Zur theoretischen und praktischen Gestaltung der pflegebezogenen Patienten- und Familienedukation


Studienarbeit, 2006

34 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Vorüberlegungen zur Patienten- und Familienedukation
2.1 Beratung in der Pflege- Definitionsansatz, Ziele und Problemaufriss
2.2 Beratungstheoretische Ansätze
2.3 Zur Rolle von Alltag und Lebenswelt

3. Pflegebezogene Patienten- und Familienedukation- theoretisches Gerüst
3.1 Historie und wissenschaftlicher Kontext
3.2 Definition und Zielsetzung
3.2.1 Informationen
3.2.2 Schulung
3.2.3 Beratung
3.3 Zur Qualifikation von edukativ Pflegenden

4. Pflegebezogene Patienten- und Familienedukation in der Praxis
4.1 Vom PIZ zum Netzwerk der Patienten- und Familienedukation
4.2 Das Modellprojekt des Kreiskrankenhauses München-Neuperlach
4.3. Das häusliche Setting
4.4 (Qualifikations-) Defizite und Aufgaben für das Pflegemanagement

5. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Das Pflegewesen in Deutschland befindet sich im Umbruch: Zum einen steigen die Professionalisierungsbemühungen und zum anderen finden seit einigen Jahren Reformierungen des Gesundheitswesens statt, die allen voran mit der verbindlichen Einführung der DRG’s 2003, den damit verbundenen frühzeitigen Krankenhausentlassungen sowie der Verschiebung von stationären Leistungen in den ambulanten Sektor eine erhebliche Veränderung für den Pflegesektor bedeuten. Zudem dominieren stetig mehr chronisch degenerative Erkrankungen, die häufig komplexe Problemlagen für die Betoffenen mit sich bringen. Diese neue Situation stellen sowohl die Betroffenen selbst als auch alle anderen an der Pflege beteiligten Personen vor neuen Herausforderungen. So wird von Patienten und deren pflegenden Angehörigen zunehmend eine Entwicklung von Selbststrategien im Umgang mit körperlichen und psychischen Defiziten gefordert, während von beruflich Pflegenden langsam aber sicher eine Unterstützung bei der Bewältigung erwartet wird. Außerdem müssen sich Pflegekräfte mit der neuen Situation vertraut machen, dass die Betroffenen eine größtmögliche Unabhängigkeit erreichen wollen, eigene Entscheidungen treffen und selbst Experten bzgl. der Bewältigung ihrer Lebenssituation werden wollen (Abt-Zegelin, 1999; Klein et al., 2001; Müller-Mundt et al., 2000; Statmeyer, 2005; Thomas & Wirnitzer, 2001).

Es ergibt sich also die Frage, wie die Pflege diesen Anforderungen gerecht werden kann. Eine diesbezügliche Methode im Rahmen der pflegerischen Beratung stellt das Konzept der pflegebezogenen Patienten- und Familienedukation dar, welches in der vorliegenden Arbeit näher erläutert werden soll. Das Hauptziel dieser Arbeit ist es, den Bezug von allgemeinen beratungstheoretischen Überlegungen zur Patienten- und Familienedukation herzustellen, um somit die inhaltlichen Aspekte dieser noch recht unbekannten Methodik im deutschen Pflegewesen im Hinblick auf die Anwendbarkeit in der pflegerischen Praxis zu durchleuchten. Das Subziel besteht darin, aus den daraus resultierenden Kenntnissen eigene kritische Überlegungen anzustellen.

Zu diesem Zweck werden im zweiten Abschnitt dieser Arbeit wissenschaftliche theoretische Vorüberlegungen aufgegriffen, die im unmittelbaren Zusammenhang mit der Patienten- und Familienedukation stehen. Hierbei ist anzumerken, dass diese Vorüberlegungen lediglich kurz erläutern werden, da eine zu ausführliche Aufgliederung das eigentliche Ziel in den Hintergrund schieben würde und den Rahmen dieser Studienarbeit sprengen würde.

Der dritte Abschnitt steht ganz im Zeichen der Erläuterung des theoretischen Gerüsts der Patienten- und Familienedukation, wobei auch hier eine Eingrenzung auf die deutsche Konzeption zu erwähnen ist.

Die Umsetzung der Patienten- und Familienedukation in der pflegerischen Praxis findet sich im vierten Abschnitt wieder. Hier war es mir nicht nur wichtig, verschiedene Aktivitäten und Projekte der Patienten- und Familienedukation zu präsentieren, sondern auch derzeitige Schwierigkeiten in der Umsetzung einzubeziehen, um im Hinblick auf das spätere berufliche Fungieren im Bereich des Pflegemanagements neue Aufgaben anzuregen.

