Grundzüge Kritischer Erziehungswissenschaft


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

17 Seiten, Note: 1,0

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Kritische Theorie als wissenschaftstheoretische Grundlage Kritischer Erziehungswissenschaft

3. Ausgewählte Grundzüge Kritischer Erziehungswissenschaft
3.1 Mollenhauers Grundprogramm
3.2 Kritische Erziehungswissenschaft als Reaktion auf die Erfahrungen des Holocausts und des Nationalsozialismus
3.3 Kritik an Kritischer Erziehungswissenschaft
3.4 Ausblick

4. Literatur

1. Einleitung

Die Kritische Erziehungswissenschaft betritt ab Mitte der 1960er Jahre in der Bundesrepublik die Bühne der pädagogischen Diskussion. „Außerparlamentarische Opposition und 1968er-Bewegung bilden den gesellschaftspolitisch-provokativen Bezugsrahmen ihrer Entstehung.“[1] Kritische Erziehungswissenschaft rekurrierte dabei auf die wissenschaftstheoretischen Positionen der Frankfurter Schule, deren soziologische Gründerväter vor allem aus den Erfahrungen des Nationalsozialismus und des Holocaust heraus eine wissenschaftliche Neuausrichtung, jenseits traditioneller geistes- und erfahrungswissenschaftlicher Ansätze, versuchten.

Bevor Kritische Erziehungswissenschaft in ausgewählten Grundzügen skizziert und einige Kritikpunkte und zuletzt ihre gegenwärtige Perspektiven dargestellt werden, sollen deshalb im Folgenden zunächst wesentliche Positionen der Kritischen Theorie thematisiert werden.

2. Kritische Theorie als wissenschaftstheoretische Grundlage Kritischer Erziehungswissenschaft

Die Kritische Theorie nahm von dem im Jahre 1923 in Frankfurt am Main gegründeten Institut für Sozialforschung ihren Ausgang - daher wird auch häufig der Name „Frankfurter Schule“ verwendet. Neben Max Horkheimer, der 1937 in seinem Aufsatz „Traditionelle und kritische Theorie“ als erster ein Programm des neuen wissenschaftstheoretischen Ansatzes entwarf, gehörten Theodor W. Adorno, Herbert Marcuse und Erich Fromm zu den Gründervätern der Kritischen Theorie.

In Abgrenzung zur traditionellen Theorie empirischer und geisteswissenschaftlicher Provenienz versucht die Kritische Theorie vor allem die nach ihrem Dafürhalten bisher vernachlässigte Rolle der Gesellschaft in ihre Arbeiten einzubeziehen. Sie geht dialektisch der Frage nach, „welche Rolle Gesellschaft und ihre Entwicklung für wissenschaftliche Erkenntnis haben und welche Rolle Wissenschaft für die gesellschaftliche Entwicklung übernehmen kann und soll.“[2] Mit der Gesellschaft als Referenzrahmen wird nun auch der „Entstehungs- und Verwendungszusammenhang von Wissenschaft“[3] in seiner Geschichtlichkeit reflektiert. So schreibt hierzu Horkheimer:

„Die Menschen sind nicht nur in der Kleidung und im Auftreten, in ihrer Gestalt und Gefühlsweise ein Resultat der Geschichte, sondern auch die Art, wie sie sehen und hören, ist von dem gesellschaftlichen Lebensprozeß, wie er in den Jahrtausenden sich entwickelt hat, nicht abzulösen. Die Tatsachen, welche die Sinne uns zuführen, sind in doppelter Weise gesellschaftlich präformiert: durch den geschichtlichen Charakter des wahrgenommenen Gegenstands und den geschichtlichen Charakter des wahrnehmenden Organs. Beide sind nicht nur natürlich, sondern durch menschliche Aktivität geformt“.[4]

Daraus resultiere die Rolle der traditionellen Wissenschaft, die als einer Art Produktionszweig der kapitalistischen Gesellschaft nicht unabhängig sein könne. „Der Gelehrte und seine Wissenschaft sind in den gesellschaftlichen Apparat eingespannt, ihre Leistung ist ein Moment der Selbsterhaltung, der fortwährenden Reproduktion des Bestehenden, gleichviel, was sie sich selbst für einen Reim darauf machen.“[5]

Damit wissenschaftliches Arbeiten nicht „direktionsloses Spiel, halb begriffliche Dichtung, halb ohnmächtiger Ausdruck von Gemütszuständen“[6] bleibe, skizziert Horkheimer als Ausweg seine Konzeption einer kritischen Theorie, bei der er insbesondere die dialektische Interpretation und eine Gesellschaftsanalyse durch „Konstruktion der geschichtlichen Gegenwart“[7] hervorhebt. An Marx orientiert stellt Horkheimer zudem das Moment des Arbeitsprozesses in den Vordergrund: „Die Menschen erneuern durch ihre eigene Arbeit eine Realität, die sie in steigendem Maß versklavt.“[8] Eine kritische Theorie müsse nun die unangemessene Verteilung von Macht und materiellem Wohlstand zwar kritisieren, doch müsse dabei vermieden werden, sich einer Klasse (in diesem Falle dem Proletariat) unterzuordnen, das für den „Intellektuellen zum beglückenden Gefühl, mit einer ungeheuren Macht verbunden sein“[9] führen könne. Er fordert deshalb eine Sozialpsychologie, die „das Verhältnis von Sein und Bewusstsein bei den verschiedenen Klassen der Gesellschaft“[10] untersucht.

