Zur Gattungsordnung der Sudelbücher Lichtenberg's: Ansichten auf das Aphoristische


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

22 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die typischen Charakteristika eines Aphorismus

3. Die lichtenbergsche Aphorismen.
3.1 Entstehung
3.2 Einheit und Einordnung
3.2.1Lichtenberg als Aphoristiker: Zwei Forschungspositionen
3.3 Das Typische an Lichtenbergs Aphorismen.
3.4 Die ``Sudelbücher`` als Sammlung von Aphorismen

4. Lichtenbergs aphoristisches Denken
4.1 Die Begründung der aphoristischen Denkform: Der Kalenderaufsatz der geologischen Phantasien

5. Lichtenbergs Wirkung als Aphoristiker: ein Überblick

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

8. Anhang

1. EINLEITUNG

In der Mitte seiner Studentenjahre, 1764, hat Lichtenberg begonnen Aufzeichnungen seiner eigenen Gedanken in Notizbüchern vorzunehmen[1]. Das vielleicht als nur gelegentliches beiläufiges Notieren begonnene Verfahren bekam im Laufe der Zeit Methode und wurde zur festen Gewohnheit. Als erster deutscher Aphoristiker, war sich Georg Christoph Lichtenberg keineswegs bewusst dass, er eine neue Stilform schaffen oder eine schon bestehende fortführen würde.

Lichtenbergs Sudelbücher werfen folgende Fragen auf: Wie soll man sie einordnen, wie nennen? Diese Frage nach der Klassifikation von Lichtenbergs Schriften hat schon etliche Literaturhistoriker und Kritiker beschäftigt. Man nenne sie Notizen, Beobachtungen, Maximen, Gedanken, Aphorismen: Auch wenn sie fragmentarisch und heterogen sind bleibt es eine Tatsache, dass diese Gedanken innerhalb der deutschen Literatur etwas Einzigartiges darstellen.

Die Wahl des Themas dieser Arbeit erklärt sich aus der Vielfalt von Meinungen, Ansichten und Aussagen die es zu Lichtenbergs ``aphoristischem`` Werk gibt. Man muss zugeben, dass es bei einer hoher Anzahl verschiedener Positionen schwierig erscheint wirklich alle zu berücksichtigen. Deshalb werden auch nur die am meisten diskutierten und bekanntesten Forschungsergebnisse zusammengetragen.

Ziel dieser Arbeit soll nicht eine klare Antwort auf die Frage der Gattungszugehörigkeit der ``Sudelbücher`` sein, sondern der Versuch verschiedene Forschungspositionen dazu darzustellen und ein möglichst komplettes Bild zum Typus und zur Entwicklung des Aphorismus bei Lichtenberg zu liefern. Dies soll durch Berücksichtigung einiger allgemein anerkannten Charakteristika des so genannten ``typischen``, klassischen Aphorismus sowie Lichtenbergs eigener Denkart erreicht werden. Zusätzlich wird auch die Wirkung des Aphoristikers Lichtenberg auf verschiedene Schriftsteller, Kritiker, Herausgeber und andere Aphoristiker miteinbezogen.

Bei der Herstellung dieser Arbeit wurde den Publikationen von Rainer Baasner, Franz H. Mautner, Gerhard Neumann, sowie den Herausgebern (Wolfgang Promies/ Ullrich Jost) der Lichtenberg -Jahrbücher und Paul Requadt besondere Beachtung entgegengebracht.

2. Die typischen Charakteristika eines Aphorismus

Die Etymologie des Aphorismus wird zweifach bestimmt: als Übersetzung des griechischen aphorizein wird entweder angegeben ``abgrenzen, abschneiden``, ``oder von einem Horizont abheben``.[2]

Im Sinne des üblichen Gebrauchs der Gattungsbezeichnung meint ``Aphorismus`` knappe, meist auf ein oder zwei Sätze beschränkte, äußerlich isolierte Formulierungen eines auf Allgemeines zielenden Gedankens, der als persönlich gefundene Einsicht oder Fragestellung des Autors wirkt, den Leser zum Weiterdenken anregt und meist erst durch spezifische sprachliche Mittel wirksam wird.[3]

Die zwei Grundformen echter Aphorismen, dem Ursprung nach sind folgende:

- DER EINFALL: ist die plötzliche Schau eines Sinn-Ganzen oder eines Symbols, das Aufreißen einer Aussicht auf einem sachlich oder gedanklich bisher verhüllten Gebiet.[4]
- DIE KLÄRUNG: ist der Abschluss einer Reflexion; das Finden der Antwort auf lang bemühtes Fragen oder das Formulieren eines noch nicht völlig klar gewordenen Denkergebnisses[5].

Die älteste Definition des Redners Hermogenes stellt die thesenartige Kürze als das entscheidende Merkmal heraus. Trotz der Unschärfe der griechischen Definition geht das Gattungsmerkmal der Sprachkürze in die Überlieferung ein und ist konsensfähig.

