McTaggarts Irrealitätsbeweis der Zeit


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

23 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Mc Taggarts Irrealitätsbeweis der Zeit
2.1 Teil 1 des Arguments: Ohne A-Reihe keine Zeit
2.2 Teil 2: Der Widerspruch in der A-Reihe
2.3 Weitere Überlegungen zur A-Reihe

3 Zeitbestimmungen in Kants Transzendentaler Ästhetik

4 Ist Zeit irreal? McTaggart unter der Lupe
4.1 Michael Dummett: McTaggarts Realitätsauffassung als Fiktion
4.1.1 Einwände und Verteidigung
4.2 D. H. Mellors Theorie der realen Zeit
4.2.1 „Tenses“ und „dates“
4.2.2 „Token-refexives“
4.2.3 Veränderung

5 Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

“It doubtless seems highly paradoxical to assert that Time is unreal, and that all statements which involve its reality are erroneous. […] So decisive a breach with that natural position is not to be lightly accepted.”[1] Mit diesen Worten beginnt John M. E. McTaggart seinen 1908 erschienenen Aufsatz „The unreality of Time“ und gab damit den Anstoß zur sprachanalytischen Zeitphilosophie[2].

Wie wird Zeit erfahren? Welche Faktoren sind maßgeblich für die Zeit? Wie lange dauert die Gegenwart eines Ereignisses an? Wann geht es in die Vergangenheit über? Ist Zeit subjektiv oder objektiv? Diese Fragen berührt McTaggart in seinem Aufsatz und gelangt bei ihrer Beantwortung zu dem Ergebnis, dass Zeit nicht real sein kann.

McTaggart ist sich von vornherein im Klaren darüber, dass sein Irrealitätsbeweis ein Bruch mit der Common sense -Auffassung von Zeit bedeutet und viele Kritiker auf den Plan rufen wird. Dem vorzubeugen brachte er selbst einige naheliegende Einwände ein, die er zu widerlegen wusste. Doch blieb Kritik selbstverständlich nicht aus. Etwas derart allgegenwärtig Erscheinendes, wie die Zeit, als irreal zu entlarven, beschäftigt die Philosophie seit nunmehr fast einem Jahrhundert

Die vorliegende Arbeit geht deshalb der Frage nach, ob McTaggart zu seiner Annahme der Irrealität der Zeit berechtigt ist oder ob er nicht doch einem Trugschluss unterliegt. Untersucht wird dies zum einen mit Hilfe von Kants Zeitbestimmungen, auf die McTaggart sich unterstützend beruft, zum anderen mit McTaggart-kritischen Aufsätzen von Michael Dummett und D. H. Mellor.

Im folgenden Kapitel soll zunächst McTaggarts Irrealitätsbeweis der Zeit dargestellt werden. Zeit wird, McTaggart zufolge, auf zweierlei Art wahrgenommen. 1) Ein Ereignis ist entweder vergangen, gegenwärtig oder zukünftig (A-Reihe). 2) Ein Ereignis Y ist früher als ein Ereignis Z und später als Ereignis X (B-Reihe). Diese beiden Zeitreihen werden zum Ausgangspunkt in McTaggarts Argumentation, die sich in zwei Schritten vollzieht. Im ersten Schritt wird gezeigt, dass allein die A-Reihe für die Existenz der Zeit wesentlich ist. Der zweite Schritt ist der Beweis, dass die A-Reihe einen Widerspruch enthält und mit ihr die Zeit, die daher als irreal zu betrachten ist.