Schließlich stellt er als die Grundidee der kritischen Theorie eine „künftige Gesellschaft als [...] Gemeinschaft freier Menschen“[11] vor. Herrschende Verhältnisse in ihrer Irrationalität sollen beseitigt werden.

Die Auseinandersetzung mit traditioneller Theorie setzte etwa eine Generation später Jürgen Habermas in seiner Frankfurter Antrittsvorlesung im Jahre 1965 fort. Erkenntnistheoretisch wurden die darin aufgezeigten Positionen zu wichtigen Bezugspunkten der gerade im Entstehen begriffenen Kritischen Erziehungswissenschaft: Mit empirisch-analytischer, historisch-hermeneutischer und kritisch orientierter Wissenschaft sieht Habermas jeweils ein ihnen eigentümliches Interesse verbunden. Für die empirisch-analytischen Wissenschaften konstatiert er ein technisches erkenntnisleitendes Interesse. Hier werde zunächst ein „Bezugssystem, das den Sinn möglicher erfahrungswissenschaftlicher Aussagen präjudiziert“, festgelegt, welches dann „für den Aufbau der Theorien als auch für deren kritische Überprüfung“[12] diene. Habermas kritisiert den vom Empirismus vermittelten „objektivistischen Schein“[13]. Die aus Beobachtungen hervorgehende vorgebliche „Abbildung von Tatsachen“ sei eben nicht „ohne subjektive Zutat verlässlich gegeben“[14]. Vielmehr dürfe nicht verschleiert werden, dass „sich die erfahrungswissenschaftlich relevanten Tatsachen als solche durch eine vorgängige Organisation unserer Erfahrungen im Funktionskreis instrumentalen Handelns erst konstituieren.“[15] Er kommt deshalb zu dem Schluss, dass empirisch-analytischer Wissenschaft „das Erkenntnisinteresse an der technischen Verfügung über vergegenständlichte Prozesse“[16] eigen sei.

Die historisch-hermeneutische Wissenschaft versuche hingegen durch Sinnverstehen Zugang zu Tatsachen zu erlangen. „An jenes Sinnverstehen, dem die Tatsachen des Geistes evident gegeben sein sollen“, habe aber „der Historismus den objektivistischen Schein reiner Theorie geknüpft.“[17] Habermas weist darauf hin, dass auch hier sich „die Tatsachen erst im Verhältnis zu den Standards ihrer Festlegung“[18] konstituierten. „Das Vorverständnis des Interpreten, durch das hermeneutisches Wissen stets vermittelt“[19] sei, dürfe nicht unterschlagen werden. Die hermeneutische Methodik vereinige die Auslegung der Welt des tradierten Sinns mit der Applikation auf die Welt des Interpreten. Habermas hält deshalb fest, „dass die hermeneutische Forschung die Wirklichkeit unter dem leitenden Interesse an der Erhaltung und der Erweiterung der Intersubjektivität möglicher handlungsorientierender Verständigung“[20] erschließe. Die Ausrichtung des Sinnverstehens auf „möglichen Konsensus von Handelnden im Rahmen eines tradierten Selbstverständnisses“ zeige, dass der historisch-hermeneutischen Wissenschaft ein praktisches Erkenntnisinteresse zugrunde liege.

Kritische Wissenschaft schließlich beschränke sich nicht auf „das Ziel, nomologisches Wissen hervorzubringen.“[21] Vielmehr müsse nomologisches Wisssen mittels Ideologiekritik auf darin enthaltene „veränderliche Abhängigkeitsverhältnisse“[22] durchsucht und diese zum Bewusstsein gebracht werden. Abhängigkeiten und Unterdrückung generierende Gesetzmäßigkeiten könnten so „zwar nicht außer Geltung, aber außer Anwendung“[23] gesetzt werden. Mittels Selbstreflexion solle das „Subjekt aus der Abhängigkeit von hypostasierten Gewalten“[24] gelöst werden. Kritisch orientierter Wissenschaft sei, aus dieser Zielsetzung resultierend, ein emanzipatorisches Erkenntnisinteresse zu eigen.

