Wird die Entwicklungszusammenarbeit zum Instrument von europäischer Sicherheitspolitik?


Masterarbeit, 2006

75 Seiten, Note: 1,1


Leseprobe


Inhalt

Abkürzungen

I Einleitung und Fragestellung

II Westlicher Sicherheitsdiskurs
2.1 Aufstieg des Sicherheitsdiskurses
2.1.1 Gespaltener Westen
2.1.2 Positionen anhand von National Security Strategy (NSS) und European Security Strategy (ESS): Indikatoren für unterschiedliches Verständnis von Sicherheit
2.1.3 Positionen anhand von NSS und ESS: Idee des westlichen Staatsmodells
2.1.4 Positionen anhand von NSS und ESS: Indikatoren für unterschiedliche Wahrnehmung von Bedrohungen
2.2 Westliches Staatenmodell im Sicherheitsdiskurs
2.3 Fortschrittsglaube und Souveränitätsgebot im westlichen Sicherheitsdiskurs
2.4 Demokratisierung und Modernisierung

III Moderne Sicherheit und postmoderne Bedrohung
3.1 Das Konstrukt von Sicherheit und Bedrohung
3.1.1 Definition von Sicherheit, Risiko und Gefahr nach Luhmann
3.1.2 Definition von Risiko und reflexiver Modernisierung nach Beck
3.1.3 Westliche Theorien über Sicherheit
3.1.4 Erweiterter Sicherheitsbegriff
3.1.5 Postmoderne Gefährdungslagen
3.1.6 Handlungsmacht durch Deutungshoheit
3.1.7 Kontrollillusion im Sicherheitsdiskurs
3.2 Vergesellschaftung des Sicherheitsbegriffs
3.3 Moderne Erwartungen an die Entwicklungspolitik

IV Europäische Nachbarschaftspolitik: Lösung der Moderne als Antwort auf die Postmoderne
4.1 Kurze Einführung in die ENP
4.1.1 Funktion und Ziele der ENP
4.1.2 Entwicklung der ENP und Ausdehnung
4.1.3 Methode der ENP
4.2 Instrumente und Vorgehensweisen in der ENP
4.2.1 Global Governance
4.2.2 Multilateralismus
4.2.3 Institutional Capacity Building
4.3 Europäisierung und Demokratisierung
4.3.1 Sozialisierung
4.3.2 Konditionalisierung
4.4 Nebenwirkungen der ENP
4.4.1 Sicherheitspolitische Aspekte der ENP
4.4.2 Entwicklungspolitische Aspekte der ENP
4.4.3 Nicht-intendiertes Risiko durch Global Governance
4.4.4 Die Welt außerhalb des Westens

Literaturverzeichnis

Abkürzungen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

I Einleitung und Fragestellung

Setzt die europäische Sicherheitspolitik die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) bewusst als Instrument ein? In der Ära des Kalten Krieges wurde die Vergabe von EZ zu weiten Teilen von der Gesinnung der jeweiligen politischen Führung eines Nehmerlandes abhängig gemacht. Es stellt sich die Frage, ob sich nach dem von Francis Fukuyama anscheinend vor-schnell ausgerufenen „Ende der Geschichte“ dieses Verhalten geändert hat bzw. welche Argumente in der EU derzeit verwendet werden, um EZ für sicherheitspolitische Zwecke einzusetzen.

Um dies zu beantworten, soll im folgenden Kapitel der Aufstieg des westlichen Sicherheitsdiskurses[1] beleuchtet werden mit einer Herausarbeitung sowohl der Unterschiede als auch der Gemeinsamkeiten in den Sicherheitspolitiken der westlichen Industrienationen beispielhaft an den USA und der EU als Repräsentantin von Europa. Im ersten Schritt wird daher auch der Begriff des Westens an den USA und der EU untersucht. Es wird die These aufgestellt, dass der im Westen bestehende Glaube an den modernen Staat westlichen Typs als Erfolgsmodell Einfluss ausübt auf die Wahrnehmung von Bedrohungen und dementsprechend in der Formulierung von Strategien, welche sich beispielhaft in der NSS und ESS ausdrücken.

Daran anschließend werden im dritten Kapitel die Limitationen der Sicherheitspolitik der EU als Repräsentantin des Westens betrachtet, die sich daraus ergeben, dass Sicherheit und Risiko im westlichen Duktus dem Produktionsmodell des Kapitalismus folgen. Wenn in der Postmoderne das Postulat des Fortschritts, welches den Kapitalismus neoliberalen Charakters legitimiert, an seine Grenzen stößt, so widerfährt dies gleichermaßen der Wahrnehmung und dem Umgang mit Risiken. Es lässt sich die These aufstellen, dass die EU und verallgemeinert der Westen auf die Herausforderungen der Postmoderne nur Antworten der Moderne und dementsprechend keine angemessenen Lösungen findet.