McTaggart wähnt sich nicht allein mit seiner Auffassung. Neben Spinoza, Hegel und Schopenhauer, soll auch Kant die Annahme der Irrealität der Zeit vertreten haben, die McTaggart nun auf neue Weise zu beweisen vorgibt[3]. Ein Blick in Kants „Kritik der reinen Vernunft“ zeigt hingegen, dass McTaggart einem Missverständnis unterliegt. Ein Exkurs zu Kants Zeitauffassung im dritten Kapitel soll zeigen, dass Kant keineswegs von der Irrealität der Zeit spricht und dass, „was McTaggart beweist, nichts anderes ist als das, was Kant selbst längst gezeigt hatte: nämlich nicht [...] die pauschale Irrealität der Zeit, sondern der Sachverhalt, dass die Zeit keine subjektunabhängige Realität hat.“[4]

Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit der Kritik am Irrealitätsbeweis. Ansatzpunkt hierfür ist McTaggarts Auffassung von Realität. Michael Dummett zeigt dies in seinem 1960 erschienen Aufsatz „McTaggarts Beweis für die Irrealität der Zeit: Eine Verteidigung“[5]. Dummett erörtert, dass sich das Irrealitätsargument in Hinblick auf McTaggarts Realitätsauffassung selbst widerlegt.

Den Pfad, den Dummett eingeschlagen hat, verfolgt D. H. Mellor in den 80er Jahren weiter und liefert eine Theorie der realen Zeit. Er formuliert einen Kompromiss, indem er zeigt, dass die beiden Wahrnehmungsarten der Zeit wechselseitig voneinander abhängig sind und dass durch die Irrealität der einen Wahrnehmungsweise nicht zugleich die Irrealität der Zeit bewiesen ist. Auf Mellors Theorie wird im fünften Kapitel näher eingegangen.

2 Mc Taggarts Irrealitätsbeweis der Zeit

McTaggart geht davon aus, dass wir Zeit auf zweierlei Art und Weise wahrnehmen: Zum einen geschieht ein Ereignis y früher als ein Ereignis z und später als ein Ereignis x. Zum anderen ist ein Ereignis entweder vergangen, gegenwärtig oder zukünftig. Ereignisse definiert McTaggart als die Inhalte der Positionen in der Zeit. Die Reihe, nach denen Ereignisse in früher-später-Relationen geordnet sind, nennt McTaggart B-Reihe. Ereignisse, die als vergangen, gegenwärtig oder zukünftig betrachtet werden, bilden die A-Reihe.

McTaggart verfolgt mit seinem Aufsatz den Beweis, dass Zeit irreal ist. Sein Argument gliedert sich in zwei Teile. Der erste Teil soll zeigen, dass ohne die A-Reihe Zeit nicht existieren kann. Im darauf aufbauenden zweiten Teil beweist McTaggart, dass die A-Reihe einen Widerspruch enthält, was ihn zu der Schlussfolgerung führt, Zeit sei irreal.

2.1 Teil 1 des Arguments: Ohne A-Reihe keine Zeit

Der Unterschied zwischen beiden Reihen ist zunächst darin zu sehen, dass die B-Reihe im Gegensatz zur A-Reihe konstant ist. Das Ereignis y wird immer später als x und früher als z sein. Die Position in der B-Reihe bleibt also für jedes Ereignis die gleiche. Hingegen war das Ereignis y zu einem Zeitpunkt t zukünftig, rückte immer näher zur Gegenwart, wurde schließlich gegenwärtig, um anschließend der Vergangenheit anzugehören.

Da die Bestimmungen der A-Reihe und der B-Reihe zwei verschiedene Betrachtungsweisen der Zeit darstellen, untersucht McTaggart zunächst, in welcher Beziehung A- und B-Reihen zueinander stehen und ob eine der Reihen allein Zeit konstituieren kann.

Er stellt sich zuerst die Frage, ob es für die Realität der Zeit wesentlich sei, dass deren Ereignisse sowohl eine A-Reihe als auch eine B-Reihe bilden. Wir beobachten Zeit nie anders, als auf diese beiden Weisen. Direkt wahrnehmen können wir nur gegenwärtige Ereignisse. Durch Erinnerung betrachten wir vergangene, durch Folgerung zukünftige Ereignisse als real. Daran ist zu erkennen, dass die Ereignisse, wie wir sie beobachten, sowohl eine A-Reihe als auch eine B-Reihe bilden.

