Das Problem sozialer Gerechtigkeit in der ökonomischen Theorie


Seminararbeit, 2004

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Gliederung

Das Problem sozialer Gerechtigkeit in der ökonomischen Theorie

1 Einführung

2 Gerechtigkeitsverständnis im Wandel der Zeit
2.1 Suum Cuique & Nikomachische Ethik – gerechtigkeitstheoretische Wurzeln
2.2 Scholastische Weiterentwicklung
2.3 Von Gerechtigkeit, Gleichheit und Glück - Utilitarismus
2.4 Wohlfahrtstheorie

3 John Rawls – Gerechtigkeit als „Fairness“
3.1 Urzustand und der Schleier des Nichtswissens
3.2 Gerechtigkeits-, Unterschiedsprinzip und Maximin-Strategie
3.3 Achillessehnen des Rawlsschen Systems - kritische Positionen

4 Verteilungsprinzipien als Rohbau sozialer Gerechtigkeit
4.1 Leistungs-, Start-, Bedarfsgerechtigkeit und Sozialprinzip
4.2 Zwischen Szylla und Charybdis – Eine Gegenüberstellung

5 Praxismodelle staatlicher Einwirkung
5.1 Die staatliche Umverteilungspolitik
5.2 Inzidenzanalyse ausgewählter Steuern
5.3 Staatliche Sicherungspolitik

6 Herausforderung Globalisierung – eine Schlussbetrachtung

7 Literaturverzeichnis

Das Problem sozialer Gerechtigkeit in der ökonomischen Theorie

Einführung

Eine Parabel: U ist auf der Suche nach einer wissenschaftlichen Hilfskraft und lädt auf die Ausschreibung hin A, B und C zu Vorstellungsgesprächen ein. U stellt fest, dass A, B und C indifferent in ihrem Bestreben sind, die Stelle zu bekommen. Ebenso schätzt U die von A, B und C zu erwartende Arbeitsleistung pro Lohneinheit gleichwertig ein. Unterschiede stellen sich nur wie im Folgenden beschrieben dar: Alle drei Aspiranten sind arm, A jedoch der Ärmste. B hingegen ist zwar reicher als A, verarmte jedoch erst in letzter Zeit. Da A und C sich schon an die Armut gewöhnt haben ist B daher der Unglücklichste unter den Dreien. U erfährt im Gespräch mit C, dass dieser unter einer chronischen, stoisch ertragenen Krankheit leidet und mit dem HiWi-Lohn eine heilende Therapie bezahlen könnte [vgl. Sen (1999, S.71f.)].

Es ist unschwer von diesem Beispiel abzuleiten, wie sehr das Problem einer gerechten Entscheidung abhängig von den ihr zugrunde liegenden Informationen und der individuellen Gewichtung einzelner Aspekte dieses Informationspools ist. So ist im vorliegenden Fall A aus Gesichtspunkten ausgleichender materieller Gerechtigkeit der Job zuzusprechen. B hätte ihn nach einer klassisch utilitaristischen Argumentationsweise gemäß Lust und Glück als Gerechtigkeitsmaßstab verdient. C hingegen sollte den Zuschlag bekommen, orientierte sich U an Gerechtigkeitsvorstellungen bezüglich der Lebensqualität von Menschen.

Seitdem Menschen in gemeinsamer, aber unterschiedlicher Anstrengung und Leistungsfähigkeit Güter produzieren und Dienstleistungen erbringen, stellt sich die Frage nach dem Verfügungsrecht der Beteiligten an dem Arbeitsergebnis, dem Sozialprodukt. Je arbeitsteiliger der Produktionsprozess, je unterschiedlicher die Leistungsbeiträge nach Art, Qualität und Quantität, je heterogener die Gesellschaftsstruktur, desto dringlicher stellt sich die soziale Frage - das Problem der gerechten Verteilung von Lasten und Erträgen dieser Zusammenarbeit.