Insofern verschärfen die Ergebnisse der Instrumentalisierung der EZ durch die europäische Sicherheitspolitik die postmoderne Bedrohungslage: Auch wenn die europäische Sicherheitspolitik sich von der US-amerikanischen unterscheidet, also keine gemeinsame westliche Sicherheitspolitik existiert, so stößt der (beiden gemeinsame) willkürliche Einsatz von EZ doch an Grenzen und erzeugt neue Risiken. Damit erhöht sich der Grad der Komplexität im politischen Themenfeld der Sicherheit, so dass sich die Möglichkeiten des Umgangs mit transnationalen Gefahren zu einem gordischen Knoten schürzen. Dies untergräbt das Vertrauen in die Akteure in diesem Themenfeld, seien es Nationalstaaten, Individuen oder Institutionen, so dass sich die globalen Herausforderungen, mit denen umzugehen oder die gar zu minimieren diese Akteure Handlungsmacht aufbauen, sich gegen sie kehren und sie somit zur transnationalen Bedrohungslage beitragen.

Wie sieht diese transnationale Bedrohungslage aus? Sie lehnt sich eng an an den Globali-sierungsdiskurs, in welchem es zu einer Art Clusterbildung aus Gefahrenfaktoren kommt mit unterschiedlichen Abhängigkeiten zwischen den Faktoren. Als Ursache oder Anstoß für transnationale Bedrohungen gelten die zunehmende Durchlässigkeit der Grenzen sowie die zunehmenden grenzüberschreitenden Aktivitäten und damit einhergehend die abnehmende Steuerungsfähigkeit von Staat in gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Zusammenhängen. Davon ausgehend, und auch auf der Basis der öffentlich vermittelten Deutung von Seiten der involvierten Akteure scheint es zulässig, die Faktoren wie folgt zu listen, ohne auf die gegenseitigen Einflüsse und Abhängigkeiten näher einzugehen:

- Terrorismus, einzuordnen als Aktivitäten willkürlicher Gewaltanwendung von sub-staatlichen Akteuren.
- Internationale Kriminalität im Sinne von organisiertem Verbrechen, wobei dies Menschen-, Waffen- und Drogenhandel umfasst.
- Migration, welche sich zum einen aus der resultierenden Integrationsproblematik und zum anderen aus den Aktivitäten der internationalen Kriminalität ergibt.
- ökologische Gefahren, einzuordnen als Verstoß gegen das Gebot der Nachhaltigkeit und der Bewahrung des gemeinsamen Erbe der Menschheit.
- Seuchen und Krankheitserreger, welche in einer enger vernetzten Welt an jede Stelle des Globus transportiert werden und zum Ausbruch kommen können.

All diesen Faktoren der globalen Bedrohungslage ist ihr Potential gemeinsam, sich aus dem entgrenzten Raum Vorteile zur Ausdehnung zu verschaffen und sich über die Ebene von Nationalstaatlichkeit zu erheben. Daher entwickelt sich mit dem westlichen Sicherheitsdiskurs auch die Auseinandersetzung mit den Grenzen des Nationalstaats, dem Konzept von Staatlichkeit und der Schwäche von Staat. In der Tat gilt regionale Instabilität, eine Phrasierung für schwache Staaten, teilweise als Faktor für transnationale Bedrohungen.

Der Sicherheitsdiskurs und der Diskurs über Schwäche von Staat werden parallel geführt unter der Annahme, dass Staat als Akteur erstens noch von Relevanz ist und zweitens politische Steuerung vornehmen kann. Letzteres bezieht sich nicht so sehr auf die Frage des Erfolgs, sondern auf die Möglichkeit der staatlichen Steuerungsfähigkeit allgemein. Anhänger der Transformationstheorie im Globalisierungsdiskurs erkennen die abnehmende Relevanz von Staat im internationalen Gefüge. Es entwickeln sich andere alternative Formen der gesellschaftlichen Organisation und Steuerung und internationale Organisationen übernehmen in Kooperation Aufgaben und Funktionen von Staaten. Insofern ist es fraglich, inwieweit ein staatlicher Akteur die Möglichkeit hat, mit Erfolg regulierend in das Weltgeschehen einzugreifen. Stichwort hier ist Global Governance; Regierungsfähigkeit im zwischenstaatlichen Raum wird im Rahmen der Untersuchung der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) im vierten Kapitel beschrieben. Steuerungsfähigkeit herzustellen und Handlungsmacht zu generieren, stellt bereits den Nationalstaat als Akteur vor eine große Herausforderung, welche zunimmt allein schon aufgrund des Aufwands für Beschlussfassung und Koordination im Fall der EU als regionaler Staatenverbund in Europa, als supranational agierende Ordnungsmacht und als intergouvernementaler Zusammenschluss europäischer Staaten.

Umso mehr bedürfen die sub- und supranationalen Akteure in der Sicherheitspolitik der Handlungsmacht und umso interessanter sind ihre Argumente und Legitimierungsgründe, EZ in der Sicherheitspolitik zu instrumentalisieren. Aus diesem Grunde ist die ENP Gegenstand der Untersuchung im vierten Kapitel, ob und auf welche Weise dies vonstatten geht, denn hier konvergieren sicherheits- und entwicklungspolitische Interessen und Instrumente. Überlegungen zu den Auswirkungen der ENP auf die Nachbarstaaten der EU werden im letzten Kapitel angestellt, ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben.