Aber sind beide Reihen gleich wesentlich? McTaggart hält die A-Reihe für fundamentaler als die B-Reihe. Hierzu beruft er sich auf den Aspekt der Veränderung: „It would, I suppose, be universally admitted that time involves change.“[6] Er geht der Frage nach, ob Veränderung in einer Zeit möglich ist, die nur eine B-Reihe bildet. Hierzu entwirft McTaggart Szenarien möglicher Veränderungen einer B-Reihe. Zunächst kann man sich vorstellen, dass ein Ereignis aufhört Ereignis zu sein, während ein anderes beginnt, Ereignis zu sein. Dazu meint McTaggart jedoch, dass ein Ereignis nie aufhören kann, Ereignis zu sein. Früher-später-Relationen sind permanent, somit wird ein Ereignis N immer später als M und früher als O sein.

Eine andere Möglichkeit der Veränderung wäre, dass ein Ereignis M in ein Ereignis N übergeht, wobei ein unverändertes Element die Identität der beiden Ereignisse beibehält. Daran kritisiert McTaggart, dass M und N zwei verschiedene Ereignisse wären, trotz des sie verbindenden Elements.

Die einzig mögliche Alternative gestaltet sich so: „Changes must happen to the events of such a nature that the occurence of these changes does not hinder the events from being events, and the same events, both before and after the change.”[7]

Hierzu stellt sich McTaggart die Frage, welche Charakteristika eines Ereignisses sich verändern können und kommt zu folgendem Schluss: das Ereignis ändert sich in der Hinsicht, dass es als ein zukünftiges Ereignis begann, gegenwärtig wurde, um anschließend ein vergangenes Ereignis zu werden. Dies ist gleichbedeutend mit den Bestimmungen der A-Reihe. Die einzigen Charakteristika, die sich McTaggarts Ansicht nach ändern können, sind die Bestimmungen, die ein Ereignis durch sein Vorhandensein in der A-Reihe erhält.

Für McTaggart folgt aus seinen Überlegungen, dass ohne die A-Reihe Veränderung nicht möglich ist, dass die B-Reihe somit allein nicht ausreicht, um Zeit zu bilden. „So it follows that there can be no B series where there is no A series, since where there is no A series there is no time.“[8]

Das heißt aber nicht, dass nur die A-Reihe für die Konstitution der Zeit wesentlich ist. Ziehe man die Bestimmungen der A-Reihe von der Zeit ab, so McTaggarts Überlegung, sei es nicht der Fall, dass es dann gar keine Reihe gibt, sondern dass eine nicht-zeitliche Reihe übrigbleibt, die er die C-Reihe nennt.

Diese C-Reihe ist eine Reihe der permanenten Relationen derjenigen Wirklichkeiten, die in der Zeit Ereignisse sind. Die C-Reihe gewährleistet also, dass Ereignisse eine bestimmte Reihenfolge haben. Allerdings gibt sie keine Richtung vor. Man kann die Wirklichkeiten auf der C-Reihe in jeder Richtung betrachten. Doch eine Richtung, meint McTaggart, ist wesentlich für die Zeit. Man könnte zwar auch eine Zeitordnung in verschiedene Richtungen betrachten. „But in dealing with the time series we have not to do merely with a change in an external contemplation of it, but with a change which belongs to the series itself. And this change has a direction of its own.“[9]

Das heißt also, dass die A-Reihe, die die Veränderung und die Richtung beiträgt, in Kombination mit der C-Reihe, die die Permanenz beiträgt, eine B-Reihe entstehen kann. Die A-Reihe kombiniert mit der C-Reihe sind demnach ausreichend um Zeit zu konstituieren.