Erasmus fügt als Charakteristika den Witz hinzu[6].

Ein allgemein akzeptierter Katalog von Gattungsmerkmalen ist bisher nicht gelungen. Konsensfähig ist aber, dass es sich um kurze, kleine Texte handelt. Mit Einschränkungen akzeptiert werden die pauschalisierten Merkmale der Gattung Aphorismus: Originalität, Pointierung, Bündigkeit, antithetische oder paradoxe Aussageweise[7]. Charakteristisch sind noch Denkformen wie etwa ein besonderes Verhältnis ``zwischen sinnlicher Einzelheit und gedachter Allgemeinheit``.[8]

3. Die lichtenbergsche Aphorismen

3.1 Entstehung

Fest steht, dass Lichtenberg nie daran dachte, Aphorismen zu schreiben, wenn auch viele seiner Aufzeichnungen aphoristische Eigenart erreichen.

Der Ursprung der Gattung, wie sie Lichtenberg zu verfolgen scheint, wird in drei historischen Traditionen vermutet:

- Die französische Moralistik des 17. Jahrhunderts ( La Rochefoucauld)
- Der englische Naturwissenschaftler Roger Bacon
- Johann Gottfried Herder

Lichtenberg schrieb neben seinen Tagebüchern und unterschiedlichsten Notizen alles, was ihm durch den Kopf ging, in einer Art Sammelsurium nieder. Er maß diesen Aufzeichnungen so wenig literarischen Wert bei dass, er ihre Veröffentlichung kaum erwog.

Es handelt sich dabei um fünfzehn Hefte, die von ihm selbst ab 1772 mit den Buchstaben des Alphabets bezeichnet wurden. Um die Eigenart seiner Schriften zu kennzeichnen, bedient er sich eines Ausdrucks, der unter Kaufleuten gebräuchlich war: Sudelbuch. Er sagt:

``Die Kaufleute haben ihr Waste book (Sudelbuch, Klitterbuch glaube ich im deutschen), darin tragen sie von Tag zu Tag alles ein was sie verkaufen und kaufen, alles durch einander ohne Ordnung(…)``. (E 46)

Für seine Sudelbuch-Einträge spricht Lichtenberg unter anderem von Bemerkungen und Einfällen, Gedanken und Ideen, auch von Maximen und Sentenzen. Die Bemerkung erlangt eine spezifische (enge) Formbedeutung, da Lichtenberg nicht nur seine eigenen Aufzeichnungen, sondern auch La Rochefoucaulds ``Réfelxions ou sentences et maximes morales`` so bezeichnet. Vergleichsweise selten lassen sich im Begriff des Gedankens bei Lichtenberg spezifische Formaspekte entdecken. Auch er dient zur Bezeichnung des eigenen Werkes. Vorstellungen des kernhaft Knappen und Essentiellen lagern sich diesem Begriff an. In der Übertragung des Experiments in die Vorstellungswelt schließen sich Gedanken und Ideen zusammen. `` Mit Gedanken zu experimentieren`` bedeutet,``Dinge vorsätzlich zusammen bringen``. Die gleichlautende Forderung `` Man muss mit Ideen experimentieren `` beruht auf Lichtenbergs Vorstellung der Kombination. Den Begriff des Einfalls verwendet Lichtenberg in einzelnen Fällen synonym zu dem der Bemerkung oder des Gedankens: `` Eine ganze Milchstrasse von Einfällen``. Den vermischten Einfällen, wie er seine Aufzeichnungen bisweilen nennt, liegen die Grundvorstellungen des Sammelns und vor allem des unerwarteten Verknüpfens zugrunde. Sentenz und Maxime werden im Einzelfall synonym zu Bemerkung gebraucht; Sentenz mehrheitlich im antiken Kontext,Maxime hingegen sowohl für La Rochfoucaulds wie für sein eigenes Werk.[9]

Das Wort ``Aphorismus`` verwendet der Autor weitgehend nach der alten naturwissenschaftlichen Tradition des Begriffs als praktikable Lehrform im Sinne prägnanter Wissensvermittlung durch Lehrsätze. Von dieser tradierten Auffassung her lässt sich eine Brücke zu Lichtenbergs ``Bemerkungen`` - so nennt er seine Aufzeichnungen am häufigsten – schlagen. Eine methodische Überlegung Lichtenbergs zu einer Verbesserung der Handbücher der Physik macht das deutlich[10]. Lichtenberg erneuert mit dieser Aufzeichnung die antike Lehrform. Die Konfrontation von Lehrendem und Lernendem erschein ihm erst als fruchtbar, wenn der Verstehenszusammenhang sich als ein je nach Situation neu konstituierender Auseinandersetzungs-Vorgang zwischen ``aphoristischem`` Satz und Gesamtzusammenhang gestaltet. Lichtenbergs ``Aphorismen`` sind damit Übertragungen der Gesprächsform als Erkenntnismodell auf die Sprachform des Aphorismus. Was sich der ursprünglichen Gesprächssituation als Dialog zwischen Lehrer und Schüler zeigt wird hier auf doppelte Weise im Autor selbst als Auseinandersetzung von ``Sich-selber-Schreibendem`` und ``Sich-selber-Lesendem`` einerseits, zwischen Autor und Leser andererseits vollzogen.[11]

