"Paul Vier und die Schröders". Die Außenseiterproblematik im modernen Kinderroman von Andreas Steinhöfel


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

29 Seiten, Note: 1,0 (sehr gut)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Das Außenseitertum – eine zeitlose Thematik
2.1 Geschichte und Definition – ein allgemeiner kurzer Überblick
2.2 Außenseiter in der Kinder- und Jugendliteratur
2.3 Andreas Steinhöfel – ein außergewöhnlicher Kinder- und Jugendbuchautor und sein zentrales Thema der Außenseiter-problematik

3 Paul Vier und die Schröders – ein moderner Kinderroman von Andreas Steinhöfel
3.1 Die Außenseiterfamilie Schröder
3.1.1 Delphine
3.1.2 Erasmus
3.1.3 Dandelion
3.1.4 Sabrina
3.1.5 Heiderose
3.2 Die (spießigen) Ulmenstraßenbewohner
3.2.1 Familie Heinsel
3.2.2 Familie Döller
3.2.3 Familie Markowski
3.2.4 Familie Tauchmann
3.2.5 Paul Udo Ewald Walser und seine Eltern

4 Fazit

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

In der vorliegenden Hausarbeit geht es um die Außenseiterproblematik in der Kin-

der- und Jugendliteratur. Im Zentrum der Betrachtung steht der im Jahre 1962 in Bat-tenberg geborene Andreas Steinhöfel und sein moderner Kinderroman Paul Vier und die Schröders, der 1992 im Carlsen Verlag und 1995 als ungekürzte Taschenbuch-ausgabe im Deutschen Taschenbuch Verlag erschien. 1994 wurde der moderne Kin-derroman Paul Vier und die Schröders von Cornelia Schwarz-Grünberg als Ab-schlussarbeit an der Berliner Film- und Fernsehakademie verfilmt und mit dem Deut-

schen Kinderfilmpreis von Gera, dem so genannten Goldenen Spatzen, prämiert.

Steinhöfel lässt in seinem zweiten Werk Paul Vier und die Schröders erstmalig ei-nige seiner zentralen Themen wie Anderssein, Freundschaft, Familie, Eltern-Kind-Konflikte, Identitätssuche, Abenteuer, Erste Liebe, Krankheit, Kommunikation, Umzug etc. in komplexer Art und Weise zum Vorschein kommen. Der moderne Kinderroman Paul Vier und die Schröders setzt sich aus 15 Kapiteln ohne Über-schriften zusammen und besitzt das traditionelle Schema Einleitung-Steigende Span-nung-Höhepunkt-Schluss. Zunächst einmal bringt Steinhöfel in seinem Kinderroman humorvoll seiner Leserschaft die vorherrschenden spießbürgerlichen Verhältnisse in der Ulmenstraße nahe, die sich in der idyllischen Kleinstadt Bergwald an der Lahn befindet (→ Einleitung). Die Geschichte wird aus der Sicht der im Mittelpunkt stehenden vierzehnjährigen Figur Paul Vier alias Paul Udo Ewald Walser erzählt. Der Ich-Erzähler informiert seine Leserschaft über die außergewöhnliche bzw. selt-

same Schröderfamilie, die in sein Nachbarhaus einzieht (→ Steigende Spannung).

Die mit hellseherischen Fähigkeiten bestückte sechsjährige Sabrina und ihr Misch-lingshund Darwin, der siebenjährige unter Albinismus leidende Dandelion, der dreizehnjährige kleinwüchsige Erasmus mit seiner Python, namens Winston, die vierzehnjährige Delphine und ihre Mutter Heiderose Schröder erfahren am eigenen Leibe, wie es ist, wenn man in den Augen der Kleinstadtbürger als nicht normal, sogar als asoziales Pack, angesehen wird. Paul Vier ist der Einzige, der unvoreinge-

nommen der Familie Schröder gegenüber steht und sich sogar gegen den Willen seiner Eltern mit den Außenseitern anfreundet. Der Leserschaft wird ersichtlich, dass die Spießbürger vor nichts zurückschrecken. Sie instrumentalisieren ihre eigenen Kinder, um der Familie Schröder eine gewaltsame Lektion zu erteilen. Zudem ist es den Bergwaldern völlig gleichgültig, dass Dandelion verschwunden ist (→ Höhe-

punkt). Am Ende des modernen Kinderromans ziehen die Schröders nach England

und der mittlerweile neunzehnjährige Paul Vier hat die Verlogenheit, die Doppelmo-

ral sowie die Herzlosigkeit der bürgerlichen Kleinstadtwelt durchschaut, bricht mit den Eltern und flüchtet aus der Enge des spießbürgerlichen Milieus (→ Schluss). Der Zeitraum der erzählten Zeit beträgt insgesamt drei Wochen und vier Tage[1].

