Paradieslandschaften bei Roelant Savery und anderen niederländischen Meistern des Vorbarocks


Examensarbeit, 2004

59 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


GLIEDERUNG:

1. Einleitung
1.1. Persönlicher Zugang und Intention der vorliegenden Arbeit
1.2. Begriffsbestimmung: Paradies

2. Das Leben Roelant Saverys
2.1. Kurzbiografie
2.2. Exkurs: Der Hof Kaiser Rudolfs des Zweiten in Prag

3. Bildanalyse: Saverys Gemälde „Das Paradies“ von 1626
3.1. Bildbeschreibung – kompositorischer Aufbau
3.2. Farbgebung und Malweise
3.3. Konstellationen der dargestellten Tiere
3.4. Stilllebenhafte Elemente
3.5. Phantastische Aspekte
3.6. Vergleich mit Jacob Saverys Paradiesbild von 1601
3.7. Versuch einer persönlichen Einschätzung

4. Weitere Paradiesbilder Roelant Saverys

5. Paradieslandschaften und verwandte Themen um 1600

6. Zeitgenossen und mögliche Vorbilder
6.1. Waldlandschaften bei Coninxloo
6.2. Paradieslandschaften bei Jan Brueghel dem Älteren

7. Schlussteil: Kunstgeschichtliche Bedeutung und Weiterwirken von Saverys Werk

8. Auflistung der Abbildungen/ Bildnachweis

9. Literaturverzeichnis

10. Abbildungen

1. Einleitung

1.1. Persönlicher Zugang und Intention der vorliegenden Arbeit

Bevor ich das Anliegen der vorliegenden Hausarbeit umreiße, möchte ich doch kurz erläutern, wie ich überhaupt auf das Thema der niederländischen Paradieslandschaft gestoßen bin.

Während eines Besuchs der Berliner Gemäldegalerie machte mich vor einiger Zeit eine Bekannte auf das dort ausgestellte Paradiesbild von Roelant Savery aufmerksam.1 Mein erster Eindruck war, ehrlich gesagt, eher zwiespältig: Ich empfand das relativ kleine Format mit den unzähligen Tier- und Pflanzenarten als sehr überladen, ja regelrecht „vollgestopft“. Die meisten der Tiere, die Hirsche, Hunde und Pferde blickten mir allzu treuherzig entgegen und schienen mir teilweise in geradezu naiver Manier ausgeführt und merkwürdig verzeichnet.

Ich betrachtete das Gemälde dennoch eine ganze Weile und ließ den Blick immer wieder über alle Einzelheiten schweifen. Die dramatische Lichtführung im Bild schuf eine eigenartige, traumhaft entrückte Stimmung. Adam und Eva waren vergleichsweise winzig dargestellt und standen dennoch im Zentrum der Komposition.

Wahrscheinlich waren gerade die formalen Ungereimtheiten der Grund, warum ich das Gemälde nicht gleich wieder vergaß.

Wie es der Zufall will, regte kurz darauf ein Malerkollege anlässlich der Planung einer Ausstellung an, man könne ein großes, gemeinsam gemaltes Bild in Angriff nehmen. Thematisch schwebte uns etwas Exotisches, Paradiesisches, Üppiges vor, ein Gemälde, das aus vielen Einzeldetails zusammenmontiert von der Adaption kunsthistorischer Vorlagen leben sollte. Bei der Suche nach geeignetem Bildmaterial stieß ich wieder auf Savery und beschäftigte mich mit seinen anderen Paradiesversionen, sowie der früher entstandenen Fassung seines Bruders Jacob.2

Mein diesbezügliches Interesse brachte mich auf die Idee, hier ein Thema für meine wissenschaftliche Hausarbeit zu suchen.

