Geister und arme Seelen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

24 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Entstehung des Arme Seelen-Glaubens
II.1. Tertullian
II.2. Augustinus
II.3. Gregor der Große
II.4. Entwicklung bis zum 12. Jahrhundert
II.5. Volkstümliche Auffassung und christliche Umdeutung

III. Erscheinungsbild der Armen Seelen

IV. Schuld und Buße

V. Erlösung

VI. Fazit

VII. Literatur

I. Einleitung

Mit dieser Arbeit soll der Versuch unternommen werden, die im Mittelalter entstandene Vorstellung von den Armen Seelen darzustellen.

Der mittelalterliche Mensch hatte umfangreiche Vorstellungen von den Toten und dem Leben nach dem Tod. Die Toten konnten nach der Vorstellung des Volkes auch nach ihrem Verscheiden in die Welt der Lebenden zurückkehren. Vielfach trieben Wiedergänger oder Geister ihr Unwesen. Aber auch verstorbene Ahnen konnten zurückkehren und ihren Nachfahren hilfreich zur Seite stehen.

Nun kollidierte aber die volkstümliche Vorstellung von einem körperlich agierenden Toten mit der kirchlichen Lehre, die eine Trennung von Körper und Seele propagierte; die Kirche musste also auf die volkstümlichen Vorstellungen reagieren und versuchte, die Totenerscheinungen in einen Arme Seelen-Glauben umzuwandeln. Der erste Teil dieser Arbeit versucht, die Entstehung dieses Glaubens zu skizzieren.

Die folgenden Teile der Arbeit beschäftigen sich mit den Armen Seelen an sich: Über das Erscheinungsbild der Armen Seelen in den christlichen Quellen und den volkstümlichen Sagen soll gleichzeitig die Vermischung dieser beiden Strömungen aufgezeigt werden. Weiterhin soll geklärt werden, wie es zu dem leidenden Aspekt der Armen Seelen kommt und welche didaktische Intention von Seiten der Kirche dadurch vermittelt werden sollte. Und schließlich wird sich der letzte Teil mit der Erlösung der Armen Seelen befassen.

Bei der Bearbeitung werden die christlichen Quellen genauer betrachtet, während die volkstümlichen Sagen nur angedeutet werden, da diese nicht genau zu fassen sind. Allerdings geben die Sagen zumindest eine Andeutung, wie die Vorstellung im Volk aussah und welche Elemente in die christliche Lehre eingegangen sind.

II. Entstehung des Arme Seelen-Glaubens

In der mittelalterlichen Sagenwelt war die Vorstellung, dass sich die Toten des Nachts erheben und unter den Lebenden wandeln könnten, weit verbreitet[1]. Diese Vorstellung widersprach allerdings den Kirchendogmen, die besagten, dass die Seele unmittelbar nach dem Tod den Körper verlasse und vor den Richtstuhl Gottes trete, um dort ihr Urteil zu empfangen[2]. Dem zufolge bleibt im Grab nur das zurück, was verweslich ist am Menschen[3]. Die kirchliche Lehre musste also auf die alten heidnischen Vorstellungen des Volkes reagieren:

II.1. Tertullian

Schon Tertullian verweigert in seinem Werk de anima, welches zwischen 210 und 211 n. Chr. entstanden ist, die Existenz von Totenerscheinungen[4]. Zwar weiß auch Tertullian von sich bewegenden Leichnamen, aber dies ist für ihn kein Anzeichen für eine Anwesenheit der Seele im Körper. In einem seiner Beispiele sagt er:

„Es besteht auch jener Bericht bei den unsrigen, daß auf einem Friedhof ein Leichnam für einen anderen, der neben ihn gelegt werden mußte, Platz machte, indem er zurückwich. Wenn auch bei den Heiden etwas derartiges überliefert ist, so können wir sagen, daß überall Gott die Zeichen Seiner Macht zeigt, den Seinigen zum Trost, denen, die ihm fremd sind, zu einem Zeugnis […] Woher jene Fälle auch herrühren, jedenfalls sind sie eher als Zeichen und Wunder zu betrachten, und sie können nicht die Regel bilden[5].