Die der Arbeit zugrunde liegende Kapazitätsrestriktion von 15 DIN A4 Seiten lassen dem Autor die Wahl zwischen der Darstellung von Eisbergspitzen einzelner Themenbereiche oder vieler weißer Flecken bei der Behandlung der Thematik. In vorliegender Arbeit wurde daher versucht zu Gunsten des Anspruches auf Vollständigkeit und zu Lasten wissenschaftlicher Detailtiefe einen Kompromiss zu finden. Aufgrunddessen wird wohl der eine Leser Abraham Maslow, der andere Adam Smith und der Dritte vielleicht das Höhlengleichnis in dieser Arbeit vermissen. Außerdem ist anzumerken, dass - nach Ansicht des Autors - zu einer hinreichenden Analyse und Bewertung der Frage, wie Soziale Gerechtigkeit mit ökonomischen Problemstellungen in Symbiose gebracht werden kann, eine Darstellung philosophischer, politischer und zeitgeschichtlicher Zusammenhänge der Dogmenhistorie Sozialer Gerechtigkeit auch in einem volkswirtschaftlichen Pamphlet unerlässlich ist. Insofern sei im Hinblick auf ein ganzheitliches Ergebnis der anfänglich eher sozialphilosophische Ansatz dieser Arbeit nachzusehen.

Gerechtigkeitsverständnis im Wandel der Zeit

Abbildung in ieser Leseprobe nicht enthalten

[Abb.1] Institut der deutschen Wirtschaft Köln (2003), Deutschland in Zahlen, Köln.

„Soziale Gerechtigkeit ist, dass jeder nach seinen Fähigkeiten leben kann und nach seinen Möglichkeiten unterstützt wird“ [Bundeskanzler Gerhard Schröder, Parteitag Bochum am 17.11.2003]. Sowohl diese Aussage als auch die nebenstehende Grafik erlauben Einsicht in theoretische und praktische Divergenz materieller Verteilungsgerechtigkeit in der BRD (der Mikrozensus und die empirische Sozialforschung bedienen sich der Schichtung einer Bevölkerung in Quintile. Hierbei wird die Fünfteilung der Population eines Landes vorgenommen, orientiert an Reichtum oder Einkommen der untersuchten Gruppen). Was ist Gerechtigkeit? Existieren außer Materialismus noch weitere Einflussgrößen und wenn, wie sind diese quantifizierbar? „Alles nun, was ihr wollt, das euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch! Das ist das Gesetz und die Propheten.“ [Matthäus Evangelium (7,12)]. Ohne dabei in die Versuchung zu geraten, Kant als Plagiat des Neuen Testaments abzuschmettern, tritt in dieser Definition sowohl die äußerst lange Halbwertszeit als auch der stark subjektive Charakter des Begriffs Gerechtigkeit zutage. Nachfolgend wird ein Überblick über die Entwicklungsgeschichte der Gerechtigkeit gegeben.

1.1 Suum Cuique & Nikomachische Ethik – gerechtigkeitstheoretische Wurzeln

Im römischen Gerechtigkeitsdiskurs um das Suum Cuique (Jedem das Seine) schreibt der Jurist Ulpian 200 n.Chr.: “Gerechtigkeit ist der beständige und dauerhafte Wille, jedem sein Recht zuteil werden zu lassen“ [Herfeld (2001, S.119)]. Suum Cuique ist insofern allerdings zweistufig zu betrachten, als es zum Einen um die Zuweisung von Rechten, zum Anderen vor allem um deren Erfüllung geht. Suum Cuique ist vor dem Hintergrund eines nach Bedürfnis, Leistung oder Aufwand differenzierten Suum auch heute noch als elementarer Gerechtigkeitsgrundsatz, insbesondere in der katholischen Soziallehre, anerkannt – zeitweilig jedoch auch von gesinnungsverwandten politischen Parteien in seiner Bedeutung mehr oder weniger vage ausgelegt.