Im Gegensatz zu den beiden traditionellen Theoriesträngen, die mittels hermeneutischem und empirischem Vorgehen je eigene Erkenntnismethoden herausbildeten, konnte die Kritische Theorie keine weit reichende und kohärente Forschungsmethode entwickeln, die Empirie und Hermeneutik hätte ersetzen können. Die altbekannten Instrumente sollten letztlich nur neu - auf das Telos Emanzipation hin - justiert werden. Die Rekurse auf Hegels Dialektik, auf Marx` Materialismus und dessen Entfremdungsbegriff sowie auf Freuds Psychoanalyse waren Ausdruck dieser Neujustierung. Während mittels der dialektischen Methode Wechselverhältnisse wie die zwischen Forschungssubjekt und Forschungsobjekt oder zwischen Individuum und Gesellschaft fokussiert wurden und man den „Gegenstand einer Betrachtung als Einheit gegensätzlicher Bestimmungen zu fassen“[25] suchte, übernahm die Kritische Theorie von Marx die Vorstellung des vom Sein bestimmten Bewusstseins. Nach Marx konstituiert die Ungleichverteilung der Produktionsmittel Herrschaftsverhältnisse, die in vierfacher Weise zur Entfremdung des Menschen führt: Zur Entfremdung des Menschen bezüglich des Produktes seiner Arbeit, seiner Arbeit, seiner Selbst und seiner Mitmenschen.[26] Diese marxschen Annahmen wurden zur Folie für Arbeiten kritischer Provenienz. So visierte etwa Habermas in seinen Überlegungen zur deliberativen Demokratie eine unverzerrte, von Herrschaft bereinigte und auf vernünftigen Regeln basierende Kommunikation an. Dies stellt nichts anderes als ein, in marxscher Tradition stehender, Versuch dar, Entfremdung - hier kommunikationstheoretisch gedeutet - aufzuheben. In Bezugnahme auf Freud sodann lenkte die Kritische Theorie ihren Blick auf das Unbewusste. Mit der Annahme, „daß große Teile unseres Verhaltens nicht unserer bewußten Kontrolle unterliegen, sondern aus dem Unbewußten gesteuert werden“[27], wurde versucht hinter die Kulissen von Handlungen und Strukturen zu schauen und durch tiefenhermeneutische Reflexion latente Abhängigkeits- und Herrschaftsverhältnisse aufzudecken.

[...]


[1] Armin Bernhard: Kritische Pädagogik zwischen Antiquiertheit und Zukunftsbedeutung. Zur Überprüfung eines erziehungswissenschaftlichen Theoriemodells, in: ders; Armin Kremer; Falk Rieß (Hg.): Kritische Erziehungswissenschaft und Bildungsreform. Programmatik - Brüche - Neuansätze, Bd.1, Hohengehren 2003, S. 8.

[2] Eckard König, Peter Zedler: Theorien der Erziehungswissenschaft, Weinheim/Basel 22002, S. 116.

[3] Ebenda.

[4] Max Horkheimer: Traditionelle und kritische Theorie, in: ders.: Kritische Theorie der Gesellschaft, Bd. 2, Frankfurt/M. 1968, S. 149.

[5] Ebenda, S. 145.

[6] Ebenda, S. 158.

[7] Ebenda, S. 160.

[8] Ebenda.

[9] Ebenda, S. 163.

[10] Ebenda.

[11] Ebenda, S. 166.

[12] Jürgen Habermas: Erkenntnis und Interesse, in: ders.: Technik und Wissenschaft als »Ideologie«, Frankfurt/M. 101979, S. 155 f.

[13] Ebenda, S. 155.

[14] Ebenda.

[15] Ebenda.

[16] Ebenda, S. 157.

[17] Ebenda.

[18] Ebenda.

[19] Ebenda, S. 158 f.

[20] Ebenda, S. 158.

[21] Ebenda.

[22] Ebenda.

[23] Ebenda, S. 159.

[24] Ebenda.

[25] Manfred Gerspach: Einführung in pädagogisches Denken und Handeln, Stuttgart/Berlin/Köln 2000, S. 175.

[26] Vgl. Theo Stammen: Karl Marx (1818-1883), in: Hans Maier, Horst Denzer (Hg.): Klassiker des politischen Denkens. Von John Locke bis Max Weber, München 5 2001, S. 175.

[27] Peter Möller: Sigmund Freud - Psychoanalyse, in: http://www.philolex.de/freud.htm, Zugriff am 20. 07. 2006.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Grundzüge Kritischer Erziehungswissenschaft
Hochschule
Pädagogische Hochschule Weingarten
Note
1,0
Jahr
2006
Seiten
17
Katalognummer
V63250
ISBN (eBook)
9783638563390
ISBN (Buch)
9783638903073
Dateigröße
505 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Im Rekurs auf Horkheimer, Habermas, Mollenhauer, Adorno, Klafki und Krüger werden die Grundzüge Kritischer Erziehungswissenschaft dargestellt und diskutiert.
Schlagworte
Grundzüge, Kritischer, Erziehungswissenschaft
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Anonym, 2006, Grundzüge Kritischer Erziehungswissenschaft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/63250

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