Tertullian begründet in seinem Werk vielmehr die Auffassung, dass umherziehende Tote Dämonen oder vom Teufel besessene Körper seien. Der erscheinende Tote ist vielmehr ein Abbild, eine Phantasmorgie, eine Sinnestäuschung, Betrug oder Wahn[6]. Tertullian beschreibt dies folgendermaßen:

„[…] So werden zwar die frühzeitig und gewaltsam Verstorbenen angerufen mit dem Grund für diesen Glauben, daß es sehr wahrscheinlich ist, daß jene Seelen vor allem zu Gewalt und Unrecht mithelfen, die ein allzu frühes Ende durch Gewalt und Unrecht dem Leben entriß, wie zur Vergeltung des erlittenen Unrechts […]

Es sind aber die Dämonen, die hinter der Erscheinung dieser Verstorbenen wirken, und diejenigen vor allem, die in ihnen zu einer solchen Todesart getrieben hatten […]

So wohnt auch in jener anderen Magie, welche, wie man meint, die schon zur Ruhe eingegangenen Seelen der Unterwelt entreißt und sie den Blicken dartut, genau dieselbe Kraft des Betrugs. Gewiß, sie macht einen tieferen Eindruck, weil auch ein Scheinbild geliefert wird, weil auch ein Körper dazu geliefert wird: Es ist auch für Jenen nicht schwer, die äußeren Augen zu täuschen, der ganz ohne Mühe die innere Sehkraft des Geistes blenden kann […]“ [7].

II.2. Augustinus

Den nächsten Schritt in der Beschreibung von Totenerscheinungen macht Augustinus. In seiner Abhandlung Von der Totenfürsorge (De cura gerenda pro mortuis), die zwischen 421 und 424 entstand, befasst sich Augustinus mit denselben Themen wie Tertullian, nur kommt er zu einwenig anderen Ergebnissen[8]. Für Augustinus sind die Totenerscheinungen vielmehr in das Reich der Träume einzuordnen:

„Es wird berichtet, daß einige Verstorbene entweder in Träumen oder auf irgendeine Weise Lebenden, die nicht wussten, wo deren Leichen unbestattet lagen, erschienen seien und ihnen den Platz gezeigt, und sie aufgefordert hätten, ihnen die noch ausstehende Bestattung zuteil werden zu lassen. Wollten wir nun antworten, daß solche Erscheinungen auf Irrtum beruhen, so hätte es den Anschein, als widersprächen wir mit ungebührlicher Dreistigkeit den schriftlich niedergelegten Zeugnissen christlicher Autoren und zweifelten an der Beobachtungsgabe derer, die behaupten, solche Erscheinungen erlebt zu haben. Die richtige Antwort ist, daß man nicht deshalb, weil die Toten anscheinend solches in einem Träume sagen oder zeigen oder fordern, glauben muß, daß sie selbst dessen gewahr sind. Denn auch Lebende erscheinen oft Lebenden im Schlafe […]“[9]

Für Augustinus ergibt sich nun die Möglichkeit und sogar die Wahrscheinlichkeit der Totenerscheinungen; er schreibt weiter:

„Was wundert es denn, wenn Verstorbene, ohne selbst etwas davon zu wissen oder zu empfinden, von Lebenden im Traume gesehen werden und Dinge sagen, die sich beim Erwachen als zutreffend erweisen?“[10]

Somit die Beteiligung des Toten am eigenen Erscheinen verleugnet und die Ursache auf den Lebenden zurückgeführt. Dennoch bleibt die Frage wie können uns die Toten erscheinen? Augustinus sieht dafür Engel verantwortlich, die dem Menschen etwas mitteilen wollen[11].

Es bleibt festzuhalten, daß mit Tertullian, und in dessen Nachfolge mit Augustinus, die heidnischen Totenerscheinungen ihre Körperlichkeit verloren haben. Sie sind von nun an Abbilder, die keine Seele und keinen Leib mehr haben und nur in Träumen ihr Unwesen treiben. Eine Neuerung im Werk Augustinus ist, dass dieser auf die Nützlichkeit von Fürbitten für die Verstorbenen, d.h. Messen, Gebete und Almosen, eingeht, was in späteren Zeiten großen Einfluss auf den Arme Seelen-Glauben haben wird[12].