Wenn in dieser Arbeit von „Ratsuchenden“, „Betroffenen“, „Patienten“ etc. die Rede ist, ist sowohl das weibliche als auch das männliche Geschlecht gemeint.

2. Vorüberlegungen zur Patienten- und Familienedukation

2.1 Beratung in der Pflege- Definitionsansatz, Ziele und Problemaufriss

Im Gesundheitswesen wird häufig Pflegeberatung mit Edukation gleichgesetzt (Koch- Straube, 2001). Daher scheint es unerlässlich, zunächst auf die Charakteristik der pflegerischen Beratung einzugehen, bevor die Thematik der Edukation näher erläutert wird.

Experten auf dem Gebiet der Beratung in der Pflege orientieren sich gegenwärtig an vorliegenden Definitionen der Psychologie, (Sozial-) Pädagogik, Soziologie und Philosophie, die jedoch nicht ohne weiteres auf das Pflegwesen transformiert werden können. Demnach kann die folgende Charakterisierung nur als Ansatz betitelt werden.

„…Beratung ist ein gemeinsamer und verantworteter Prozess des Suchens und Verstehens, in dem die Klienten ihr Wissen, ihre Kompetenzen, ihre Sicht von der Welt und ihrem Leben, ihre Erfahrungen einbringen und die Pflegenden ihr fachbezogenes Wissen und ihre Kompetenzen, ihre Erfahrungen und die Fähigkeit, den Beratungsprozess zu initiieren, zu gestalten und zu einem Abschluss zu bringen“ (Koch-Straube, 2004, S. 9).

Des Weiteren heißt es in der Fachliteratur, Beratung in der Pflege orientiert sich an der Thematik, die der Patient vorgibt, wobei die Ziele gemeinsam von Berater und Patient erörtert werden. Im Vordergrund stehen die Ressourcen und Kompetenzen, über die der Patient in seinem Alltag und seiner Lebenswelt verfügt (Abt-Zegelin, 1999, 2000, 2003; Huber, 2002; Koch-Straube, 2001, 2004).

In Bezug auf Koch-Straube (2001) sei hervorgehoben, dass sich pflegerische Beratung von Therapie, Alltagsberatungen und Erziehung abgrenzt, obwohl diese Begriffe im unmittelbaren Zusammenhang zur Pflege stehen. Begründet wird diese These wie folgt:

- Beratung zielt in einem höheren Maße als die Therapie auf die Veränderung der Umweltbedingungen des Individuums und seiner Interaktion ab und weniger auf Störungen in der Persönlichkeit (dies wäre ein „Fall“ für die Psychotherapie).
- Alltagsberatungen im nichtprofessionellen Zusammenhang geschehen eher situativ, zufallsbedingt, vornehmlich ungeplant und bringen die Gefahr mit sich, dass der Patient in seiner speziellen Problematik nicht erreicht wird, da diese Beratungsform nicht selten von der unreflektierten subjektiven Sichtweise und den Interessen des Ratgebenden geprägt ist und keine zielorientierten und methodischen Strukturen enthält.
- Erziehung im Sinne einer totalen Anpassung des Betroffenen an die Ansprüche des Beratenden, die sich an Werten, Normen und Erfordernissen der Gesellschaft oder einer Institution orientieren und nicht die psycho- soziale Situation bzw. die Wünsche des Betroffenen berücksichtigen, sollte nicht mit Beratung verglichen werden.
Bei der pflegerischen Beratung stehen die Menschen im Vordergrund, die aufgrund körperlichen Defiziten, psychischen Leiden oder sozialen Problemen auf Hilfe angewiesen sind, womit deutlich zu erkennen ist, dass Beratung in der Pflege sich nicht ausschließlich auf funktionelle organische Störungen stützt (Huber, 2002; Koch-Straube, 2001; Stratmeyer, 2005). Die Ziele der pflegerischen Beratung werden in der Fachliteratur mitunter unterschiedlich formuliert. Nach Koch-Straube (2001, 2004) und Stratmeyer (2005) werden folgende Ziele angestrebt:
- Unterstützung des Menschen im Krankheitsprozess und daraus resultierende Problematiken ansprechen und verstehen,
- Bewältigung von Krisensituationen sowie die Bearbeitung von inneren und äußeren Konflikten,
- Erlangung von Wissens- und Handlungsstrategien zu (Informationsgabe, Aufklärung, Anleitung),
- Hilfestellung bei der Entscheidungsfindung bieten und
- einen zufriedenstellenden und erfüllten Alltag trotz physischer und psychischer Einschränkungen zu gewährleisten.
Betrachtet man die gegenwärtig existierende Position von Beratung explizit aus dem Blickwinkel des Pflegeberufs , so ist festzustellen, dass aktuell Berufsangehörige anderer Professionen diesen Part im Pflegesektor übernehmen: Sozialarbeiter, Ärzte, Seelsorger, Psychotherapeuten, Pädagogen, Anhänger der Pharmaindustrie etc. beraten in „unserem“ Handlungsfeld. Hierbei ist jedoch kritisch zu hinterfragen, ob Ärzte neben medizinischen Informationen, die die Patienten und deren Angehörigen oftmals nicht verstehen und als „fachchinesisch“ bezeichnen, ebenso pflegespezifische Fragen beantworten können oder aber, ob es sinnvoll ist, wenn ausschließlich Pharma-/ Medicalfirmen Diabetesschulungen und Stomaberatungen durchführen. Daneben ist zu bedenken, ob ein Sozialarbeiter sich z. B. ausreichend mit dem Themenkomplex der Pflegeversicherung auskennt und die Beratung somit zu einem zufriedenstellenden Ergebnis für die Betroffenen führt (Abt-Zegelin, 1999, 2000, 2002; Müller-Mundt et al., 2000).

