Fabeltheorie bei Lessing


Seminararbeit, 2006

22 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


INHALT

1. Einleitung

2. Der historische Hintergrund
2.1 Lessing und die französisch-deutsche Verwaltung des aesopischen Nachlasses
2.2 Die Entwicklung der eigenen Fabeltheorie

3. Die Fabeltheorie
3.1 Das Verhältnis zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen
3.2 Das Grundkonzept der Fabeltheorie
3.3 Das Verhältnis zwischen Theorie und Praxis

4. Exkurs

5. Fazit

6. Verzeichnis der benutzten Literatur

1. Einleitung

Im 18. Jahrhundert war der Begriff Fabel doppeldeutig gebraucht worden. Zum einen bezeichnete man damit die Handlungsstruktur eines erzählenden oder dramatischen Textes. Zum anderen wurde er als Gattungsbegriff genutzt. Unter dem Gattungsbegriff Fabel fielen allgemein erzählende, meist einepisodische Texte, in denen größtenteils nicht-menschliches Personal agierte, als stünden ihnen die Möglichkeiten des menschlichen Bewusstseins zu.[1]

Das Interesse an der Fabel begleitet Gotthold Ephraim Lessing seit seinem Studium 1746-1748 in Leipzig bis in seine letzten Lebensjahre. An der Universität von Leipzig kam es über seinen Dozenten Johann Friedrich Christ zu den ersten Berührungspunkten Lessings mit der Fabel. 1747 wurden Lessings früheste Fabelversuche in Zeitschriften veröffentlicht, bis sie schließlich 1753 im ersten Teil der Schriften gesammelt herausgegeben wurden. Nach seinem Studium des Aesops und Phaedrus übersetzte Lessing Samuel Richardsons Aesop`s fables with reflections intsructive morals unter dem Titel Herrn Samuel Richardsons Sittenlehre für die Jugend in den auserlesensten äsopischen Fabeln ins Deutsche. Schließlich veröffentlichte er 1759 die Kernschrift seiner Fabeltheorie mit dem Werk: Fabeln. Drey Bücher. Nebst Abhandlungen mit dieser Dichtungsart verwandten Inhalts. In den Folgejahren erschienen unter anderem die Publikationen Über die sogenannten Fabeln aus den Zeiten der Minnesänger sowie die Untersuchungen des Romulus und Rimicus. Erst nach Lessings Tod im Jahre 1781 wurde die nicht beendete Arbeit Z ur Geschichte der Aesopischen Fabel herausgegeben. Aus der knapp skizzierten Geschichte der Beschäftigung Lessings mit der Fabel wird deutlich, in welch vielfältiger Hinsicht er sich mit dieser Gattung beschäftigte. Sein Interesse bezog sich dabei auf poetologische, philosophische, philologische und theoretische Aspekte.

Die Fabeltheorie bei Lessing, wie er sie in den Abhandlungen über die Fabel veröffentlichte, bildet einen starken Kontrast zu dem zeitgenössischen Geschmack. Diese Arbeit versucht zu zeigen, dass Lessings Fabeltheorie durch seine besonderen formtheoretischen Überlegungen über die Wiederbelebung des ursprünglichen aesopischen Vorbilds hinausgeht. So wird im zweiten Kapitel dieser Arbeit zu zeigen sein, wie sich die Fabeltheorie bei Lessing entwickelt hat. Dazu gehört vor dem historischen Hintergrund zum einen die Abgrenzung von dem französischen Muster, zum anderen wird die Entwicklung seiner Theorie insbesondere am Beispiel der Auseinandersetzung Lessings mit seinem befreundeten Dichterkollegen Johann Wilhelm Ludwig Gleim nachvollzogen. Im dritten Kapitel wird die Fabeltheorie an sich untersucht, wie sie Lessing im Jahre 1759 im Rahmen der Fabelabhandlungen veröffentlichte. Zu Beginn wird der philosophische Hintergrund der Fabeltheorie im Zusammenhang mit dem Verhältnis zwischen Allgemeinem und Besonderem vorgestellt. Im Anschluss folgt die Untersuchung der formtheoretischen Überlegungen Lessings in Bezug auf die Fabel. Das dritte Kapitel schließt mit einem kurzen Blick auf die Umsetzung eines Aspektes der Fabeltheorie in die Praxis. Im Exkurs soll über die Untersuchungen im dritten Kapitel hinaus ein Bogen von der Fabeltheorie zur Dramentheorie Lessings geschlagen werden. So wird zu zeigen sein, dass sich die poetische Kategorie der narrativen Organisation von Handlung wie sie Lessing für das Drama fordert, bereits in der Fabeltheorie findet. Im fünften Kapitel wird schließlich aus der Summe der Einzelergebnisse das Fazit gezogen.

