Wilfrid Sellars Kritik am Mythos des Gegebenen


Zwischenprüfungsarbeit, 2001

24 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Das Gegebene – allgemeine Anmerkungen

3. Sellars’ Kritik am Mythos des Gegebenen
3.1 Gegen Sinnesdatentheorien
3.2 Gegen Theorien des Erscheinens
3.3 Der logische Raum der Gründe

4. Die rätselhafte Beziehung zwischen Geist und Welt

5. Schlussbemerkung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„For empirical knowledge, like its sophisticated extension, science, is rational, not because it has a foundation but because it is a self-correcting enterprise which can put any claim in jeopardy, though not all at once.“[1]

Mit diesem Satz beschließt Wilfrid Sellars in seiner wohl bekanntesten Schrift Empiricism and the Philosophy of Mind [im Folgenden abgekürzt mit EPM] aus dem Jahr 1956 seine Kritik an dem von ihm so bezeichneten Mythos des Gegebenen.

Das Zitat zeigt die Richtung an, die Sellars mit seiner Kritik verfolgt. Zum einen beschäftigt ihn die Frage, ob empirisches Wissen eine Grundlage hat, die von vornherein gegeben ist und sich somit außerhalb des sprachlichen Rahmens bewegt. Zum anderen entwickelt er den Gedanken eines sich selbst berichtigenden Unternehmens, das dazu in der Lage ist, Behauptungen zu rechtfertigen oder fallen zu lassen, was wiederum eng mit Sprache verbunden ist.

Die vorliegende Arbeit geht den Fragen nach, was Sellars an der Idee des Gegebenen kritisiert, welche Schritte er bei seiner Kritik vornimmt und ob es ihm gelingt, das Verlangen nach einem Gegebenen zu eliminieren.

Obwohl der Argumentationsverlauf in EPM sich eher verschachtelt gestaltet, lässt sich das Werk in zwei Teile gliedern. Der erste Teil beschäftigt sich mit der Kritik an der Auffassung des traditionellen Empirismus, es gäbe ein vorbewusstes Fundament empirischen Wissens. Der erste Teil kann also erkenntnistheoretischen Problemen zugerechnet werden. Er erstreckt sich über die ersten acht Kapitel, wobei einige Passagen daraus schon auf den zweiten Teil verweisen, in dem Sellars die Erkenntnistheorie und den kritischen Teil seiner Philosophie verlässt.

Der zweite Teil zeichnet sich dadurch aus, dass er sich im Gegensatz zum kritischen ersten konstruktiv zeigt. Sellars stellt hier anhand seines eigenen Mythos, dem Jones-Mythos, eine Theorie innerer Episoden auf, die den Sinneseindrücken ihren erkenntnistheoretischen Status entziehen.

Die schon angesprochene verschachtelte Argumentationsweise erschwert, so ist häufig die Meinung, die Rezeption der Philosophie Sellars’. So spricht Koch von einer „sehr verwickelten und voraussetzungsreichen Darstellungsweise, mit der S[ellars, CR] dennoch nicht verhindern kann, dass jede einzelne Problemlösung, die er vorschlägt, erst im Licht seiner metaphysischen Gesamtkonzeption zur Gänze verständlich wird“[2]. Auch Brandom, den Johanna Seibt neben Jay F. Rosenberg als den besten Sellars-Kenner ansieht, spricht von einem „kompliziert angelegte[n] und exkursionsbeladene[n] Darstellungsgang des Aufsatzes“[3]. Das hält Brandom jedoch nicht davon ab, Sellars für den größten amerikanischen Philosophen seit Charles Sanders Peirce zu halten[4]. Auch hierzulande erfährt seine Philosophie eine verstärkte Rezeption. So erschien 1999 erstmals eine deutsche Übersetzung von EPM, die mit einer ausführlichen Einleitung versehen ist, und ein Jahr später widmete die Deutsche Zeitschrift für Philosophie Sellars’ philosophischem Ansatz einen Schwerpunkt.