II.3. Gregor der Große

Gregor der Große (540-604) übernimmt die augustinische Lehre in seine Dialogi, die er anhand von Anekdoten und exempla illustriert. Er beschreibt ausdrücklich die Wirkung von Fürbitten und lässt beispielhaft zahlreiche Tote auftreten, die als Arme Seelen gelten[13]. In einem seiner exempla beschreibt Gregor die Begegnung von Germanus, dem Bischof von Capua, mit dem verstorbenen Paschasius, dem Diakon des heiligen Stuhls. Paschasius ist in einem Thermalbad[14] als Badehelfer tätig und auf die Frage Germanus’ Frage antwortet er:

„Ich wurde deshalb an diesen Ort der Bestrafung gebannt, weil ich Partei für Laurentius, den falschen Papst, und gegen Symmachus ergriff. Aber ich bitte dich bei Gott, für mich Fürbitte einzulegen. Wenn du wieder hierherkommst und mich nicht mehr siehst, weißt du, daß dein Gebet erhört wurde […]“[15].

Gerade das Büßen für begangene Sünden nimmt in Gregors Werk einen großen Raum ein, damit greift er auch auf die späteren Vorstellungen von den büßenden Armen Seelen vor[16].

II.4. Entwicklung bis zum 12. Jahrhundert

Bis zum 12. Jh. übernahmen viele christliche Autoren die Lehren Augustinus’ und Gregors des Großen: Zentrales Thema der Schriften über die Toten ist die Hilfe der Lebenden für die Toten[17].

Besonderen Ausdruck findet diese Haltung im Rahmen des Cluniatenserordens, dessen Abt Odilo um 998 das Allerseelenfest einführte, welches dem Gedenken aller Verstorbenen, nicht nur der eigenen Gemeinschaft, dienen sollte[18]. Teil dieses Festes war auch eine öffentliche Messe für alle Armen Seelen, um diesen die Erlösung zu bringen[19].

[...]


[1] Rosenfeld, Hellmut: Der mittelalterliche Totentanz. Entstehung. Entwicklung. Bedeutung, Köln 1968, S. 44. Im Folgenden zitiert als: Rosenfeld: Totentanz.

[2] Braunfels, Wolfgang: Art. Fegfeuer, in: Lexikon f. Theologie und Kirche (1960) 4, Sp. 53.

[3] Rosenfeld, Hellmut: Totentanz, S. 44.

[4] Lecouteux, Claude: Geschichte der Gespenster und Wiedergänger im Mittelalter, Köln 1987, S. 49. Im Folgenden zitiert als: Lecouteux: Wiedergänger

[5] Tertullian, De anima 51,6-8. Zitiert nach: Lecouteux: Wiedergänger, S. 50.

[6] Lecouteux: Wiedergänger, S. 51.

[7] Tertullian, De anima 57,1-6. Zitiert nach: Lecouteux: Wiedergänger, S.51.

[8] Lecouteux: Wiedergänger, S. 52.

[9] Zitiert nach: Lecouteux: Wiedergänger, S. 53.

[10] Zitiert nach: Lecouteux: Wiedergänger, S. 53.

[11] Lecouteux: Wiedergänger, S. 53.

[12] Lecouteux: Wiedergänger, S. 54f.

[13] Lecouteux: Wiedergänger, S. 55f.

[14] Thermalbäder waren nach der Vorstellung jener Zeiten Orte der Peinigung (Lecouteux: Wiedergänger, S. 56).

[15] Gregor der Große, Dialogi IV, 55. Zitiert nach: Lecouteux: Wiedergänger, S. 55.

[16] Lecouteux: Wiedergänger, S. 56.

[17] Lecouteux: Wiedergänger, S. 56.

[18] Wollasch, Joachim: Cluny. Licht der Welt. Aufstieg und Niedergang der klösterlichen Gemeinschaft, Düsseldorf 1996, S. 119. Im Folgenden zitiert als: Wollasch: Cluny.

[19] Wollasch: Cluny, S. 122.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Geister und arme Seelen
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum
Veranstaltung
Tod im Mittelalter
Note
1,5
Autor
Jahr
2004
Seiten
24
Katalognummer
V61790
ISBN (eBook)
9783638551663
ISBN (Buch)
9783638753074
Dateigröße
518 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Geister, Seelen, Mittelalter
Arbeit zitieren
B.A. Marco Schulz (Autor:in), 2004, Geister und arme Seelen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/61790

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