Entwicklungsversuch eines sportdidaktischen Konzepts einer Kindersportschule

Unter besonderer Berücksichtigung gesundheitspädagogischer Aspekte


Diplomarbeit, 2003

112 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung
I. Theoretischer Bezugsrahmen
2 Die Sportdidaktik
2.1 Die Entwicklung der Fachdidaktik
2.1.1 Allgemeiner Überblick
2.1.2 Im Fokus: Die Entwicklung in der BRD
2.1.3 Sportdidaktische Konzepte und Kategorisierungsversuch
2.2 Vertiefende Darstellung ausgewählter fachdidaktischer Konzepte und
Betrachtung der sie konstituierenden Rahmenbedingungen
2.2.1 Das Sportartenprogramm
2.2.2 Die Körpererfahrung
2.2.3 Die Handlungsfähigkeit
2.2.4 Der erziehende Sportunterricht
2.2.4.1 Sport und Bildung
2.3 Quo vadis, Fachdidaktik
2.4 Ein integratives Konzept des Sportunterricht
3 Die Schule als Erziehungssystem
3.1 Die Paradoxie der Schule als Erziehungssystem
3.2 Die doppelte Paradoxie des Sportunterricht
4 Das Phänomen Gesundheit
4.1 Definitionsversuche
4.2 Erklärungsansätze und Erklärungsmodelle von Gesundheit und
Krankheit
4.2.1 Risikofaktorenansatz und Risikofaktorenmodell
4.2.2 Schutzfaktorenansätze und Schutzfaktorenmodell
4.2.2.1 Das Salutgenese Modell
4.2.2.2 Das integrative Anforderungs-Ressourcen Modell
4.3 Sport und Gesundheit
4.4 Die Gefahr der Instrumentalisierung oder Gesundheit als Fetisch
4.5 Prävention und Rehabilitation
4.6 Die Lebenswelt der Kinder und Heranwachsenden
5 Gesundheitserziehung 60
5.1 Grundzüge der historischen Entwicklung
5.2 Fachdidaktische Positionen
5.2.1 Die objektivierende Position: Prävention und Training
5.2.2 Die subjektivierende Position: Befindlichkeit und Selbsterfahrung
5.3 Determinanten schulsportlicher Gesundheitserziehung
5.3.1 Die pädagogische Leitidee
5.3.2 Die Auffassung vom Fachgegenstand
5.3.3 Die Voraussetzungen der Schüler
5.3.4 Schulische Rahmenbedingungen
5.3.5 Gesellschaftliche Zusammenhänge
5.4 Aufgaben der Gesundheitserziehung im Schulsport
6 Die Kindersportschule
6.1 Entstehung und Entwicklungslinien

II. Konzeptionelle Überlegungen
7 Entwicklungsversuch eines sportdidaktischen Konzepts einer KISS – unter besonderer Berücksichtigung gesundheitspädagogischer Aspekte
7.1 Vorüberlegungen
7.1.1 Die Ebene der Voraussetzungen
7.1.2 Die Entscheidungsebene des Konzepts der Kindersportschule
7.2 Ein sportdidaktisches Konzept einer Kindersportschule
7.3 Anschlussofferten

III. Zusammenfassende Darstellungen
8 Zusammenfassung
9 Fazit
Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Diese Diplomarbeit unternimmt den Versuch, ein sportdidaktisches Konzept einer Kindersportschule zu entwickeln.

Kindersportschulen sind erstmals Anfang der neunziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts, professionell geleitet, in Erscheinung getreten. Pioniercharakter hatte die Kindersportschule des Schwäbischen Turnerbundes, deren Struktur in Kapitel 6 exemplarisch vorgestellt wird. Eine Großzahl der folgenden Kindersportschulen orientierte sich konzeptionell an diesem Modell, das häufig vor allem auf eine umfassendere Förderung der motorischen Fertigkeiten zielt. Bis heute hat eine rasante Vermehrung ähnlicher Institutionen stattgefunden. Das exemplarische Konzept einer Kindersportschule wird in Kapitel 6 vorgestellt.

Es finden sich jedoch wenig Modell bzw. Konzepte, die auf der didaktischen Ebene Entscheidungen treffen. Vielmehr wird der Fokus auf die Entwicklung der Motorik der Kinder und Heranwachsenden gesetzt. Auch wenn Begriffe wie Förderung der sozialen Kompetenz und Wahrnehmungsschulung zum Teil mitschwingen, scheint deren Einordnung in ein auf der Metaebene angesiedeltes Konzept häufig nur ungenügend entwickelt. Dies soll im Folgenden thematisiert werden und in der Entwicklung eines sportdidaktischen Konzepts einer Kindersportschule münden. Es wird bewusst der unbestimmte Artikel „einer“ verwendet, da kein Anspruch erhoben werden kann, ein allgemein verbindliches Konzept entwickeln zu wollen. Vielmehr soll es sich, zumindest partiell, von bestehenden Konzepten und Strukturen vorhandener Kindersportschulen absetzen, da sie in Bereichen –zumindest aus sportpädagogischer Perspektive- ihre Potential scheinbar nicht vollständig ausschöpfen.

Aufbau der Arbeit

Die Arbeit nähert sich aus unterschiedlichen Richtungen dem zu erstellenden Konzept.

In Kapitel 2 wird die Sportdidaktik bzw. die Didaktik der Leibeserziehung untersucht. Hierzu wird ein historischer Rückblick unternommen der die Entwicklung der Sportdidaktik bzw. die Didaktik der Leibeserziehung in dem Zeitraum von der französischen Revolution bis in die Gegenwart betrachtet. Der geschichtliche Exkurs dient der Orientierungshilfe und bietet in Zeiten der Renaissance in der heutigen Sportdidaktik interessante Einblicke. Detaillierte historische Analysen und Betrachtungen der Entwicklung der Leibesübungen in den Epochen vor der französischen Revolution unterbleiben, da sie keinen weiteren verwertbaren Erkenntniswert erwarten lassen.

In Kapitel 2.1.3 und 2.2 werden bekannte und einflussreiche sportdidaktische Konzepte, sowie ihre Kategorisierungsversuche vorgestellt. Hier musste eine Auswahl getroffen werden, die sich an den Merkmalen der Praxisrelevanz, der aktuellen und möglichen zukünftigen Bedeutung und der Verwertbarkeit in den Rahmenbedingungen der Kindersportschule orientiert. Beschlossen wird das zweite Kapitel mit einem Ausblick auf die gegenwärtigen Entwicklungstendenzen der Sportdidaktik (Kapitel 2.3) und der Vorstellung eines neueren sportdidaktischen Konzepts, das versucht, die gegenwärtigen, vereinbaren Strömungen der Fachdidaktik in einem integrativen Modell zusammenzufassen (Kapitel 2.4).

Die aktuellen Strukturierungsversuche innerhalb der Fachdidaktik deuten eine Wiederentdeckung der Begriffe Erziehung und Bildung an. Daher werden die strukturellen Besonderheiten des Erziehungsprozesses in der Institution Schule untersucht (Kapitel 3), die als maßgebliche Bezugsinstanz der Kindersportschule Gemeinsamkeiten aber auch mögliche Besonderheiten aufweist.

Weiterhin wird erörtert, welchen Stellenwert Sport und Bewegung innerhalb des Erziehungs- und Bildungsprozesses einnehmen können und welche Voraussetzungen notwendig sind, um mögliche in den Sport eingelagerte Potentiale aktivieren zu können. Dies verweist auf die Voraussetzung zur Durchführung sportlicher Aktivität: Die Gesundheit, dieses Phänomen wird ab Kapitel 4 analysiert.

