Sophokles - Elektra


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

30 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Gliederung

I. Einleitung

II. Zur attischen Tragödie

III. Sophokles

IV. Der Mythos

V. Die Elektra des Sophokles

VI. Fazit

VII. Literaturverzeichnis

VIII. Bildnachweis

I. Einleitung

Das Bestreben des Seminars „Literarische Antikerezeption: Tragödie“, dem diese Arbeit zugrunde liegt, war es, der Transformation der altgriechischen Tragödie im modernen Drama nachzuspüren. Grundlage dafür, war ein konkretes Eingehen auf die antike Vorlage, auf ihr Verhältnis von Mythos und Tragik, von Stoff/Motiv und Stückstruktur. Alle behandelten, modernen Dramen griffen dabei auf die Tragödien des Sophokles zurück (Antigone, Oedipus Rex, Philoktet, ... etc.).

Dieser Beleg beschäftigt sich mit einem der Spätwerke des Sophokles, mit der Tragödie „Elektra“, also mit einer antiken Vorlage. Im Vordergrund steht genau das soeben angesprochene Verhältnis zwischen überliefertem Artriden-Mythos (der schon zuvor durch Aischylos´ „Orestie“ seine Bearbeitung gefunden hatte) und einer in seinem Aufbau merklich anders gestalteten Fassung durch Sophokles.

Eine wichtige Frage besteht hierbei darin, wie man dem Stoff in seiner bestehenden Form am ehesten gerecht wird. Neben einer genauen Arbeit am Text, die ohnehin maßgebend für jedwede Interpretation ist, erscheint es notwendig, sich kurz und bündig mit der attischen Tragödie auseinanderzusetzen.

Hierbei muß vor allem das Umfeld der Tragödienaufführung genauer betrachtet werden, in die es eingebettet war. Ebenso ist es notwendig, den Dichter, der hinter dem Werk steht zu sehen, da „wir wohl nicht einmal die Hälfte vom Sinn der Tragödien erfassen würden, wen wir (sein) Leben“[1] unberücksichtigt ließen. Mit ‚Leben’ ist hier „das umfassende Sein, die Position im Bezugsgeflecht von Mensch und Ideen“[2] gemeint.

Im Anschluß wird es mein Bemühen sein, die belegten Elemente des mythischen Stoffs darzustellen, um sie dann mit der sophokleischen Bearbeitung ins Verhältnis zu setzen.

Dabei wird notwendigerweise auch auf Form und Wesen einer klassischen Tragödie eingegangen, bedauerlicherweise schon hier mit der Feststellung, daß deren „Gesamtkunstwerkscharakter“ heute nachzuvollziehen, kaum noch möglich sein wird.

II. Zur attischen Tragödie

Stellt man sich der Herausforderung der Interpretation einer klassisch-griechischen Tragödie, so steht man vor dem Dilemma, das Verstehen der Tragödie aus ihrer Zeit heraus bewerkstelligen zu müssen. Wie bereits einleitend angemerkt, ist es das Ziel dieses Abschnitts auf die Rezeptionsgrundlagen einer solchen Dichtung etwas genauer einzugehen.

Geht man von den drei Großen – Aischylos, Sophokles und Euripides[3] – der attischen Tragödie und ihren Werken aus, so muß hier versucht werden ein Einblick in das Leben, oder genauer in das kulturelle Verständnis der Athener des 5. Jh. v.u.Z.[4], für die die Stücke geschrieben wurden, zu gewinnen. Dies wird nur erreicht, wenn man sich den Grund vor Augen führt, weshalb gerade diese Epoche so kreativ war. Als eine nicht unwichtige Komponente ist hier sicher die Wahrung und der Ausbau der kulturellen Identität der Griechen gegenüber den Persern zu nennen.

War seit dem gescheiterten Aufstand der kleinasiatischen Griechen 494 das griechische Mutterland zunächst durch den Abwehrkampf gegen die persische Invasion bestimmt, so ergriff nach 479 gerade Athen mit dem Offensivkrieg gegen persische Außenposten die militärische Initiative. Mit der Gründung des attisch-delischen Seebundes 477 war der Machtfaktor Athen geboren, in dessen Zug vor allem innenpolitische Verände-rungen eintraten, die hier nur kurz skizziert werden sollen.