Wesentlich differenzierter argumentiert Aristoteles in seiner Nikomachischen Ethik. Das Ganze existiert für ihn früher als das Einzelne und demzufolge steht der Staat vor dem Individuum [vgl.Kramer (1992, S.29ff.)]. Die Iustitia Legalis, die Gesetzesgerechtigkeit , unterscheidet er von der Iustitia Particularis. Wie der Einzelne Teil des Ganzen ist, so ist die partikulare Gerechtigkeit auch Teil der Vollkommenen. Iustitia Particularis spaltet sich weiter in Iustitia Distributiva, Lehre der Gerechtigkeit im freien Wirtschaftsverkehr, und Iustitia Commutativa, Lehre der Verteilungsgerechtigkeit. Es lässt sich also schlussfolgern, dass gemäß legaler Gerechtigkeit in der Nikomachischen Ethik der Bürger dem Staat als Ganzes verpflichtet ist. Legale Gerechtigkeit ist soziale Gerechtigkeit. Analog dazu ist auch der partikularen Gerechtigkeit ein enger Bezug zur sozialen Gerechtigkeit zuzusprechen. Geht es bei der Iustitia Distributiva um die Zuteilung von Seiten der Gemeinschaft an das einzelne Mitglied, so dient die Iustitia Commutativa über den Umweg der Selbstgenügsamkeit eher sozialer Wohlfahrt [vgl.Kramer (1992, S.37f.)].

1.2 Scholastische Weiterentwicklung

Abbildung in ieser Leseprobe nicht enthalten

[Abb.2] Rechtsverhältnisse nach Thomas von Aquin

Da der Mensch in der Gemeinschaft von Menschen lebe, sei der Einzelne auch dem Ganzen gegenüber verpflichtet, argumentiert der Scholastiker Thomas von Aquin in seiner mehrbändigen Abhandlung Summa Theologica. „Das Gut jeder Tugend kann in Beziehung gesetzt werden zum Gemeinwohl, sei es jene, die den Menschen zu sich selbst ordnet, sei es jene, die seine Beziehung ordnet zu irgendwelcher anderen Einzelperson. Darauf zielt die Gerechtigkeit“ [Thomas von Aquin, II-II, 58,5 Bd. 18, S.33]. Die Gesetzesgerechtigkeit ist nach diesem Verständnis die höhere Tugend, ihrem Wesen nach verschieden von allen anderen und leitet alle auf das eine Ziel des Gemeinwohls hin. Deutlich von der Gemeinwohlgerechtigkeit zu unterscheiden steht die Einzelgerechtigkeit nach Aquin aber gleichsam keineswegs im Widerspruch zu dieser. Eine Einzelgerechtigkeit sei nicht die Gerechtigkeit, die ein einzelner besäße, sondern seine Gerechtigkeit gegenüber einem anderen und die „des Ganzen zu Teilen“ [Thomas von Aquin, II-II, 61,1 Bd. 18, S.469]. Getreu nach Aristotelischer Lehre entwickelt auch von Aquin die Differenzierung von Iustitia Commutativa und Iustitia Distributiva (Abb. 2). Die ausgleichende Gerechtigkeit als Ausprägung der Ordnung vom Teil zum Teil (privatrechtliche Beziehung) auf der einen Seite, die austeilende Gerechtigkeit vom Teil zum Ganzen (verhältnisbestimmende Beziehung) auf der anderen. Der eklatante Unterschied von Aquin’s Gerechtigkeitsparadigma zu gegenwärtigen Betrachtungen liegt jedoch in der begrifflichen Trennung von austeilender- und Gemeinwohlgerechtigkeit. Wohingegen in der Neuzeit eine Art Verschmelzung beider Elemente stattfindet, lässt er eine Verhältnisinduktion vermissen. Ob „das Rechtsverhältnis zwischen Einzelmensch und Gemeinschaft immer der Rückorientierung an der Umwelt bedarf“ bleibt bei Aquin ungeklärt [Kramer (1992, S.43f.)].