Ausgehend von einer allgemeinen Begriffsbestimmung und Präzisierungsversuch des Begriffes Gesundheit in Kapitel 4.1 folgt die Analyse vorherrschender Erklärungsansätze und Erklärungsmodelle von Gesundheit und Krankheit (Kapitel 4.2) und den Zusammenhängen von Gesundheit und Sport bzw. die Betrachtung der Ambivalenz sportlicher Aktivität (Kapitel 4.3). Kapitel 4.4 beschreibt mögliche Gefahren im Sinne einer Instrumentalisierung des Sporttreibens und einer überzogenen, zwanghaften Gesundheitssuche. Die Einordnung der präventiven und rehabilitativen Maßnahmen sowie deren Effizienz auf den Gesundheitszustand der Bevölkerung beschließen das Kapitel 4.5. Die sich verändernde Lebenswelt der Kinder und Heranwachsenden und die damit potentiell produzierten Gesundheitsgefahren werden in Kapitel 4.6 dargelegt.

Ausgehend von den bis zu diesem Punkt entwickelten Ansichten erfolgt die Auslotung der Bedeutung und der Möglichkeiten der Gesundheitserziehung in Kapitel 5, die möglicherweise zentrale Bedeutung in der vorherrschenden Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen, gerade auch mit Blick auf deren Zukunft, erlangen könnte. Eine historische Betrachtung der Gesundheitserziehung (Kapitel 5.1) wird durch die Darstellung aktueller fachdidaktischer Positionen ergänzt (Kapitel 5.2). Die Analyse der Determinanten schulsportlicher Gesundheitserziehung in Kapitel 5.3 liefert maßgebliche Vergleichs- und Bezugsgrößen gesundheitserzieherischer Intentionen an einer Kindersportschule.

Die Integration aller gewonnen Erkenntnisse bildet dann den Ausgangspunkt des Entwicklungsversuchs eines sportdidaktischen Konzepts einer Kindersportschule, das unter besonderer Berücksichtigung gesundheitspädagogischer Aspekte realisiert werden soll.

Grundlegendes Problem dieser Diplomarbeit war die Gefahr einer zu eklektischen Arbeitsweise. Da die Entwicklung eines Konzeptes notwendigerweise immer innerhalb eines sehr umfassenden Rahmens verläuft, stellte die Auswahl bzw. Reduzierung und thematische Begrenzung des Inhaltlichen eine große Herausforderung dar. Die Vielzahl möglicher Anschlussofferten, die sich zum Teil auch aus dem begrenzten Umfang der Diplomarbeit ergeben, wird im Kapitel 7.3 aufgeführt.

Inwiefern die Intention der Arbeit umgesetzt werden konnte, wird im letzten Kapitel 9 thematisiert.

I Theoretischer Bezugsrahmen

2 Die Sportdidaktik

Die Sportdidaktik ist die Vermittlungsinstanz zwischen Unterrichtspraxis und –theorie. Ihre Hauptfunktion besteht in der Weitergabe unterrichtstheoretischer Erkenntnisse an die Praxis und unterrichtspraktischer Probleme an die Unterrichtswissenschaft. In der Vermittlungsfunktion gibt sie Handlungsangebote und –alternativen für die Schulsportpraxis und Entscheidungshilfen für den Sportlehrer, ohne ihm die unterrichtlichen Entscheidungen selbst abzunehmen. Dabei greift sie auf die Ergebnisse der Unterrichtsforschung und anderer sportwissenschaftlicher Disziplinen (Trainingslehre, Sportpsychologie, etc.) zurück (Größing, 2001, S. 41).

Der Gegenstand der Sportdidaktik ist der Sportunterricht als geplantes und von Absichten geleitetes Lehr- und Lernfeld der Schule (ebd., 34). Als Theoriebereich des Sportunterrichts ist die Sportdidaktik ein Theoriebereich der Sportpädagogik und in den Sportwissenschaften verankert. Sie nimmt Anleihen und folgt der allgemeinen Didaktik, die als Mutterdisziplin Einfluss ausübt (ebd., S. 40ff.).

2.1 Die Entwicklung der Fachdidaktik

2.1.1 Allgemeiner Überblick

Größing (2001, S. 11ff.) sieht die Anfänge der fachdidaktischen Entwicklung ab Mitte des 18. Jahrhunderts, auch wenn vorher durchaus Körperbildung betrieben wurde, die theoriebegleitet war. In Betracht kommen die athletischen Übungen an den griechischen Gymnasien, die ritterliche Erziehung oder die Übungen der bürgerlichen Studenten. Dennoch kann man kaum von didaktischen Konzepten der körperlichen Erziehung sprechen, da es sich hierbei lediglich um Ansätze und Andeutungen handelte, die jedoch keine Systematik repräsentierten. Dies änderte sich erst bei den Philanthropen des 18 Jahrhunderts, deren bekannteste Vertreter GutsMuths, Villaume und Vieth waren und mit den Turnpädagogen des 19 Jahrhunderts, die vor allem mit den Namen Pestalozzi, Spiess und Maul assoziiert werden.

Grundsätzlich muss erwähnt werden, dass das Schulfach, das heute noch Sport genannt wird, in der Vergangenheit unterschiedliche Bezeichnungen hatte: Leibesübungen, Gymnastik oder Turnen sind anderer Begriffe, die sich allerdings nicht nur in ihrer äußerlichen Begrifflichkeit unterscheiden, sondern auch in ihrer Semantik, da sich jeweils ein anderes Verständnis von Körper, Leib und deren Bedeutung widerspiegelte.

Die deutschen Philanthropen befassten sich in erster Linie mit den Zielbestimmungen und Begründungen der körperlichen Erziehung, organisatorische Aspekte und Aussagen über die Unterrichtsverfahren sind dagegen seltener. Die Zielsetzung, die Vieth mit den Leibesübungen verwendet sind bisweilen heute noch von aktueller Bedeutung: Verbesserung der Gesundheit, Stärkung des Körpers, nützliche Anwendung der Freistunden, etc. Auch wenn methodische Aussagen nur kurz angeschnitten werden, zeugen sie doch von einer Vollständigkeit didaktischer Überlegungen. Den Philanthropen folgen in chronologischer Betrachtung die Turnpädagogen. Deren bekannter Vertreter Pestalozzi, befasste sich unter anderem mit der Einordnung der Körperbildung in das Ganze der Bildung.

Zu Beginn des 20 Jahrhunderts findet eine Reform des Schulturnens statt, die besonders durch Karl Gaulhofer eine Systematik und Didaktik erfuhr. Carl Diem und Edmund Neuendorf sind weitere bedeutende Vertreter, die sportdidaktische Überlegungen weiter und neu entwickelten. Diese Entwicklung wird mit dem Auftreten der Nationalsozialisten nach und nach und letztendlich abrupt beendet. Das reformpädagogische Gedankengut, also ein ganzheitliches Menschen- und Bildungsverständnis, erfährt zur Zeit eine Renaissance innerhalb der Sportdidaktik.

Die „politische Leibeserziehung“ der Nationalsozialisten führte nicht dazu, dass alles bisher im Schulturnen gegoltene mit der Machtübernahme 1933 nicht mehr berücksichtigt wurde. Es erfolgte aber eine klare Prioritätenordnung. Der pädagogische hat hinter dem politischen Anspruch zurückzutreten. Die Leibesübungen passten jedoch hervorragend in das nationalsozialistische Konzept, in denen die Umsetzung der Erziehungsziele angestrebt wurde. Also etwa ein gesunder, rassisch reiner und gestählter Körper, Disziplin, Wehrhaftigkeit, Führertum und Gefolgschaft. Dies führte zu einer Aufwertung der Stundenzahl der Leibesübungen, die nun mehr Hauptfach-Charakter erhielt, sowie zu einer Veränderung der Lerninhalte. Vermehrt wurden nun solche Sportarten ausgeübt, die der Umsetzung der neuen Erziehungsziele am ehesten förderlich schienen, z.B. Boxen, Fußball, Geländespiele, etc. (vgl. Größing, 2001, S. 13).

Es sollte gezeigt werden, dass die Geschichte der Sportdidaktik, auch wenn dieser Begriff erst um das Jahr 1970 geprägt wurde, schon auf eine lange, wenn auch sich wandelnde Historie zurückblicken kann. In den weiteren Ausführungen wird deutlich, dass die vorgestellten Phasen der Fachdidaktik die Entwicklung mitgestaltet haben und bis heute mitgestalten. Dies trifft vor allem auf die reformpädagogische Bewegung und die nationalsozialistische Epoche zu.

Die Entwicklung der Sportdidaktik nach 1945 in der Bundesrepublik soll nun geschildert werden. Sie wird ausführlicher erfolgen, da bei dem anstehenden Entwicklungsversuch eines neuen sportdidaktischen Konzepts für eine Kindersportschule, die jüngere historische Entwicklung konkretere Orientierungstendenzen bereithalten könnte.

2.1.2 Im Fokus: Die Entwicklung in der BRD

Wie gestaltete sich die Entwicklung nach 1945? Kurz (1979 in: Größing, 2001, S. 13) unterscheidet einen phasenhaften Verlauf und sieht eine Tendenz von der Didaktik der Leibeserziehung hin zu einer Sportdidaktik. Die Phasen sollen nun, ausgehend von einem kurzen Rückgriff auf die Reformpädagogen zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, dargestellt werden:

Unmittelbar nach dem Krieg setzte eine Renaissance der Reformpädagogik ein, deren Entwicklung mit der Machtübernahme 1933 durch die Nationalsozialisten gestoppt wurde. Nach Größing (2001, S. 14) bildeten die didaktischen Prinzipien der Natürlichkeit, Kindgemäßheit, Gemeinschaftsbezogenheit, Ganzheitlichkeit und Lebensnähe die Grundlage der Reformpädagogik, die nun im Rückgriff (wieder-) aufgenommen wurden. Wie sahen aber die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen aus, die den Nährboden der Konzepte darstellten? Es entstand eine Gegenbewegung zu der körperbetonten aber unpädagogischen Bewegung der Nationalsozialisten. Diese Gegenbewegung nach dem zweiten Weltkrieg lässt sich am ehesten durch das Bild der intellektuellen Leibfeindlichkeit charakterisieren. Zusätzliche war ein Großteil der Infrastruktur zerstört, so dass auf der materiellen und personellen Ebene ein großes Defizit herrschte, das auch den schulischen und sportlichen Bereich nicht verschonte. Die Wiederaufwertung des Sports erfolgte auf Druck der Öffentlichkeit, der Ärzte und der Aktivitäten des Deutschen Sportbundes, die u.a. auf den gesundheitlichen Schaden der Schuljugend hinwiesen. Dieser Prozess bewegt sich über einen überschaubaren Zeitraum von kaum einem Jahrzehnt. Die Bemühungen resultierten 1956 in den „Empfehlungen zur Förderung der Leibeserziehungen in den Schulen“, die den ersten Schritt zu einer verbesserten Unterrichtspraxis bildeten.

Die nun folgenden didaktischen Werke, u.a. von Wagner, Altrock-Karger, Hanebuth und Mestner, beinhalteten starke reformpädagogische Ansätze. Allen diesen Konzepten einer leibeserziehlichen Theoriebildung waren nach Größing (2001, S. 14ff.) folgende Merkmale gemein:

1. Ein starker Bezug zur Praxis des Unterrichtsfaches der Leibesübungen
2. Die enge Anbindung an die Entwicklungspsychologie
3. Die Betonung der Systematik der Lerninhalte
4. Die Ablehnung eines koedukativ geführten Sportunterrichts
5. Die Leibeserziehung wurde als Teil der Gesamterziehung verstanden

Die grobe Vorstellung der Merkmale scheint an dieser Stelle ausreichend, um ein Verständnis der beschriebenen Zeitphase zu entwickeln. Lediglich der letzte Punkt soll noch kurz erläutert werden, da sich in ihm das Credo der reformpädagogische Phase deutlich widerspiegelt.

Allen didaktischen Überlegungen war gemein, dass sie eine philosophisch geprägte Wesensschau des Menschen beinhalteten. Das Menschenbild in Form der Leib-Seele-Geist Einheit bildete die Basis für die Benennung der kategorialen Bildungswerte der Leibesübungen und der didaktischen Überlegungen im Sinne einer philosophisch-anthropologischen Sichtweise. Leibeserziehung wurde als ein unentbehrlicher Teil der Gesamterziehung verstanden und damit auch der vollständigen Bildung des heranwachsenden Menschen (ebd., S. 15). Wenn auch aus heutiger Sicht eine naiv anmutende Transfergläubigkeit sportlicher Leistungen auf die Gesamtentwicklung Grundlage oder zumindest Teilaspekt dieser Vorstellung war, zeugt sie dennoch von einer Rückbesinnung auf die Ganzheitlichkeit des Menschen. Ähnliche Tendenzen lassen sich in der aktuellen Entwicklung der Sportdidaktik erkennen, wenn auch unter anderen Vorzeichen. So sehen einige kritische Vertreter vor allem den Legitimationszwang des Schulfaches Sport als wichtigen Ausgangspunkt der aktuellen Wandlung.

Die Didaktik der Leibeserziehung lehnte sich mit dem Ende der fünfziger Jahre immer stärker an die geisteswissenschaftliche Pädagogik und die allgemeine Didaktik an und übernahm den kategorialen Bildungsbegriff Klafkis[1]. Der eigentliche Begriff Didaktik findet explizit erstmals 1961 in Paschens Buch „Didaktik der Leibeserziehung“ Verwendung.

Zusammenfassend lassen sich folgende Aussagen treffen, die die verschiedenen Bemühungen um die Bildungsstruktur der Leibesübungen dieser Zeitspanne treffen:

„..das erfolgreiche Bemühen um die Aufhellung der pädagogischen Struktur der Leibesübungen, die widerspruchsfreie Einteilung der Aktionsweisen oder Grundformen, die Benennung der kategorialen Elemente der aus der Vielfalt von Leibesübungen und die Bestimmung der wesentlichen Bildungswerte waren das Verdienst der bildungstheoretischen Didaktik der Leibeserziehung“ (Größing, 2001, S. 17).

Dem standen auf der anderen Seite Versäumnisse und Defizite gegenüber. In der Lernzielbestimmung und Aufgabenzuschreibung bezog sich der bildungstheoretische Ansatz zu einseitig auf anthropologische Kriterien und vernachlässigte die soziokulturellen und politischen Rahmenbedingungen des Unterrichtsfaches.

Es kam in der weiteren Entwicklung zu einer zunehmenden Kluft zwischen Theorie und Praxis, zu einem Auseinanderdriften von Didaktik und Methodik, bedingt durch eine sich in den Elfenbeinturm der Wissenschaft zurückziehende Didaktik, die v.a. an einem philosophisch-anthroplogischen Überbau interessiert schien (ebd., S 18).

Der Zusammenhang von Zielfragen, Lerninhalten und methodischen Wegen trat mehr und mehr in den Hintergrund und sollte erst in der nächsten Phase der Sportdidaktik neu entdeckt werden.

Kurz und andere Autoren bezeichnen das Jahr 1970 als Wendepunkt in der Fachdidaktik und als Einleitung eines Differenzierungsprozesses, der letztendlich zu verschiedenen sportdidaktischen Unterrichtskonzepten führte. Die Wandlung der Fachdidaktik folgte Veränderungsprozessen in der allgemeinen Didaktik und Pädagogik. Diese Wendung wird u.a. von Roth (ebd.) als die „realistische Wende“ bezeichnet und meint die Hinwendung zur Praxis. Weiterhin folgte die Einbeziehung der Methoden der empirischen Sozialforschung, sie steht exemplarisch für eine Öffnung der ehemals Autonomiebeanspruchenden Geisteswissenschaft hin zu einem zunehmenden sozialwissenschaftlichen Verständnis, das sich nicht mehr als Bildungslehre sondern als Unterrichtstheorie begriff.

Größing (2001, S. 18) sieht diese Entwicklung zeitverzögert auch in der Sportdidaktik. Die realistische Wendung charakterisiert sich hier durch eine Orientierung an dem Sportunterricht, an dem motorischen Lernprozess und an den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Der Schulsport beachtet nun stärker den außerschulischen Sport und zwar in erster Linie dessen leistungs- und freizeitorientierte Ausprägung. In der Begründung des Unterrichtsfaches treten nun zunehmend die pädagogischen Argumente zurück und der Sport als gesellschaftliches Phänomen hervor. Nicht mehr die Erziehung durch Sport, sondern die Erziehung zum Sport ist primärer Legitimationsfaktor. Dieser inhaltliche Wandel wird auch in einer neuen Begrifflichkeit deutlich; Leibesübungen und Leibeserziehung weichen Sport, Sportunterricht und Schulsport als Bezeichnung des Unterrichtsfaches, sowie als Titel der Fachzeitschriften und im fachdidaktischen Schrifttum (vgl. ebd., S. 19). Die Ablösung von der bildungstheoretischen Phase der Fachdidaktik der Leibesübungen findet einen ihrer Ausgangspunkte in der 1966 vom DSB verabschiedeten „Charta des Deutschen Sports“. Hier wird ein gesamterzieherischer Ansatz zu Gunsten leistungs-, kommunikations- und freizeitorientierter Aspekte zurückgenommen. Mit der Rücknahme bzw. Reduzierung pädagogischer Ansprüche wird das gesellschaftlich expandierende Phänomen Sport aufgewertet. Diese Entwicklung muss nicht zuletzt vor dem politischen Hintergrund des kalten Krieges gesehen werden, in dem Vergleichsschauplätze wie etwa die olympischen Spiele eine hohe Bedeutung hatten (vgl. Balz, 1995, S. 41). Daher stand die (Höchst-) Leistungsfähigkeit der Sportler, als Repräsentanten unterschiedlicher Weltanschauungen, im Mittelpunkt. Der Mensch und mit ihm seine Identität, soziale Entwicklung und seine Gesundheit hatten in diesem Kontext daher maximal sekundäre Bedeutung.

Die skizzierte Entwicklung hatte auch Einfluss auf den Fächerkanon und die Ausstattung der Sportanlagen: Bisher im außerschulischen Bereich angesiedelte Sportarten, wie Basketball, Tennis, Rudern, etc. erhielten Einzug in den Sportunterricht, dementsprechend verändert sich auch das Inventar. Tradierte Sportgeräte wie Taue, Bock und Tisch traten in den Hintergrund.

Die Anerkennung und Annahme des gesellschaftlichen Phänomens Sport war Ausgangspunkt und Katalysator dieses Prozesses. Die sich nun immer mehr verstärkende Dominanz der Sportkultur führte zu einer Verdrängung der anderen Ausdrucksformen und Sinngehalte des Bewegungshandelns, also insbesondere der Spiel-, Ausdrucks- und Gesundheitskultur (Größing, 2001, S. 20).

Die Lernzielthematik bzw. –problematik[2] steht im Zentrum der folgenden curriculumtheoretischen Ansätze in der Sportdidaktik, die nicht nur auf eine Revision der Lehrpläne, sondern auf eine umfassende Bildungsreform ausgerichtet waren. Entsprechend verstanden sich die sportcurricularen Entwürfe als Reform des Schulsports und hatten somit auch sportdidaktischen Charakter. Größing (2001, S. 21) sieht den Grund für die unterschiedliche Ausprägung der curriculumtheoretischen Modelle darin, dass sie verschiedenen Ausgangslagen hatten: Sie berücksichtigten entweder vorrangig die vorgefundenen Wirklichkeit des schulischen und außerschulischen Sports, die Bedürfnisse der Schüler, allgemeine pädagogische und gesellschaftspolitische Leitideen (Emanzipation, Kommunikationsfähigkeit, etc.) oder die durch Gesellschaftsanalysen gewonnen Bezugspunkte zum Sport (Freizeit). Entsprechend entstanden z.B. sportbezogene, freizeitorientierte, gesellschaftskritische oder schülerbezogene Curriculumentwürfe (ebd.).

Es folgten handlungs-, unterrichts- und erfahrungstheoretische Konzepte der sportdidaktischen Theoriebildung, die vor allem in der Retrospektive von unterschiedlichen Autoren in unterschiedlichen Kategorien zusammengefasst wurden. Ein Teil der Kategorisierungsversuche sollen im folgenden Kapitel kurz skizziert werden.

2.1.3 Sportdidaktische Konzepte und Kategorisierungsversuche

Der gegenwärtige Stand der Sportdidaktik ist charakterisierbar durch seine vielfältige konzeptionelle Ausdifferenzierung. Größing (2001, S. 23) unterscheidet verschiedene Kategorisierungsversuche, u.a. von Balz (1992a), Prohl (1999), Ehni (2000) und stellt seinen eigenen noch hinzu.

Balz (1992a, S. 14) unterscheidet vier grundlegende Konzepte in der fachdidaktischen Konzeption, die aus seiner Sicht die größte Relevanz haben:

1. das Sportartenprogramm
2. die Handlungsfähigkeit
3. die Körpererfahrung
4. die Entpädagogisierung

Weitere Konzepte von untergeordneter Bedeutung erwähnt er, führt sie aber nicht weiter aus. Seine Auswahl erfolgte nach den Kriterien der Praxisrelevanz im Sportunterricht, der planungsdidaktischen Orientierung und der Hinzunahme anerkannter Werke in der fachinternen Auseinandersetzung und Standpunktvertretungen (ebd.).

Demgegenüber kategorisiert Größing (2001, S. 22) in einer anderen Art und Weise; er unterscheidet folgende Grundkonzepte und ordnet ihnen ihre Hauptvertreter zu:

1. Sportartenkonzept: Söll, Volkamer, Hummel
2. Offener Sportunterricht: Frankfurter Arbeitsgruppe
3. Sporterziehungskonzepte: Kurz, Balz, Ehni
4. Körpererfahrungskonzepte: Funke-Wienecke
5. Bewegungserziehungskonzepte Zimmer, Kretschmar
6. Bewegungskulturelles Konzept: Grössing

Es existiert eine Vielzahl weiterer Systematisierungsversuche, unter anderem von Prohl (1999), die aber nicht weiter ausgeführt werden sollen, da sie im Rahmen dieser Arbeit keine primäre Funktion einnehmen. Ihre Erwähnung scheint dennoch nützlich, um die Meinungspluralität auf dem Gebiet der Sportdidaktik darzustellen. Für weiterführende Studien sei an dieser Stelle auf Größing (2001, 22ff.) und Prohl (1999, 92ff.) verwiesen.

Es muss nach dem obigen Exkurs angemerkt werden, dass die verschiedenen Konzepte nicht absolut trennscharf zueinander stehen, sondern Übergänge und Schnittmengen aufweisen.

Im Folgenden sollen einige ausgewählte fachdidaktische Konzepte erläutert werden, die zweierlei Einfluss auf das zu entwickelnde Konzept für eine Kindersportschule haben könnten. Einerseits in der Negation, d.h. das die Einschränkungen eines Konzeptes als Anregung verstanden werden, einen erweiterten Blickwinkel einzunehmen. Dies trifft v.a. auf das Sportartenkonzept zu.

Andererseits sollen Ansätze aus anderen Konzepten aufgenommen und entsprechend verarbeitet werden, z.B. das Konzept der Handlungsfähigkeit oder der Körpererfahrung. Auf folgende fachdidaktische Konzepte wird eingegangen:

1. das Sportartenkonzept
2. die Körpererfahrung
3. die Handlungsfähigkeit
4. der erziehende Sportunterricht

Auswahlkriterien waren die Bedeutung für die unterrichtliche Praxis, die Anerkennung durch Vertreter der Fachdidaktik, die Relevanz für potentielle, zukünftige Entwicklungen und die Möglichkeit der Orientierungshilfe für ein Konzept einer Kindersportschule.

Da es sich um eine Auswahl handelt, kann weder Anspruch auf Vollständigkeit, selbst innerhalb der oben genannten Kriterien, noch auf Erfassung aller relevanten inhaltlichen Aspekte erhoben werden. Vielmehr konzentrieren sich die vertiefenden Darstellungen auf die Fakten mit dem größten Anschlusspotential.

2.2 Vertiefende Darstellung ausgewählter fachdidaktischer Konzepte und Betrachtung der sie konstituierenden Rahmenbedingungen

Es wurden vier Konzepte ausgewählt, die im Folgenden dargestellt werden:

Das Sportartenprogramm, das Körpererfahrungskonzept, die Handlungsfähigkeit und sporterzieherische Konzepte.

2.2.1 Das Sportartenprogramm

Dieses Konzept bestimmte über lang Zeit die Praxis des Sportunterrichts und hatte seinen Ursprung Anfang der 70er Jahre. Sportarten wurden um ihrer selbst Willen vermittelt und nicht als Medium für Gesundheits- oder Sozialerziehung (Größing, 2001, S. 23). Kurz (1990, S. 43) bezeichnet das Sportartenprogramm kritisch als eine „Didaktik reduzierter Ansprüche“ (vgl. auch Kurz & Willimczik, 1993, S. 47ff.), da Annahmen über die bildende Wirkung des Sports gar nicht getätigt werden oder der Sport gutgläubig als pädagogisch wertvoll unreflektiert akzeptiert wird (Balz, 1992a, S. 17). Der Kanon der Sportarten ist äußerst stark an dem außerschulischen Sport orientiert. Also einem Bündel traditioneller, normierter Sportarten, wie Turnen, Leichtathletik, Schwimmen, Handball, etc. Entsprechend steht das Vermitteln konditioneller Fähigkeiten und motorischer Fertigkeiten im Zentrum, wie Balz (1992a, S. 14) anmerkt. Zum Teil werden aktuelle, beliebte Freizeitsportarten, wie z.B. Badminton und Tennis mit aufgenommen.

Auch wenn das Vermitteln altersgemäß durchgeführt wird, trifft der von Kurz benutzte Begriff der Abbild-Didaktik das Phänomen der unkritischen Transformation außerschulischer Sportarten in den Schulunterricht (ebd., S. 17). Die deduktive Lehrweise komplimentiert die fragwürdige Annahme, dass der Sportunterricht die Schüler zu einem lebenslangen Sporttreiben anregt. Die zunehmende Kritik an dem Sportartenprogramm, die durch Entwicklung anderer fachdidaktischer Konzepte Vorschub erhält, spiegelt sich allerdings in der Unterrichtspraxis nicht in dem Ausmaß wider. Es nimmt immer noch eine sehr dominante Stellung ein (Balz 1992a, S. 13), deren Behauptung in einem sich zunehmend wandelnden Sportverständnis, grob ausgedrückt, weg vom Leistung- hin zum Freizeitsport, fragwürdig scheint.

Relativ konträr steht das Konzept des Offenen Unterrichts dem Sportartenprogramm gegenüber, das aber im Folgenden nicht näher dargestellt wird. Das Konzept des offenen Sportunterrichts entstand als Gegenreaktion auf den reduzierten Anspruch des Sportartenprogramms und verdeutlicht die Wechselwirkung der einzelnen fachdidaktischen Konzepte, die teilweise ein actio et reactio Muster erkennen lassen. Ähnlich moniert auch das Körpererfahrungskonzept mangelnde Erfahrungsmöglichkeiten in dem Sportartenprogramm.

2.2.2 Die Körpererfahrung

Das Körpererfahrungskonzept begreift den jungen Menschen „als Subjekt seines Tuns und nicht als Objekt seiner Lebensverhältnisse“ (Funke 1991, S. 15 in: Balz, 1992a, S. 14). Der Körper wird hierbei aus leibanthropologischer Perspektive betrachtet und als Fühler und Mittler zur Welt verstanden. Daher stehen Erfahrungen des Körpers und mit dem Körper im Mittelpunkt, die als Quelle der Selbsterfahrung dienen sollen. Zentraler Aspekt des Sporttreibens ist, dass es „nicht maschinenartig, unsensibel gegen den Körper und Mitspieler“ (ebd., S. 15) ausgeführt wird, sondern eher unter der Formel, dass der Überbietungswillen an das Körpergewissen gebunden bleibt (vgl. ebd., S. 15). Die inhaltliche Offenheit geht häufig mit einer gewissen Distanz und Abgrenzung zum außerschulischen Sport, v.a. des traditionellen Sportartenkanons einher. Sie stellen aber keineswegs zwei unvereinbare Gegensätze dar. Die traditionellen Sportarten bieten gute, wenn auch bisher wenig genutzte Möglichkeiten der Körpererfahrung (ebd., S. 16). Charakteristisch sind erfahrungsoffene Unterrichtssituationen, die bei der Verwirklichung des Leitziels mithelfen, das sich in etwa wie folgt beschreiben lässt: Es soll ein Schulsport stattfinden, der sich keine Inhalte mediengerecht aufoktroyieren lässt, sondern als Entwurf einer pädagogischen, alternativen Bewegungskultur versteht, der konsequent die Mängel des vermeintlich großen Sports zu kompensieren versucht (Funke-Wieneke, 1991, S. 137, S. 141 in: Balz, 1992a, S. 18). Diese potentielle, geschützte Gegenwelt–Position des Sports bildet gleichzeitig den größten Kritikpunkt des Körpererfahrungskonzepts, da einige Autoren eine (zu) große Realitätsferne anprangern.

Das Konzept ist eingebunden in einen umfassenden Rahmen der Körpererziehung mit hygienischen, sozialen u.a. Lernzielen. Teile des Körpererfahrungskonzepts erhielten auch in der Schule Einzug, wenngleich es sich niemals umgreifend durchsetzen konnte.

2.2.3 Die Handlungsfähigkeit

Kerngedanke dieses Konzepts, das zeitlich und inhaltlich ähnlich von Kurz 1979 und Ehni 1977 vorgelegt wurde, ist die Entwicklung einer umfassenden Handlungskompetenz innerhalb eines weit angelegten Handlungsfeldes Sport (vgl. Größing, 2001, S. 26). In den weiteren Ausführungen werden maßgeblich die von Kurz entwickelten Gedanken vorgestellt. Zentrales Anliegen ist die Entwicklung der Handlungsfähigkeit im Sport, die menschliches Handeln als sinngeleitetes und sinnbedürftiges Tun zu fassen versucht und somit, im Gegensatz zum Sportartenprogramm, einen sehr weiten Blickwinkel einnimmt (vgl. Balz, 1992a, S. 14). Grundlegende Annahme ist, dass sich im Sport bestimmte Sinnperspektiven erschließen lassen, die individuell bedeutsam und pädagogisch wertvoll sein können. Kurz leitet diese aus dem außerschulischen Bereich ab. Er unterscheidet folgende mögliche Sinnrichtungen: Leistung, Spannung, Miteinander, Gesundheit, Eindruck und Ausdruck (Kurz, 1990, S. 85-101 in: Balz, 1992a, S. 14), die die Ausbildung der Handlungsfähigkeit fördern können und als Kernstück dieser gelten. Die pädagogischen Perspektiven verweisen auf Prüfkriterien, die die Auswahl, Aufbereitung und auch die Veränderung des Sports in der Schule vorgenommen werden könnte. Für jede einzelne Perspektive kann eine pädagogische Begründung geleistet werden, aber ihr Zusammenhang wird nicht in einer Theorie, sondern durch empirische Untersuchungen, die sich auf die Motive des Sporttreibens beziehen, gefunden (Balz, 1997a, S. 11)

Das Ziel der Handlungsfähigkeit im Sport ist dann erreicht, wenn die Schüler die Fähigkeit erlangen:

1. in dem Sport verschiedene Sinnrichtungen erkennen zu können,
2. den Sport zu verstehen,
3. den Sport organisieren zu können
4. und ihn in ein individuelles Lebenskonzept integrieren zu können (vgl. Größing, 2001, S. 27).

Die Handlungsfähigkeit schließt also neben der motorischen, auch eine kognitive und soziale Dimension des Sporttreibens mit ein (Balz 1992a, S. 14). Inhaltlich soll eine mehrperspektivische Vermittlung von Sportarten stattfinden, die sich deutlich von engeren Sichtweisen, wie der des Sportartenkonzepts, abhebt. Mehrperspektivität meint eine Unterrichtsgestaltung, in der verschiedene, pädagogisch gleichwertige Sinngebungen für die Schüler zum Ausdruck kommen und in einer Mehrdeutigkeit vermittelt werden. Dies wird dann umgesetzt, wenn eine Sportart auf unterschiedliche Art und Weise den Schülern nahe gebracht wird (ebd., S. 17). Dies betrifft auch und gerade die traditionellen Sportarten, die meist nur im Kontext des außerschulischen Sports thematisiert werden und damit wertvolle Möglichkeiten verschenken. So kann z.B. der Bereich Laufen auch abseits genormter Vorgaben, im Sinne des schnellen Laufens (Leistung), auch als Geländelauf (Eindruck) oder Wohlbefindenslauf (Gesundheit) erfahren werden. Es tritt ein Gedanke hervor, der die Vielfältigkeit, die jede Sportart in sich trägt, erfahrbar lassen werden möchte und sie nicht nur in einer „zurechtgestutzten“ Art und Weise, als Abbild außerschulisches Sporttreibens versteht. Diese Intention lässt Schnittmengen mit dem Körpererfahrungskonzept erkennen und grenzt sich von der des Sportartenprogramms deutlich ab.

Das Konzept der Handlungsfähigkeit im Sport versucht zwischen übergeordneten Erziehungszielen und fachlicher Einweisung einen vermittelnden, pragmatischen Standpunkt zu vertreten. Es stellt für viele das wohl kompromissfähigste Konzept (ebd., S. 19) dar und hatte maßgeblichen Einfluss auf die Curriculum-Entwicklung. Es erfolgte jedoch eine stetige Weiterentwicklung der Fachdidaktik und einen Wandel der gesellschaftlichen und schulischen Rahmenbedingungen, die dazu führten das an dem Konzept der Handlungsfähigkeit zunehmend Kritik geübt wird. Dies spiegelt sich auch in den neuesten Publikationen wieder. Es soll nun auf Konzepte eingegangen werden, die wohl am treffendsten unter der Leitrubrik sporterzieherischen Konzepte zu subsumieren sind und deren Ausgangspunkt zum Teil aus der Kritik an der Handlungsfähigkeit im Sport erwachsen ist (vgl. Balz, 1989, S. 42ff.).

2.2.4 Der erziehende Sportunterricht

Das Konzept der Handlungsfähigkeit im Sport, dass lange als konsensfähiger, pragmatischer Konsens galt, ist zunehmender Kritik ausgesetzt, die sich unter anderem in dem Punkt widerspiegelt, dass dem Konzept der Handlungsfähigkeit und der Mehrperspektivität keine einheitliche sportpädagogische Theorie zugrunde liegt (vgl. Balz, 1997a, S. 11). Balz (1989, S. 45) merkt weiterhin an, dass der erzieherische Anspruch sehr zurückhaltend formuliert ist. Es wird also eher die Handlungsfähigkeit im Sport als durch den Sport angestrebt. Neben dieser potentiellen pädagogischen Anspruchslosigkeit, führt Balz (ebd., S. 44) noch Kritik an der Alltagsferne, der zu geringen Orientierung an den Alltagsbedingungen des Sportunterrichts an und beanstandet die Versportungstendenzen, die sich aus der starken Orientierung an dem außerschulischen Sport ergeben.

Insgesamt setzte eine Entwicklung ein, die zunehmend erzieherische Aspekte in den Fokus der Betrachtung rückte. Die Erweiterung der Handlungsfähigkeit im Sport durch die Handlungsfähigkeit durch Sport, bis hin zu einem weiteren Ansatz, der die erzieherische Dimension des Sports noch weiter betont, charakterisiert diesen Prozess, der noch immer andauert.

Hinter dieser Entwicklung steht einerseits der Versuch die sehr zerklüftete Sportdidaktik zu einen und somit brauchbare Hinweise für die Sportpraxis zu erhalten, andererseits das Problem des Legitimationszwanges und –bedürfnisses des Faches Sport als Unterrichtsfach im Kanon der anderen Schulfächer. Letztlich tritt die Frage, ob Sport Mittel für pädagogische Zwecke sein darf, in das Zentrum der Diskussion. Dieses Problem findet sich auch in der Instrumentalisierungsdebatte (vgl. Kapitel 4.4) wieder. (vgl. Scherler, 1996 in: Balz, 1997a, S. 9). Scherler (ebd.) sieht, dass „Umsichtiges Arbeiten, ausdauerndes Üben und sozial-integratives Spielen Handlungsweisen sind, deren Erwerb auch Schule unterstützen muss, und zwar nicht nur in einem Fach, sondern in vielen Fächern“. Wenngleich die schulischen Unterrichtsfächer einen fachspezifischen Auftrag haben, so existieren auch immer fachübergreifende Aufgaben. Daher ist jedes Fach auch Mittel zu außer- oder überfachlichen Zwecken. So soll auch der Sportunterricht die Maxime der Erziehung durch Sport und Erziehung zum Sport verfolgen. Wird eher die Entwicklungsförderung der Kinder und Jugendlichen als wesentlicher Punkt angestrebt, so steht eher die Erziehung durch Sport in dem Mittelpunkt. Geht es mehr um die Verwirklichung der Vermittlung von Qualifikationen zur Bewältigung sportlicher Lebenssituationen, so rückt die Erziehung zum Sport in den Vordergrund. Der erste skizzierte Fall dient der Verwirklichung übersportlicher Ziele, im zweiten Fall ist der außerschulische Sport der Zweck und der Schulsport das Mittel (Scherler, 1996 in: Balz, 1997a, S. 9).

Resümierend lässt sich festhalten, dass diese fachdidaktische Position von einem Unterrichts- und einem Erziehungsauftrag des Schulsports ausgeht (vgl. Beckers, 2000, S. 86). Problematisch ist der Bezug beider Aspekte aufeinander: die Erziehung soll nicht ausgeblendet werden und der Sport auch nicht verfremdet. Hinzu tritt die schwierige Situation der Verwirklichung pädagogischer Ziele in den Strukturen der Institution Schule (vgl. Kapitel 3)

Entgegen zum Teil sehr radikaler Forderungen, den pädagogischen Anspruch des Sportunterrichts fallen zu lassen bzw. in radikal zu verändern, wie es von Cachay & Thiel (1996 in: Balz, 1997a, S. 10) vertreten wird, geht es anderen Autoren um kleinere und stetige, aber auch „bequemere“ Veränderungen (Balz, 1997a, S. 10). Dies betrifft die Verbesserung der Lehrpläne, die Lehrerausbildung, der Schulautonomie und der Schulsportwirklichkeit, um somit die Bedingungen einer Möglichkeit der Erziehung im und durch Sport zu begünstigen. Hierzu soll die nun weiter vorgestellte fachdidaktische Position dienen.

Angesichts der (wachsenden) gesellschaftlichen Probleme von Kindern und Jugendlichen, gilt es, die bisweilen unterbelichteten erzieherischen Dimensionen zu stärken. Die Mehrperspektivität hat auch für die erziehenden Konzepte des Sportunterrichts große Bedeutung. Allerdings gilt es den Problemen, die sich bereits in dem Konzept der Handlungsfähigkeit im Sport andeuten, Rechnung zu tragen. Es ist unklar, mit welchen sportimmanenten und mit welchen erzieherischen Ansprüchen die verschiedenen Perspektiven belegt werden können. Balz (1997a, S. 12) greift die Perspektive Gesundheit heraus und führen an, dass hierunter die Einführung in das Feld des präventiven Trainings oder die „erzieherische Auseinandersetzung mit bewegungsbezogenen Themen gesunder Lebensführung verstanden werden kann“ (ebd.). Für die Perspektive Gesundheit bedeutet dies, dass über das Trainieren lernen hinausgegangen werden kann und muss, will man erzieherische Anliegen verwirklichen. Es soll weiterhin auf gesundheitlich bedeutsame Belange des Sportunterrichts situativ eingegangen werden, bestimmte Themen im Bereich Sport und Gesundheit auch in gesonderten Unterrichtseinheiten (z.B. Projekte, Ausflüge, etc.) vertiefend behandelt werden und die gesundheitsorientierte Entwicklung der Institution Schule und des schulischen Alltags berücksichtigt werden.

