Der Liberalismus von Mill und Bentham - Unterschiede und Parallelen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

29 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Voraussetzungen
2.1 die demographische Revolution
2.2 Die Agrarrevolution
2.3 Der gesellschaftliche Wandel

3 Jeremy Bentham
3.1 Bentham – Begründer der utilitaristischen Schule
3.2 Benthams Utilitätsprinzip

4 John-Stuart Mill
4.1 Kurzbiographie
4.2 Mill und die represetative Demokratie
4.3 Mill – ein Sozialist?
4.4 Der stationäre Endzustand

5 Mill – Korrektur oder Weiterentwicklung

6 Fazit

7 Literatur

1 Einleitung

In der folgenden Abhandlung möchte ich versuchen dem geneigten Leser zwei maßgebende Vertreter des utilitaristischen Nützlichkeitsprinzip vorzustellen und miteinander zu vergleichen. In den Mittelpunkt meiner Betrachtungen stelle ich dabei die unterschiedliche Art und Weise der Interpretation des Utilitätsprinzips sowie des voneinander abweichenden Freiheitsverständnisses der beiden Philosophen. Ich versuche aufzuzeigen warum John Stuart Mill die Lehren Jeremy Benthams nicht eins zu eins übernahm und warum sich lustvolles und nützliches nicht zwangläufig gegenüberstehen sondern gegenseitig bedingen.[1] Im Zusammenhang der Entwicklung des Utilitarismus von Bentham zu Mill gehe ich neben historischen Bedingungen auch auf ethisch-moralische Wertvorstellungen der Aufklärungen ein. Am Ende soll anhand meiner Ausführungen überprüft werden können ob man von einer Korrektur der Benthamschen Philosophie durch Mill sprechen kann. Ich bin auf die biographischen Daten Mills deshalb sehr ausführlich eingegangen, weil die Genese seiner Philosophie durchaus eng mit prägnanten Lebensstationen verbunden und so besser nachzuvollziehen ist.

2 Voraussetzungen

2.1 Die demographische Revolution

„Großbritannien erlebte vom 16. bis 19. Jh. Einen Bevölkerungszuwachs, wie es ihn zuvor noch nicht gegeben hatte“[2]. Allein in England wuchs die Bevölkerung von ca. 1555 mit etwa 3 Mio. bis 1850 auf 17 Mio. Menschen an. Im gesamten Großbritannien stieg sie von 27 Mio. um 1850 auf etwa 45 Mio. bis zum Vorabend des ersten Weltkriegs. Besonders ab 1740 wuchs die Bevölkerung in einem bis dahin unbekannten Ausmaß. Für dieses Phänomen dem andere Länder bald folgen sollten hat sich in der allgemeinen Literatur der Begriff der demographischen Revolution durchgesetzt, denn er bewirkte tief greifende soziale Veränderungen. Der Hauptgrund für diese Bevölkerungsexplosion wird vor allem in der Agrarrevolution gesehen. Qualitativ und quantitativ bessere Anbaumethoden sowie eine rückläufige Sterblichkeitsrate im Zusammenhang mit medizinischem und vor allem hygienischem Fortschritt, vielfache Erfindungen und neue Erkenntnisse in allen naturwissenschaftlichen Bereichen beschleunigten eine Industrialisierung der Landwirtschaft und bedingten in mannigfaltiger Wechselwirkung letztendlich die industrielle Revolution.

