Interkulturelle Pädagogik in der deutschen Schulpraxis - insbesondere am Beispiel zweier Schulfallstudien -


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2005

30 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung..

2. Multikulturalität in Deutschland
2.1 Ursachen
2.2 Auswirkungen auf die Schulen

3. Von der Ausländerpädagogik zur Interkulturellen Pädagogik - Verschiedene Ansätze -

4. Aktuelle Situation

5. Analyse der aktuellen Situation anhand zweier Schulfallstudien
5.1 Fallstudien allgemein: Definition
5.2 Fallstudie: „Großstadt - Grundschule“
5.2.1 Vorstellung
5.2.2 Methodisches Vorgehen
5.2.3 Ergebnis se
5.3 Fallstudie: „Interkulturelle Erziehung im Schulalltag“
5.3.1 Vorstellung
5.3.2 Methodisches Vorgehen
5.3.3 Ergebnisse

6. Schulfallstudien in der Kritik
6.1 Kritischer Vergleich
6.2 Erklärungsversuche

7. Fazit: Probleme, Lösungen und Chancen für Lehrer und Schüler.

Literaturverzeichnis.

1. Einleitung

Inwiefern wird Interkulturelle Pädagogik heutzutage im schulischen Alltag umgesetzt? Zu dieser Fragestellung liegen bisher kaum Untersuchungen vor. Aus diesem Grund habe ich mich dazu entschlossen, in meiner wissenschaftlichen Übungsarbeit dieser Fragestellung anhand zweier an deutschen Schulen durchgeführten Schulfallstudien nachzugehen.

Ich stelle zu Beginn verschiedene Diskurse (historischer Rückblick, administrative Ebene, theoretische Ebene) vor, um im Hauptteil der Arbeit auf dieser Grundlage die Schulfallstudien (Praxis) und ihre Ergebnisse darzustellen. Im Anschluss daran stelle ich die Studien kritisch gegenüber, vergleiche sie und nenne Erklärungsversuche für das Verhalten der Lehrer. Den Abschluss stellt eine kritische Auseinandersetzung mit Problemen, Lösungswegen und Chancen für Lehrer, Schüler und Gesellschaft dar.

Vorab möchte ich anmerken, dass ich die männliche und weibliche Form bei Personen zu der männlichen Form zusammenfasse. Beispielsweise verbinde ich „Lehrerinnen und Lehrer“ zu dem einen Begriff „Lehrer“. Ansonsten verwende ich gängige Ankürzungen, beispielsweise „u. a.“ für „unter anderem“.

2. Multikulturalität in Deutschland

2.1 Ursachen

„Ab Mitte des vergangenen Jahrhunderts wird Deutschland zum wichtigsten Ziel von Migranten und Migrantinnen in Europa“ (Mecheril 2004, S. 7). Seit Anfang der 50er Jahre wanderten verstärkt Menschen verschiedener Kulturen nach Deutschland ein. Einen Zuzug von Gastarbeitern aufgrund des hohen Arbeitskräftebedarfs gab es vor allem in den Jahren 1961 bis 1970, zwischen 1981 und 1990 vor allem von Asylbewerbern und Aussiedlern (vgl. Wenning 1993, S. 17).

Der multikulturelle Einfluss auf unsere Gesellschaft nahm zu: Menschen unterschiedlicher Kulturen (mit differenten Wertvorstellungen, Sprachen, religiösen Bekenntnissen, Staatsangehörigkeiten, Sozialisation, Lebensgewohnheiten, Verhaltensweisen) trafen aufeinander und lebten bzw. leben zusammen in einem Land.

Es wird zwischen verschiedenen Arten von Migrationsgruppen - Aussiedlern, Arbeitsmigranten, Flüchtlingen - differenziert.

Bezüglich der Aussiedlung ist überraschend, dass jeder vierte Bürger in Deutschland aus einer Familie, die nach Ende des 2. Weltkrieges aus Osteuropa nach Deutschland gekommen ist, abstammt. Die Aussiedler sind die größte Zuwanderungsgruppe. Sie sind Nachfolger deutscher Siedler, die als Minderheiten in bestimmten Siedlungsgebieten in Osteuropa (z.B. Rumänien, Polen) lebten und aufgrund politischer Freiräume/eingeschränkter Freiheiten und wirtschaftlicher Vorteile/wirtschaftlicher Zwänge ihre heimatlichen Regionen verließen (vgl. Mecheril 2004, S. 28 - 29). „Mit dem Zusammenbruch des Staatssozialismus und der Aufhebung der Reisebeschränkungen kam es Ende der 1980-er Jahre zu einem stark ansteigenden Zuzug von Aussiedlern. Von 1988 bis 1998 wanderten 2,5 Millionen Personen dieser Gruppe nach Deutschland ein“(ebd. S. 30 - 31).