Der als Anglist, Amerikanist und Medienwissenschaftler ausgebildete Steinhöfel zählt zu den vielseitigsten und interessantesten Deutschen Kinder- und Jugendbuch-

autoren unserer Zeit. Für ihn, als einen der Vertreter des modernen Kinderromans, steht nicht die Frage im Zentrum seiner Überlegungen, ob ein Roman/ein Text an den kindlichen Rezipienten angepasst ist, sondern inwieweit der Text die Wirklich-keit des Kindes authentisch erfasst[2]. Daher sind seine Figuren der Realität sehr nahe. Steinhöfel versteht es wie seine Vorbilder John Irving und Charles Dickens eine hintergründige Geschichte mit Komik, Sprachwitz und Ironie seiner Leserschaft nahe zu bringen[3]. Sein Konzept lautet: ,,Unterhaltung mit Anspruch, und bloß keine Didaktik! […]“[4] Im Mittelpunkt seiner Werke stehen Außenseiterfiguren wie die oben erwähnte Familie Schröder.

Des Weiteren sollte in dieser Einleitung erwähnt werden, dass Steinhöfel seit 1991 als freier Autor, Übersetzer und Rezensent in Berlin-Schöneberg lebt. Folgende sei-

ner Werke wurden bisher veröffentlicht (Auswahl): 1. Dirk und ich (1991), 2. Paul Vier und die Schröders (1992), 3. Glatte Fläche (1993, 1998 umbenannt in Trügeri-

sche Stille), 4. Glitzerkatze und Stinkmaus (1994), 5. Beschützer der Diebe (1994),

6. Es ist ein Elch entsprungen (1995), 7. 1:0 für Sven und Renan (1995), 8. O Patria Mia (1996), 9. Herr Purps, die Klassenmaus (1996), 10. Honigkuckuckskinder (1996), 11. Die Mitte der Welt (1998), 12. David Tage, Mona Nächte (1999), 13. Wo bist du nur? (2000), 14. Defender (2001) und 15. Der mechanische Prinz (2003).

Neben seiner Tätigkeit als Kinder- und Jugendbuchautor schreibt er Drehbucharbei-ten unter anderem für den Käpt`n Blaubär Club, Urmel aus dem Eis sowie für Fix

und Foxi.

Steinhöfel wurde zudem mit zahlreichen Auszeichnungen versehen, wie mit dem Luchs (1998), dem Buxtehuder Bulle (1999) oder mit dem Preis der Jury der Jungen

Leser (2000 Wien) sowie mit dem Hans-im-Glück-Preis der Stadt Limburg [5] .

In dem nun kommenden Abschnitt dieser Arbeit wird zunächst der Begriff Außensei-ter kurz definiert und auf dessen Geschichte in ein paar wenigen Sätzen eingegangen.

Im Anschluss daran erfolgt eine theoretische Stellungnahme verschiedener Wissen-schaftler und Autoren, darunter auch Andreas Steinhöfel, über die Außenseiter in der Kinder- und Jugendliteratur. Den Hauptteil dieser Hausarbeit bildet die Analyse des modernen Kinderromans Paul Vier und die Schröders bezüglich des Außensei-tertums. Den Abschluss der Arbeit bildet ein Fazit, welches noch einmal wesentliche Aspekte des analysierten Romans aufführt.

2 Das Außenseitertum – eine zeitlose Thematik

2.1 Geschichte und Definition – ein allgemeiner kurzer Überblick

Die Geschichte des so genannten Außenseiters stellt die Lehnübersetzung des engli-schen Sportbegriffs outsider dar. Im ursprünglichen Sinne wurde ein Pferd im Renn-sport als outsider betitelt, welches über keinerlei Gewinnchancen verfügte und viel-leicht dennoch einen Sieg verzeichnete.