Aus diesem Grundentwurf des Verstehens entwickelt Lichtenberg zunächst die naturwissenschaftliche Methode, neben der das allgemeine Verfahren des ``Pfennigwahrheiten-Sammelns`` (F1219) sich entwickelte.

Lichtenberg kam es darauf an die beiden Pole des individuellen ``Beispiels`` und des allgemeinen ``Lehrsatzes`` unmittelbar zu konfrontieren um aus ihnen das Verstehensfeld wechselseitiger Interpretation zu entfalten. Demselben Gesetz (das Verfahren punktuellen Fixierens situationsgeborener Reflexionen) entsprechen seine Sudelbücher. In E150[12] versucht Lichtenberg dieses Verfahren noch genauer zu bestimmen. Man muss unterscheiden zwischen dem was Lichtenberg unmittelbar beabsichtigte und dem, was als Struktur in einer solchen Aufzeichnung sichtbar wird. Die Anspielung auf den ``Timorus`` legt nahe, dass man Lichtenbergs ``Sudelbücher`` als ein Probierfeld betrachten könnte in dem Material vorgeprüft wird und dann in zusammenhängende längere Texte eingebaut wird. Andererseits gibt es – gegenüber der Fülle der ``Bemerkungen`` - nur eine geringe Anzahl ausgeführter größerer Texte. Es erscheint also als berechtigt, das in E150 sichtbare Denkverfahren von dem unmittelbaren Anlass abzulösen: Umständliche Detailnotizen erhalten erst ihren wahren Erkenntniswert, wenn sie zu Kurztexten zusammengefasst werden. Es ist immer wieder gesehen und gelegentlich als gestalterische Schwäche ausgelegt worden, dass Lichtenberg seine größeren Abhandlungen aus lauter solchen gesammelten ``Pfennigs-Wahrheiten`` (F1219) zusammensetzt[13]. Diese Tatsache erweist sich aber auch als Vorzug: Lichtenbergs Texte sind so angelegt, dass jeder Satz für sich allein dem Leser die Chance gibt, das Verkürzte zu einem Buch zu machen, dass der Satz aber andererseits, in ein Ensemble anderer Sätze gestellt, zu einem Kreuzungspunkt verschiedener Gedankenzüge werden und sich mit ihnen zu einem Ganzen vereinigen kann.

[...]


[1] Rainer Baasner, Georg Christoph Lichtenberg, Darmstadt 1992. S.28.

[2] Gerhard Neumann, Ideenparadiese. Untersuchungen zur Aphoristik von Lichtenberg, Novalis, Friedrich Schlegel und Goethe, München 1976. S. 27.

[3] Franz H. Mautner, Lichtenberg. Geschichte seines Geistes, Berlin 1968. S.228.

[4] Ebd., S.557.

[5] Franz H. Mautner (Hg.), Lichtenberg. Sudelbücher, Frankfurt am Main und Leipzig 1984. S.557.

[6] Paul Requadt, Lichtenberg, Stuttgart1964. S.140.

[7] Ebd., S.78.

[8] Gerhard Neumann, Einleitung, Darmstadt 1976.S.5f.

[9] Wolfgang Promies / Ulrich Joost, Lichtenberg-Jahrbuch 1997, Ober- Ramstadt 1993. S. 100-103. ( Aufsatz von Friedemann Spicker ).

[10] Siehe Anhang: II,204, H175

[11] Franz H. Mautner, Lichtenberg. Geschichte seines Geistes, Berlin 1968. S. 220.

[12] Siehe Anhang.

[13] Ebd., S. 222.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Zur Gattungsordnung der Sudelbücher Lichtenberg's: Ansichten auf das Aphoristische
Hochschule
Universität Trier
Veranstaltung
Hauptseminar: Lichtenberg's Sudelbücher
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
22
Katalognummer
V61994
ISBN (eBook)
9783638553247
ISBN (Buch)
9783638668378
Dateigröße
548 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gattungsordnung, Sudelbücher, Lichtenberg, Ansichten, Aphoristische, Hauptseminar, Lichtenberg’s, Sudelbücher
Arbeit zitieren
Laurence Miller (Autor:in), 2005, Zur Gattungsordnung der Sudelbücher Lichtenberg's: Ansichten auf das Aphoristische, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/61994

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