II Westlicher Sicherheitsdiskurs

Anhand des Sicherheitsdiskurses lassen sich die unterschiedlichen, ja teilweise gegensätzlichen Ausrichtungen im Umgang mit transnationalen Gefahren festmachen. Innerhalb dieses Diskurses selbst erscheint zunehmend ein blinder Fleck: Die Bekämpfung von Gefahren – oder begriffsdeutlicher: von Risiken – erzeugt weitere Risiken und trägt zu einer globalen Bedrohungslage bei. Auf diese sind bisher keine angemessenen Antwort-strategien formuliert worden, sondern im Gegenteil die Schwierigkeit, eine solche zu finden, scheint gerade erst in den Anfängen wahrgenommen zu werden. In folgenden geht es um die These, dass der europäische Sicherheitsbegriff von der Vorstellung des westlichen Staatsmodells geprägt ist. Diese limitiert die Deutung von Sicherheit und verhindert daher die Formulierung einer adäquaten Strategie im Umgang mit transnationalen Risiken.

Es ist daher von Interesse, das zugrundeliegende Verständnis von Sicherheit zu erkunden, seinen Einfluss auf den Sicherheitsdiskurs festzustellen und die Veränderungen in der politischen Kultur zu diagnostizieren. Auffällig sind die Unterschiede zwischen den Atlantikern, den USA und Nordwesteuropa, die als der Westen ein Gegensystem zum östlichen Sozialismus-Kommunismus vertraten und deren Divergenzen sich vor dem Hintergrund transnationaler Gefahren, wie sie seit dem Ende des Kalten Krieges auftreten, deutlicher als je zuvor abzeichnen. Insofern wird folgerichtig unterschieden zwischen dem US-amerikanischen Sicherheitsdiskurs und der in Abgrenzung davon entwickelten europäischen Haltung in der Sicherheitsfrage.

2.1 Aufstieg des Sicherheitsdiskurses

Gegenwärtig ist ein Aufstieg des Sicherheitsdiskurses zu beobachten: Transnationale Gefahren und Bedrohungslagen werden wahrgenommen und bestimmen die politische Agenda sowohl im Bereich innere als auch äußere Sicherheit. Zwei vornehmlich gegen-sätzliche Positionen treten dabei auf: die europäische und die US-amerikanische, welche jede für sich den Westen repräsentiert. Dieser Westen scheint eine Spaltung in der Welt, aber auch innerhalb seiner selbst zu erzeugen.

Mit dem Krieg im Irak zeichnet sich am Begriff des Westens eine Konfliktlinie ab. Zum einen drückt sich dies aus in der US-amerikanischen Einteilung von Staaten in „die Achse des Bösen“. Diese Einteilung ordnet Gemeinschaften, Regionen und Staaten von einer US-amerikanischen Perspektive aus als anti-westlich ein. Zum anderen bezeichnen sich sub-staatliche Akteure (Terroristen) und staatliche (wie Iran oder Palästina unter demokratisch gewählter Hamas-Führung) als Feinde des Westens. Der Begriff Westen ist also politisch und kulturell aufgeladen, Identitäten verstehen sich in Übereinkunft damit oder in Abgrenzung davon. Auch ist die Idee des Westens gleichzeitig alt und modern, insofern als dass die Annahme, dass der Westen Rechtsregeln sowie sozialen und technologischen Fortschritt kennt und befolgt, aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert stammt und bis heute die Vorstellungen darüber sich verändern (Bonnett, A., 2004).

Innerhalb des Westens selbst scheint eine innere Spaltung auf, die sich entlang des Atlantiks abbildet. Dabei geht es um eine intensive Rivalität zwischen USA und Europa, und hier vor allem den Mitgliedsstaaten der EU. Tatsächlich ist der Irakkrieg seit 2003 nur ein allerdings augenfälliges Indiz für die sehr unterschiedlichen Auffassungen von Bedrohungen und Gefahren und den entsprechenden Umgang damit, welche sowohl in Europa als auch USA vorherrschen. Im folgenden werden die unterschiedlichen Positionen, eingenommen von den Akteuren des Westens[2] Europa und USA, dargestellt und zur Untermauerung dieser Unterschiede die Ausrichtungen in den Sicherheitsstrategien der USA und der EU verglichen.

2.1.1 Gespaltener Westen

Dem Sicherheitsverständnis liegen unterschiedliche Überzeugungen zugrunde, welche zum Ausdruck kommen in der Formulierung von Strategien und Politiken und bereits vorher in den Debatten und Diskursen, welche ihre Verabschiedung in den demokratischen Institutionen heraufbeschwören.

Karikaturesk verortet Kagan denn auch die Europäer als von der Venus stammend und somit tolerant(er), integrationshungrig(er) und nachsichtig(er), während die US-Amerikaner vom Mars rühren und damit kampfesmutig(er), weltweit in ihrem Ausblick und missionarisch eine liberale Weltanschauung weitergeben (Kagan, R., 2002). Dies stellt eine extreme Position dar, welche die USA nicht nur im Hinblick auf sich selbst, sondern auch den US-amerikanischen Blick auf Europa beschreibt. Andere Meinungen vertreten eine weniger ausgeprägte Haltung als die der unilateralen Weltpolitik, welche zu gestalten die USA allein die Verantwortung, Macht und Mittel haben (Ferguson, N., 2004). Eine gemäßigtere Form nimmt die Rivalität zwischen USA und Europa (in Form der EU) um die Deutungs- und Gestaltungsmacht in der Welt positiv auf, denn dieses Verhältnis ruft eine demokratische Kontrolle auf den Plan von Seiten der beiden Akteure sowie von Seiten internationaler Institutionen (Rifkin, J., 2000). In letzteren beiden Ausrichtungen jedoch gilt die US-amerikanische Sicherheit als von den USA herstellbar – und zwar für sich selbst als auch für die ganze Welt. Sicherheit ist nach dieser Deutung eine staatliche Dienstleistung im Sinne eines Gutes, einer Ware, welche mit bestimmten (politischen und administrativen) Produktionsprozessen unter Einsatz von (diplomatischen, politischen und militärischen) Produktionsmitteln hergestellt und wofür Garantien abgegeben werden können.

In Europa herrschen zwei gegensätzliche Denkschulen vor, welche das Sicherheitsverständnis prägen. Diese könnten als kulturelle Sichtweise wahrgenommen werden (insbesondere die pazifistische Einstellung), in die jedoch taktische Überlegungen hineinspielen; insofern sollte dies nicht als kulturalistisches Argument missverstanden werden. Neorealistische und pazifistische Haltung treten hier in ein Spannungsverhältnis. Der deutsche Diskurs zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr, der seit 1990 andauert, zeigt exemplarisch, dass die eher linkspolitische Haltung ein traditionelles Verständnis von Pazifismus aufgrund der von Deutschland initiierten zwei Weltkriege hat, demgegenüber die liberal-wertkonservativ Orientierten sich der zunehmenden Verantwortung und des Einflusses Deutschlands als Staat und als Wirtschaftsmacht auf der internationalen Ebene bewusst sind und sich außenpolitisch – auch von den USA - emanzipieren (Dalgaard-Nielsen, A., 2005/ Forsberg, T., 2005). Solche Einschätzungen sind nicht nur auf Deutschland zu begrenzen, sondern in Europa zumindest in den Mitgliedstaaten der EU zu finden (Domdey, K., 2005). In der europäischen Sichtweise konkurrieren demnach ein Verständnis von Sicherheit als Ware angelehnt an die US-amerikanische Deutung einerseits und andererseits ein Verständnis von Sicherheit als Produkt (im Sinne von Ergebnis) aus den Aushandlungs- und Entscheidungsprozessen internationaler Institutionen.

Ein weiterer Dissens sowohl zwischen USA und Europa als auch innerhalb der EU (als repräsentatives Europa) herrscht „über die genaue Bestimmung des heimischen Territoriums des Westens sowie über die absolut zuverlässige Trägergruppe der atlantischen Ideologie“, also welche Werte es weiterzugeben und in der Welt modellhaft vorzuleben gilt (Domdey, K., 2005: 91).[3] Somit existieren zwar Differenzen über die Art und Weise der Verwestlichung der Welt, jedoch besteht Einigkeit darüber, dass die Ausbreitung des westlichen politischen Systems und Staatenmodells wünschenswert ist. USA und EU halten beide an der Grundüberzeugung des Erfolgsmodells des westlichen Nationalstaats fest, können jedoch ihre darauf basierenden Sicherheitsstrategien nicht durchhalten, weil diese Strategien moderne Antworten auf postmoderne Gefahrenlagen darstellen. Der Westen stößt dabei an eine Begrenzung.

2.1.2 Positionen anhand von National Security Strategy (NSS) und European Security Strategy (ESS): Indikatoren für unterschiedliches Verständnis von Sicherheit

Hauptakteur in der internationalen Sicherheitspolitik sind die USA, beruhend auf der weltweit größten militärischen Stärke. Die europäische Sicherheitspolitik sowohl in der EU als suprastaatlicher kollektiver Akteur als auch auf der Ebene (mitglieds)staatlicher Akteure gestaltet sich teilweise in Abgrenzung dazu. Die beiden Dokumente National Security Strategy (NSS) und Europäische Sicherheitsstrategie (ESS) spiegeln die grundsätzliche Position in der jeweiligen sicherheitsstrategischen Ausrichtung in den USA und der EU, welche die europäische Haltung repräsentiert. Als Antwort auf die erstmals seit einem halben Jahrhundert in der NSS reformulierte US-amerikanische Grand Strategy beschreibt die ESS die erste gemeinschaftliche Sicherheitsstrategie der Mitgliedstaaten. Beide Dokumente tragen also jenseits des komplexen politischen Zusammenhangs die Merkmale des Neuen und Besonderen (Berenskotter, F., 2005). Deswegen sind sie hier als repräsentativ für die Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten in der westlichen Weltsicht ausgewählt worden.

Die resultierenden Handlungsempfehlungen in Form von Sicherheitsstrategien sind unter-schiedlich: Während in den USA das militärische Potential immer eine Option und somit vitales Element einer Sicherheitsstrategie darstellt, welche auf Verteidigung auch in aktiver Form (in Europa als Angriff bekannt) ausgerichtet ist, so umfasst die europäische Sicherheitsstrategie neben dem militärischen vor allem nicht-militärisches Potential (Faust, D./ Messner, D., 2004).