Laien, Uneingeweihte, Eigenbrötler sowie Nichtfachmänner erfuhren gegen Ende des späten 19. Jahrhunderts ihre Bezeichnung als Außenseiter. Erst später setzte sich der Ausdruck Außenseiter als Oberbegriff für Außenstehende, Abweichler und Chan-cenlose durch[6].

Die heutige Psychologie versteht unter dem Wort Außenseiter einen Prügelknaben oder einen Sündenbock, der sich am Rande einer Gruppe aufhält und zu keinem Gruppenmitglied eine freundschaftliche Beziehung eingeht. Der gering geschätzte Außenseiter verfügt in der Regel über keinen Einfluss. Kommt es zu Spannungen in-nerhalb einer Gruppe, benennt die Gruppe den Außenseiter oftmals als Sündenbock, um den Gruppenzusammenhalt zu gewährleisten. Distanziert sich der Außenseiter, so wirkt er solchen sozialen Abläufen entgegen[7].

2.2 Außenseiter in der Kinder- und Jugendliteratur

Die Aufnahme von Außenseitern bzw. Grenzüberschreitern in die Kinder- und Ju-gendliteratur ist so alt wie die Literatur selbst. Prometheus und Herakles, die Helden der klassischen Sagen des Altertums, zählen zu den ersten großen Außenseitern in der Kinder- und Jugendliteratur. Sie verrichten Heldentaten, indem sie die Gesetzte der Götter missachten. Es sind Figuren, die die Leserschaft bewundert[8].

Die genaue Definition des Begriffs Außenseiterliteratur gibt Schulz in dem fol- genden Satz wieder: ,,[…] die literarische Darstellung von Figuren, von Hel-dengestalten, die außerhalb, am Rande der Gesellschaft agieren, deren Normen im Positiven wie im Negativen nicht achten […]“[9]

Mayer grenzt die so genannte intentionelle von der existentiellen Grenzüberschrei-tung ab. Bei der intentionellen Grenzüberschreitung wird bei der Leserschaft das Be-dürfnis erzeugt, bestimmte gesellschaftliche Verhaltensweisen zu überdenken, eigene

Grenzen zu durchbrechen sowie neue Wege auszuprobieren. Als Beispiel hierfür kann Faust und sein Teufelspakt herangezogen werden, der als Selbsthelfertum seine Betrachtung erfährt. Dahrendorf bezeichnet die eben beschriebenen Grenzüberschrei-

ter als positive Außenseiter, da sie die Fähigkeit besitzen die Gesellschaft voran-zutreiben (Beispiel: Lindgrens Pippi Langstrumpf).

Bei der existentiellen Grenzüberschreitung wird ein Individuum bereits durch seine Geburt/Existenz zum Außenseiter ernannt. Hierbei spielt das Geschlecht, die Ab-kunft, die körperlich-seelische Eigenheit des Individuums eine entscheidende Rolle. Ein existenzieller Außenseiter ist beispielsweise der in einem Kinderheim lebende kranke neunjährige Junge Hirbel in Härtlings Buch Das war der Hirbel (1993)[10].

Warum besitzt die Literatur eigentlich seit jeher ein so starkes Interesse an Au-ßenseitern? Außenseiter stellen die konventionelle Welt auf den Kopf. Durch ihre Besonderheiten reizen und fordern sie die Autoren wie auch die Leserschaft heraus. Außenseiter werden zu interessanten und darstellungswürdigen Figuren. Sie befriedi-gen einige menschliche Grundbedürfnisse, da sie entweder etwas an sich haben, auf das man herabsehen, das man verachten oder bewundern kann, so Dahrendorf[11]. Figuren wie Michael aus Lönneberga, Pumuckl, Batman, James Bond etc. verzeichnen eine Bewunderung, während ihre Gegenspieler Verachtung erfahren müssen.

Dahrendorf erweitert die Definition der Außenseiterliteratur, indem er die Ausdrücke Kommunikation, Selbst- und Identitätsfindung mit hinein bezieht. Die Außenseiterli-teratur geht seiner Meinung der Frage nach, wie ein Individuum in Kommunikation mit der Gesellschaft seine Selbst- und Identitätsfindung erfolgreich vollzieht oder aber auch daran scheitert[12].