In der weiteren Recherche ergab sich dann das paradoxe Phänomen, dass ich zwar auf immer mehr Gemälde stieß, die dem Topos „Paradieslandschaft“ zuzuordnen waren, sich aber gleichzeitig der vordergründige Inhalt dieser Werke auf seltsame Art und Weise zu verunklären und zu verflüchtigen begann. Auch kam zu der Freude, immer neue Paradiesbilder zu finden, irgendwann eine gewisse Unlust, einzelne wiedererkennbare Motive in endlosen kompositionellen Varianten durchexerziert zu sehen.

Überhaupt stellte ich rasch fest, dass meine thematische Beschränkung auf die Paradieslandschaften letztlich eine relativ willkürliche Entscheidung war, da diese, wie mir klar wurde, immer im gleichzeitigen Zusammenhang mit anderen „Naturharmoniebildern“ entstanden.

Sehr nah verwandte Topoi tauchen nämlich gerade bei Savery ebenso häufig und völlig parallel auf: Hieronymus-Landschaften, dicht bevölkerte Tierversammlungen mit der Darstellung des Orpheus, Bilder mit der Arche Noah oder reine „Tier-“ bzw. „Vogelparadiese“, die auf menschliche Staffagefiguren vollständig verzichten.

Zwischen all diesen Bildthemen scheint keine echte Hierarchie in der Bedeutung zu bestehen, vielmehr stehen sie gleichberechtigt nebeneinander und haben in letzter Konsequenz vor allem immer ein und denselben Zweck, nämlich eine möglichst reichhaltige Auswahl an verschiedensten Tierarten in urtümlichen Phantasielandschaften zu zeigen.

Was will nun die vorliegende Hausarbeit?

In gewissem Sinn spiegelt sich in ihrem Aufbau mein eigener Zugang zu der Materie wieder: Im Mittelpunkt steht das Paradiesbild Roelant Saverys, das in der Berliner Gemäldegalerie aufbewahrt wird. Es ist mir im Gegensatz zu den vielen anderen Fassungen, bei denen ich auf Reproduktionen zurückgreifen muss, möglich, dieses Gemälde jederzeit im Original zu betrachten. Ich werde das Berliner Bild in aller Ausführlichkeit besprechen und mich dann an einer vergleichenden Analyse versuchen, die es zunächst mit der unmittelbaren Vorlage für dieses Werk, einem etliche Jahre vorher entstandenen Gemälde von Saverys älterem Bruder Jacob, dann mit anderen Varianten des Themas durch Roelant Savery selbst und nicht zuletzt mit den Paradieslandschaften des einflussreichen und weitaus berühmteren Jan Brueghel dem Älteren in Beziehung setzt.

Es kann nun nicht einfach Bildbeschreibung auf Bildbeschreibung folgen, und dennoch ist mir natürlich zunächst der analytische Blick des wachen Kunstbetrachters das einzige Mittel, um die jeweiligen Eigenarten der verschiedenen Werke herauszuarbeiten und immer wieder Saverys Leistung im Vergleich mit den Vorgängern und Zeitgenossen unter die Lupe zu nehmen.

Um zu verstehen, wer Roelant Savery war und was sein Leben und Werk prägte, wird auch kurz auf seine Biografie, vor allem auf seine rund zehnjährige Dienstzeit als Hofmaler des deutschen Kaisers Rudolf in Prag eingegangen werden müssen.

Die sich zunächst vor allem aus der reinen Betrachtung von Bildbeispielen ergebenden Erkenntnisse werde ich an geeigneter Stelle mit den aus der Lektüre einschlägiger kunstwissenschaftlicher Aufsätze gewonnenen verbinden. Mir liegt daran, mein sich nach und nach entwickeltes Verständnis der untersuchten Paradiesbilder darzulegen; allgemein gesehen in ihrem historischen und ideengeschichtlichen Kontext, spezieller in ihrer Bedeutung für die jeweiligen ausführenden Meister. Insbesondere gilt es zu klären, inwieweit Roelant Savery, der erwiesenermaßen die Naturharmonie -Thematik vor allem dem Vorbild Jan Brueghels des Älteren verdankt, eine unverwechselbar eigenständige, kunsthistorisch relevante, das heißt auch in ihren Nachwirkungen bedeutsame Ausformulierung des Themas, gefunden hat.

1.2 Begriffsbestimmung: Paradies

Paradieslandschaften in der abendländischen Malerei sind so zahlreich, dass mir bei der Themenwahl für die vorliegenden Hausarbeit die Notwendigkeit einer rigorosen Beschränkung auf Entstehungsregion und –zeitraum der zu untersuchenden Gemälde sehr schnell klar wurde. Der Vollständigkeit halber kann ich jedoch auf einige allgemeinere Ausführungen nicht verzichten.

Zunächst: Was ist das Paradies?

Die lexikalische Begriffsbestimmung führt zum avestischen „pairidacza“, bzw. dem griechischen Wort „paradeisos“, was „Umzäunung“ bedeutet und damit auf einen isolierten, in sich abgeschlossenen Raum verweist.3

Uralten Vorstellungen entsprechend ist das Paradies eine imaginäre Urheimat der Menschheit, in der sie, frei von Schuld und Entfremdung in absolutem Einklang mit der sie erhaltenden Natur zu leben in der Lage ist. Ein Ort der Glückseligkeit, welcher der immerwährenden Sehnsucht des Menschen nach Frieden und Geborgenheit entspricht und weder Mangel noch Furcht kennt.

Für die Bildende Kunst des Abendlandes ist natürlich die Bibel, hier vor allem der Text der Genesis ausschlaggebend.4 Ausdeutungen der Heiligen Schrift durch die Kirchenväter bestimmen die bildhaften Ausprägungen ebenso, wie antike und noch archaischere Überlieferungen. Literarische Visionen, wie etwa Dantes „Göttliche Komödie“ spielen desweiteren eine Rolle.

Im Folgenden will ich, wirklich nur in aller Kürze, die mögliche Topografie eines gemalten Paradieses skizzieren. Gleich vorneweg sei gesagt, dass die Gemälde, um die es in dieser Arbeit vor allem gehen soll, sich im Grunde im allerengsten thematischen Formenkanon bewegen und die genutzten Bildelemente relativ überschaubar bleiben.

Der oasenhafte, nährende Charakter des Paradieses spiegelt sich in der Darstellung einer üppigen Vegetation mit vielen Früchten und Blumen wider. Im Einklang mit der Natur lebend, sieht sich der Mensch hier mit einer Fülle von Lebewesen jedweder Art umgeben, welche die Schöpfung in ihrer ganzen Ausdehnung bewohnen. Die vier Paradiesflüsse verorten den Garten Eden der Bibel als „Irdisches Paradies“ geografisch: Phison, Geon, Tigris und Euphrat. Auf der anderen Seite verweisen sie auf den lebensschaffenden und lebenserhaltenden Aspekt des Elements Wasser. Hier ergibt sich eine enge Verwandtschaft zum bildhaften, wie literarisch-mythologischen Topos des „Wassers des Lebens“. Dieses kann, als im Brunnen gefasste Quelle, auch zum „Jungbrunnen“ weitergedacht werden, der ewiges Leben spendet.

Eden wird als Garten bezeichnet. Wir können uns also wieder an die ursprüngliche Bedeutung „Umzäunung“ erinnern. Der Aspekt der Abgeschiedenheit eines abgeschlossenen, oft ummauerten Ortes lässt sich in zahllosen Bildbeispielen nachweisen und findet seine schlüssigste Typisierung vielleicht in den „Paradiesgärtlein“ des Hochmittelalters, die freilich den Akzent in Richtung Marienkult verlagern, bzw, bemüht sind, eine Art himmlischer Heimstatt des Jesu Kindes in der unmittelbaren Nachbarschaft von Engeln und Heiligen und inmitten von lieblichen Blumenwiesen zu illustrieren.