Den Sicherheitspolitiken zugrunde liegt das jeweils unterschiedliche Verständnis von Sicherheit, wie im vorangegangenen Kapitel ausgeführt. Bereits im Begleitschreiben zur NSS setzt G. W. Bush, der Präsident der USA, Sicherheit (safety) mit Frieden gleich: „In a world that is safe, people will be able to make their own lives better. We will defend the peace by fighting terrorists and tyrants.“ (White House, 2002: 1). Zugleich wird Sicherheit als ein das Leben verbesserndes Gut dargestellt. In der NSS wird dies ebenfalls ausgedrückt: „The aim of this strategy is to help make the world not just safer but better.“ (ebd.). Als fundamentales Prinzip wird Freiheit angesehen, welche zu schützen und für alle Menschen weltweit zu schaffen die NSS beschreibt. Beispielhaft dazu: „Sustained by faith in the principles of liberty, and the value of a free society, this position comes with unparalleled responsibilities, obligations, and opportunity. The great strength of this nation must be used to promote a balance of power that favors freedom.“ (ebd.).

All dies kann dahingehend interpretiert werden, dass Sicherheit hier als eine staatliche Dienstleistung angesehen wird, welche allen Menschen zusteht. Es ist Aufgabe der USA, Sicherheit beruhend auf US-amerikanischen Prinzipien und Überzeugungen zu schaffen und dabei vor allem militärisch vorzugehen, wie es z. B. im folgenden beschrieben wird. „Through our willingness to use force in our own defense and in defense of others, the United States demonstrates its resolve to maintain a balance of power that favors freedom. […] Our forces will be strong enough to dissuade potential adversaries from pursuing a military build-up in hopes of surpassing, or equaling, the power of the United States.“ (a.a.O.: 29f).

In der ESS wird militärisches Potential allein wie dasjenige der USA als nicht mehr zeitgemäß zur Lösung internationaler Probleme angesehen. Hinzukommend ist „[i]m Gegensatz zu der massiv erkennbaren Bedrohung zur Zeit des Kalten Krieges [...] keine der neuen Bedrohungen rein militärischer Natur und kann auch nicht mit rein militärischen Mitteln bewältigt werden“, was allerdings „wenn nötig robustes Eingreifen“ nicht ausschließt (European Council, 2003: 8). Europa wird als wohlhabend, sicher und frei in einem zuvor unerreichten Ausmaß beschrieben dank der Entwicklung der EU. Die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten zur friedlichen Konfliktregelung und gemeinsamen Institutionen belegt, dass Sicherheit (sowie auch Wohlstand und Freiheit) als ein Ergebnis politischer Prozesse in gemeinsamen Institutionen aufgefasst wird. Zu den strategischen Zielen gehören der Multilateralismus und die Schaffung „gut funktionierende[r] internationale[r] Institutionen“ (a.a.O.: 10). „Internationale Zusammenarbeit ist eine Notwendigkeit“ (a.a.O.: 14).

2.1.3 Positionen anhand von NSS und ESS: Idee des westlichen Staatsmodells

Es wird deutlich, dass sich die Vorstellung von Staatlichkeit an den westlichen Staatsformen orientiert. Im Begleitschreiben zur NSS beschreibt G.W. Bush diese Vorstellung als “a single sustainable model for national success: freedom, democracy, and free enterprise.” (White House, 2002: 3). In der NSS drückt sich dies beispielhaft in folgendem aus: „America must stand firmly for the nonnegotiable demands of human dignity: the rule of law; limits on the absolute power of the state; free speech; freedom of worship; equal justice; respect for women; religious and ethnic tolerance; and respect for private property. These demands can be met in many ways. America’s constitution has served us well. Many other nations, with different histories and cultures, facing different circumstances, have successfully incorporated these core principles.“ (a.a.O.: 3). Der Wunsch, die Kernüberzeugungen (core beliefs/ core principles), auf welchen westliche Staatssysteme basieren, auszudehnen, drückt sich in einem geradezu missionarischen Ton aus: „Embodying lessons from our past and using the opportunity we have today, the national security strategy of the United States must start from these core beliefs and look outward for possibilities to expand liberty.“ (a.a.O.: 3).

Die europäischen Vorstellungen von Staatlichkeit sind in der ESS z. B. folgendermaßen formuliert: „Die transatlantischen Beziehungen zählen zu den tragenden Elementen des internationalen Systems. Dies ist nicht nur im beiderseitigen Interesse, sondern stärkt auch die internationale Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit. Die NATO ist ein besonderer Ausdruck dieser Beziehungen.“ (European Council, 2003: 10) und: „Die Qualität der Staatengemeinschaft hängt von der Qualität der sie tragenden Regierungen ab. Der beste Schutz für unsere Sicherheit ist eine Welt verantwortungsvoll geführter demokratischer Staaten. Die geeignetsten Mittel zur Stärkung der Weltordnung sind die Verbreitung einer verantwortungsvollen Staatsführung, die Unterstützung von sozialen und politischen Reformen, die Bekämpfung von Korruption und Machtmissbrauch, die Einführung von Rechtsstaatlichkeit und der Schutz der Menschenrechte.“ (a.a.O.: 11). Dies belegt die Überzeugung vom westlichen Staatsmodell in der EU.

2.1.4 Positionen anhand von NSS und ESS: Indikatoren für unterschiedliche Wahrnehmung von Bedrohungen

Bedrohungen werden unterschiedlich wahrgenommen in europäischer und US-amerikanischer Sicht aufgrund des jeweiligen Verständnisses von Sicherheit. Die in der ESS und NSS ausgedrückte Auffassung ist es, dass die Hauptbedrohung von Terroristen und Massenvernichtungswaffen ausgeht.

In der NSS werden zwar verschiedene Bedrohungen aufgezählt, diejenige der höchsten Priorität ist jedoch der Terrorismus. Diesen in seinen gefährlichen Ausmaßen zu beschreiben, also die Einschätzung als größte Bedrohung zu legitimieren, und die zu ergreifenden Maßnahmen, unternimmt G. W. Bush schon in seinem Begleitschreiben zur NSS. In der NSS selbst sind dann Terroristen in Verbindung mit sog. Schurkenstaaten und Massenvernichtungswaffen als größte Herausforderungen im Sinne von Bedrohungen aufgeführt: „But new deadly challenges have emerged from rogue states and terrorists. However, the nature and motivations of these new adversaries, their determination to obtain destructive powers hitherto available only to the world’s strongest states, and the greater likelihood that they will use weapons of mass destruction against us, make today’s security environment more complex and dangerous.“ (White House, 2002: 13).

In der NSS sind Ziele und Maßnahmen nicht immer eindeutig zu unterscheiden, daher mangelt es den aufgeführten Mechanismen, auf welche Weise unterminierte Staatlichkeit letztlich Terrorismus Vorschub leistet, an analytischer Qualität und Erklärungskraft. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass es für die primäre Bedrohung keine Entschuldigung gibt. “In many regions, legitimate grievances prevent the emergence of a lasting peace. Such grievances deserve to be, and must be, addressed within a political process. But no cause justifies terror. The United States will make no concessions to terrorist demands and strike no deals with them.” (a.a.O.: 5).

Während in der ESS Multilateralismus gar als strategisches Ziel angegeben ist, bestehen die USA auf einem amerikanischem Internationalismus. Auch wenn G. W. Bush im Begleitschreiben klarstellt, dass die USA nicht Unilateralismus vertreten, so beanspruchen die USA die Führerschaft auch in internationalen Institutionen, welche die USA nach ihren Vorgaben stärken möchten und mit denen durchaus zusammengearbeitet werden soll. ”NATO must build a capability to field, at short notice, highly mobile, specially trained forces whenever they are needed to respond to a threat against any member of the alliance. […] At the same time, we welcome our European allies’ efforts to forge a greater foreign policy and defense identity with the EU, and commit ourselves to close consultations to ensure that these developments work with NATO. We cannot afford to lose this opportunity to better prepare the family of transatlantic democracies for the challenges to come.“ (a.a.O.: 25f).

In der ESS zählen als Bedrohungen zusätzlich zu Terrorismus und der Verfügbarkeit von Massenvernichtungswaffen „organisierte Kriminalität, Schwächung staatlicher Systeme und regionale Konflikte“, wobei eine Kombination aus diesen fünf Bedrohungen möglich ist (European Council, 2003: 6). Es werden Mechanismen und Verbindungen aufgeführt, welche bestehen zwischen schwacher Staatlichkeit und organisierter Kriminalität, Terrorismus und Modernisierungsdruck sowie sozialen, kulturellen und politischen Krisen. Es ist daher folgerichtig, dass sich im weiteren die ESS auf die Beseitigung und Minimierung der Auslöser dieser Bedrohungen bezieht mit Hilfe politischer und wirtschaftlicher Prozesse, wie es sich beispielhaft im folgenden darstellt: „Jede dieser Bedrohungen erfordert eine Kombination von Instrumenten. Die Proliferation kann durch Ausfuhrkontrollen eingedämmt und mit politischen, wirtschaftlichen und sonstigen Druckmitteln bekämpft werden, während gleichzeitig auch die tieferen politischen Ursachen angegangen werden. Zur Bekämpfung des Terrorismus kann eine Kombination aus Aufklärungsarbeit sowie polizeilichen, justiziellen, militärischen und sonstigen Mitteln erforderlich sein.“ (a.a.O.: 8). Es gehört zu den strategischen Zielen, die Entscheidungen im Falle militärischer Einsätze in multilateralen und institutionellen Prozessen zu treffen: „Dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen obliegt die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit.“ (a.a.O.: 10). Einmal mehr wird daran das Verständnis von Sicherheit deutlich, nach welchem Sicherheit als Ergebnis politischer Prozesse zustande kommt.

2.2 Westliches Staatenmodell im Sicherheitsdiskurs

Der anhand von ESS und NSS beschriebene Sicherheitsdiskurs und das daraus abgeleitete Sicherheitsverständnis beruht trotz aller Unterschiede zwischen USA und EU auf einer Annahmen, welche einen beinahe ideologischen Charakter[4] hat: Diese betrifft den Glauben an den westlichen Nationalstaat als Staatsmodell, mit Gewaltenteilung und Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und einem Minimum an zu erbringenden Leistungen, deren primäre ist, „Schutz vor drohender Gewaltausübung durch entweder Staaten in Form von Gewaltaus-übung als zwischenstaatlicher Krieg oder innerstaatlicher Bürgerkrieg oder durch Privatpersonen, welche wiederum national oder international verflochtenen Gewalt ausüben.“ (Hummer, W., 2005: 131). Die NSS erwähnt schwache Staaten, die ESS nennt das Scheitern von Staaten sogar als eine der Hauptbedrohungen. Beiden Dokumenten zugrunde liegt ein Sicherheitsverständnis, das vor allem die staatliche Schutzfunktion in den Mittelpunkt von Sicherheit setzt. Eine solche Aufgabe zu erfüllen bedarf es klar eines Staates westlichen Typs.

