr viel mehr Protest.[5]

II. 2. Wanderstudium und die ersten Lehrer

Peter Abaelard wurde 1079 in Le Pallett, einem kleinen Städtchen in der Nordbretagne geboren und wuchs dort auch auf. Seine Eltern gehörten dem unteren Adel an und sein Vater Berengar arbeitete wahrscheinlich als Burgmann, der die örtliche Burg bewachte und dafür ein Stück Land bekam.

Peter war der älteste Sohn, und somit stand ihm auch das Erbe zu, doch auch sein Vater hatte eine kleine Ausbildung vor seiner Arbeit als Burgmann erhalten und wollte diese auch seinen Kindern gönnen.[6] Und Abaelard führt aus, daß je mehr er lernte, desto größer sein Interesse wurde, bis er sich entschloß, “den Ruhm von militärischer Größe und damit einhergehend die Erbschaft und die Privilegien des ältesten Sohnes abzulegen”[7], um sich den Studien zu widmen.

Abaelard, der also nun auch wie ein Ritter auszog, aber nicht um mit Waffen zu kämpfen, sondern mit seinen Argumenten, hält sich in seiner Beschreibung sehr zurück und es ist nicht klar, wo er überall studierte. “...wanderte ich also nun von Ort zu Ort – überall dorthin, von wo ich hörte, das die Kunst der Dialektik blühte.”[8]

Das geistige Leben im Europa des Mittelalters kannte keine Grenzen. Ob man in Rom, Norditalien oder der Bretagne, dem deutschen Reich oder England wohnte, war durch die gemeinsame Sprache der Bildung, dem Lateinischen, fast einerlei. Und dies ist auch an Lebensläufen, wie dem eines Anselm von Canterbury, deutlich zu erkennen. Von Abaelard wissen wir allerdings nicht, ob er sich in seiner Jugend auch im Ausland aufgehalten hat. Später blieb er jedoch der Ile de France treu.

Auf jeden Fall studierte er in Loch und Tours und für eine längere Zeit bei einem der berühmtesten Lehrer seiner Zeit, dem berühmten Scholastiker Roscelin de Compiègne, wie Roscelin in einem Brief mitteilt, den er 20 Jahre später an Abaelard schrieb.[9]

Doch Abaelard, der von Roscelins eigenwilliger Interpretation der antiken logischen Texte und seinen Diskussionen viel lernte, verschweigt im nachhinein, daß er als Schüler zu seinen Füßen saß. Wohl auch aus dem Grund, weil Roscelin 1092 wegen seiner Trinitätstheologie in Soisson zum Exil verurteilt wurde und Abaelard nicht in den Geruch kommen wollte, der Schüler eines Häretikers zu sein.[10]

II. 3. Roscelin de Compiègne und die Logik

Der schon oben genannte Roscelin prägte aber Abaelard in besonderer Weise und begleitet ihn sein ganzes Leben lang.

Roscelin selbst war Philosoph und Scholastiker und lehrte gegen Ende des 11. Jahrhunderts in Locmine in einem Kloster in der Bretangne. Er ist in die Geschichte als einer der bekanntesten Vertreter des Nominalismus eingegangen.

Die Konsequenz aber, die nun Roscelin daraus für die Theologie ableitete, wurde sein Verhängnis. Er wendete nun seine Theorie auf die Trinität an und folgerte, daß die Dreifaltigkeit keine gemeinsame Substanz haben könne, weil ja nur das Individuum, das heißt die Einzelperson existiere. So erklärte sich für ihn die Bestätigung von drei unterschiedlichen göttlichen Substanzen, denen Roscelin dennoch denselben Willen und dieselbe Macht zuerkannte. Denn, wenn in Gott nur eine Substanz liege, so Roscelin, wären Vater, Sohn und heiliger Geist fleischlich vereinigt.[11] So wurde er des Tritheismus angeklagt und 1092 in Soissons zum Exil verurteilt und ging nach England. Er versuchte noch in Rom eine Rehabilitation zu erreichen, die ihm aber verweigert wurde, weil er seine Theorien nicht widerrufen hatte.[12]

Abaelard, der nachher auch seine Theorien bekämpft, ist aber von dem stringenten logischen Denken fasziniert und versucht eine neue Universalientheorie zu entwickeln.