Nach der Ausschaltung des Areopags durch die Übertragung aller politischen Befugnisse auf andere Gremien, der Einführung von Tagegeldern für Ratsmitglieder[5] und der Zulassung der Zeugiten (3. Klasse) zum Archontat ist die athenische Demokratie Anfang der 50iger Jahre vollendet. Hinzu treten zwei weitere Fakten: erstens die Bürgerrechtsgesetze des Perikles, die seiner Kolonisationspolitik vor allem im ägäischen Raum entsprachen, und zweitens die Verlagerung der Seebundskasse von Delos nach Athen, die den dortigen Politikern einen direkten Zugriff ermöglichte[6]. All dies förderte das Prestige und die Schaffenskraft der Polis und damit natürlich auch das Selbstbewusstsein seiner Einwohner, selbst wenn es nur Metöken waren.

Diesbezüglich scheint die rhetorische Frage des Komödiendichters Eupolis ‚Was ist den Athenern zu tun unmöglich?’[7], nur allzu berechtigt.

Wenn man so mächtig ist wie das damalige Athen, so weit den anderen voraus, dann multipliziert sich das eigene Vermögen mit den Effekten des bereits Geschaffenen.

Dabei wird aber der eigentliche Spannungsbogen, der zugleich die treibende Kraft dieser Epoche war, sichtbar. Es war nicht nur der Kampf zwischen einer traditionellen und einer sich neu formierenden Gesellschaft[8], es war der Widerstreit zwischen Altem und Neuem in seiner metaphysischen Bedeutung.

Die Probleme der Zeit bedurften nicht nur der materiellen Neuerung[9], nicht nur der Neuerung gesellschaftlicher Elemente[10], ohne dabei Traditionelles völlig zu vergessen, nein es bedurfte auch einer Neuorientierung in den Köpfen der Athener – ein Gebiet, das Meier[11] als „mentale Infrastruktur“ des Gemeinwesens bezeichnet. In einer Umbruchsperiode wie dieser war es notwendig, ein Medium zu schaffen, das Ausdrucksmittel und gleichsam Sprachrohr dieser „mentalen Infrastruktur“ war. Und welches Medium wäre besser geeignet, den Gefühlen, Erwartungen, Hoffungen und Ängsten einer ganzen Polisbevölkerung zum Ausdruck zu verhelfen, als die Poetik, oder genauer die griechische Tragödie, jener „großen Angelegenheit für die ganze, festliche Bürgerschaft“.[12]

Ihre stoffliche Grundlage bezog die Tragödie aus den allseits bekannten Mythen, die durch ihren Bekanntheitsgrad eine identitätsstiftende Funktion erfüllten und das gleich-zeitig so eingeschworene Publikum mit einer kritischen Situation konfrontierte, auf deren Basis die handelnde Person des Stückes agieren bzw. reagieren mußte. Dabei wird in der griechischen Tragödie die Tatsache reflektiert, daß diese Person sich als autonom Handelnder erfährt, mit der für ihn sich ergebenden Problemstellung, welche Konsequenzen er daraus zieht. Hier im Θέατρον ergab sich die Möglichkeit, eine Welt zu erschaffen, die tief bis in ihre Widersprüche hinein blicken ließ. Eine Welt, die offen-sichtlich in lang zurückliegenden Zeiten spielte, zumeist auch noch in anderen Städten, also scheinbar nichts mit dem unmittelbaren Druck gegenwärtiger Tendenzen zu tun hatten und doch Situationen aufgriff, die kaum näher an der Realität sein konnten.

Die Tragödie bot aber nicht nur Problemlösungen an, sie ließ den Menschen vor allem den ganzen Wissensgrund, in den sie ihre Erfahrungen einzuordnen pflegten, aus einer völlig anderen, neuen Perspektive betrachten. Dabei galt es nicht nur neue Maßstäbe zu setzten, sondern diese auch dem Publikum bewusst zu machen und einzuschärfen. Es musste Vieles erst einmal in Frage gestellt werden, auch wenn es später auf die Bestätigung alter Werte hinauslief. Deswegen und weil sich alles im Fest der großen Dionysien konzentrierte, konnte dieses Phänomen in aller Öffentlichkeit, in großer Bewusstheit und in breiter Teilhabe wirken.

Mit den großen Dionysien ist ein Stichwort gefallen, das faktisch gesehen so viele Einzelaspekte enthält, die alle hier zu berücksichtigen, das Quantum dieses Beleges sprengen hieße. Zwei Aspekte, die die Intentionen des Tragikers bei der Abfassung seiner Werke beeinflusst haben dürften, gilt es dennoch zu beachten. Hierbei handelt es sich um den Anlass und den Ort der Aufführung einer Tragödie, also zwei Komponenten die in enger Verbindung stehen. Bei unserem Beispiel der sopho-kleischen „Elektra“ gehen wir also von einer klassisch attischen Tragödie aus.