Im Diskurs über schwache Staaten ist es notwendig, auf einen erfolgreichen Staat, den „strong state“, zurückzugreifen, gegen welchen der schwache, scheiternde oder kollabierte Staat gemessen wird. Bei diesem erfolgreichen (Maßstabs-)Staat handelt es sich um einen Staat der industrialisierten, sog. ersten Welt; seine Abweichung, der schwache bis zerfallene Staat (failed state), wird als eine Abnormität behandelt. Der failed state teilt diese Eigenschaft mit dem Entwicklungsstaat der sog. Dritten Welt im Entwicklungsdiskurs (Abrahamsen, R., 2000). Der demokratische Nationalstaat repräsentiert demnach das Ideal, von welchem Abweichungen gemessen werden. Die Erwähnungen von schwachen bzw. scheiternden Staaten und Institutionen in der ESS und NSS dienen als Erklärungen für westliche Interventionen aus Sicherheitsgründen in entsprechend als schwach oder gar zerfallen eingeschätzten Staaten.

Im westlichen Modell des Nationalstaats kann nach Weber das staatliche Gewaltmonopol als der Kern von Staatlichkeit bezeichnet werden (Weber, M., 1922). Das staatliche Gewaltmonopol zur Durchsetzung der Rechtsordnung und die politischen Institutionen sind die zu unterscheidenden Komponenten, aus welchen sich Staatsgewalt zusammen-setzt. Staatsgewalt wiederum „bezeichnet die auf eigenem Recht beruhende Herrschaftsmacht, über die ein Staat bezogen auf das eigene Staatsgebiet [...] und auf die eigenen Staatsangehörigen [...] verfügt“ (Schubert, K./ Klein, M., 2001: 277). Laut Weber liegt „[i]n einem modernen Staat [...] die wirkliche Herrschaft notwendig und unvermeidlich in den Händen des Beamtentums, des militärischen und des zivilen“ (Weber, M., 1922: 825). Eine letzte Komponente besteht in der Legitimität der Staatsgewalt, also in der Anerkennung des Rechts, Herrschaft auszuüben. Der sich im 17. Jahrhundert entwickelnde Nationalstaat ist die Staatsform zumindest der Moderne. In neuerer Form löst sich die Frage der Legitimität von Staatsgewalt über Repräsentation: Repräsentanten als gewählte Vertreter von Bürgern kommunizieren und handeln, ihre Kommunikation und ihre Handlungen gelten als verbindlich, weil sie gesatzten Regeln folgen, werden jedoch rückbezogen auf die repräsentierte Grundgesamtheit der gesellschaftlichen Gruppe (Weber, M., 1922). Die sich durchsetzende Staatsform basiert auf rechtsstaatlicher Demokratie.

Die Postmoderne prophezeite das Verschwinden des Staates, sowohl als Akteur in einem soziologischen und politwissenschaftlichen Sinne als auch die Form des Nationalstaats mit Gewaltenteilung und Demokratie. Jedoch trotz der Entwicklung und Ausbreitung neuer sub- und suprastaatlicher Aktteure wie z. B. internationale Institutionen, Verbände von Staaten und regionale Akteure ist Staat noch immer zu berücksichtigen. Der Diskurs über Schwäche von Staat und auch der Sicherheitsdiskurs legen beide den Fokus auf Staat, seine Rolle und Relevanz: “The significance of these issues and dimensions is that they emphasise the continued relevance and primacy of the state in world politics and of enduring modalities normally associated with so-called ‘old’ security thinking.“ (du Plessis, A., 1998: 4). Das Zentrum des Sicherheitsbegriffs und der resultierenden Politiken ist das westliche Nationalstaatsmodell, von dem sich zu lösen dem Westen, und damit auch der EU, nicht möglich ist. Einen veränderten Sicherheitsbegriff zu entwickeln und die einhergehende Deutung von Sicherheit zu überkommen, ist daher ebenso nicht möglich - eine weitere Instanz, die den Westen und die EU in der Moderne verankern.