2.2 Die Agrarrevolution

Seit etwa 1600 vollzog sich ein Strukturwandel in der britischen Landwirtschaft. Ab etwa 1700 spricht man deshalb von der so genannten Agrarrevolution. Viele Faktoren trugen zur Verbesserung der Ernährungssituation weiter Bevölkerungsteile bei. Als erste ist die Vergrößerung der landwirtschaftlich genutzten Anbaufläche durch Rodungen, Trockenlegung von Sümpfen und vor allem Einhegungen zu nennen. Dazu kommen neue Erkenntnisse und Errungenschaften wie zum Beispiel die Fruchtwechselwirtschaft. Ackerland musste nun mehr nicht weiter brach liegen sondern wurde einfach mit anderen Feldfrüchten bewirtschaftet. Der Import neuer Früchte zum Beispiel der Kartoffel aus der neuen Welt von Kohl oder Raps erweiterten die Nahrungspalette der Menschen sinnvoll. Die Systematisierung von Saatgut und Zucht- bzw. Nutztieren ermöglichten den Zielgerichteten Anbau von Futterpflanzen und die Ausdehnung der Tierhaltung was wiederum eine Erweiterung und Absicherung der Menschen gegen Hungersnöte bedeutete. Außerdem wurden künstliche Bewässerungssysteme eingeführt. Die Ablösung des Ochsen durch das Pferd, die Einführung des eisernen Hufbeschlags und des eisernen Pfluges bewirkten ihrerseits eine Verdopplung der täglichen Pflugleistung. Durch den Einsatz von Maschinen und Dampfkraft in der Landwirtschaft ab 1850 konnte die Pflugleistung noch einmal versechsfacht werden. Gleichzeitig fand eine sozio-ökonomische Veränderung statt. Selbstständige Kleinbauern gerieten immer häufiger in abhängige Lohnarbeit. Einfache Bauern produzierten mit ihren kleinen Höfen nur für den Eigenbedarf und waren dabei noch auf Gemeindeland, so genanntes ´common land´ und auf die Herstellung von Produkten angewiesen welche dann auf dem Markt verkauft wurden. Durch das geltende Erbrecht nach dem der Hof und die Länder unter den Kindern aufgeteilt wurden, wurden die kleinen Höfe die so schon kaum zur Ernährung ausreichten mit jeder Generation immer kleiner. Der Landadel die ´landlords´ produzierten wegen ihrer um ein vielfaches größerer Ländereien für den regionalen Markt mit der Absicht Gewinn zu erzielen welchen sie wiederum investieren konnten. Auch war die Erbfolge im Sinne der Primogenitur geregelt. Deswegen blieben große zusammenhängende Ländereien erhalten und brachten auch zukünftigen Generationen Gewinn. Das wiederum führte zur Kapitalanhäufung. Infolge von Einhegungen waren nun viele kleine Bauern welche auf das common land angewiesen waren gezwungen ihre Selbstständigkeit aufzugeben ihre Höfe zu verkaufen und sich als abhängige Lohnarbeiter beim Landadel zu verdingen oder aber in die Städte abzuwandern um in den entstehenden Manufakturen ihr Brot zu verdienen. Im Zuge der Rationalisierung und Industrialisierung der Landwirtschaft bei gleichzeitig verbesserter Ernährungslage wird ein ständig wachsendes Potenzial an Arbeitskräften frei. Die industrielle Revolution. Ab 1750 kommt als Faktor dieser gesellschaftlichen Veränderung ein Umwälzungsprozess im produzierenden Gewerbe hinzu – die industrielle Revolution hatte begonnen und schwerwiegende soziale Veränderungen sollten folgen. Das Verlagswesen wurde zuerst von den zentralisierten Manufakturen abgelöst, schließlich folgte die Maschinelle Produktion in den Fabriken. Wesentliches Merkmal war die Motorisierung der Produktionsanlagen durch neuartige Dampfmaschinen. Das Textilgewerbe nahm hier eine exponierte Stellung ein. Die Entwicklung der Eisenindustrie, die Energiegewinnung aus mineralischer Kohle, der Ausbau der Infrastruktur und schließlich ab 1830 die Eisenbahn als Verkehrs- und Transportmittel taten ihr übriges dazu. Die Produktion wurde schneller und billiger für die zunehmend nötigen Großinvestitionen wie zum Beispiel der Eisenbahn stand ein gut entwickeltes Börsen- und Bankensystem zur Verfügung. Gleichzeitig wanderten immer mehr Bauern in die Städte ab teils weil sie als Bauern schlicht und einfach in ihrer Existenz bedroht waren oder aber weil sie sich in den Städten bessere Chancen erhofften.