In Attika wurden jährlich fünf Dionysosfeste gefeiert, aber nur an zweien dieser Feste war es üblich Theateraufführungen abzuhalten - im Januar wurden die Lenäen, Ende März / Anfang April die großen Dionysien gefeiert. Der Dichter schuf sein Werk in dem Bewusstsein, erstens für ein Fest, ein Religionsfest[13] zu schreiben, und zweitens ausschließlich an diesen Termin gebunden zu sein, denn Wiederaufführungen waren im Athen des 5 Jh. unbekannt, so das sämtliches Bestreben des Dichters auf diese einmalige Aufführung fokussiert war.

Daraus ergaben sich strukturbestimmende Forderungen an das Werk. Schon bei einmaliger Rezeption mußte der Zuschauer verstehen, worum es geht, warum die Personen des Stücks gerade so handeln, wie sie es tun, dies blieb der Reflexion des Betrachters überlassen. Für die Tragödie selbst hieß das, der Stoff und auch darin angelegte Problemstrukturen konnten aus dem gleichen kulturellen Fundus stammen, aus dem auch andere Dichter schöpften – dem Mythos – aber deren Ausführung war das ganz spezielle Arrangement ihres Schöpfers.

Beim zweiten zu betrachtenden Aspekt, dem Ort der Aufführung, ist es, wie oben bereits angemerkt, nicht möglich, auf den Entwicklungsweg, den das Theater als Ganzes zuvor durchlaufen hat, nachzuvollziehen. Für uns ist aber von Interesse, daß das Θέατρον (‚Schaustätte’) als Massenversammlungsort[14] mit seiner spezifisch abgeschlossenen Innenstruktur den Besucher zu einer ganz speziellen Rezeptions-haltung zwingt. „Die Halbkreisform im Verein mit der aufsteigenden Staffelung der Sitzreihen läßt dem Zuschauer keine andere Möglichkeit als die der Orientierung auf einen einzigen Punkt, nämlich auf den kleinen kreisrunden Platz dort unten, der vom großen Halbkreisrund eingeschlossen wird: auf der Orchestra (όρχήστρα = Tanz-platz’)“[15]. Dieser Tatbestand mußte bei der Schaffung eines Stückes berücksichtigt werden. Das Stück musste kurz und prägnant sein, um den Zu-schauer nicht zu ermüden.[16] Doch das genügte nicht. Kam ein Stück zur Aufführung, so lag es im Wett-streit mit anderen Stücken. Da sicher jedem Dichter am Sieg gelegen war, mußte er bemüht sein, sein Werk so abwechslungs-reich wie nur möglich zu gestalten.

Überreste des Dionysos-Theaters – Blick von der Akropolis

Im Hinblick auf die Tragödie waren die visuellen Komponenten[17] eher von zweitrangiger Bedeutung. Mit der Variierung von Dialogkonstellationen (Chor – Schauspieler – Chorführer) sowie den Ausdrucksformen (Sprechen, Singen, Tanzen) konnte man schon mehr Abwechslung erreichen, doch ihre Zeitlosigkeit erfährt die attische Tragödie mit ihrer inhaltlichen Spannungssteigerung, die auf der Grundlage einer strengen Funktionalisierung ihrer sämtlichen Werks-abschnitte basiert.

III. Sophokles

Wie einleitend erwähnt, muß man hinter den uns erhaltenen attischen Tragödien die Personen der Dichter beachten, ihre Stellung in der Gesellschaft, ihre Lebenssituation und vor allem die Ziele ihres Wirkens und Strebens. Bei keinem der uns erhaltenen attischen Dichter ist das Verhältnis zwischen der eigenen Person und dem Schicksal der Polis so eng verbunden gewesen wie bei Sophokles.

Leider ist die Quellenlage zu Sophokles wie bei vielen antiken Persönlichkeiten ver-gleichsweise schlecht, obwohl sogar eine antike Biographie über ihn auf uns gekommen ist.

Sophokles wurde 497/96 in dem attischen Demos Kolonos (ca. 3 Km vor den Stadt-mauern von Athen) geboren und starb im Frühsommer des Jahres 406 in Athen. Sein ganzes Leben verbrachte er, im Gegensatz zu seinen beiden großen Dichterkollegen Aischylos und Euripides in Athen.[18] Er durchlebte sowohl den kometenhaften Aufstieg, als auch den tragischen Niedergang seiner Heimatpolis, mit der er stets tief verbunden war. Aus begüterten Fabrikantenkreisen stammend, die ihm eine gute Erziehung angedeihen ließen, fand er schnell Eingang in die Intellektuellenzirkel.