Die vorliegende Arbeit bemüht sich Sellars’ Kritik an dem Mythos des Gegebenen möglichst geradlinig zu folgen um anschließend einen kritischen Standpunkt einzunehmen. Das folgende Kapitel beschäftigt sich zunächst mit allgemeinen Anmerkungen zum Begriff des Gegebenen und mit einigen Vorüberlegungen zu der sich im dritten Kapitel anschließenden Kritk Sellars’ am Mythos des Gegebenen. Dieses Kapitel gliedert sich in drei Teile, die sich jeweils mit einer Form des Mythos beschäftigen und die der Reihenfolge der kritisierten Formen in EPM folgt. Der erste Teil (3.1) geht Sellars’ Kritik an den Sinnesdatentheorien nach, der zweite der an den Theorien des Erscheinens. Die Kritik an der dritten Form des Mythos (3.3) unterscheidet sich von den beiden anderen insofern, als dass Sellars hier neben seiner Kritik am Gegebenen schon Aspekte seiner eigenen Theorie einfließen lässt, weshalb dieser letzte Teil des dritten Kapitels auch mit Sellars’ Auffassung vom logischen Raum der Gründe betitelt ist.

Um im vierten Kapitel der Frage auf den Grund zu gehen, inwiefern Sellars den Mythos ausgeräumt hat, wird nach einer kurzen Zusammenfassung des dritten Kapitels Sellars’ Mythoskritik kritisch untersucht. Hierzu werden neben der Darstellung Sellars’ eigener Theorie über innere Episoden, die er anhand des Jones-Mythos entwickelt, die Theorien Quines und MacDowells hinzugezogen.

2. Das Gegebene – allgemeine Anmerkungen

Ganz allgemein definiert Goldman den Begriff des Gegebenen folgendermaßen: „The concept of the given refers to the immediate apprehension of the contents of sense experience, expressed in first person, present tense reports of appearances.”[5]

Goldman führt den Begriff auf Descartes zurück, der davon überzeugt war, dass man sich darüber täuschen kann wie die Dinge sind, aber nicht darüber wie sie zu sein scheinen. Diese Erscheinungen stellen die Eindrücke dar, die wir unmittelbar verstehen und die somit als Fundament für Wissen gelten können[6]. Empiristen wie Hume, Berkeley und Locke übernahmen diesen Gedanken und gewährleisteten die ‘Reinheit’ dieser Eindrücke, indem sie von der Passivität der Sinneswahrnehmung ausgingen. Diese Ansicht wiederum wird im zwanzigsten Jahrhundert von dem logischen Empirismus aufgegriffen, der von diesen unmittelbar gegebenen Überzeugungen als dem Fundament für alles empirische Wissen ausging. Empirisches Wissen soll laut Empirismus also auf Urteilen beruhen, die keiner weiteren Rechtfertigung mehr bedürfen. Es ist vorbegrifflicher Natur und verfügt über einen Inhalt, der als Wissen gelten kann.

Aber was ist unter dem Gegebenen konkret zu verstehen? Eine eindeutige Antwort stellt auch Sellars nicht bereit, obwohl er im ersten Kapitel von EPM einige Dinge, die als ‚Gegebenes’ betrachtet wurden, anführt: „sense contents, material objects, universals, propositions, real connections, first principles, even givennes itself“[7].

Sellars will in EPM aber nicht nur einzelne dieser Arten der Gegebenheit kritisieren, wie dies schon andere vor ihm unternahmen, die die Idee des Gegebenen anzweifelten. Diese unterzogen jedoch nur die Sinnesdaten der Kritik, verliehen dafür aber anderen Dingen einige Charakteristiken des Gegebenen, beispielsweise physikalischen Gegenständen oder Beziehungen des Erscheinens[8]. Sellars will es vielmehr mit dem gesamten „framework of givenness“[9] aufnehmen.

Unterzieht man das Gegebene der Kritik, ist jedoch folgendes nicht von der Hand zu weisen: „that there is a difference between inferring that something is the case and, for example, seeing it to be the case.“[10] Bereits in diesem ersten Satz seines Aufsatzes deutet Sellars an, welche die entscheidende Unterscheidung in seiner Argumentation sein wird: Dem Schlussfolgern und der Sinneswahrnehmung, die ein nicht-inferentielles Moment besitzt. Sellars will in seinem Ansatz, der unmittelbar aus der Kritik entspringt, zeigen, “how to understand noninferential reports without insensibly sliding into the constellation of philosophical commitments that Sellars calls ‘the Myth of the Given’“[11].

Will Sellars den Gesamtrahmen der Gegebenheit angreifen, beschäftigt er sich in seiner Kritik jedoch mit nur drei ausgewählten Formen des Mythos, worunter auch die Sinnesdatentheorie zu finden ist, von der er sagt, dass gerade diese Theorie in besonderem Maße von Kritikern frequentiert wurde, welche dann aber auch wieder dem Mythos in einer anderen Form verfallen sind. Die Frage stellt sich, ob es überhaupt ausreicht nur einzelne Formen des Gegebenen anzuzweifeln, bei dem Vorhaben das Gegebene generell zu kritisieren.

Vielleicht gibt eine Betrachtung darüber, was alle kritisierten Formen des Mythos gemeinsam haben, über Sellars’ Vorgehensweise Aufschluss. Alle Formen des Mythos suchen nach einer Grundlage für gesichertes Tatsachenwissen. Sie sehen es als notwendig an, dass Rechtfertigung auf einer festen Grundlage verankert sein muss. Es sind demzufolge alles fundamentalistische Theorien. Bemerkenswert ist jedoch, dass Sellars eigentlich nicht ganz bestreiten will, dass es so etwas wie grundlegendes Tatsachenwissen gibt. Er will nur zeigen, „dass der traditionelle empirische Begriff von ‚Erkenntnistheorie’ eine Theorie über innere Episoden mit einer Theorie über die Berechtigung verwechselt, mit der wir bestimmte Behauptungen machen.“[12]

Sellars verfolgt zudem eine bestimmte Strategie, denn es bleibt, wie weiter oben schon angemerkt, in seinem Essay nicht bei der Kritik am Mythos des Gegebenen. Sellars entwickelt im Anschluss an seinen kritischen Teil seine eigene Theorie über innere Episoden, zu denen Gedanken und Sinneseindrücke zählen. Jede Form des Mythos, die Sellars kritisiert, beinhaltet Aspekte oder Gedanken, die in Sellars eigener Theorie zum Tragen kommen.

Er beginnt seine Kritik also mit der populärsten Form des Gegebenen, den Sinnesdaten.

[...]


[1] Sellars, Wilfrid: Empiricism and the Philosophy of Mind. With an Introduction by Richard Rorty and a Study Guide by Robert Brandom. Cambridge: Harvard University Press, 1997. S. 79.

[2] Koch, A. F.: Wilfrid Sellars. In: Philosophie der Gegenwart. Hrsg. von Julian Nida-Rümelin. 2., aktualisierte und erweiterte Auflage. Stuttgart: Kröner, 1999. S. 691.

[3] Robert B. Brandom: Die zentrale Funktion von Sellars’ Zwei-Komponenten-Konzeption für die Argumente in „Empiricism and the Philosophy of Mind“. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 48. Berlin: 4/2000. S. 599 – 613. S. 599.

[4] vgl. Brandom, Robert: http://www.ditext.com/brandom/brandom.html.

[5] Goldman, Alan H.: The Given. In: Dancy, J. / Sosa, E. (Hg.): A Companion to Epistemology. Oxford: Blackwell, 1992. S. 159.

[6] vgl. auch Brandom, www.ditext.com

[7] Sellars, Wilfrid: Empiricism and the Philosophy of Mind. With an Introduction by Richard Rorty and a Study Guide by Robert Brandom. Cambridge: Harvard University Press, 1997. [im folgenden mit EPM abgekürzt] S. 14.

[8] vgl. ebd.

[9] ebd., S: 14

[10] Sellars, EPM, S. 13.

[11] Brandom, Robert: Study Guide. In: Sellars, EPM, S. 120.

[12] Rorty, Richard: Der Spiegel der Natur: Eine Kritik der Philosophie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1981. S. 210.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Wilfrid Sellars Kritik am Mythos des Gegebenen
Hochschule
Universität Duisburg-Essen
Note
1,0
Autor
Jahr
2001
Seiten
24
Katalognummer
V63465
ISBN (eBook)
9783638565189
ISBN (Buch)
9783656714149
Dateigröße
547 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wilfrid, Sellars, Kritik, Mythos, Gegebenen
Arbeit zitieren
Carmen Radeck (Autor:in), 2001, Wilfrid Sellars Kritik am Mythos des Gegebenen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/63465

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