2.2 Teil 2: Der Widerspruch in der A-Reihe

Für McTaggart ergeben sich bei der A-Reihe zweierlei Schwierigkeiten. Charakteristika von Ereignissen können entweder Relationen oder Qualitäten sein. Wären sie innerhalb der A-Reihe Relationen, kann nur ein Term der Relation ein Ereignis sein, das entweder in der Vergangenheit, der Gegenwart oder der Zukunft liegt. Da die Relationen der A-Reihe veränderlich sind, die Terme innerhalb der A-Reihe jedoch unveränderlich, kommt McTaggart zu folgendem Schluss: „The relations which form the A series then must be relations of events and moments to something not itself in the time-series.“[10] Dies erscheint McTaggart unmöglich, da man Relationen eines Ereignisses in der A-Reihe nur beschreiben kann, wenn man sich selbst in der Zeit befindet.

Die zweite und auch größere Schwierigkeit sieht McTaggart in der Inkompatibilität der A-Reihen-Bestimmungen. Ein Ereignis kann entweder vergangen, gegenwärtig oder zukünftig sein. Es kann dies jedoch nicht alles gleichzeitig sein. Die Charakteristika sind also inkompatibel. Trotzdem kommen jedem Ereignis alle drei Charakteristika zu. Hierin sieht McTaggart einen Widerspruch in der A-Reihe.

Gegen diese Schlussfolgerung wurden verschiedene Einwände erhoben. Der Haupt-Einwand, den McTaggart selbst einräumt, besagt, dass die unterschiedlichen Bestimmungen nicht gleichzeitig auf ein Ereignis zutreffen, sondern sukzessiv. Die Charakteristika wären also nur dann inkompatibel, wenn sie zugleich aufträten.

Hierauf entgegnet McTaggart, man gerate in einen circulus vitiosus, da man Zeit bereits voraussetzt, um zu erklären, wann ein Ereignis oder ein Zeitpunkt gegenwärtig, vergangen oder zukünftig ist. Die A-Reihe enthält somit einen Widerspruch und kann nicht als wirklich betrachtet werden. Damit betrachtet McTaggart die Zeit als irreal, da sie ohne die A-Reihe nicht existieren kann.

[...]


[1] McTaggart, John E.: The Unreality of Time. In: Mind XVII, 1908. S. 457-474. S. 457

[2] Sandbothe, Mike: Die Verzeitlichung der Zeit in der modernen Philosophie. http://www2.uni-jena.de/ms/z3ms/ . 1997

[3] McTaggart, Unreality of Time, S. 31

[4] Sandbothe, Mike: Die Verzeitlichung der Zeit. Grundtendenzen der modernen Zeitdebatte in Philosophie und Wissenschaft. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1998. S. 76

[5] Dummett, Michael: McTaggarts Beweis für die Irrealität der Zeit. Eine Verteidigung. In: Zimmerli, Walther Ch. / Sandbothe, Mike (Hg.): Klassiker der modernen Zeitphilosophie. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1993. S. 120-126

[6] McTaggart, Unreality of Time, S. 459

[7] ebd., S. 460

[8] ebd., S. 461

[9] McTaggart, Unreality of Time, S. 463

[10] ebd., S. 468

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
McTaggarts Irrealitätsbeweis der Zeit
Hochschule
Universität Duisburg-Essen  (Fachbereich 1 Philosophie)
Veranstaltung
Hauptseminar: Das Zeitproblem in der modernen Philosophie
Note
1,0
Autor
Jahr
2002
Seiten
23
Katalognummer
V63467
ISBN (eBook)
9783638565202
ISBN (Buch)
9783656714156
Dateigröße
541 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
McTaggarts, Irrealitätsbeweis, Zeit, Hauptseminar, Zeitproblem, Philosophie
Arbeit zitieren
Carmen Radeck (Autor:in), 2002, McTaggarts Irrealitätsbeweis der Zeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/63467

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