Doch zurück zum Paradies der Menschen: Der Baum der Erkenntnis wird hier, laut Bibel, zum Auslöser von Entfremdung und Niedertracht: Die Schlange erscheint als Verführerin und Ausgeburt des Bösen und überbringt der Eva den Apfel und mit ihm die Möglichkeit der selbstbestimmten Entscheidung zur Ausführung guter oder schlechter Taten. Indem der Apfel an Adam weitergereicht wird, kommt die Erbsünde in die Welt und die Zeit der absoluten Unschuld ist vorbei.

Im Hinblick auf die hier zu untersuchenden niederländischen Paradiesbilder scheinen mir noch zwei weitere tradierte Vorstellungen erwähnenswert:

Der Begriff des „goldenen Zeitalters“, sowie der des „Himmlischen Friedensreiches“. Was das letztere betrifft, so sei hier kurz ein Zitat aus dem Alten Testament angeführt, in dem bei Jesaja das „kommende Friedensreich“ beschrieben wird: „Da wird der Wolf zu Gast sein bei dem Lamme und der Panther bei dem Böcklein lagern. Kalb und Jungleu weiden beieinander; (und ein kleiner Knabe leitet sie)…“5

2. Das Leben Roelant Saverys

2.1. Kurzbiografie

Roelant Savery wird 1576 in Kortrijk geboren. In jungen Jahren wird er mutmaßlich von seinem um elf Jahre älteren Bruder Jacob im Malerhandwerk ausgebildet. Dieser wiederum ist Schüler von Hans Bol(1534-1593), einem Meister der Miniaturmalerei, der sich in seinen relativ überladenen und detailreichen Kompositionen einem peinlich genauen Realismus verschrieben hat. Die frühen Gemälde Roelant Saverys zeigen deutlich den Einfluss Pieter Brueghels des Älteren(um 1525-1569).[11]

Im Jahr 1603, nach dem Pesttod Jacobs, zieht Roelant als Hofmaler nach Prag, wo er in die Dienste Kaiser Rudolfs des Zweiten tritt.

Der Kaiser finanziert dem Künstler eine zweijährige Studienreise nach Tirol: Savery füllt seine Skizzenbücher mit vor der Natur gestalteten, bizarren Felsformationen und wild zerklüfteten Gebirgsansichten, die er zeitlebens für seine Phantasielandschaften zu nutzen weiß. Die Darstellung von Naturwundern und extremer Landschaft gelingt ihm in unübertroffener Naturnähe und hoher handwerklicher Qualität.

1613 reist Roelant nach Amsterdam, wo er nach dem Tod seiner Schwägerin den Nachlass Jacobs regeln muss. Die Auseinandersetzung mit den Gemälden des Bruders ist wohl der Auslöser für die verstärkte Beschäftigung mit dem Bildthema „Paradieslandschaft“, das bis in die Zwanziger Jahre hinein sein Interesse fesselt. Saverys Bildauffassung ist sehr deutlich geprägt vom Werk Jan Brueghels des Älteren(1568-1652) und ebenso wie dieser ist er, was die Komposition von Waldlandschaften angeht, stark dem Vorbild von Gillis Van Coninxloo(1544-1606) verpflichtet.

Nach dem Tod von Rudolf dem Zweiten arbeitet er ab1614 am Hof des Nachfolgers Kaiser Mathias in Wien. Von 1619 an lässt er sich in Utrecht nieder, wo er zwanzig Jahre später als Mitglied der Malergilde stirbt.

Zu Saverys Werk zählen neben den hier betonten Paradies- und anderen Naturharmonie-Bildern (Hieronymus-, Orpheus- und Arche Noah-Themen etc.) auch Genrebilder, Stadtansichten, Schlachtengemälde, Blumenstillleben, vor allem aber Jagdszenen und reine Tierstücke.