Grundlegend für die Arbeitsmigration war, dass die Wirtschaft in Westdeutschland ab Mitte der 50er Jahre mit ihrer gewinnbringenden Exportorientierung („Made in Germany“) zum „Wirtschaftswunderland“ aufstieg. Aufgrund des starken Wirtschaftswachstums wurden Arbeitskräfte gesucht und dringend benötigt. Der wachsende Mehrbedarf konnte nicht allein aus Aussiedlern oder gar DDR-Flüchtlingen rekrutiert werden. Aus diesem Grund kam es zu Anwerbeverträgen für ausländische Arbeitnehmer mit anderen, vorrangig süd- und südosteuropäischen, Ländern (u. a. auch mit der Türkei). Die angeworbenen, größtenteils schlecht ausgebildeten Arbeiter erhielten üblicherweise eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis für ein Jahr („Rotationspolitik“). Die deutschen Behörden gingen daher anfangs von einer auf absehbare Zeit befristeten Anwesenheit in der Bundesrepublik Deutschland aus. 1973 kam es aufgrund beginnender wirtschaftlicher Stagnation zu einem Ende der Anwerbepolitik (vgl. ebd. S. 32 - 35).

In Bezug auf die Flüchtlinge kann im Wesentlichen zwischen politischen und wirtschaftlichen Flüchtlingen unterschieden werden. Zu der Flucht aus politischen Gründen zählen beispielsweise Verfolgung und Bürgerkrieg in den jeweiligen Heimatländern; zu der Flucht aus wirtschaftlichen Gründen Armut und Umweltkatastrophen.

Oft ist es auch so, dass Motive und Folgen von Migration nicht deutlich getrennt voneinander gesehen werden können. Die Auswirkungen, die eine Migration hervorriefen, können selbst zur Ursache für eine anschließende Wanderung werden.

2.2 Auswirkungen auf die Schulen

Die ersten Folgen der Multikulturalität auf die deutschen Schulen zeigten sich Ende der 60er Jahre. Zu Beginn dieses Jahrzehnts wurde noch auf die planmäßige Rückkehr der ausländischen Arbeiter in ihre Heimat gewartet/gesetzt (s. 2.1). Die Kultusministerkonferenz (KMK) von 1964 gab jedoch schon, als Reaktion auf die beginnende Multikulturalität, eine Doppelstrategie vor. Einerseits sollten die ausländischen Kinder am üblichen Schulunterricht teilnehmen und in speziellen Förderklassen zusätzliche Hilfe bekommen (Aufhebung des Sprachdefizits „Deutsch“), andererseits sollten sie muttersprachlichen Zusatzunterricht erhalten - um die Rückkehrfähigkeit in ihre Heimat zu gewährleisten. Diese Doppelstrategie (Ausländerpädagogik) hatte eine unbeabsichtigte Absonderung der ausländischen Kinder zur Folge (vgl. Mecheril 2004, S. 83 - 84).

Seit Ende 1966 umfasst die hiesige Schulpflicht auch ausländische, in Deutschland lebende, Kinder und Jugendliche. Diese gilt sogar dann, wenn sie in ihrem Herkunftsland die Schulpflicht schon vollendet haben (vgl. Gökce 1986, S. 12).

Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre stieg die Anzahl der ausländischen Kinder in Deutschland und somit an deutschen Schulen stark an (vgl. Mecheril 2004, S. 84). Dies lag insbesondere daran, dass - entgegen den Erwartungen/Verträgen - die Arbeitsmigranten ihren Lebensmittelpunkt mehr und mehr in ihr Aufnahmeland (Deutschland) verlegten, Familien gründeten oder ihre Familien (Eltern, Ehefrauen, Kinder, etc.) nachzogen [ „´Wir haben Arbeitskräfte gerufen, aber es kamen Menschen` (Max FRISCH)“ (Griese 2004, S. 6)]. Es kam zu einem „Problembewusstsein, das durch Darstellungen und Äußerungen überforderter Lehrpersonen, autochthoner deutscher Eltern, die den Schulerfolg ihrer Kinder durch die Anwesenheit ´ausländischer` Kinder gefährdet sehen […] forciert wird. Die intensive pädagogische Reaktion auf die Arbeitsmigration beginnt. Pädagogische Ansätze, Konzepte, Strategien, mittlerweile als ´Ausländerpädagogik` bekannt, formieren sich als schulpädagogische Sonderpädagogik“ (Mecheril 2004, S. 83 - 84).

1971 kam es, aufgrund des Anwachsens ausländischer Schülerzahlen, zu einer neuen KMK-Empfehlung. Bei dieser stand die Integration der Kinder ausländischer Arbeitnehmer im Mittelpunkt. Dieses stellte einen Gegensatz zu der Ausländerpädagogik, die von einer Rotation der ausländischen Arbeitnehmer ausging, dar.

1976 wurde in einer weiteren KMK eine Empfehlung verabschiedet (aufgrund Familiennachzug und verlängerter Verweildauer), die die Entfaltungsmöglichkeiten/Auflagen der Bundesländer erweiterte. Laut dieser Empfehlung sollten die ausländischen Kinder einerseits ihre Muttersprache bewahren und ausbauen, andererseits sollte ihnen ermöglicht werden, deutsche Schulabschlüsse zu erlangen und sich die deutsche Sprache anzueignen (Rückkehrfähigkeit und Integration) (vgl. Boos-Nünning 1987, S. 278 - 280).

Zu einer Beanstandung der Ausländerpädagogik bzw. deren Sonder-, Förder- und Defizitperspektive (Sonderpädagogik für Ausländer) kam es ab circa 1980. Ausländische Schüler wurden nun als fester Bestandteil des deutschen Schulsystems wahrgenommen. Damit kam es verstärkt zu Überlegungen, interkulturelle Erziehung und Bildung als unzweifelhaften, schulischen Auftrag zu betrachten. Allerdings wurden diese Überlegungen nicht durchgängig in die Realität umgesetzt und somit nicht als generelle Aufgabe der Lehrer definiert. Lehrer blieben weiter größtenteils auf sich allein gestellt im Umgang mit Kindern unterschiedlichster Kulturen.

Die verschiedenen Kulturen wurden „entdeckt“, sie wurden teilweise sogar als Gewinn für die Gesellschaft angesehen. Die politische Wende in 1989 (Fall des „Eisernen Vorhangs“) hatte zur Folge, dass noch mehr Ausländer - insbesondere Osteuropäer - nach Deutschland einwanderten. Nun mussten auch die Schulen bzw. generell alle Bildungseinrichtungen endgültig auf die noch stärker werdende Multikulturalität und die durch sie ausgehenden Probleme reagieren.

Die KMK von 1996 wies explizit an, dass interkulturelle Erziehung - aufgrund der sprachlichen und kulturellen Heterogenität in Deutschland - ein Teil allumfassender, somit auch schulischer Bildung wurde. Interkulturelle Bildung wurde nun als Aufgabe aller Bildungseinrichtungen und wichtige Qualifikation für Schüler verstanden. Früheres Verhalten, Traditionen und pädagogische Institutionen/pädagogisches Handeln wurden kritisch überprüft. Aus all diesen Erkenntnissen entwickelte sich die Interkulturelle Pädagogik als selbständiges erziehungswissenschaftliches Fachgebiet (vgl. Mecheril 2004, S. 84 - 87).

3. Von der Ausländerpädagogik zur Interkulturellen Pädagogik - verschiedene Ansätze

Ausländerpädagogik und Interkulturelle Pädagogik sind nicht identisch, sie haben sich im Laufe der Zeit entwickelt. Die Interkulturelle Pädagogik, die durch Arbeitsmigration in Gang gesetzte Umstrukturierungsprozesse der Gesellschaft zustande kam, ist die „Weiterentwicklung“ der Ausländerpädagogik. Erst als das Rotationskonzept in der Realität nicht umgesetzt werden konnte und die Migrantenkinder im Bildungssystem immer deutlicher zum Vorschein kamen und zum „Problem“ wurden, begannen die Erziehungswissenschaften/die Politik zu reagieren. Anfang der 80er Jahre wurde die Ausländerpädagogik einer kritischen Prüfung unterzogen. Kritisiert wurde u. a., dass den ausländischen Kindern nur Defizite zugeschrieben wurden (primär sprachlich bezogen).

Wolfgang Nieke unterscheidet in dem Veränderungsprozess zwischen drei Phasen. Die erste [„´Ausländerpädagogik als kompensatorische Erziehung und Assimilationspädagogik`“ (Auernheimer 1990, S. 4)] beginnt für ihn Anfang der 70er Jahre. Die zweite [„´Kritik der Ausländer-Sonderpädagogik und der Assimilationspädagogik`“ (ebd. S. 6)], die er in den 80er Jahren ansiedelt, besteht in der Beanstandung der ersten Phase (vgl. ebd. S. 4 - 7). Die dritte Phase fängt für Nieke in etwa 1986 an. Er nennt diese „´Interkulturelle Erziehung für eine multikulturelle Gesellschaft` […], eine Zielsetzung, die er zum Zeitpunkt seiner Überlegungen nur ansatzweise und punktuell entwickelt findet“ (ebd. S. 8).

[...]

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Interkulturelle Pädagogik in der deutschen Schulpraxis - insbesondere am Beispiel zweier Schulfallstudien -
Hochschule
Universität Hildesheim (Stiftung)
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2005
Seiten
30
Katalognummer
V61327
ISBN (eBook)
9783638548090
ISBN (Buch)
9783638688666
Dateigröße
543 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Interkulturelle, Pädagogik, Schulpraxis, Beispiel, Schulfallstudien
Arbeit zitieren
Kristina Nennstiel (Autor:in), 2005, Interkulturelle Pädagogik in der deutschen Schulpraxis - insbesondere am Beispiel zweier Schulfallstudien - , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/61327

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