Insgesamt ist die erzieherische Dimension zu stärken, auch und gerade im Hinblick auf die bereits erwähnte gesellschaftliche und individuelle Problemlage von Kindern und Jugendlichen, die nun an Beispielen verdeutlicht werden soll.

Einerseits bezieht sich dies auf einer allgemeinen Ebene auf den sich verschlechternden Gesundheitszustand der Kinder und Jugendlichen, sowie die sich wandelnden Bedingungen des Aufwachsens und der sich verändernden Lebenswelt der Kinder und Heranwachsenden, die in Kapitel 4.6 thematisiert werden. Andererseits müssen aber auch die sportspezifischen Probleme untersucht werden. Das Sporttreiben hat sich in unserer Gesellschaft gewandelt und ausdifferenziert. Eine Einheitlichkeit und Übersichtlichkeit ist kaum noch zu erkennen. Im Zeichen von Doping, Kommerzialisierung, Gewalt und Umweltzerstörung stellt sich immer mehr die Frage, ob Sport als förderliches Bezugsfeld des gleichnamigen Schulfaches überhaupt noch angebracht ist. Können erzieherische Ansprüche in einem derartigen Feld aufrechterhalten werden, oder soll eine neue, erweiterte inhaltliche Thematisierung und gegebenenfalls auch Umorientierung sich auch in einer neuen Begrifflichkeit widerspiegeln?

Trotz der massiven Problemfelder des außerschulischen Sports, gerade aus pädagogischer Sicht, soll die Hoffnung auf die Möglichkeit einer humanen Inszenierung sportlicher Aktivität, in und auch außerhalb der Schule nicht aufgegeben werden. Sport sollte jeweils auf seinen Sinn und Wert geprüft und gegebenenfalls verändert und angepasst werden. Hierzu können Modifizierungen bekannter sportlicher Aktivität und Sportarten, aber auch gänzlich neue Bewegungsarten einen Beitrag leisten. Allerdings scheint hierzu der Begriff Sport eine zu verkürzte Bestimmung zu sein (vgl. Kurz, 2000, S. 12). Tendenzen die zunehmend die Verwendung der Leitkategorie Bewegung fordern gewinnen zunehmend an Gewicht.

Hand in Hand mit der Wiederentdeckung der erzieherischen Potentiale des Sports, geht auch die Renaissance der Bildungstheorie. Ausgehend von der Forderung nach einer stärkeren pädagogischen Orientierung des Sportunterrichts sowie den jüngsten politischen Entwicklungen wird eine erneute Legitimationskrise des Faches Sport erkennbar, die die Rückbesinnung auf den Begriff der Bildung begünstigt (vgl. Beckers, 1997, S. 15).

Der Begriff Bildung war zeitweise und ist immer noch mit einer Inhaltsleere und Verschwommenheit belegt. Eine tiefgehende Analyse dieses Problemfeldes kann an dieser Stelle jedoch nicht geleistet werden, dennoch werden die Grundzüge der Entwicklung dargestellt, in der Hoffnung Orientierungspunkte für die Gegenwart und Offerten für die Zukunft zu entdecken. Dies geschieht an dem Beispiel der Institution Schule. Es sollen aber auch mögliche Schnittmengen in Bezug auf eine Kindersportschule ausgelotet werden.

Der oben beschriebene Prozess könnte verwundern, da die „realistische Wende“ (vgl. Kapitel 2.1.2), die in der fachdidaktischen Entwicklung die Orientierung an dem außerschulischen Sport darstellt, die Bildung als Leitkategorie verdrängte. Ausdruck findet dies in dem Wechsel der Begrifflichkeit; weg von der Bildung und dem Leib, hin zum Sport und einer pragmatischen Sportdidaktik, die ihr konsensfähiges Konzept in der Handlungsfähigkeit im Sport (vgl. Kapitel 2.2.3) findet. Wie kommt es nun aber zu der Neuorientierung an dem alten Begriff der Bildung?

Erstens sind Erziehung und Erziehungswissenschaft vor neue, große Aufgaben gestellt. Klafki (ebd., 16) sieht die Ursache in den „epochaltypischen Schlüsselproblemen dieser Welt“. Diese recht abstrakte Deutung, die wohl eher übergeordneten Charakter besitzt, versucht Beckers mit Leben zu füllen, indem er ihn auf die Ebene alltäglicher Probleme transformiert und dem Heranwachsenden vor allem Schlüsselqualifikationen vermitteln will, die ihm helfen sollen mit Widersprüchen umgehen zu können und alltägliche Lebenssituationen bewältigen zu können. Deren Vermittlung muss auch im Sportunterricht erfolgen, will er nicht seine Existenz gefährden. Dies leitet über zu einem weiteren Punkt.

Die Neukonzeption des Erziehungs- und Bildungswesens hat auch die Legitimationskrise des Faches Sport beeinflusst. Die pragmatische Leitidee Handlungsfähigkeit im Sport reicht nicht aus, um der von der Bildungskommission NRW geforderten Vermittlung von Wissen und Persönlichkeitsbildung zu genügen. Diese stärkere Orientierung an pädagogischen Richtlinien und Zielen scheint nach der realistischen Wende eine pädagogische Wende einzuleiten (vgl. Beckers, 1997, S. 16 ff.).

Unsere Gegenwart und die der Kinder und Heranwachsenden im Besonderen ist geprägt durch Werteverluste und Orientierungsunsicherheit. Merkmale sind eine wachsende Gewaltbereitschaft, auch im Umgang mit dem eigenen Körper und ein Prozess der Entindividualisierung (vgl. hierzu auch Kapitel 4.6 Lebenswelt der Kinder und Heranwachsenden), der seinen Ausdruck auch in der „instrumentellen Verwendung von Vernunft und Körper“ (ebd., S. 17) zeigt.

Beckers (1994, S. 59 in: Beckers, 1997, S. 17) sieht die gesellschaftliche und pädagogische Notwendigkeit, die Heranwachsenden in dem aufgrund von Orientierungs- und Sinnkrisen schwieriger gewordenen Prozess der Identitätsbildung zu unterstützen. Dies verweist auf die Notwendigkeit einer leiblichen Erziehung, die im Folgenden begründet wird. Es stellt sich daher nicht die Frage ob, sondern wie der Schulsport diesen Auftrag erfüllen kann. Als Voraussetzungen sieht Beckers (ebd.) eine neue realistische Wende zur Lebenswelt der Heranwachsenden, eine Wendung zum Subjekt, um sie durch Sport in der Entwicklung ihrer Ich-Identität in sozialer Verantwortung zu unterstützen. Dies setzt einen weiten Sportbegriff und breites Sportverständnis voraus, der die Erfahrung am und durch den Körper betont. Was wird nun aber unter Erziehung bzw. Bildung verstanden? Welche Notwendigkeit, welche Begründungsmuster lassen sich erkennen?

Litt (1963 in: Beckers, 1997, S. 19) sieht Bildung als „jene Verfassung des Menschen…, die ihn in den Stand setzt, sowohl sich selbst als auch seine Beziehung zur Welt in Ordnung zu bringen“. Bildung kann nur in der tätigen Auseinandersetzung mit der konkreten Lebenswelt geschehen. Der Mensch soll sich in dieser Wendung zu äußeren Dingen nicht selbst verlieren, sondern „zur Erkenntnis der gesellschaftlichen Bedingungen seines individuellen Lebens gelangen“ (vgl. Humboldt, 1965, S. 26 in: Beckers, 1997, S. 19).

Ein Bildungspotential des Sports liegt in der Aufbereitung des Sports für den Unterricht, der auf die aktuelle Lebenswelt und deren Bewältigung zielt. Sport wird als Medium pädagogischer Intention angesehen, wie andere Fächer auch.