Er war mit den großen Geistern seiner Zeit befreundet oder bekannt, so mit Herodot (dem Vater der Geschichtsschreibung), mit Phidias (dem Genie der Bildhauerkunst), mit Anaxagoras (dem materialistischen Naturphilosophen vornehmer Herkunft) und natürlich auch mit Perikles, der ab der Jahrhundertmitte die Geschicke Athens in seinen Händen hielt und unter denen es seine kulturelle Blütezeit erlangte.

Athen, so hieß zeitlebens Sophokles´ große Aufgabe, womit er sicher einer unter vielen war, dies jedoch eindrucksvoll unterstrich. In seinen neunzig Jahren Lebenszeit schrieb er nicht nur ca. 120 Stücke, sondern bekleidete auch mehrere politische Ämter. So wurde er zunächst von der Volksversammlung 443/442 zu den Hellenotamiai gewählt, einem 10 Mann-Kollegium, das die Kasse des Seebundes verwaltete. Nur zwei Jahre später 441/440 bekleidete er als Stratege das höchste politische Amt Athens, das hauptsächlich militärische, aber auch zivile Kompetenzen beinhaltete. Eine zweite Wahl 428 in das gleiche Amt zusammen mit dem oligarchischen Oppositionsführer Thukydi-des wird zwar vermutet, ist jedoch sehr zweifelhaft.

[...]


[1] Joachim Latacz: Einführung in die griechische Tragödie. Göttingen 1993, S. 161

[2] ebd. J. Latacz (1993), S.161

[3] Die erste Aufführung eines Werkes dieser drei Tragiker sind 499 „Die Perser“ von Aischylos. Das Ende ihrer zahlreichen Tragödienaufführungen bezeichnen Sophokles „Oidipus auf Kolonos“(postum 401), als auch Euripides „Iphigenie in Aulis“ und die „Bakchen“(406).

[4] Die nachfolgenden Zeitangaben beziehen sich, wenn nicht anders kenntlich gemacht auf die klassische Zeit Athens, also 4. und 5. Jh.v.u.Z.

[5] der sogenannten Boulé

[6] Der jährlich zu entrichtende Phoros der Bündner hatte natürlich schon zuvor die Finanzkraft Athens erheblich verbessert. à Verlagerung erfolgte 454, angeblich wegen der drohenden Persergefahr

[7] aus: Meier, Chr.: Athen. Ein Neubeginn der Weltgeschichte. Berlin 1997, S. 354

[8] dies betrifft sowohl die Außen- (attisch-delischer Seebund vs. Perserreich), wie auch Innenpolitik (Oligarchie-Demokratie)

[9] neue Märkte, Handelswege, Häfen, Ausbau der Kolonien...

[10] Wiederherstellung der Tempel, adäquate Regelung von Rechtsstreitigkeiten oder die Garantie des gebührenden Umgangs mit den Göttern

[11] ebd. Meier: (1997) S. 383

[12] Burckhardt, Jacob à leider keine genaueren Angaben, Zitat aus ebd. Meier S.383

[13] Auf den Dionysoskult wird in diesem Beleg nicht eingegangen, obwohl er für die Entstehung gerade des attischen Theaters und somit auch für die Entwicklung der Tragödie eine entscheidende Rolle spielte.à siehe dazu ebd. J. Latacz (1993), S.29-44 oder Wägner, Nack: Hellas. Land und Volk der alten Griechen. Heidelberg 1975, S.41-45

[14] der gleichzeitig auch Kultort war à der heilige Tempelbezirk des Dionysos befand sich am Südhang der Akropolis (siehe Abb. oben)

[15] ebd. J. Latacz (1993), S.20

[16] Diese Konsequenz kann man gut an der zeitlichen Gliederung solcher Stücke erfassen, da die meisten den in ihnen dargestellten Konflikt innerhalb eines Tages zum Abschluß bringen.

[17] Spielmittel: Masken, Kostüme, Requisiten

[18] abgesehen von seinen Missionen im Dienste der Polis à vgl. perikleische Expedition 441 gegen Samos, wo Sophokles mit einem kleinen Schiffskontingent vor Chios und Lesbos kreuzte

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Sophokles - Elektra
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Institut für Germanistik)
Veranstaltung
Literarische Antikerezeption: Tragödie
Note
1,5
Autor
Jahr
2001
Seiten
30
Katalognummer
V6332
ISBN (eBook)
9783638139267
Dateigröße
766 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sophokles
Arbeit zitieren
Roman Derneff (Autor:in), 2001, Sophokles - Elektra, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/6332

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