2. Der historische Hintergrund

Der Versuch der Literaturwissenschaft den allgemeinen Ursprungsort der Fabel zu bestimmen, mündete in dem Kompromiss einer Polygenese.[2] Ähnlich unsicher ist ein historischer Nachvollzug des Typus der aesopischen Fabel, da die Identität ihres Begründers und Namensstifters Aesop nicht sicher belegt werden kann. Der angeblich phrygische Sklave soll im 6. Jahrhundert vor Christus gelebt und seine Fabeln erzählt haben. In der Antike entstanden insbesondere die Sammlungen und Bearbeitungen des aesopischen Materials durch Phaedrus, Babrios, Romulus und Avianus. Die aesopischen Fabeln sind im Zusammenhang mit der Erhebung antiker Muster zum Ideal dichterischen Schaffens im 18. Jahrhundert das Vorbild für die aufklärerische Fabelproduktion geworden. Nach dem späten Mittelalter erfuhr dieses Muster insbesondere in der Zeit zwischen 1740 bis 1780 eine neue Hochkonjunktur in Deutschland. Die Ursache für dieses Phänomen liegt darin, dass in ihr das Potential gesehen wurde, das horazische Ideal prodesse et delectare in hochgradigem Maße zu erfüllen. In diesem Ideal fußt das Leitmotiv der aufklärerischen Dichtung zugleich zu nutzen und zu erfreuen. Vor dem Hintergrund der Moralisierung und Funktionalisierung der Literatur wurde der moralische Nutzen die Legitimationsbasis für literarisches Schaffen. Die Fabel etablierte sich folglich als didaktisch funktionalisierte Literatur neben Dramen und Romanen als ebenbürtige Ausdrucksform dieser Epoche.

2.1 Lessing und die französisch-deutsche Verwaltung des aesopischen Nachlasses

Wie zu dieser Zeit üblich, war Frankreich das Vorbild für die deutsche Fabelproduktion. Jean de La Fontaine und Antoine Houdar de La Motte gaben den Geschmack vor, der nun in Deutschland zahlreiche Nachahmer finden sollte. Wurde zuvor die Theorie der Fabel unabhängig von ihrer Praxis behandelt, so war es 1719 Antoine Houdar de a Motte, der mit seinem Discours sur la fable die ersten gattungstheoretischen Betrachtungen veröffentlichte. Deren Übersetzung ins Deutsche aus dem Jahre 1721 sollte einen beachtlichen Einfluss für Friedrich von Hagedorns Versuch in poetischen Fabeln und Erzählungen von 1738 bedeuten. Zwischen 1730, dem Jahr der Veröffentlichung der Critischen Dichtkunst von Johann Christoph Gottsched und der 1740 publizierten Critischen Dichtkunst Johann Jakob Breitingers lag die Hochphase der Diskussion über die Fabel in Deutschland.

Die 1759 veröffentlichte Fabelsammlung zusammen mit den Fabelabhandlungen bildeten Lessings späte, aber um so bestimmendere Antwort auf das französische Musterbild in der deutschen Fabeltheorie und -praxis. Die hauptsächliche Kritik gilt der französisch-deutschen Verwaltung des aesopischen Nachlasses,[3] die in seinen Augen eine Abkehr von den antiken Vorbildern und damit eine Qualitätsminderung der Fabel bedeuten. Im Zusammenhang mit der Einschätzung der Situation der Fabel zu seiner Zeit skizziert er die Geschichte der Fabel auf ihrem Weg aus dem Gebiet der Philosophie über die Rhetorik in die Poetik. War die Fabel noch in der Rhetorik „ein sicheres Mittel zur lebendigen Überzeugung“, so beurteilt er sie in Hinblick auf seine Zeit „als ein Kinderspiel […], das sie so viel als möglich auszuputzen, uns lehren müßten.“[4] Betrachtet man diese Aussage Lessings genauer, so bietet sie einige wichtige Einblicke in seinen Standpunkt. Sie, damit meint Lessing hauptsächlich die Franzosen La Fontaine und de La Motte, bezüglich des Stils des einen und der Theorie des anderen. Das uns bezieht sich auf die vielen Nachahmer auf französischer und deutscher Seite wie beispielsweise Hagedorn, Gellert und Gleim. Auffällig ist dabei, dass sich Lessing in dem Personalpronomen uns mit einzubeziehen scheint. Die Miteinbeziehung der eigenen Personen rechtfertigt sich damit, dass sich Lessings eigene frühe Fabelproduktion ebenso noch nach dem französischen Vorbild richtete. Doch hat er sich spätestens mit dem Fabelbuch und den Fabelabhandlungen von ihr lösen und dem wahren Wesen der aesopischen Fabel zuwenden wollen. Hinzu kommt der Konjunktiv des Verbs müßten, der in diesem Sinne sein Unverständnis für die nahezu vorbehaltlose Nachahmung der französischen Muster verdeutlicht.