1.3 Von Gerechtigkeit, Gleichheit und Glück - Utilitarismus

Man nehme an, Person A und Person B besitzen die gleichen Warenkörbe an Gütern. A ist mit der Ausstattung des Warenkorbes aufgrund seiner feudalen Biographie und seinem daraus resultierenden erlesenen Geschmack aber verglichen mit B unzufrieden – A liegt also (im ökonomischen Terminus) auf einem geringeren Nutzenniveau als B. Liegt in dieser Gleichheit der Ausstattung gepaart mit der Ungleichheit des erreichten Nutzens also eine Ungerechtigkeit ?

„The greatest happiness of the greatest number is the foundation of morals and legislation“ [Bentham (1789, S.142)] wird oftmals als Kernsatz des Utilitarismus betrachtet. Jeremy Bentham (1748-1832), Moralphilosoph und Urvater des Utilitarismus, macht in der utilitaristischen Ethik die moralische Bewertung von Handlungen an ihren Folgen fest, wobei er als Kriterium für moralisch richtiges Handeln die Förderung des allgemeinen Nutzens - in unterschiedlichen Spielarten - ansieht. Die klassisch utilitaristische Formel ließe sich also als jede Entscheidung oder Handlung darstellen, die anhand der Gesamtmenge des von ihr erzeugten Nutzens zu beurteilen ist [vgl. Sen (1999, S.77)]. „Nature has placed mankind under the governance of two sovereign masters ,pain and pleasure. It is for them to point out what we ought to do, as well as to determine what we shall do“ [Bentham (1789, S.31)].

Das Nutzenprinzip ist Ausgangspunkt aller Überlegungen, jede Handlungsmaxime enthält hedonistisches Kalkül. Diese Überlegungen haben nicht nur die Ära der neoklassischen Ökonomie eingeläutet, sondern sind bis heute Grundlage jeder mikroökonomischen Präferenztheorie. Die Gerechtigkeitsdiskussion erhält mit dem Utilitarismus und dessen Vorstellung saldierter Freuden- und Leidensmomente eine völlig neue, extrem subjektive Dimension. Der Fokus liegt nun nicht mehr ausschließlich auf materiell zu verteilenden Gütern wie Besitz und Einkommen sondern orientiert sich ebenso an nicht Greifbarem wie Gesundheit, Freizeit, Selbstverwirklichung oder gar Glücksgefühlen. Es ist für die utilitaristische Perspektive beispielsweise bedeutungslos, ob der Nutzen eines sadistisch veranlagten hungernden Menschen durch Nahrungsmittelentzug oder durch Folterung einer reichen Person (also Auslebung der sadistischen Triebe der armen Person) erhöht wird. In beiden Fällen ist (ex-post gesehen) das Nutzenniveau jeder der beiden Personen gleich hoch, so dass der Utilitarismus indifferent zwischen beiden Möglichkeiten bleibt. [vgl. Kern (1994, S.172 f.)]. Nutzentheoretisch ist die Gesamtheit aller Menschen in einer ungerechten Gesellschaft eindeutig unglücklicher als sie sein könnte.

Utilitaristischen Ethiken wird häufig vorgeworfen, sie könnten die Forderungen der Gerechtigkeit nicht berücksichtigen. Dies liegt letztlich jedoch an Mess- und Gewichtungsproblematiken nutzentheoretischer Überlegungen. Zu evaluieren, ob diejenigen, die von Familie und Umwelt zu sozialem Verhalten, Kunstverständnis, materieller Anspruchslosigkeit usw. erzogen wurden, gegenüber denen im Vor- oder Nachteil sind, die aufgrund andersartiger Erziehung und Erfahrung ihre ganze Energie in beruflichen Erfolg, Macht und Vermögen gesetzt haben, ist utilitaristisch betrachtet unmöglich [vgl. Koch (1982, S.136 f.)]. Was nach leistungsprinzipiellen Kriterien objektiv auf einer höheren Qualitätsebene einzustufen ist, stellt für den Utilitaristen schlichtweg ein Objektivierungsproblem dar. Ebenso führen unterschiedliche Präferenzen gegenüber Arbeit und Freizeit, Spar- und Investitionsneigung, Mobilitäts- und Risikobereitschaft zu differierenden Vorstellungen von einem glückseligen oder nutzenmaximalen Leben. Die objektive Unvergleichbarkeit in der Präferenztheorie wirft mit der Beantwortung einer Frage 100 neue auf. Will man Präferenzen einordnen oder bewerten muss man wissen wieso sie existieren – Erbmasse, Sozialisation oder Schichtbewusstsein?