Das vorgestellte Bildungsverständnis geht sehr stark von dem Subjekt und seinen Erfahrungen, die es selbst verarbeitet, aus. Hier deutet sich die Gefahr der Beliebigkeit an. Die Gefahr der Verwechslung von Individualität mit Narzissmus und Egozentrik, wie es beispielsweise die Fitness-Welle im außerschulischen Sport sehr gut belegt. Die Aufgabe besteht nach Beckers (vgl. ebd., S. 20) darin, das „Subjekt zu einer Selbstgestaltung mit individueller Sinngebung innerhalb sozialer Verantwortung zu befähigen“. „In diesem Zusammenhang vollzieht sich Bildung vor allem durch die Lebenswelt“ (Humboldt in: Beckers, 1997, S. 20). Hieran lässt sich nun die besondere Bedeutung des Sportunterrichts aufzeigen, der über die „Sensibilisierung von Wahrnehmung zur Ordnung des Erfahrenen führen will“(ebd., S. 20). Damit wird „die Möglichkeit eröffnet, einen eigenen Standpunkt, eine erweiterte Perspektive zu gewinnen, die bei der Gestaltung des Lebens hilft“ (ebd.).

Die Erweiterung der Perspektiven im Bildungsprozess soll durch die Sensibilisierung bzw. die Lenkung des Wahrnehmungsprozesses eingeleitet werden. In diesem Sinne wird Bildung als aisthetische Bildung verstanden. Aisthesis meint die sinnliche Wahrnehmung, die die reale Lebenswelt in den Mittelpunkt stellt. Bezugspunkt ist das Subjekt und seine Möglichkeiten des Erfahrens und Gestaltens. Sinnlichkeit meint in diesem Zusammenhang „ein eigenständiges Erkenntnisorgan, mit dem Einzigartigkeit, Vielfalt und Mannigfaltigkeit der Phänomene festgestellt werden kann“ (Aissen-Crewett, 1990, S. 77ff. in: Beckers, 1997, S. 22). Ihre Restauration dient in der technisierten Welt der Möglichkeit, wieder primäre Erfahrungen zu sammeln (Beckers, 1997, S. 21).

Diese recht abstrakte Deutung gewinnt an inhaltlicher Schärfe, wenn man die Sinnlichkeit im Gegensatz zur logischen Erkenntnis oder dem dogmatischen Vernunftgebrauch sieht, die die Wahrnehmung eingrenzen und die Sinnlichkeit gleichzeitig als eigenständige Instanz neben der rationalen Erkenntnis platziert. Voraussetzung hierfür ist die Offenheit gegenüber den Phänomenen, die uns begegnen und die Bereitschaft, sich diesen Erfahrungen zu stellen (vgl. ebd.). Daher stehen im Mittelpunkt eines Unterrichts, der eine Erweiterung dieser Perspektive anstrebt, das Subjekt, sein Körper und Bewegung. Dies kennzeichnet die herausgehobene Stellung und die Möglichkeit des Sportunterrichts (Beckers, 1997, S. 22). Allerdings reicht die Wahrnehmung alleine nicht aus, sie muss verarbeitet werden. Erst die Verarbeitung beendet den Bildungsprozess.

Aissen-Crewett (1990, S. 89 in: Beckers, 1997, S. 23) führt an, dass Bildungsfähigkeit aber Erfahrungsfähigkeit voraussetzt. Doch gerade die Erfahrungsfähigkeit geht in unserer modernen Welt zunehmend und ist schon weitgehend verloren. Es muss daher „die Fähigkeit restauriert werden, Erfahrungen zu machen“ (Adorno, 1973, S. 122 in: Beckers, 1997, S. 23). Nun ist aber der Körper, wie Schmidt-Millard (1995 in: Beckers, 1997, S. 23) nachgewiesen hat, als „Handlungszentrum nicht selber Gegenstand irgendwelcher Erfahrungen, … sondern er ist wesentlich das Bezugszentrum der Gegenstands- und Welterfahrung“ (ebd.). Wie aber wird die „aisthetische Erfahrung“ von Nutzen für den Bildungsprozess? Die Erfahrungen müssen in eine Ordnung gebracht werden, um so den Weg von der Erfahrung zur Erkenntnis und sogar zur Gestaltung zu bereiten.

Um das Erfahrene zur Gestaltung der eigenen Lebenswelt nutzen zu können, müssen Bezugspunkte gesetzt werden, die bestimmt sind aus gesellschaftlichen aber auch subjektiven Bewertungen. Daher ist es Aufgabe des Erziehers, „in den Lebensumständen Heranwachsender normative Setzungen zu verankern, die dem Gedanken der humanen Gestaltung in demokratischer Verfassung verpflichtet sind“ (Beckers, 1997, S. 24), um so einer Beliebigkeit vorzubeugen.

Dieser Exkurs dient der Abrundung der Bildungsthematik, ohne sie vollständig greifen zu können. Es sollten die Möglichkeiten aufgezeigt werden, die im Sport vorzufinden sind. Im Weiteren wird wieder der konkrete Bezugspunkt Sportunterricht gesucht, da neben der zum Teil sehr abstrakten, aber notwendigen theoretischen Begründung zur Rahmengestaltung eines fachdidaktischen Konzepts, die sportimmanenten Möglichkeiten ausführlicher betrachtet werden sollen.

2.2.4.1 Sport und Bildung

Beckers (1997, S, 25ff.) sieht die Notwendigkeit einer leiblichen Erziehung als Grundlage für einen Bildungprozess. Er begründet diese Annahme mit den Bildungspotentialen des Sportunterrichts, die sich in zwei Argumentationen verdichten. Einerseits in einer anthropologischen Begründung, andererseits in einer kulturell-gesellschaftlichen Analyse des Sports und seiner Auswirkungen auf das Selbst- und Weltbild.

[...]


[1] Ausführliche Darstellung erfährt der kategoriale Bildungsbegriff in Klafki(1963, insbesondere S. 293ff.). Der kategoriale Bildungsbegriff will die materiale und formale Bildung überwinden.

[2] Die früher allgemein formulierten Erziehungsziele, schienen besonders aus Sicht der Curriculumtheorie ungenügend, weil ihre Realisierbarkeit im Unterricht kaum überprüfbar war. Mit der Einführung des Begriffes Lernziel war die Intention verbunden, Ziele im Hinblick auf das Ergebnis des Lernprozesses überprüfbar zu formulieren (Lernzielkontrolle). Es wird allerdings auch Kritik an dem Begriff Lernziel geübt, da es nur schwer operationalisierbare Konstrukte, wie z.B. ästhetische Eindrücke gibt und die der Vorstellung eines (engen) Lernzielverständnisses folgende „geschlossene“ Unterrichtsgestaltung, zunehmend durch eine offene Unterrichtsplanung ergänzt und mehr und mehr abgelöst wird (vgl. Röthig, 1992, 290, 291).

Ende der Leseprobe aus 112 Seiten

Details

Titel
Entwicklungsversuch eines sportdidaktischen Konzepts einer Kindersportschule
Untertitel
Unter besonderer Berücksichtigung gesundheitspädagogischer Aspekte
Hochschule
Universität Bielefeld
Note
2,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
112
Katalognummer
V61970
ISBN (eBook)
9783638553087
ISBN (Buch)
9783656247005
Dateigröße
2333 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Kindersportschulen boomen zur Zeit in Deutschland: Wie sieht es aber mit der Qualitätssicherung in diesem Bereich aus? In dieser Arbeit werden die wenigen bestehenden Konzepte (KISS) analysiert und krtisch reflektiert. Neben der Betrachtung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen bildet dies den Ausgangspunkt der konzeptionellen Entwicklung eines eigenen Konzepts.
Schlagworte
Entwicklungsversuch, Konzepts, Kindersportschule, Berücksichtigung, Aspekte
Arbeit zitieren
Benjamin Hanna (Autor:in), 2003, Entwicklungsversuch eines sportdidaktischen Konzepts einer Kindersportschule , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/61970

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