Da jeder Mensch schon einmal in irgendeiner Form eigene negative Erfahrungen mit der Identitätsfindung gemacht hat, kann er sich gut mit dem Außenseiter in der Lite-ratur identifizieren. Oftmals erkennt die Leserschaft in der Außenseiterfigur eigene

Schwächen, eigene Grenzen usw. Der Leser/die Leserin sucht unter anderem nach Überwindung der eigenen Mängel[13].

Zudem ist zu erwähnen, dass Kinder und Jugendliche ein großes Interesse an der Au-ßenseiterliteratur aufweisen, da sie sich unter einem von der Erwachsenenwelt aufer-legten Normzwang befinden und somit gegen Regeln eingestellt sind[14].

Um auf die Deutung des Phänomens der Ablehnung des Außenseiters sprechen zu kommen, sollte hierfür Buchkremer in Betracht gezogen werden. Seine Erkenntnisse

stammen nicht nur aus der Sozialpsychologie, sondern auch aus der Psychoanalyse und lauten unter anderem wie folgt: ,,Man lehnt im anderen sich selber, eigene Mög-lichkeiten und Anlagen ab. Was in einem selber abweicht von der Norm und den gesell-

schaftlich sanktionierten Werten, wird verdrängt, nicht wahrgehabt, nicht wahrgenommen – um erst auf dem Wege der Projektion im anderen wahrgenommen und verfolgt zu werden“[15].

Für Kristeva stellt das Fremde eine verborgene Identitätsseite dar[16].

Das Fremde wird im Inneren eines Individuums als etwas Beklemmendes erfahren. Hierbei handelt es sich laut Bogdal um verdrängte, abgelehnte, aber auch faszi-nierende Anteile des eigenen Seelenlebens, die im Widerspruch zu dem eigenen (be-wussten) Selbstbild stehen. Um die eigenen angsteinflößenden bzw. gesellschaftlich anstößigen Vorstellungen, Eigenschaften, Verhaltensweisen los zu werden, verlegt man sie nach außen, in andere Objekte hinein und spricht sich somit selbst von ihnen frei. In der Psychoanalyse bezeichnet man diesen Vorgang als Projektion, ein Ab-wehrmechanismus, der unter anderem Ängste reduzieren und die Anpassung an ge-sellschaftliche Normen erleichtern soll. Des Weiteren dient die Projektion dem Selbsterhaltsungstrieb. Die Familie ist es, die das Grundverhältnis zum Andersarti-gen anordnet. Eine Familie, die Personen zu Außenseitern erklärt, verfolgt aus-schließlich ihre eigenen Interessen. Eltern/Erziehungsberechtigte geben in diesem Fall ihren Kindern nicht die Fähigkeit mit, den Umgang mit dem Fremden auszu-bilden, so Bogdal[17].

[...]


[1] Vgl. STEINHÖFEL 2004, 7-156

[2] Vgl. GANSEL 1999, 58

[3] Vgl. KOCHTE 2000, 6

[4] VOSSENBRECHER 1997, 30

[5] Vgl. BISCHOF/HEIDTMANN 2000, 82, 91; vgl. KOCHTE 2000, 7

[6] Vgl. SCHÜTZ 1991, 3

[7] Vgl. ONLINE-LEXIKON DER PSYCHOLOGIE 2000

[8] Vgl. SCHULZ 2002, 749

[9] Ebd. zit. n. SCHULZ, 746

[10] Vgl. ebd. zit. n. SCHULZ, 746f.

[11] Vgl. DAHRENDORF 1995, 3

[12] Vgl. a.a.O., 3

[13] Vgl. SCHULZ 2002, 747f.

[14] Vgl. ebd. zit. n. SCHULZ, 748

[15] DAHRENDORF 1995, 3

[16] Vgl. BOGDAL 1995, 20

[17] Vgl. a.a.O., 22

Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
"Paul Vier und die Schröders". Die Außenseiterproblematik im modernen Kinderroman von Andreas Steinhöfel
Hochschule
Technische Universität Dortmund
Note
1,0 (sehr gut)
Autor
Jahr
2005
Seiten
29
Katalognummer
V61562
ISBN (eBook)
9783638549943
ISBN (Buch)
9783638640244
Dateigröße
545 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Paul, Vier, Schröders, Außenseiterproblematik, Kinderroman, Andreas, Steinhöfel
Arbeit zitieren
Andrea Drobny (Autor:in), 2005, "Paul Vier und die Schröders". Die Außenseiterproblematik im modernen Kinderroman von Andreas Steinhöfel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/61562

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