2.3 Der gesellschaftliche Wandel

Ein immanentes Merkmal der gesellschaftlichen Verhältnisse im Großbritannien des 17 – 19 Jh. War die große Kluft zwischen den Lebensverhältnissen der einzelnen Schichten. Die Gesellschaft war in Arm und Reich geteilt, was sich wiederum in der sozialen Stellung und den politischen Rechten widerspiegelte. Denn die Unterschiedlichen Schichten partizipierten unterschiedlich stark von den Fortschritten welche zu dieser Zeit erzielt wurden. Etwa um 1800 verteilte sich das gesamte Volkseinkommen wie folgt: auf den Adel welcher einen Anteil von 1,5% der Bevölkerung ausmachte entfielen 16% des Volkseinkommens, die mittleren Schichten machten etwa 33% der Bevölkerung aus und nahmen etwa 60% des gesamten Volkseinkommens für sich in Anspruch. Die untersten Schichten von denen wiederum ein Großteil knapp über oder unter dem Existenzminimum lebte vereinigten nur etwa 25 % des Volkseinkommens auf sich[3]. Lange Zeit war der Adel die führende Gesellschaftliche Schicht. Er war previligiert durch Landbesitz, finanzielle Unabhängigkeit und umfassende politische Rechte und nicht zu vergessen durch Bildung. Mit der Industrialisierung gewannen jedoch das Industrie- bzw. das Besitzbürgertum ökonomisch gesehen zunehmend an Bedeutung. Politisch gesehen blieben ihm der Einfluss und das Mitspracherecht weitgehend vorenthalten. Bedeutend war weiter die zunehmende Urbanisierung. Verarmte Bauern zogen auf der Suche nach Lohn und Brot massenhaft in die Städte. Aus ihnen wird sich nach und nach die Gruppe der Industriearbeiter, das zukünftige Proletariat entwickeln. An dieser Stell wird die Entstehung zweier neuer gesellschaftlicher Gruppierungen deutlich. Zum einen die Gruppe des wirtschaftlich aufstrebenden jedoch politisch machtlosen Besitzbürgertums und zum andern die überproportional wachsende Schicht der Industriearbeiter: Das zukünftige Proletariat.

3 Jeremy Bentham

3.1 Bentham – Begründer der utilitaristischen Schule

Die ausdrückliche Begrifflichkeit und systematische Position des Utilitarismus findet sich in Benthams Werk „Einführung in die Prinzipien von Moral und Gesetzgebung“. Zunächst möchte ich jedoch aufzeigen welche Umstände Bentham veranlassten das Nutzenkalkül als elementare Säule seiner Philosophie zu manifestieren und im Anschluss einen Einblick in die Struktur dieses Systems geben. Bentham wuchs auf in einer Zeit wirtschaftlicher Erfolge welche unter dem Stichwort der industriellen Revolution subsumiert werden können. Besonders der mittelständische, geschäftstüchtige Unternehmer beförderte diese Entwicklung auf besondere Art und Weise. Seinen politischen Weg begann Bentham in den Reihen der Thorys. Der Wandel zur radikalen linken Seite vollzog sich sehr schnell ab etwa 1808 als eines seiner Lieblingsprojekte, der Bau des Panoptikums, vom König abgelehnt wurde. Das Panoptikum war ein völlig neuartig konzipiertes Gefängnis mit rundem Grundriss und einer mittigen Aufsichtsstation für die Gefängniswärter. Von dieser mittigen Station aus war es möglich alle Zellen einer Etage zu beobachten. Dieses Prinzip zog sich über alle Etagen. Folglich war die Bewirtschaftung dieses Gefängnisses mit einer minimalen Anzahl von Wärtern zu bewerkstelligen. „Die strikte Überwachung diente Außerdem zur Erziehung der Gefangenen zur Arbeitsdisziplin.“[4] Jedenfalls verdächtigte Bentham nun den Adel und den König selbst das diese das Bauvorhaben anlehnten um die eventuell gesparten Stellen weiter mit ihren Angehörigen und Günstlingen zu besetzen. Bentham ein Mann der Wirtschaft deutete dieses Verhalten als eine Ausbeutung des Steuerzahlers durch den Adel. Diese Position zum Adel brachte ihn zunächst auf die Seite extremer Linksradikaler welche eine Parlamentsreform und eine Reform gegen den aufgeblähten Verwaltungsapparat forderten. Abstoßend für Bentham wirkte jedoch ihre Hinwendung zu den Problemen der armen Schichten wie den Landarbeitern oder kleinen Handwerkern. Seine wahren Jünger fand er schließlich in den wohlhabenden Schichten des Bürgertums. Die Männer um Bentham wurden wegen ihrer hervorragenden Bildung deswegen auch „philosophic radikals genannt. Grundlegende Forderungen der philosophic radikals um Bentham waren der Kampf gegen die Korruption im Staatshaushalt, die Abschaffung exotischer Ämter welcher der König verlieh und welche enorme Summen verschlangen, ihren Inhabern jedoch nicht viel abverlangten, Kampf gegen die Korruption in der Staatskirche, Reform des ineffizienten Justizwesens und die Änderung der Wahlrechtsverteilung bei den Parlamentswahlen, Abschaffung der Vetternwirtschaft in der Verwaltung, Ersetzung der unfähigen, ungelernten Beamten durch kompetentes Fachpersonal. Kurz: der Staat sollte in seiner Effizienz auf das Niveau der Wirtschaft gehoben werden. Außerdem vertrat Bentham das zunehmende Interesse des Mittelstandes nach Teilhabe an der politischen Macht. Extreme Ausformungen fand dieser Wille in der hin und wieder geäußerten Ansicht dass der Mittelstand, also das Besitzbürgertum, die Geschicke des Staates besser zu lenken in der Lage sei als der Adel.[5] Damit grenzte man sich ganz bewusst vom Adel als auch von den unteren Schichten ab. Als studierter Jurist prangerte Bentham auch die Missstände in der Rechtssprechung an. Er kritisierte das willkürlich von Richtern geschaffene Recht und forderte eine einheitliche und für alle gültige Rechtssicherheit. Außerdem schlug er neue Ministerien für Gesundheitswesen, Bildung und Erziehung vor. Bemerkenswert für unsere Untersuchungen ist jedoch das man all diese Forderungen erstens strikt auf Grund ihrer höheren Nützlichkeit stellt die dann wiederum eine größere happines nach sich zieht, nicht jedoch aus sozialem Anlass. So zum Beispiel war das Fabrikschutzgesetz von 1833 nicht sozial oder human sondern rein utilitaristisch begründet. Der frühe Tod und der hohe Verschleiß an Menschen seien wenig sinnvoll weil sie Arbeitskräfte, also potentielles Kapital Verschwenden und durch Kinderarbeit die zukünftigen Arbeitskräfte schon im frühen Alter verkrüppeln und unbrauchbar gemacht werden. Ein weiteres Beispiel ist das Armengesetz von 1834. Finanzielle Hilfe wurde bedürftigen Haushalten nun nicht mehr nach der Anzahl der Familienmitglieder gewährt. Die Begründung: Dadurch werde das absichtliche Fernbleiben von der Arbeit gefördert sowie die hohe Anzahl der Geburten unterstützt, Bentham wörtlich: „gerade in den Familien deren Wachstum dem Staat am wenigsten einbrächte“[6]. Zweitens wollten die philosophic readikals das Wahlrecht und damit die Möglichkeit politischer Beteiligung nur bis zu den eigenen Reihen ausgedehnt wisse. Ärmere Schichten sollten schlichtweg von der Möglichkeit sich politisch zu beteiligen ausgeschlossen bleiben. Dieses ausgeprägte Klasseninteresse schlägt sich dann auch in der Wahlrechtsreform von 1832 nieder „das mit Präzision den Mittelklassen das Wahlrecht zugestand, das es den Ärmeren Schichten vorenthielt“[7].