Die herausragende Gemeinsamkeit aller westlichen Gesellschaften ist der Glaube an den modernen westlichen demokratischen Nationalstaat als Erfolgsmodell. Dieser verfügt über embedded autonomy, eingebettete Autonomie: Die Autorität des Staats, Regelfestlegung und Durchsetzung mit militärischem Zwang zu betreiben, demnach autonome Handlungsfähigkeit, eingefasst von der Bereitschaft, die Regelformulierung partizipativ zu gestalten, also gemeinsam erarbeitete Regeln aufzustellen (Evans, P, 1994). Diese beiden Elemente bestehen nebeneinander im Erfolgsmodell des westlichen Nationalstaats. Das Konzept soll die Lösung bieten im Transfer auf Staaten, die vom Erfolgsmodell abweichen, und für deren Problembereiche: Niedriges Wirtschaftswachstum, politische Autokratie oder gar Kleptokratie, transnationale Bedrohungen wie organisierte Kriminalität und Terrorismus. Daraus leitet sich ab, dass erstens eine Legitimation besteht, Regeln mit Zwang festzulegen und darauf zu bestehen bei sog. schwachen Staaten, also militärisch gegen Staaten vorzugehen, welche nicht dem Erfolgsmodell entsprechen. Zweitens sind alle vom Erfolgsmodell abweichenden Staaten per Definition erfolglose Staaten, welche eingeladen sind, partizipativ an der Formulierung der Regeln für ein Erfolgsmodell beteiligt zu werden.[5] In beiden Fällen bedarf es der glaubhaften Vermittlung militärischer und/oder wirtschaftlicher Stärke. Die Unterschiede in den Sicher-heitsstrategien können verstanden werden als die zwei Komponenten, aus welchen sich embedded autonomy zusammensetzt. Die USA und EU-Europa richten sich dabei unter-schiedlich aus: Die USA betonen mehr die gewaltmonopolistische Staatsautorität, welche mit militärischem Zwang präsent ist, dadurch ihre Machtansprüche demonstriert und Regeln durchsetzt. Die EU hingegen delegiert die autoritäre militärische Option an das Ende der Prioritätenliste und setzt auf gemeinsame Regelformulierung und Anreizgestaltung im zwischenstaatlichen Handeln, also Multilaterismus.

Es ist festzustellen, dass der Westen, und somit auch die EU, einer in der Moderne geprägten Staatsvorstellung verhaftet sind. Mit dem resultierenden Verständnis von Staat und Sicherheit werden die Probleme und Bedrohungen der Postmoderne wahrgenommen, jedoch immer vor einer Folie der Moderne. Vor diesem Hintergrund erscheint es sehr schwierig, wenn nicht unmöglich, adäquate Antworten und Strategien zur Bewältigung postmoderner Probleme zu formulieren.

2.3 Fortschrittsglaube und Souveränitätsgebot im westlichen Sicherheitsdiskurs

Der Glaube an Fortschritt und Entwicklung als einerseits Schubkräfte für Wohlstand (im Sinne eines hohen Wohlfahrtsniveaus einer Gesellschaft), andererseits als eigenständige Werte ist ein weiteres Merkmal der westlichen Moderne. Dieses verknüpft sich eng mit dem Glauben an den westlichen demokratischen Nationalstaat. Schutz vor äußeren Feinden soll Prosperität und Wachstum in Inneren sicherstellen, unabhängig von der Verteilung der erwirtschafteten Einkünfte und Renten.

[...]


[1] Vorliegende Arbeit untersucht den westlichen Sicherheitsdiskurs, wobei jedoch jede Nation daran Anteil hat und es asiatische, afrikanische und südamerikanische Diskurse gibt.

[2] Der Begriff Westen schließt Europa, Nordamerika, Neuseeland und Australien ein. Es handelt sich dabei jedoch nicht um eine auf Ethnien oder Territorien begrenzte Beschreibung, sondern repräsentiert eine bestimmte „relative und artifizielle Seinsdeutung, die ernsthafte kulturelle Kontexte eher ausblendet, also eine scheinbar kulturindifferente Kultur, die sich selbst in lediglich abstrakten Werten wie Freiheit oder Gleichheit, Demokratie oder offene Märkte beschreibt“ (di Fabio, U., 2005: 3). In vorliegender Arbeit wird sich dieser Begriffsdeutung für Westen angeschlossen, allerdings nur auf USA und Europa verwiesen.

[3] Dies ist für Europa exemplarisch an der Frage der EU-Mitgliedschaft der Türkei zu beobachten, in welcher einerseits um die Grenzen Europas in einem geographischen und in einem identitätsbezogenen Sinne gerungen wird, andererseits in einem weltweiten Ausblick eine erhoffte Verwestlichung der Türkei ein starkes Gegengewicht im Nahen Osten darstellen und die westliche Außen- und Sicherheitspolitik fördern würde (ebd.).

[4] Wegen des Einflusses dieser Überzeugungen und dem bereits in Kolonialzeiten bewiesenen Exportwillen der westlichen Weltsicht spricht Domdey in diesem Zusammenhang von Ideologien, wobei für die EU und USA von der atlantischen Ideologie die Rede ist (Domdey, K., 2005).

[5] Selbstverständlich kann diese gemeinsame Formulierungsarbeit auch erzwungen werden, auch wenn dies nicht die erste, sondern letzte Option darstellt.

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Details

Titel
Wird die Entwicklungszusammenarbeit zum Instrument von europäischer Sicherheitspolitik?
Hochschule
Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder)
Note
1,1
Autor
Jahr
2006
Seiten
75
Katalognummer
V62470
ISBN (eBook)
9783638557030
ISBN (Buch)
9783640869862
Dateigröße
758 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
The West establishes a link between security and development policy by conditioning development cooperation to security issues. This has become even more pronounced since the attack on the World Trade Center in 2001 and is vented in the US and European (EU) Security Strategies respectively. An assessment of these strategies concludes the existence of a hard and a soft option in security policy.
Schlagworte
Wird, Entwicklungszusammenarbeit, Instrument, Sicherheitspolitik
Arbeit zitieren
Judith Ohene (Autor:in), 2006, Wird die Entwicklungszusammenarbeit zum Instrument von europäischer Sicherheitspolitik?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/62470

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Titel: Wird die Entwicklungszusammenarbeit zum Instrument von europäischer Sicherheitspolitik?



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