Eine ungenügende Beachtung von pflegerischer Beratung spiegelt sich zudem in der Ausbildung wider: Obwohl im Krankenhauspflegegesetz (KrPflG) §3 Abs.1 und 3 sinngemäß die Integration zur Anregung und Anleitung zu gesundheitsförderndem Verhalten in den Lerneinheiten gefordert wird, sind beraterische Kompetenzen während und nach der Ausbildung im pflegerischen Alltag kaum zu finden (Abt-Zegelin, 2002; Müller-Mundt et al., 2000; Senioren-Pflege-Informationsportal, 2003). Dies scheint paradox, ist in der diesbezüglichen Fachliteratur doch eine allgemeine Übereinstimmung darüber zu vernehmen, dass Pflegende sich direkt „am Ort des Geschehens“ befinden und daher über einen weitaus tieferen Einblick in das Leben und die Situation des zu Pflegenden verfügen als die oben stehenden Berufsgruppen (Abt-Zegelin, 2002; Huber, 2002; Müller-Mundt et al., 2000).

2.2 Beratungstheoretische Ansätze

Da sich die pflegerische Beratung in Deutschland als noch recht jung einzustufen ist, lässt sich eine gegenwärtig fehlende anerkannte Beratungstheorie verstehen. Daher können die nachstehenden Ansätze ebenfalls keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Richtigkeit erheben.

Vermittlungstheoretischer Pflegeberatungsansatz

Bei diesem Ansatz geht man der These nach, dass es den Patienten an Informationen, Wissen sowie Fertigkeiten fehlt, die zu einem entsprechendem Umgang mit der Krankheit bzw. zu einem Arrangement mit der Krankheit führen, weshalb das Ziel dieser psychologischen Didaktiktheorie darin besteht, diese Defizite durch strukturierte Lehr- und Lernprozesse zu kompensieren.

Die gestuften Lernprozesse (z. B. vom Einfachen zum Schwierigen) sind weitgehend planbar und standardisierbar, können innerhalb einer oder mehrerer Schulungssitzungen abgehandelt werden und sowohl als Individualsitzung als auch ggf. in Gruppensitzungen durchgeführt werden (Stratmeyer, 2005). Zu erkennen ist hierbei die deutliche Gewichtung auf die lehrende Person, d. h. der „Lehrer“ entscheidet, was falsch oder richtig ist. Mit anderen Worten könnte man sagen, der pflegerische Ratgeber ist der typische Lehrer, während sich der Ratsuchende in der typischen Schülerrolle befindet.

Laut Stratmeyer (2005) findet der vermittlungsorientierte Ansatz besonders bei chronischen Massenerkrankungen im Zusammenhang mit gesundheitsschädigendem Verhalten (z. B. Adipositas und Fehlernährung) seine Grenzen, da es schwierig sei, das Verhalten trotz Kenntnisse über diesbezügliche Schäden umzuwandeln.