2.2. Exkurs: Der Hof Kaiser Rudolfs des Zweiten in Prag

Kaiser Rudolf ist ein kunstsinniger, sehr an den Naturwissenschaften interessierter Mäzen, dessen Sammelleidenschaft sich in ausgedehnten Gemäldegalerien, aber auch in Kuriositätenkabinetten, in botanischen Gärten und Menagerien mit exotischen Tieren, sowie enzyklopädischen Kompendien gemalter und gezeichneter Naturbilder aus Fauna und Flora niederschlägt.7

Für den Prager Hof arbeiten die bedeutendsten Künstler der Zeit. In den Sammlungen finden sich Aquarelle von Albrecht Dürer, - virtuos ausgeführte Naturstudien -, aber auch Gemälde Archimboldos, welche Phantastik und feinsten Realismus verbinden. Miniaturmaler wie Joris und Georg Hofnaegel oder Daniel Fröschl gestalten ganze Konvulute wissenschaftlich exakter Naturbilder, die sich jedoch von der lexikalisch nüchternen Darstellung zu einer möglichst lebendig wirkenden Abbildung hinzubewegen beginnen. Die Etablierung des Tierstücks als künstlerisches Thema, welches in der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts eine große Rolle spielen wird, beginnt sich hier anzubahnen.

Als Savery nach Prag kommt, entsteht hier im Auftrag Kaiser Rudolphs gerade das sogenannte „Museum“, eine Art Katalog, der als eine systematische Bestandsaufnahme der kaiserlichen Sammlungen aus unzähligen großformatigen Ölmalereien auf Pergament besteht.

Zusammenfassend kann man sagen, dass Savery in seiner zehnjährigen Dienstzeit am Prager Hof offensichtlich die besten Vorraussetzungen zu geistigem Austausch mit bedeutenden internationalen Kollegen hat und ihm die vielseitigsten Anregungen für seine künstlerische Arbeit geboten werden.

Um den Bogen zurück zum eigentlichen Thema, nämlich den Paradieslandschaften zu schlagen: Es bleibt offen, welche Einflüsse hier die herausragendste Rolle spielen. Selbstverständlich ist Savery mit den enzyklopädischen Sammlungen von Naturdarstellungen vertraut und ihm fällt die Rolle zu, diese Vorlagen für frei komponierte Ölbilder zu adaptieren. Zeichnungen exotischer Tiere, die ihm zugeschrieben werden, weisen darauf hin, dass er Menagerien besucht hat. Ob er eventuell auch von orientalischen Tapisserien der kaiserlichen Sammlung oder von indischen Miniaturmalereien aus der Schule von Jahangir, mit ihren wimmelnden Tieransammlungen, beeinflusst ist, bleibt vorläufig unbewiesen. Die direkte Konfrontation mit Gemälden von Jan Brueghel dem Älteren ist zwar hypothetisch, aber doch wohl wahrscheinlich.

3. Bildanalyse: Roelant Saverys Gemälde „Das Paradies“ von 1626

3.1. Bildbeschreibung – kompositorischer Aufbau

Ich stelle das Paradiesbild aus dem Jahr 1626, wie gesagt, deshalb ins Zentrum meiner Ausführungen, weil es in der Berliner Gemäldegalerie aufbewahrt wird und mir daher jederzeit die Möglichkeit offensteht, es im Original zu betrachten.8

Das Bild zeigt eine klar in Vorder-, Mittel- und Hintergrund gegliederte Waldlandschaft mitteleuropäischen Charakters. Über die gesamte Bildfläche sind zahllose einheimische, sowie exotische Tier- und Pflanzenarten verteilt.

An zentraler Stelle, auf einem sanften Hügel finden sich Adam und Eva, sowie die, sich um den Baum der Erkenntnis windende Schlange.

Die beiden Figuren erscheinen in dieser Fassung des Paradiesthemas nur ganz leicht aus der Mitte des Formats, dem Diagonalenschnittpunkt, gerückt und stehen also vordergründig im Zentrum des Geschehens. Betrachtet man das Gemälde jedoch im Ganzen, so wird man die beiden trotz ihrer exponierten Position bald als den nicht unbedingt bedeutendsten Teil einer unüberschaubaren Fülle von Geschöpfen betrachten müssen.