Gegenstand der Kritik Lessings ist die Abkehr vom aesopischen Ideal der Kürze durch den ausschweifenden Erzählstil. Denn die „lustige Schwatzhaftigkeit“[5] gefährdet die ursprüngliche Intention der Fabel, Wahrheit zu vermitteln. Zudem wurde die Lustigkeit der Fabel überbetont. Diese Kritikpunkte setzt Lessing 1759 in den Einleitungsfabeln der Fabelbücher in die Praxis um. Die Erscheinung [6] ist eine Parodie auf die komische Verserzählung, Die eherne Bildsäule [7] ist dagegen ein Aufzeigen der Möglichkeiten für die rechte Wiederbelebung antiker Traditionen.[8] Lessing legt ihnen dementsprechend eine programmatische Funktion bei. Ebenso verhält sich das bei der Einleitungsfabel des dritten Buches Der Besitzer des Bogens. Anhand dieser Fabel wird die wichtigste Kritik Lessings an der damals gängigen Ausgestaltung des aesopischen Musters deutlich. „Alle deine Zierde ist die Glätte.“[9] Was der Besitzer des Bogens, im übertragenen Sinne der Fabulist, hier als Vorwurf ausspricht, ist eigentlich das bedeutendste Kriterium einer gelungenen Fabel. In der Glätte liegt die formgerechteste Gestalt der Fabel. Sie benötigt keinerlei Zierrate. Vielmehr verliert die Fabel durch jede unnütze Ausschmückung ihre Fähigkeit, Wahrheit zu vermitteln. Die Glätte ist folglich kein Nachteil, den es auszubessern gilt, sondern ihr Vorteil, den es zu formen gilt.

Mit der Veröffentlichung seiner theoretischen Kernschrift im Jahre 1759 verdeutlicht Lessing seine Abgrenzung vom damalig üblichen Zeitgeschmack. Der Rückbezug auf das ursprüngliche Wesen der aesopischen Fabel schlägt sich in dem Verständnis der Fabel als Mittel zur Überzeugung sowie in der Forderung nach der Kürze der Fabel nieder.

[...]


[1] Vgl. Klaus Grubmüller: Fabel. – In: Klaus Weimar (Hg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte. – Berlin, New York [Walter de Gruyter] 1997, S. 555. Im Folgenden wird der Begriff Fabel nur im Sinne der Gattungsbezeichnung genutzt.

[2] Erwin Leibfried: Fabel. – [J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung] Stuttgart 1967, S. 11. Sowie Siglinde Eichner: Die Prosafabel Lessings in seiner Theorie und Dichtung. Ein Beitrag zur Ästhetik des 18. Jahrhunderts – [Bouvier Verlag Herbert Grundmann] Bonn 1974, S. 10. (Im Folgenden: Eichner: Die Prosafabel Lessings).

[3] Vgl. Thomas Dreßler: Dramaturgie der Menschheit – Lessing. – [Metzler] Stuttgart, Weimar 1996, S. 19 (Im Folgenden: Dreßler: Dramaturgie der Menschheit). Dieser Ausdruck wurde sinngemäß von Dreßler übernommen. Dreßler selbst nutzt ihn allerdings im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung über die Dramentheorie.

[4] Gotthold Ephraim Lessing: Werke und Briefe in zwölf Bänden. Herausgegeben von Wilfried Barner zusammen mit Klaus Bohnen, Gunther E. Grimm, Helmuth Kiesel, Arno Schilson, Jürgen Stenzel und Conrad Wiedemann. Band 4 Gotthold Ephraim Lessing Werke 1758-1759. Herausgegeben von Gunter E. Grimm. – Frankfurt am Main [Deutscher Klassiker Verlag] 1997, S. 401-402 (Im Folgenden: Lessing: Werke und Briefe (Band 4)).

[5] Lessing: Werke und Briefe (Band 4), S. 400.

[6] Lessing: Werke und Briefe (Band 4), S. 302.

[7] Lessing: Werke und Briefe (Band 4), S. 315.

[8] Vgl. Hans Lothar Markschies: Lessing und die äsopische Fabel. – In: Peter Hasubek (Hg.): Fabelforschung. – Darmstadt [Wissenschaftliche Buchgesellschaft] 1983, S. 153.

[9] Lessing: Werke und Briefe (Band 4), S. 329.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Fabeltheorie bei Lessing
Hochschule
Technische Universität Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
22
Katalognummer
V63346
ISBN (eBook)
9783638564151
ISBN (Buch)
9783656804604
Dateigröße
516 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Fabeltheorie, Lessing
Arbeit zitieren
Ines Schoppmeyer (Autor:in), 2006, Fabeltheorie bei Lessing, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/63346

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Fabeltheorie bei Lessing



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden