Das Big-Five-Modell der Persönlichkeit. Anwendung im organisationspsychologischen Kontext.


Diplomarbeit, 2006

63 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1 Einführung
1.1 Die Begriffe Person und Persönlichkeit
1.2 Die Persönlichkeit als Forschungsgegenstand der Psychologie
1.2.1 Persönlichkeitsdefinitionen
1.2.2 Perspektiven von Persönlichkeit
1.2.3 Kontroverse: Person versus Situation

2 Das „Big Five“- Modell und seine Entwicklungsgeschichte
2.1 „Big Five“- Modell und NEO-PI-R- Persönlichkeitsinventar
2.2 Entstehung des „Big Five“- Modells der Persönlichkeit

3 Anwendung des „Big Five“- Modells im organisationspsycho-logischen Kontext
3.1 Die Anwendung des „Big Five“- Modells in der Personalauswahl
3.2 Das „Big Five“- Modell und weitere Aspekte des Arbeitsverhaltens
3.2.1 Die „Big Five“ und Arbeitszufriedenheit
3.2.2 Die „Big Five“ und Mitarbeiterabsentismus
3.2.3 Die „Big Five“ und Führungserfolg
3.2.4 Die „Big Five“ und freiwilliges Arbeitsengagement (OCB)
3.2.5 Die „Big Five“ und kontraproduktives Verhalten
3.2.6 Die „Big Five“ und Karriereerfolg

4 Kritische Würdigung
4.1 Kritik am „Big Five“- Modell
4.1.1 Anzahl der Faktoren
4.1.2 Benennung der Faktoren
4.1.3 Wesenszüge („traits“) und deren Langzeitstabilität
4.1.4 Methode der Faktorenanalyse
4.2 Kritik am lexikalischen Ansatz
4.3 Kritik an der Anwendung des „Big Five“- Modells in der Orga-nisationspsychologie
4.3.1 „Bandwith-fidelity“-Dilemma und Zeitaufwand
4.3.2 Verfälschungstendenzen

5 Zusammenfassung und Fazit

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Die fünf Persönlichkeitsbereiche und die ihnen zugeordneten Facetten

Tabelle 2: Einige Beispielitems des NEO-PI-R

Tabelle 3: Beispiel der im NEO-PI-R verwendeten Likert-Skala

Tabelle 4: Zusammenhang des Persönlichkeitsfaktors „Gewissenhaftigkeit“ sowie dessen Subfaktoren „Zielstrebigkeit“ und „Verlässlichkeit“ und verschiedenen Aspekten des Arbeitsverhaltens

1 Einführung

Das Bestreben, die menschliche Persönlichkeit zu erfassen und zu beschreiben, hat eine lange Tradition. So beschäftigt die Frage, was die menschliche Persönlichkeit, den Charakter oder das Wesen des Menschen ausmacht und wie sich diese Persönlichkeit beschreiben lässt, Philosophen, Schriftsteller und Wissenschaftler bereits seit der Antike. Beispielsweise beschrieb der griechische Arzt Hippokrates (460 bis 377 v. Chr.) für den Menschen insgesamt vier verschiedene Temperamentstypen: sanguinisch, phlegmatisch, cholerisch und melancholisch. Zwar hat in der Wissenschaft schon lange eine Abkehr von solchen allzu vereinfachenden Typologien stattgefunden, dennoch ist man in der Persönlichkeitspsychologie nach wie vor bestrebt, grundlegende Persönlichkeitsdimensionen zu definieren und diese in ein Modell zu integrieren, das eine umfassende Charakterisierung der menschlichen Persönlichkeit ermöglichen soll. Ein solches Vorhaben dient nicht nur einem rein wissenschaftlichen Interesse, sondern verspricht zudem vielfältige Anwendungsmöglichkeiten in der Praxis. So gilt es in der Organisationspsychologie, die sich mit den Wechselwirkungen von Individuen und Organisationen befasst, mittlerweile als selbstverständlich, dass die Persönlichkeit eines Organisationsmitgliedes und dessen gezeigtes Arbeitsverhalten in einem Zusammenhang stehen. Fraglich ist dabei jedoch, wie dieser Zusammenhang zu charakterisieren ist und im Organisationskontext nutzbar gemacht werden kann.

Mit dem Fünf-Faktoren-Modell (FFM) der Persönlichkeit, das auch als „Big Five“- Modell bezeichnet wird, liegt seit den 1980er Jahren ein einflussreiches Eigenschaftsmodell der Persönlichkeit vor. Ziel dieser Arbeit ist es, dieses Modell als Instrument der Beschreibung grundlegender Persönlichkeitsmerkmale vorzustellen und seine Erforschung und Weiterentwicklung nachzuzeichnen. Darüber hinaus ist beabsichtigt, die relevanten Einsatzbereiche eines solchen Persönlichkeitsmodells in der Organisationspsychologie herauszuarbeiten. Hierbei wird insbesondere untersucht, welche Vorhersagen bezüglich verschiedener Aspekte des Arbeitsverhaltens eines Organisationsmitgliedes aufgrund vorhandener Persönlichkeitsmerkmale getroffen werden können. Schließlich wird angestrebt, neben den vielseitigen Möglichkeiten auch verschiedene Kritikpunkte bezüglich des „Big Five“-Modells und die Grenzen von dessen Anwendung im Organisationskontext zu diskutieren.

Um diese Ziele zu erreichen, wird im weiteren Kapitel 1 zunächst auf die menschliche Persönlichkeit als Forschungsgegenstand in der Persönlichkeitspsychologie eingegangen. Hierbei werden verschiedene Definitionen und zwei unterschiedliche Betrachtungsperspektiven des Persönlichkeitsbergriffs vorgestellt sowie die Wortgeschichte der Begriffe „Person“ und „Persönlichkeit“ erläutert. Schließlich wird, indem nach den Ursachen menschlichen Verhaltens gefragt wird, auf die „Person vs. Situation“- Kontroverse eingegangen.

In Kapitel 2 wird mit dem „Big Five“- Modell der Persönlichkeit das derzeit elaborierteste Eigenschaftsmodell zur Beschreibung grundlegender Persönlichkeitsdimensionen vorgestellt. Das „Big Five“- Modell wurde von Costa und McCrae durch einen umfangreichen Persönlichkeitsfragebogen, das NEO-Persönlichkeitsinventar, operationalisiert, welches anschließend erläutert wird. In diesem Zusammenhang werden auch die beiden unterschiedlichen Entwicklungslinien, der lexikalische Ansatz und der Fragebogenansatz, aus denen das „Big Five“- Modell letztlich hervorgegangen ist, skizziert.

In Kapitel 3 wird untersucht, welchen Beitrag das „Big Five“- Modell und die Erfassung grundlegender Persönlichkeitsmerkmale in der Organisationspsychologie leisten können. Hierzu werden verschiedene Anwendungsmöglichkeiten des Modells im Organisationskontext erläutert, vor allem die Eignung des Modells im Rahmen der Personalauswahl sowie zur Vorhersage weiterer Aspekte des Arbeitsverhaltens von Organisationsmitgliedern, u. a. der Arbeitszufriedenheit, des Führungs- und Karriereerfolgs und des freiwilligen Arbeitsverhaltens.

Schließlich werden in Kapitel 4 verschiedene Kritikpunkte bezüglich des „Big Five“- Modells wie die Anzahl der als grundlegend erachteten Faktoren, deren Benennung und verschiedene Unzulänglichkeiten der verwendeten statistischen Methode – der Faktorenanalyse – diskutiert. Dabei wird auch auf verschiede Kritikpunkte im Zusammenhang mit der Entwicklung des Modells aus dem lexikalischen Ansatz eingegangen. Abschließend wird die Anwendung des Modells im Organisationskontext kritisch gewürdigt.

1.1 Die Begriffe Person und Persönlichkeit

Der Begriff „Person“ hat seinen Ursprung im lateinischen Wort „persona“, welches hauptsächlich im Sinne von „Maske, Rolle, Charakter“ gebraucht wurde (vgl. Backhaus 2004, S. 1). Nach Allport (1959, S. 26ff.) finden sich bereits bei Cicero (106-43 v. Chr.) wenigstens vier Bedeutungen von „persona“ im klassischen Latein:

1.) Wie man anderen erscheint, aber nicht ist: Diese erste Wortbedeutung leitet sich von den in römischen Theatern verwendeten Tonmasken ab. Am wahrscheinlichsten ist hierbei die etymologische Ableitung des Wortes „persona“ aus dem etruskischen Wort „phersu“, einer Bezeichnung für einen vollständig maskierten Dämon, mit dem die Wände etruskischer Grabkammern geschmückt wurden (vgl. Herrmann 1991, S. 20). Das Wort „persona“ als Gesichts- oder Theatermaske kann somit als ein kleiner „phersu“ gelten (vgl. Laux 2003, S. 42). Insgesamt wird hierbei durch die Hervorhebung des Maskenhaften, der Täuschung und des äußeren Scheins vor allem die äußere Erscheinung betont, die inneren Strukturen bleiben hingegen weitgehend unberücksichtigt.
2.) Die Rolle, die jemand (z. B. ein Philosoph) im Leben spielt: Diese zweite Wortbedeutung bezieht sich auf die Beschreibung von Rollen, die Schauspieler in einem Theaterstück spielen. Auch heute noch wird in der Theatersprache von den „dramatis personae“, den „Personen der Handlung“ gesprochen (vgl. Herrmann 1991, S. 20). Durch das Tragen von Masken sollten dem Publikum die Eigenschaften der dargestellten Person vermittelt werden. So gab es beispielsweise Masken mit lachenden, weinenden oder wütenden Gesichtern, die den jeweils typischen Charakter einer Rolle erkennbar und vorhersehbar machten (vgl. Backhaus 2004, S. 1). Somit entwickelte sich diese zweite Wortbedeutung aus der ersten, denn „persona“ bedeutete nicht mehr nur das rein äußere Erscheinungsbild, sondern es entstand eine übertragende Bedeutung als Rolle (vgl. Laux 2003, S. 43).
3.) Eine Häufung persönlicher Eigenschaften, die jemanden zu seiner Arbeit befähigen: Diese dritte Wortbedeutung, die sich bei Cicero findet, verlässt nun erstmals den Bereich des äußerlichen Scheins und der Rolle. Dabei bezeichnet „persona“ die persönlichen und individuellen Eigenschaften der Schauspieler hinter der Maske. Somit wird nicht nur die äußere Erscheinung betrachtet, sondern auch innere Strukturen (vgl. Laux 2003, S. 43).
4.) Besonderheit und Würde: Mit dieser vierten Wortbedeutung nach Cicero wird das Gewicht und die Würde einer Person hervorgehoben. „Personae“ war im juristischen Sinn die Bezeichnung für freigeborene Bürger, die im Gegensatz zu Sklaven Träger von Rechten und Pflichten waren (vgl. Koch 1960, S. 5).

Wie die beschriebenen Wortbedeutungen zeigen, wurde schon in der römischen Antike mit dem Begriff „persona“ durchaus Gegensätzliches bezeichnet, indem einerseits der äußere Schein, andererseits das Innere des Menschen beschrieben wurde. Solche Gegensätzlichkeiten in der Wortbedeutung setzten sich auch in der späteren Geschichte fort und sind auch heute noch zu finden. In der Spätantike und im Mittelalter beeinflusste der christlich-theologische Sprachgebrauch die Begriffsentwicklung von „persona“ maßgeblich (vgl. Herrmann 1991, S. 21). So wurden im dritten Jahrhundert die Glieder der göttlichen Dreieinigkeit – der Vater, der Sohn und der Heilige Geist – als „personae“ bezeichnet (vgl. Koch 1960, S. 6f.). Später, im sechsten Jahrhundert, definierte Boethius eine Person als ein unteilbares und vernunftbestimmtes Wesen: „Persona est substantia individua rationalis naturae“ (zitiert nach Laux 2003,
S. 44). Nun wurden nicht mehr nur die Glieder der göttlichen Dreieinigkeit als „personae“ bezeichnet, sondern auch der getaufte Christ, der als „Bürger im Reiche Gottes“ galt (vgl. Herrmann 1991, S. 21). Im späteren Mittelalter wurde der Begriff „personalitas“ von „persona“ abgeleitet. Diesen Begriff übersetzten deutsche Mystiker mit „persônlichkeit“ (vgl. Herrmann 1991, S. 21). Dabei ist der Gläubige „persönlich“, insofern Christus in ihm wohnt, „Persönlichkeit ist hier die göttliche, die unsterbliche Seite unseres Wesens“ (vgl. Koch 1960,
S. 9). Der Bezug der Begriffes „Persönlichkeit“ auf den nicht voll erfassbaren oder messbaren Teil des Menschen wurde später beibehalten und wirkt auch heute noch in die Persönlichkeitspsychologie hinein.

Entgegen dem stets positiv besetzten Begriff der „Persönlichkeit“ rutschte das Ursprungswort „Person“ zuweilen jedoch „ins Triviale“ ab (vgl. Koch 1960,
S. 10). So enthält beispielsweise die Formulierung „diese Person“ eine deutliche Abwertung und auch der Begriff „Versuchsperson“ in der experimentellen Psychologie – bei der gerade nicht deren einmalige „Persönlichkeit“ im Vordergrund steht, sondern diese vielmehr ausgeschaltet werden soll – weist in eine ähnliche Richtung (vgl. Herrmann 1991, S. 21f.).

1.2 Die Persönlichkeit als Forschungsgegenstand der Psychologie

1.2.1 Persönlichkeitsdefinitionen

Wie zuvor dargelegt, wurden den Begriffen „Person“ und „Persönlichkeit“ im Laufe ihrer Wortgeschichte unterschiedliche und teilweise gegensätzliche Bedeutungen zugeordnet. Um Unklarheiten zu vermeiden, definierten zahlreiche Persönlichkeitsforscher das Wort „Persönlichkeit“ für den jeweils eigenen Gebrauch, sodass sich ein breites Spektrum möglicher Definitionen ergab. So berichtet G. W. Allport schon 1937 über mehr als 50 verschiedene Verwendungen dieses Terminus (dt. Ausgabe 1959, S. 26ff.). Greift man beispielhaft verschiedene solcher Person- und Persönlichkeitsdefinitionen heraus, so wird daran die Vielseitigkeit und Unterschiedlichkeit der Begriffsdefinitionen deutlich: Lersch (1938, S. 11f.) sieht eine Person als die „Grundform menschlichen Seins“ und benennt es als Aufgabe der Allgemeinen Psychologie, den „Horizont einer Gesamtauffassung vom Menschen und seiner Stellung in der Welt zu gewinnen“. Während Wellek (1966, S. 51ff.) Persönlichkeit als „ganzheitliches seelisches Sein in seiner jeweiligen Einmaligkeit“, als das „blutvoll Einmalige eines Lebendigen“ definiert, erachtet Thomae (1968, S. 103ff.) die Persönlichkeit als den „individuellen Aspekt des Menschseins”, den „Inbegriff einer zum Sinngebilde der Individualität integrierten Reihe von Ablaufgestalten oder Prozessen”. Die Persönlichkeit des Menschen entspricht damit nach Thomae der Lebensgeschichte des Menschen. H. J. Eysenck (1953, S. 2) sieht in der menschlichen Persönlichkeit die mehr oder weniger feste und überdauernde Organisation des Charakters, des Temperaments, des Intellekts und der Physis eines Menschen; diese Organisation determiniert seine einzigartige Anpassung an die Umwelt“. Schließlich beschreibt Guilford (1964, S. 6ff.) die Persönlichkeit eines Individuums als „seine einzigartige Struktur von Persönlichkeitszügen (traits)“. Insbesondere in dieser Definition wird auf die Bedeutung von „traits“ hingewiesen, wobei als „trait“ jeder abstrahierbare und relativ konstante Persönlichkeitszug bezeichnet wird, hinsichtlich dessen eine Person von anderen unterscheidbar ist (vgl. Weinert 2004, S. 132).

Trotz aller Verschiedenartigkeiten in diesen Persönlichkeitsdefinitionen besteht bei der Mehrheit der zitierten Autoren Einigkeit darüber, dass „Persönlichkeit“ im Zeitablauf als relativ konstant und stabil anzusehen ist und sich diese durch eine Einmaligkeit bzw. Einzigartigkeit des Menschen auszeichnet. Stabilität und Konsistenz wird demnach von vielen Persönlichkeitsforschern als ein grundlegendes, unverzichtbares Definitionsmerkmal von Persönlichkeit eingeschätzt (vgl. Laux 2003, S. 15f.). Einen aktuellen Definitionsversuch liefert dabei beispielsweise Weinert (2004, S. 131), der Persönlichkeit letztlich als „ein einzigartiges und relativ stabiles Muster von Verhaltensstilen, Denkprozessen und Emotionen einer Person“ definiert.

1.2.2 Perspektiven von Persönlichkeit

In der psychologischen Forschung werden dem Begriff „Persönlichkeit“ zwei unterschiedliche Bedeutungen zuteil, die aufgrund der verwendeten Perspektiven differenziert werden müssen.