3.2 Benthams Utilitätsprinzip

Nach Benthams Vorstellung wird alles menschliche Handeln von zwei Faktoren bestimmt und zwar von Freude und von Leid. Dabei gilt es das Leid zu minimieren und die Freude zu maximieren. Dieses Nützlichkeitsprinzip soll durch Vernunft und Recht realisiert werden. Die Betonung von Freude bzw. von Lust als dem Erstrebenswerten hat Bentham von seinen Kritikern oft den Vorwurf eingebracht eine Schweinephilosophie zu betreiben. Denn Schweine geben sich eben auch den momentanen Lüsten hin und tun eben das was ihnen gefällt. Bentham merkt jedoch 1822 an das er den Begriff der Lust mit Glück und Freude auf eine Ebene gestellt wissen will. Und eben Glück und Freude stehen seines Erachtens nach in engem Zusammenhang mit dem Prinzip der Nützlichkeit. Und die Beförderung der Glückseeligkeit beinhaltet ja eben auch moralische Werte. Kurz gesagt: als nützlich ist jene Handlung anzusehen deren Tendenz das Glück der von dieser Handlung betroffenen Individuen vermehrt. Dieses Prinzip schließt natürlich auch die Handlungen einer Regierung gegenüber dem Volk mit ein. Dabei liegt Benthams Betonung auf dem Individualinteresse. Denn, so Bentham, wenn alle Individualinteressen befriedigt sind ist damit gleichzeitig dem Allgemeinwohl am besten gedient. Denn das Allgemeinwohl setzt sich ja erst aus der Summe des individuellen Glücks zusammen. Somit dient die Befriedigung der Einzelinteressen gleichermaßen der Beförderung des Gemeinwohls. In seiner Abhandlung ´Einführung in die Prinzipien der Moral und Gesetzgebung´ beschreibt Bentham auch Prinzipien welche dem Prinzip der Nützlichkeit entgegenstehen. Zum einen ist dies das Prinzip der Askese zum anderen das Prinzip der Sympathie und Antipathie. Mit dem Prinzip der Askese bezeichnet er jenes Prinzip welches eine Handlung billigt die in ihrer Tendenz Glück vermindert. Die Gruppe der Asketen teilt Bentham noch in die Gruppe der Moralisten und die der Religionsanhänger. Erstere werden durch die Hoffnung auf Freude asketisch motiviert bei den Religionsanhängern ist es die Aussicht auf Leid, auch Furcht genannt, welche zur Askese anstiftet. Zum Beispiel die Furcht vor einer launischen Gottheit. Dabei ist die moralisch motivierte Partei nur bis zum Tadel von Handlungen gegangen, die religiös motivierten haben es sich dagegen zum obersten Gebot gemacht nach Leid zu streben. Das zweite Prinzip welches dem der Nützlichkeit gegenüber steht ist das Prinzip der Sympathie und Antipathie. Handlungen werden demnach nicht nach ihrer Tendenz Glück zu befördern oder zu vermeiden beurteil sondern nach der Verbundenheit mit einer Person. Eben Sympathie oder Antipathie. Im Folgenden soll nun aufgezeigt werden welcher Art oder welchen Ursprungs Freud und Leid entspringen. Denn nachdem geklärt ist was getan werden soll stellt sich nun die Frage warum man es tun soll. Hier geben die folgenden vier, von Bentham aufgestellten, Sanktionen Antwort. Die physische Sanktion beschreibt Freude und Leid welche aus dem natürlichen Ablauf der Dinge zu erwarten sind. Freude und Leid deren Ursprung in richterlichen Entscheidungen und den Entscheidungen anderer Staatsbeamter liegt gehen aus der politischen Sanktion hervor. Der moralischen Sanktion entspringen Handlungen welche vom Volk gutgeheißen werden. Werte, Normen und Tradition spielen hier eine wichtige Rolle. Von der religiösen Sanktion spricht man wenn Freud oder Leid von einem göttlichen Wesen verursacht werden. Die Freuden und Leiden sind also letztendlich gleich. Sie unterscheiden sich lediglich in den Umständen welche ihre Hervorbringung begleiten. Zum besseren Verständnis möchte ich an dieser Stell ein Beispiel Benthams zitieren: „Die Güter von jemandem oder er selbst werden durch Feuer vernichtet. Wenn ihm dies aufgrund dessen zugestoßen ist, was man einen Unfall nennt, so war es ein Unglück; wenn aufgrund seiner eigenen Unklugheit ( wenn er zum Beispiel vergessen hat, die Kerze zu löschen), kann man es als Strafe der physischen Sanktion bezeichnen; wenn es ihm aufgrund des Urteils von Staatsbeamten zugestoßen ist, so handelt es sich um eine Strafe, die zur politischen Sanktion gehört, also – um das, was man gewöhnlich Strafe nennt; wenn in Ermangelung jeder Hilfe, die ihm sein Nachbar aus Abneigung gegenüber seinem moralischen Charakter verweigert, handelt es sich um eine Strafe der moralischen Sanktion; wenn durch einen unmittelbaren Akt des Unwillens Gottes, der durch eine von ihm begangene Sünde oder durch eine Ablenkung des Geistes hervorgerufen wurde, wie sie von der Furcht vor solchem Unwillen bewirkt werden, handelt es sich um eine Strafe der religiösen Sanktion.“[8] Bis zu diesem Punkt ist das System der Handlungsmotivation durch Freud und Leid welches Bentham hier präsentiert schlüssig und relativ gut nachvollziehbar. Abstrakt und kompliziert wird es bei der Ermittlung des Wertes eines bestimmten Leides oder einer bestimmten Freude oder gar deren Bilanzierung. Bentham unterscheidet in diesem Zusammenhang vier Dimensionen von Freude und Leid. Erstens – die Intensität, Zweitens – die Dauer, drittens – die Gewissheit und viertens – die Nähe oder Ferne des Leides oder der Freude. Diese vier Dimensionen sind wichtig will man den Wert einer Freude oder eines Leides beurteilen. Um nun die Tendenz einer Handlung zu beurteilen müssen jedoch zwei weitere Faktoren berücksichtigt werden. Fünftens – die Folgenträchtigkeit und sechstens – die Reinheit. Bis hier geht es jedoch nur um einen einzelnen Menschen. Will man diese Prozedur nun auf eine Gruppe von Individuen anwenden kommt schließlich noch achtens – das Ausmaß, die Anzahl von Personen einer Gruppe welche von dieser Handlung betroffen sind, hinzu. Und will man nun die Tendenz einer Handlung durch welche die Interessen einer Gruppe betroffen sind bestimmen, verfahre man wie folgt: man bestimme: „a) den Wert jeder erkennbaren Freude, die von der Handlung in erster Linie hervorgebracht zu sein scheint; b) den Wert jeden Leides, das von ihr in erster Linie hervorgebracht zu sein scheint; c) den Wer jeder Freude, die von ihr in zweiter Linie hervorgebracht zu sein scheint. Dies begründet die Folgenträchtigkeit der ersten Freude und die Unreinheit des ersten Leides; d) den Wert jeden Leids, das von ihr in zweiter Linie anscheinend hervorgebracht wird. Dies begründet die Folgenträchtigkeit des ersten Leids und die Unreinheit der ersten Freude. E) Man addiere die Werte aller Freuden auf der einen und die aller Leiden auf der anderen Seite. Wenn die Seite der Freude überwiegt, ist die Tendenz der Handlung im Hinblick auf die Interessen dieser einzelnen Person insgesamt gut; überwiegt die Seite des Leids, ist ihre Tendenz insgesamt schlecht. f) Man bestimme die Anzahl der Personen, deren Interessen anscheinend betroffen sind, und wiederhole das oben genannte Verfahren im Hinblick auf jede von ihnen. Man addiere die Zahlen, die den Grad der guten Tendenz ausdrücken, die die Handlung hat – und zwar in Bezug auf jedes Individuum, für das die Tendenz insgesamt gut ist; das gleiche tue man in Bezug auf jedes Individuum, für das die Tendenz insgesamt schlecht“[9]. Anschließend ziehe man einfach die Bilanz. Dieses komplizierte Verfahren, so Bentham, kann natürlich nicht vor jeder moralischen Entscheidung durchgeführt werden sollte jedoch bei wichtigen Entscheidungen immer im Blick behalten werden.