Immerhin: Der Baum der Erkenntnis, an dessen Stamm die Übergabe des Apfels stattfindet, gehört zu einer isolierten Baumgruppe auf einem sanften Hügel im Bildmittelgrund. Diese Handlung ist übrigens in einer Art Verdopplung dargestellt: Einerseits erhält Eva den Apfel von der Schlange, auf der anderen Seite überreicht sie ihrerseits dem Adam die Frucht.

Das erste Menschenpaar wird vom Sonnenlicht, das von links oben aus dem Himmel, aus der allerhellsten Stelle im Bild einfällt, wie mit einem Strahler direkt beleuchtet und in Szene gesetzt. Allerdings sind die Tiere der unmittelbaren Umgebung malerisch und von der Lichtführung her ganz genauso behandelt. Insbesondere was die Größe der Figuren von Adam und Eva angeht, erscheint diese im Verhältnis zum Gesamtformat auffallend gering. Andere Geschöpfe, wie vor allem der in einem warmen Braunton gehaltene Ochse, unmittelbar unter den beiden im Bereich des Bildvordergrund stehend, wirken vergleichsweise riesig.

Im Zustand paradiesischer Unschuld scheinen die Menschen sich noch nicht als „Krone der Schöpfung“ über die anderen erhoben zu haben.

Die Komposition des Gemäldes wird geprägt durch die augenfällige und klare Gliederung drei in einander verschränkter Bildgründe:

Von dem Hügel in der Mitte durch ein mit allerlei Getier bevölkertes, sich nach rechts hinten fortsetzendes Gewässer getrennt, erscheinen Tiere und Pflanzen geradezu in Nahsicht und mit allen Details herausgearbeitet im dunklen, eher Ton in Ton gehaltenen Vordergrund. Dieser hält das Bildgefüge gerade durch die jeweils vom linken und rechten Bildrand angeschnittenen und symmetrisch zueinander angeordneten Baumriesen wie mit einer Klammer zusammen.

Der Bildmittelgrund ist, wie erwähnt, vor allem durch das zentrale Wäldchen mit dem Menschenpaar bestimmt. Links davon öffnet sich die Landschaft in verblauende Weite, während zur Rechten ein entferntes Gebirge im Dunst erscheint. Der blaue Halbrundbogen des Himmels ergänzt sich mit den beiden Blickschneisen in die Ferne und den Helligkeiten der Wasserzone im Mittelgrund des Gemäldes zu einem lichten Ring, der die inselhafte Isolierung der Baumgruppe noch verstärkt.

Die Linie des weit zurückverlagerten Horizonts und somit auch der Augenpunkt des Betrachters liegen in etwa in der Höhe von Adam und Evas Häuptern.

Nicht nur die theatralische Beleuchtung, sondern auch die besondere räumliche Staffelung der Bildpläne unterstützen somit den Eindruck eines bühnenartigen Ganzen.

Bei meinen Ausführungen zum Bildaufbau des Berliner Paradiesbildes muss ich ein Element noch einmal speziell hervorheben:

Besagten Ochsen, der unmittelbar unter dem Menschenpaar, an zentraler Stelle im Vordergrund wiedergegeben ist. Man kann ihn eigentlich gar nicht übersehen: Die relativ große, in einem lichten Braunton gehaltene Fläche seiner in Seitenansicht dargestellten Gestalt wird nahezu von keiner Überlagerung oder Überschneidung gestört und erscheint wie illuminiert, obwohl sie gemäß der Bildlogik eigentlich wie der restliche Bildvordergrund dunkel im Gegenlicht stehen müsste. Auf ganz eigenartige Weise stellt sie einen wichtigen kompositorischen Ankerpunkt in der Gesamtanlage des Gemäldes dar.