Die erste Sichtweise stellt die Perspektive eines distanzierten Beobachters dar (vgl. Weinert 2004, S. 131). Bei der „Persönlichkeit“ aus der Beobachterperspektive kann sich diese auf den gesellschaftlichen Ruf einer Person beziehen, also auf die Art und Weise, wie sie von anderen – hierunter beispielsweise von Freunden oder Kollegen – gesehen und beschrieben wird. Dies bezieht sich auf die Menge an Wertschätzung, Achtung oder Status, die einer Person in einer sozialen Gruppe gewährt wird (vgl. Weinert 1998, S. 113). Dieser „Ruf“ einer Person resultiert vor allem aus deren Verhalten in der Vergangenheit, das zugleich den besten Prädiktor für die Einschätzung zukünftigen Verhaltens darstellt (vgl. Breaugh 1981, S. 558).

Eine zweite mögliche Sichtweise ist die Perspektive der handelnden Person (vgl. Weinert 2004, S. 131f.). Dabei soll nach Erklärungen gesucht werden, aufgrund welcher Prozesse sich eine Person in einer charakteristischen Weise verhält. Hierbei werden innere Strukturen von Individuen beschrieben, die nicht unmittelbar offensichtlich, also nicht direkt beobachtbar sind. Diese Sichtweise stellt also die Persönlichkeit aus der Sicht der Person selbst dar, ist „privat“ und daher subjektiv und nicht beobachtbar (vgl. Weinert 1998, S. 114).

Fraglich ist nun, welcher der beiden Persönlichkeitsbegriffe Verwendung finden kann, wenn beispielsweise der Wirkungszusammenhang der Persönlichkeit eines Organisationsmitgliedes auf dessen Arbeitsverhalten untersucht werden soll. Solche Untersuchungen sind Gegenstand der Organisationspsychologie, die einen Zweig der Psychologie darstellt, der sich mit der Wechselwirkung von Individuen und Organisationen befasst. Er beinhaltet die Beschreibung und Veränderung von Erleben, Verhalten und Einstellungen von Menschen in Organisationen, sowie mit den Bedingungen, die diese Zustände und Veränderungen beeinflussen (vgl. Schuler/Brandstätter 1995, S. 1). Da sich der Persönlichkeitsbegriff aus der Perspektive der handelnden Person auf das Innenleben einer Person bezieht und dieses nicht direkt beobachtbar ist, erscheint diese Perspektive weniger geeignet, um die Persönlichkeit im Rahmen der Organisationspsychologie zu beschreiben (vgl. Weinert 2004, S. 132). Die Organisationspsychologie kann sich somit ausschließlich mit der Beschreibung von „Persönlichkeit“ aus der Perspektive des Beobachters beschäftigen, denn diese Perspektive ermöglicht die notwendige empirische Nachprüfbarkeit der zu erfassenden Persönlichkeitsmerkmale.

1.2.3 Kontroverse: Person versus Situation

Neben der Diskussion um verschiedene Ansätze zur Definition des Persönlichkeitsbegriffs und der Berücksichtigung gegensätzlicher Persönlichkeitsperspektiven wurde immer wieder auch eine grundsätzliche Debatte über die Ursachen menschlichen Verhaltens geführt. Diese als „Person vs. Situation“ - Kontroverse bekannte Diskussion setzte an der Fragestellung an, ob menschliches Verhalten und Erleben entweder durch Merkmale einer Person selbst ausgelöst, oder durch den Einfluss der Situtation und der Umwelt maßgeblich determiniert wird (vgl. Kenrick/Funder 1988, Moser 1991). Während Eigenschaftstheoretiker die Ursachen von Verhaltensweisen vorwiegend auf bestimmte menschliche Eigenschaften zurückführen, verweisen Vertreter des Situationismus auf die große Bedeutung des Einflusses der jeweiligen Situation, in der sich ein Individuum befindet, auf dessen Verhalten (vgl. v. a. Mischel 1968). Im Laufe der Zeit haben sich beide Extrempositionen der Diskussion einander angenähert. So bildet schließlich der Interaktionismus eine Synthese aus beiden Ansätzen, indem sowohl Personen- als auch Situationseinflüsse berücksichtigt werden (vgl. Krahé 1992, S. 37f.). Im Anschluss an diese interaktionistische Konzeption entwickelte sich dann jedoch eine Debatte insbesondere um die Gewichtung der Person- und Situationsanteile am menschlichen Verhalten und Erleben (vgl. Kenrick/Funder 1988). Die in diesem Zusammenhang erarbeitete Konsistenzkonzeption legt einen Schwerpunkt auf die personalen Anteile an der Entstehung menschlichen Verhaltens, zudem wird der Konsistenzgrad im Verhalten einer Person über unterschiedliche Umwelten und Situationen hinweg als ein weiteres differentialpsychologisches Merkmal betrachtet (vgl. Krahé 1992, S. 13ff.). Als Moderatoren einer solchen Konsistenz rückten vor allem fundamentale Persönlichkeitseigenschaften in den Mittelpunkt des Interesses. Aufgrund der Vielzahl der Instrumente zur Messung solcher Persönlichkeitseigenschaften herrschte zunächst jedoch Uneinigkeit bezüglich eines allgemein akzeptierten Konzepts grundlegender Persönlichkeitsmerkmale. Allerdings ist seit Anfang der 1980er Jahre ein wachsender Konsens zu erkennen, wonach das Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit zumindest eine gute Arbeitsgrundlage darstellt (vgl. Digman 1989, 1990, John 1990a, McCrae/John 1992). Dieses „Big Five“- Modell der Persönlichkeit soll im folgenden Kapitel 2 vorgestellt werden.

2 Das „Big Five“- Modell und seine Entwicklungsgeschichte

2.1 „Big Five“- Modell und NEO-PI-R- Persönlichkeitsinventar

Noch Anfang der 1980er Jahre herrschte der Eindruck, dass auch eine jahrzehntelange faktorenanalytische Persönlichkeitsforschung nur ein Bild der Verwirrung und kaum allgemein akzeptierte Ergebnisse erbracht hätte (vgl. Kline/Barrett 1983, Kline 1987, Becker 1988). Es stellte sich nämlich nach wie vor die Frage, welche der vielen beschriebenen Persönlichkeitsfaktoren in ein umfassendes Modell zur Charakterisierung der menschlichen Persönlichkeit einzubeziehen seien. Seit der Mitte der 1980er Jahre zeichnet sich nun jedoch ein Konsens ab, dass insgesamt fünf Persönlichkeitsfaktoren, die so genannten „Big Five“, geeignet sind, eine umfassende, valide und reliable Erfassung der menschlichen Persönlichkeit zu gewährleisten (vgl. Digman 1989, 1990, John 1990a, 1990b, Ostendorf 1990, McCrae/John 1992, Bartussek 1991, 1996). Da die fünf voneinander unabhängigen Dimensionen eine große Anzahl von Charakteristika der menschlichen Persönlichkeit umfassen und diese somit sehr „breit“ abdecken, hat Goldberg (1981, S. 159) sie als „big“ bezeichnet. Das Fünf-Faktoren („Big Five“)- Eigenschaftsmodell der Persönlichkeit entstand zunächst auf der Grundlage des so genannten „lexikalischen Ansatzes“, im Rahmen dessen Anwendung sich die fünf Faktoren als zentrale Dimensionen zur Beschreibung der menschlichen Persönlichkeit herauskristallisiert hatten. Erst später wurden auch Fragebogen zur Erfassung der fünf Faktoren konstruiert (siehe hierzu den folgenden Abschnitt 2.2).

Die fünf Persönlichkeitsfaktoren wurden mit den Begriffen „Extraversion“, „Verträglichkeit“, „Gewissenhaftigkeit“, „Emotionale Stabilität bzw. Neurotizismus“ und „Offenheit für Erfahrungen“ bezeichnet und können wie folgt beschrieben werden (vgl. Ostendorf und Angleitner 2004):

Faktor I: Extraversion (E, engl. extraversion) bedeutet, dass jemand gesellig, gesprächig, freundlich, aktiv und unternehmungslustig ist. Extravertierte Personen mögen die Gesellschaft anderer, fühlen sich in Gruppen wohl, sind dabei aber auch selbstbewusst und durchsetzungsfähig. Extravertierte Personen sind heiter gestimmt und zeigen einen ausgeprägten Optimismus.

Faktor II: Verträglichkeit (A, engl. agreeableness) bedeutet, dass jemand hilfsbereit, entgegenkommend und vertrauensbereit ist. Verträgliche Personen zeigen sich anderen Personen gegenüber wohlwollend und gutmütig und sind bereit, in Auseinandersetzungen nachzugeben. Im Extremfall können solche Individuen als unterwürfig oder abhängig erscheinen.

Faktor III: Gewissenhaftigkeit (C, engl. conscientiousness) bedeutet, dass jemand zielstrebig, willensstark und entschlossen ist. Gewissenhafte Personen sind sehr leistungsorientiert und pflichtbewusst. Hierbei sind sie zudem prinzipientreu und ordentlich.