[...]


[1] Vgl. Mill, John Stuart, „Der Utilitarismus, übers. Von Dieter Birnbacher, Stuttgart 1985, S. 11 f.

[2] Hottinger, Olaf, Eigeninteresse und individuelles Nutzenkalkül in der Theorie der Gesellschaft und Ökonomie von Adam Smith, Jeremy Bentham und John Stuart Mill, Marburg 1998, S. 19.

[3] Vgl. Hottinger, Olaf, Eigeninteresse und individuelles Nutzenkalkül in der Theorie der Gesellschaft und Ökonomie von Adam Smith, Jeremy Bentham und John Stuart Mill, Marburg 1998, S. 30.

[4] Wolf, Jean-Claude, John Stuart Mills „Utilitarismus“. Ein historischer Kommentar, Freiburg(Breisgau)/ München 1992, S. 156.

[5] Vgl. Gähde, Ulrich/ Schrader, Wolfgang H. (Hrsg), Der klassische Utilitarismus. Einflüsse – Entwicklungen – Folgen, Berlin 1992, S. 16.

[6] Gähde, Ulrich/ Schrader, Wolfgang H. (Hrsg), Der klassische Utilitarismus. Einflüsse – Entwicklungen – Folgen, Berlin 1992, S. 26.

[7] Ebd. S. 17

[8] Höffe, Otfried (Hrsg.), Einführung in die utilitaristische Ethik, 2. überarb. Auflage, Tübingen 1992, S. 77.

[9] Höffe, Otfried (Hrsg.), Einführung in die utilitaristische Ethik, 2. überarb. Auflage, Tübingen 1992, S. 80f.

Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
Der Liberalismus von Mill und Bentham - Unterschiede und Parallelen
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Institut für Politikwissenschaft)
Note
1,7
Autor
Jahr
2004
Seiten
29
Katalognummer
V61274
ISBN (eBook)
9783638547642
ISBN (Buch)
9783638667968
Dateigröße
667 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Liberalismus, Mill, Bentham, Unterschiede, Parallelen
Arbeit zitieren
Martin Weißenborn (Autor:in), 2004, Der Liberalismus von Mill und Bentham - Unterschiede und Parallelen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/61274

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