„Geld allein macht nicht glücklich“ sagt der Volksmund – und irrt. Nach einer Studie des statistischen Bundesamtes liegt der Anteil der Glücklichen im untersten Einkommensgruppenquintil bei 67%, im obersten hingegen bei 94% (Abb.3). Dieser Anstieg nimmt aufgrund des sinkenden Grenznutzens der Glücksvariable Haushaltseinkommen mit steigendem Einkommen ab. Ebenso korrelieren diese zwei Variablen mit steigendem Bildungsgrad schwächer. Ähnliches wurde bei den weiteren Glücksindikatoren Kinderzahl, Gesundheit und Freundeskreis festgestellt. Hier stellen sich also die entscheidenden Fragen: Welcher Anteil am, nach utilitaristischen Gesichtspunkten evaluierten Glückseligkeitsniveau, ist materiell bedingt? Ließen sich sozio-strukturelle Ungleichheiten durch redistributive Maßnahmen ausgleichen, wenn die hierfür relevanten Variablen G leichheit und Gerechtigkeit subjektiv unterschiedlich empfunden werden und daher völlig unoperationalisierbar sind? Wie kann man sich über den Grad der Zielerreichung unterhalten wenn die Zielgröße an sich schon nicht bestimmbar ist?

Abbildung in ieser Leseprobe nicht enthalten

[Abb.3] Statistisches Bundesamt (2002), Datenreport 2002, Bonn.

1.4 Wohlfahrtstheorie

„The conventional starting point for economic theory is the social welfare maximisation problem. The aim of policy is to maximise social welfare subject to three basic constraints of tastes, technology and resources“ [Barr (1993, S.71)]. Im Lehrbuch funktioniert die Theorie von der simultanen Maximierung der Wohlfahrt von Individuen unter Berücksichtigung ihrer Präferenzen und Produktionsmöglichkeiten erstaunlich gut - sie führt unter der Annahme vollkommener Konkurrenz, Information auf allen Märkten und der Vernachlässigung von Transaktionskosten zu einer effizienten Allokation. Trägt man also den Kampf der Güterverteilung in einer Edgeworth-Box aus, so ergibt sich - bei gegebenen Informationen - eine Kontraktkurve aus allen pareto-optimalen Punkten. Aus der neoklassischen Wohlfahrtstheorie ergibt sich aber immer dann die Notwendigkeit praktischer Sozialpolitik, wenn ein bestimmter Punkt auf einer solchen Kontraktkurve realisiert werden soll. Welcher Punkt dies genau ist, hängt allerdings immer von normativen Verteilungszielen ab.

Somit gelangt man, verteilungstheoretisch gesehen, zum Kernproblem der wohlfahrtstheoretischen Überlegung bei dem Versuch der praktischen Anwendung. Die Wohlafhartstheorie trägt zwar dem Ziel der Wohlfahrtsmaximierung, nicht aber dem der gerechten Verteilung Rechnung und ist daher für befriedigende Lösungsansätze bei dem Problem der sozialen Gerechtigkeit in gewisser Hinsicht unbrauchbar.