Verhaltensorientierter Pflegeberatungsansatz

Ansätze der Verhaltensorientierung basieren auf der Naturwissenschaft und enthalten lerntheoretische Eigenschaften des Behaviorismus und sind im hohen Maße von der medizinischen Sichtweise geprägt: Der Grundgedanke besteht in der Annahme, dass sämtliche krankheitsfördernde in gesundheitsfördernde Verhaltensweisen umgewandelt werden können, was ebenso das Ziel dieses Ansatzes beinhaltet (Koch-Straube, 2001; Stratmeyer, 2005). Der verhaltensorientierte Ansatz bezieht sich auf Patienten

„…denen es schwer fällt, die Anforderungen an das Krankheits- und Pflegemanagement auf Dauer aufrecht zu erhalten, deren Krankheitskarrieren immer wieder durch prinzipielle vermeidbare Rückfälle belastet werden, unter denen sie leiden, frustrieren und resignieren […] (Stratmeyer, 2005).

Jedoch ist dieser Ansatz mit Vorsicht zu betrachten: Dass der Behaviorismus in seiner ursprünglichen Form Kritiker in mehreren Sektoren findet, ist kein Geheimnis. Daher plädiert auch die Pflegewissenschaft für eine Beachtung von kognitiven, emotionalen und motivationsbezogenen Kriterien in Beratungstheorien. Stratmeyer (2005) und Koch-Straube (2001) geben in diesem Kontext zu bedenken, dass die genannten Kriterien zwar im Zuge der kognitiven Wende in der theoretischen Ausweitung der Verhaltenspsychologie integriert wurden, allerdings dieser Ansatz nach wie vor durch eine Anpassung des Patienten geprägt sei und einen im negativen Sinne erzieherischen Charakter beinhalte. Ferner wird kritisiert, dass weder der Alltag noch die Lebenswelt der Betroffenen eine Rolle spielen.

2.3 Zur Rolle von Alltag und Lebenswelt

Gleichgültig welche Literatur man zur Identifizierung von geeigneten pflegeberatungstheoretischen Ansätzen zu Rate zieht, immer wieder ist der Bedarf der Berücksichtigung von Alltag und Lebenswelt zu vernehmen[1]. So erklären Sickendick et al. (1999), Alltag und Alltagsprobleme von Ratsuchenden waren zwar seit jeher Gegenstand von Beratungstheorien, jedoch wurden diese überwiegend aufgrund der Konzeption von (psychologischen) Beratungstheorien als eine Art „alltagsfernes“ Objekt angesehen und behandelt. Das bedeutet konkret, Berater mussten lediglich über Wissenschaftswissen verfügen, welches als optimales Problemlösungsverfahren angesehen wurde und eine Vertrautheit mit den alltäglichen Problemen in der Lebenswelt der Ratsuchenden ausschloss. Heutzutage vertritt man jedoch die Meinung, wenn dem Adressaten der (pflegerischen) Beratung geholfen werden soll, etwas zu verändern oder zu bewirken, müssen Lebenswelt und Alltag ein fester Bestandteil von Beratungstheorien werden (Koch-Straube, 2001; Sickendick et al., 1999).

Mit anderen Worten könnte man auch sagen, Alltag und Lebenswelt sind insofern wichtig, als dass die den Betroffenen in seiner speziellen Problematik erreichen und den Betroffenen „dort abholen, wo er sich gerade befindet“.

[...]


[1] Die theoretischen Diskussionen um die Miteinbeziehung von Alltag und Lebenswelt in Beratungstheorien finden erst seit ca. 1975 eine Beachtung und sind demnach als recht neu einzustufen (Sickendieck et al., 1999)

Ende der Leseprobe aus 34 Seiten

Details

Titel
Zur theoretischen und praktischen Gestaltung der pflegebezogenen Patienten- und Familienedukation
Hochschule
Hochschule Bremen
Veranstaltung
Beratung in der Pflege
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
34
Katalognummer
V63099
ISBN (eBook)
9783638562218
ISBN (Buch)
9783656806516
Dateigröße
602 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Studienarbeit ist in zwei Abschnitte unterteilt: Im ersten Abschnitt wird der Begriff der Beratung sowie die Edukation in ihren wesentlichen Merkmalen erläutert. Der zweite Abschnitt bezieht sich explizit auf die Praxis aus Sicht des Pflegemangements: Es werden verschiedene Konzepte erläutert, wie die Patienten-und Familienedukation in die Praxis implementiert werden kann.
Schlagworte
Gestaltung, Patienten-, Familienedukation, Beratung, Pflege
Arbeit zitieren
Maike Bredehoeft (Autor:in), 2006, Zur theoretischen und praktischen Gestaltung der pflegebezogenen Patienten- und Familienedukation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/63099

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