Faktor IV: Neurotizismus (N, engl. neuroticism; Gegenteil: Emotionale Stabilität, engl. emotional stability) bedeutet, dass eine Person zu Unausgeglichenheit und Empfindlichkeit neigt. Neurotische Personen tendieren in Stresssituationen zu Traurigkeit, Ärger, Verlegenheit, Ängstlichkeit, Beschämtheit und Besorgnis. Darüber hinaus neigen solche Personen zu unangemessenen Formen der Problembewältigung, wobei unrealistische Ideen geäußert werden. Sie sind zudem nur unzureichend in der Lage, ihre Bedürfnisse zu kontrollieren.

Faktor V: Offenheit für Erfahrungen (O, engl. openness to experience) bedeutet, dass eine Person interessiert ist an neuen Erfahrungen, Erlebnissen und Eindrücken. Daneben haben solche Individuen ein reges Fantasieleben und nehmen eigene und fremde Gefühle sehr aufmerksam wahr. Sie lassen sich auf neue, auch unkonventionelle Ideen und Wertorientierungen ein.

In den 1980er Jahren wurde von Paul T. Costa und Robert R. McCrae mit dem NEO-Persönlichkeitsinventar (NEO-PI) ein mehrdimensionaler Persönlichkeitsfragebogen entwickelt, um die durch das „Big Five“- Modell postulierten fünf grundlegenden Persönlichkeitsmerkmale zu operationalisieren (Costa/McCrae 1985). Nach mehrfachen Weiterentwicklungen liegt seit 1992 mit dem NEO-PI-R eine momentan gültige revidierte (R = revised) Fassung vor, die derzeit als das elaborierteste Referenzverfahren gilt, um die grundlegenden „Big Five“- Persönlichkeitsfaktoren mittels Fragebogenitems verlässlich zu erfassen (vgl. Pervin 2000, S. 266).

Jedem der fünf Faktoren ordneten Costa und McCrae jeweils 6 Facetten zu, sodass insgesamt 30 Facetten unterschieden werden (siehe Tabelle 1 und vgl. im Folgenden Costa/McCrae 1992a). Innerhalb jeder Facette versuchten die Autoren verschiedene „traits“ – also Verhaltensweisen, die ein Individuum regelmäßig zeigt – zu identifizieren. Dabei stützten sie sich nicht auf faktorenanlytische oder empirirsche Ergebnisse, sondern fassten in den Facetten solche „traits“ zusammen, die auch bisher Gegenstand verschiedener messtheoretischer Ansätze gewesen waren und die sich inhaltlich deutlich voneinander abgrenzten, sodass eine Zuordnung zu einer Facette innerhalb einer der fünf Persönlichkeitsdimensionen eindeutig möglich war.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Die fünf Persönlichkeitsbereiche und die ihnen zugeordneten Facetten
(deutsche Übersetzung nach Ostendorf und Angleitner 2004)

Das NEO-Persönlichkeitsinventar in seiner aktuell vorliegenden revidierten Fassung (NEO-PI-R) umfasst insgesamt 240 Items. Hiervon sind jeder der fünf Persönlichkeitsdimensionen jeweils 48 Elemente (Items) zugeordnet. Da jede Dimension aus sechs Facetten besteht, befassen sich von diesen 48 Items je Dimension jeweils 8 Items mit einer der Facetten (siehe Beispielitems in Tabelle 2). Zusätzlich wurden 3 Items hinzugefügt, anhand derer geprüft werden soll, ob alle Fragen ehrlich und zutreffend beantwortet wurden und ob die Antwortkreuze jeweils an der richtigen Stelle vorgenommen wurden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 2: Einige Beispielitems des NEO-PI-R (aus: Amelang/Bartussek 2001, S. 373f.)

Jedes dieser Items ist auf einer fünffach abgestuften Likert-Skala zu beantworten, wobei jeweils fünf Antwortmöglichkeiten von starker Ablehnung bis hin zu starker Zustimmung möglich sind:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 3: Beispiel der im NEO-PI-R verwendeten Likert-Skala mit fünf Antwortmöglichkeiten

Der Test liegt in zwei Formen vor. Die Form S wird durch den Probanden selbst durchgeführt (S = Selbstbeurteilung). Eine weitere Form F dient der Fremdbeurteilung (= F), die von dem Probanden nahestehenden Personen bearbeitet werden kann.

Das NEO-PI-R kann einzeln oder auch in größeren Gruppen absolviert werden. Für die Bearbeitung des Tests wird keine Zeitbeschränkung vorgegeben, jedoch zeigen Erfahrungswerte, dass eine Testdurchführung üblicherweise zwischen 30 und 40 Minuten in Anspruch nimmt (vgl. Muck 2004, S. 206). Die Auswertung des Tests erfolgt in einer standardisierten Form. Die Antworten werden unter Berücksichtigung von Alter und Geschlecht der Probanden in Profilbogen übertragen. Für die Selbstbeurteilung liegen dabei sowohl für männliche als auch weibliche Probanden Normen für die Altersgruppen 16-20, 21-24, 25-29, 30-49 sowie für 50 Jahre und älter vor. Bei der Fremdbeurteilung werden die Altersklassen weniger stark differenziert und in die Intervalle 16-29 und 30 Jahre und älter unterteilt. Im Anschluss an die Übertragung der Antworten auf den Profilbogen ist auf diesem zur graphischen Veranschaulichung eine Kurve einzuzeichnen, woraus der T-Wert und der Prozentrang des Probanden abgelesen werden können. Das ermittelte Ergebnis kann der Testperson in zwei Formen mitgeteilt werden: Einerseits in Form einer einseitigen Kurzfassung, wobei dem Probanden eine Kurzcharakterisierung der fünf Persönlichkeitsbereiche mittels weniger Adjektive bzw. kurzer Sätze übermittelt wird. Eine Langfassung kann andererseits durch eine Eigeninterpretation des Profils erstellt werden, die ein erheblich differenzierteres Bild der fünf Persönlichkeitsbereiche vermittelt.

Neben diesem recht umfangreichen Test existiert zudem eine Kurzform des NEO-PI-R, das NEO Five Factor Inventory (NEO-FFI). Dieses besteht aus lediglich 60 Items und erfordert eine Bearbeitungszeit von nur wenigen Minuten (vgl. Amelang/Bartussek 2001, S. 374). Dabei ermöglicht das NEO-FFI eine Persönlichkeitsbeschreibung der fünf breiten Faktoren auf einer höheren Ebene, hingegen jedoch nicht auf der spezifischeren Ebene der Persönlichkeitsfacetten. Seit Anfang der 1990er Jahre liegt das NEO-FFI auch in einer deutschen Übersetzung vor (vgl. Borkenau/Ostendorf 1993).

2.2 Entstehung des „Big Five“- Modells der Persönlichkeit

Es existieren zwei historische Entwicklungslinien in der persönlichkeitspsychologischen Forschung, die letztlich zur Entwicklung des Fünf-Faktoren-Modells geführt haben (vgl. McCrae/John 1992, S. 177ff., Amelang/Bartussek 2001, S. 364ff.). Bei der ersten Forschungstradition handelt es sich um die bereits erwähnte grundlegende „lexikalische Hypothese“, die auf fundamentalen Arbeiten von Galton, Klages, Baumgarten, Allport und Odbert, Cattell und schließlich Norman basiert. Die zweite Forschungstradition, die zur Entwicklung der „Big Five“ beigetragen hat, ist die Konzeption ausführlicher Fragebogen zur Analyse grundlegender Persönlichkeitsmerkmale. Beide Entwicklungslinien sind jedoch miteinander verknüpft. Grundlegend war zunächst der lexikalische Ansatz, mit dessen Hilfe die wichtigsten fünf Persönlichkeitsfaktoren identifiziert werden konnten. Mit Hilfe des Fragebogenansatzes wurden später diese Dimensionen wieder aufgegriffen und es wurden Fragebögen konstruiert, um die fünf Persönlichkeitsfaktoren genauer zu untersuchen (vgl. Amelang/Bartussek 2001, S. 364). Im Folgenden sollen die beiden Entwicklungslinien, die letztlich zum Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit geführt haben, nachgezeichnet werden:

[...]

Ende der Leseprobe aus 63 Seiten

Details

Titel
Das Big-Five-Modell der Persönlichkeit. Anwendung im organisationspsychologischen Kontext.
Hochschule
FernUniversität Hagen  (Lehrstuhl für BWL, insbesondere Personalführung und Organisation)
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
63
Katalognummer
V62871
ISBN (eBook)
9783638560306
ISBN (Buch)
9783656795452
Dateigröße
744 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Big-Five-Modell, Persönlichkeit, Anwendung, Kontext
Arbeit zitieren
Martin Maurer (Autor:in), 2006, Das Big-Five-Modell der Persönlichkeit. Anwendung im organisationspsychologischen Kontext., München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/62871

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