John Rawls – Gerechtigkeit als „Fairness“

In seinem 1971 erschienenen Werk „A Theory of Justice“ läutete der amerikanische Moral- und Sozialphilosoph John Rawls eine Epoche gerechtigkeitstheoretischer Dogmengeschichte ein, welche deutliche Verzahnungen in sämtliche sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Bereiche aufweist. Aufbauend auf den wichtigsten Richtungen normativer Ethik entwickelt Rawls eine individualistische Theorie distributiver Gerechtigkeit. In seinem vertragstheoretischen Ansatz ist der zentrale Dreh- und Angelpunkt die Fairness – zum einen als Eigenschaft gesellschaftlicher Institutionen, zum anderen als sittliche Tugend der Individuen [vgl. Koch (1982, S.9)]. Der Satz „The two principles of justice … rule out even the tendency to regard men as means to another’s welfare“ [Rawls, Theory (1971, S.183)] verdeutlicht den entscheidenden Kritikpunkt der Rawlsschen Theorie an dem bis dato im wissenschaftlichen Gerechtigkeitsdiskurs als gültig angesehenen Utilitarismus. Rawlssche Gerechtigkeit steht also als fairer Ausgleichsmechanismus von Vor- und Nachteilen, Chancen und Risiken, Rechten und Pflichten utilitaristischem und wohlfahrtsmaximalem Denken gegenüber [vgl. Koch (1982, S.10)].

1.5 Urzustand und der Schleier des Nichtswissens

Rawls geht in seinem sehr egalitaristischen Gerechtigkeitsansatz von einer fiktiven gesellschaftlichen Konstruktion aus - dem Urzustand. „Die Menschen treten als gleichberechtigte, an ihren eigenen Interessen orientierte, rationale, ohne Neid handelnde Bürger in einen Entscheidungsprozess ein“ [Koch (1982, S.11)]. Hierbei ist zu beachten, dass der Rawlssche Urzustand nicht etwa dem Naturzustand bei Thomas Hobbes entspricht, bei dem anfängliche Ressourcen, natürliche Fähigkeiten oder körperliche Stärke antizipiert, bei Rawls hingegen durch den Schleier des Nichtwissens herausgerechnet werden. Die Subjekte verfügen über ein umfangreiches Wissen in sämtlichen Disziplinen menschlichen Interesses. Wichtig ist, die besondere Statik dieses Wissens zu erkennen. So sind jedem Subjekt seine persönliche Stellung in der Gesellschaft, seine soziale Herkunft, geistige, seelische oder körperliche Konstitution und seine individuelle Einordnung in den historischen Entwicklungsprozess unbekannt. „Im Urzustand sind faktisch alle Generationen vertreten“ [Rawls, Theorie (1975, S.325)]. Rawls versucht durch diese Konstruktion eines Schleiers des Nichtswissens nicht nur eine virtuelle Gesellschaft von Gleichen zu kreieren, er versucht vielmehr sämtliche (zufällig) gegebene natürliche oder gesellschaftliche Ungleichheiten auszumerzen und soziale Gerechtigkeit von Selbstgerechtigkeit zu sondieren. Der Urzustand ist folglich als hypothetisches Gefüge von Gleichheit, Vernunft, gegenseitigem Desinteresse, Gerechtigkeit, Schleier des Nichtswissens und vor allem einer absoluten Verbindlichkeit aller dieser Grundsätze gekennzeichnet.

[...]

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Das Problem sozialer Gerechtigkeit in der ökonomischen Theorie
Hochschule
Universität Hohenheim  (Lehrstuhl für Ordnungspolitik)
Note
1,3
Autor
Jahr
2004
Seiten
19
Katalognummer
V61912
ISBN (eBook)
9783638552622
ISBN (Buch)
9783638766852
Dateigröße
718 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Problem, Gerechtigkeit, Theorie
Arbeit zitieren
Diplomökonom Felix Genze (Autor:in), 2004, Das Problem sozialer Gerechtigkeit in der ökonomischen Theorie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/61912

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