Diesem Ochsen wegen seiner kompositorischen Sonderstellung eine spezielle ikonografische Bedeutung zuzuschreiben wird bei Savery jedoch wohl nicht gelingen. Meiner Meinung nach spielt bei seiner Malerei der Symbolwert einzelner Tiere meist eine höchstens rudimentäre Rolle. Der Fokus liegt mehr auf dem Aspekt der Exotik oder der ungewöhnlichen Kombination und unmittelbaren Nachbarschaft von Raubtieren und domestizierten Tierarten.

3.2. Farbgebung und Malweise

Die Farbgebung des Gemäldes ist dem Primat einer Aufteilung in drei Bildgründe untergeordnet.

Grob gesprochen herrschen im Bildvordergrund braune, in der Mittelpartie um den Paradiesbaum grüne und im fernen Hintergrund, mit dem verblassenden Gebirge, sowie im Bereich des Himmels blaue Töne vor. Die Geschöpfe im vorderen Bereich sind zwar in ihren Lokalfarben wiedergegeben, es sind aber absichtsvoll vor allem bräunliche, graue (das Windspiel setzt sich vergleichsweise deutlicher von seiner Umgebung ab) oder schwärzliche Töne (der Rappe, die gescheckte Kuh etc.) vorherrschend. Das Auge des Betrachters zieht dieses Ensemble automatisch optisch zusammen. Silberfarben gehöhte Blattformen und die eine oder andere rötliche Blüte lockern diese Partie etwas auf. Der auffallendste und flächenmäßig großzügigste Rotton ist mit dem links, vor dem Laub der Bäume flatternden Papagei gegeben, dem farbigen Hauptakzent des Bildes. Im Bereich des Vordergrundes sind noch einige weitere, freilich deutlich kleinere Rotflächen sparsam und bewusst verteilt. (Tulpe, Türkenbundlilie, Truthahnkopf, der Hahn rechts im Baum etc.).

Das erwähnte Grün der zentralen Baumgruppe und das Blau von Firmament und Berg bleiben sehr verhalten: Savery ist vor allem daran interessiert, die Betonung auf das Licht, welches von links oben her in das Bild fällt und den Mittelgrund ausleuchtet, zu betonen. Worauf es fällt, herrscht ein silberner Farbton vor und Blattwerk und Tiere werden gleichermaßen in einem stark mit Weiß aufgehellten Ockerton gestaltet.

Nun zur Malweise: Besonders augenfällig ist die virtuose Handhabung des Spitzpinsels, der es Savery erlaubt, noch die feinsten Details liebevoll und in einem, über alle Partien des Gemäldes hinweg konzentriert durchgehaltenen Realismus auszuarbeiten. Ob der Künstler hierzu auch Vergrößerungsgläser benutzt hat, ist meines Wissens nicht belegt, aber durchaus vorstellbar.

[...]


1 Siehe Abb.1

2 Siehe Abb.2

3 Lexikon der Kunst (1993): 420f.

4 Die Bibel: 1.Mose, 1-13

5 Die Bibel: Jesaja, 11,6-7

6 Vgl Roelant Savery in seiner Zeit(1985)

7 Vgl. Lee(1988)

8 Siehe Abb.1

Ende der Leseprobe aus 59 Seiten

Details

Titel
Paradieslandschaften bei Roelant Savery und anderen niederländischen Meistern des Vorbarocks
Hochschule
Universität der Künste Berlin  (Fachbereich Kunst)
Veranstaltung
Kunstwissenschaften
Note
2,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
59
Katalognummer
V61737
ISBN (eBook)
9783638551328
ISBN (Buch)
9783656796893
Dateigröße
11284 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Paradieslandschaften, Roelant, Savery, Meistern, Vorbarocks, Kunstwissenschaften
Arbeit zitieren
Michael Heinzl (Autor:in), 2004, Paradieslandschaften bei Roelant Savery und anderen niederländischen Meistern des Vorbarocks, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/61737

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