Er negiert nämlich die reale Existenz von Universalien vor und nach den Einzeldingen, nimmt allerdings an, daß Universalien im Verstand vor jeglicher Erfahrung entstandene Allgemeinbegriffe (Konzepte) sind, die die Rolle einer besonderen Form der Erkenntnis spielen. Die Universalien sind nach diesen Theorien bewußtseinsmäßige Begriffe oder Vorstellungsbilder, die durch das Abstrahieren von Gleichheiten zwischen Einzeldingen zustande kommen. Diese Richtung des Nominalismus ist in der Geschichte der Logik eingegangen unter dem Namen Konzeptualismus (vom lat. concipere – zusammenfassen, begreifen), ist jedoch im Verhältnis zu den anderen Universaltheorien eine gemäßigte Theorie, die versucht, einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Fronten zu schaffen.[13]

Heute erscheinen diese theoretischen Auseinandersetzungen etwas seltsam, weil man sich fragt, wie diese Fragen sich real verifizieren lassen. Damals jedoch waren diese Fragen von größter Wichtigkeit, da sie sogar Kirchenspaltungen hervorrufen konnten und auch taten.

Auch zeigt diese Diskussion ein erstes Eindringen der Dialektik in die Wissenschaft, wie es vorher noch nicht zu beobachten war, und bei näherem Betrachten der beiden Lebensläufe ist festzustellen, daß Abaelard als Schüler Roscelins auch im nachhinein sehr von ihm geprägt worden war. Die Parallelen, die beide Lebensläufe haben, sind unübersehbar.

- Beide kamen über die Dialektik zur Theologie und wendeten auch ihre dialektischen Fragestellungen auf die Theologie an.
- Beide wurden mehrmals der Häresie angeklagt und zum Konzil zitiert.
- Beide appellierten an den Papst und blieben trotz großer Anfeindung ihrer Linie treu.
- Beide waren sehr bekannte Lehrer, die sich auch nach ihren Verurteilungen aus Rom nicht um ihre Schüler zu sorgen brauchten.[14]

Doch zurück zur Studienzeit Abaelards, von der wir in seiner eigenen Biographie wenig erfahren.

Abaelard, der jetzt von Roscelin sein geistiges Handwerkszeug gelernt hatte, zieht weiter umher und soll wahrscheinlich auch noch in Chartres studiert haben, weil man in seinen Schriften Parallelen zu der Schule in Chartres festgestellt hat, im besonderen im Umgang mit den antiken Autoren Sokrates und Platon.[15] Doch sieht er seine Arbeit und Aufgabe wie die eines Ritters, nur daß er anstatt mit Schwertern und Waffen zu kämpfen, mit den Waffen der Logik und Dialektik kämpfen will. Aber der Wille zu kämpfen ist vorhanden und so zieht er angriffslustig nach Paris.

[...]


[1] Vgl. A. Podlech, Abaelard und Heloise S. 58

[2] Migne, Patrologia, Series latina (MPL) 158, 67.

[3] De institutione clericorum, MPL 203, 700.

[4] Vgl. A. Podlech, Abaelard und Heloise S. 59

[5] Vgl. A. Podlech, Abaelard und Heloise S. 60

[6] Vgl. Abaelard, Historia calamitatum (HT), 62:13-17.

[7] Abaelard, HT 63: 22-3

[8] Abaelard, HT 64: 30

[9] Epistola ad Abaelardum, Der Nominalismus der Frühscholastik, S. 63-80.

[10] Vgl. J. Marenbon, The philosophy of Abelard, S. 9

[11] Vgl. W. Robl, Roscelinus de Compiègne S.14ff

[12] Vgl. A. Podlech, Abaelard und Heloise S. 67

[13] Vgl. J. Marenbon, The philosophy of Abelard, S. 111ff

[14] Vgl. W. Robl Roscelinus de Compiègne S.14ff

[15] Vgl. A. Podlech, Abaelard und Heloise S. 68

Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
Peter Abaelards - Auseinandersetzungen an der Domschule von Paris
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Historikum)
Veranstaltung
Proseminar Mittelalterliche Geschichte - Universitäten im Mittelalter
Note
1-
Autor
Jahr
1999
Seiten
29
Katalognummer
V6347
ISBN (eBook)
9783638139397
ISBN (Buch)
9783640202522
Dateigröße
644 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Peter, Abaelards, Auseinandersetzungen, Domschule, Paris, Proseminar, Mittelalterliche, Geschichte, Universitäten, Mittelalter
Arbeit zitieren
Joseph Badde (Autor:in), 1999, Peter Abaelards - Auseinandersetzungen an der Domschule von Paris, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/6347

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