Die natur- und heilkundlichen Theorien der Hildegard von Bingen


Seminararbeit, 2006

22 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Forschungsstand und Materiallage
1.2 Fragestellung und Schwerpunkte der Arbeit

2 Hildegard von Bingen – Die Person
2.1 Vita
2.2 Hildegard von Bingen im Blickfeld der Wissenschaft

3 Darstellung der Heil-/Naturlehre von Hildegard von Bingen
3.1 Physica / LSM
3.2 Curae et Causae / LCM

4 Entstehung und Bedeutung der heil-/naturkundlichen Werke der Hildegard von Bingen
4.1 Physica / LSM
4.2 Curae et Causae / LCM

5 Schluss

Quellen- und Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis
Anlage 1 – Tabelle der Elementareinteilung
Anlage 2 - Handschriften des LSM
Erklärung

1 Einleitung

Mit den Schriften „Physica“[1] und „Causae et curae“[2] der Hildegard von Bingen liegen uns die zurzeit bekannten Überlieferungen ihrer heilkundlichen Theorien vor. Vielen sind heutzutage die naturheilmedizinischen Theorien, die unter dem Namen Hildegard von Bingen verkauft werden ein Begriff und manch einer setzt sie sogar noch heute, über 800 Jahre nach ihrem Entstehen, ein. Doch wie entstand dieses Werk, das immer noch so viele Menschen in seinen Bann zieht? Durch Visionen Gottes oder durch Genialität der Verfasserin?

1.1 Forschungsstand und Materiallage

Aufgrund des Hildegardjahres 1998 anlässlich des 900. Geburtsjahres Hildegards von Bingen hat die Forschung rund um die Werke und das Leben Hildegards von Bingen neuen Auftrieb bekommen.

Momentan befassen sich Melitta Weiss-Adamson, Barbara Fehringer, Laurence Moulinier, Irmgard Müller, José Carlos Santos Paz und Reiner Hildebrandt mit den handschriftlichen Werken der Hildegard von Bingen. Hierbei sind die drei Hauptziele der derzeitigen Forschung:

- die Verbreiterung der Quellenbasis durch Auffindung und Beschreibung bislang unbekannter Textzeugen,
- die Annäherung an die jeweils ältesten Textfassungen und
- die Rekonstruktion einer deutschsprachigen Hildegard-Überlieferung.[3]

Dies ist deswegen so notwendig, da die Entstehung der Werke mit der derzeitigen Quellenlage nicht endgültig geklärt werden kann, sondern erst mit Auffinden der Originalhandschriften. Weiterhin sei erwähnt, dass es in der Literatur momentan viele Überschneidungen gibt und vieles inhaltlich identisch ist.[4]

Ebenso hat die so genannte „Hildegard-Medizin“ eine wahre Renaissance erfahren, wobei aus wissenschaftlicher Widergabe der medizinisch/naturkundlichen Werke Hildegards von Bingen oft esoterische Phantasterei wird, die in fragwürdiger Literatur mündet.[5]

1.2 Fragestellung und Schwerpunkte der Arbeit

Im Folgenden werde ich die heil-/naturkundlichen Schriften Hildegards von Bingen, den „Liber simplicis medicinae“ (LSM) und den „Liber compositae medicinae“ (LCM), untersuchen, die wesentlichen Thesen beider herausarbeiten und der Frage nachgehen, was Hildegard von Bingen zu der Medizin ihrer Zeit beitragen konnte. Ferner werde ich erörtern, wie weit die von ihr dargelegten Theorien dem allgemeinen Verständnis der Medizin ihrer Zeit entsprachen oder ob sie als revolutionär oder visionär angesehen werden können.

2 Hildegard von Bingen – Die Person

2.1 Vita

Hildegard von Bingen wurde 1098 bei Alzey als Kind des Edelfreien Hildebert v. Bermersheim und seiner Frau Mechthild geboren. Da bei ihr schon mit vier Jahren[6] die visionäre Begabung festgestellt wurde, vertrauten ihre Eltern sie in ihrem 9. Lebensjahr der Reklusin Jutta v. Spanheim in der Frauenklause auf dem Disibodenberg an. Dort lebte sie im Schatten des dortigen Benediktinerklosters, studierte die Vulgata[7] und legte 1113/14 das Gelübde des Benediktinerordens ab. Persönlich wurde sie geprägt durch Liturgie und Stundengebet und die Arbeit im Kräutergarten. 1136 wurde sie zur Magistra der zum Konvent angewachsenen Frauengemeinschaft gewählt. 1147-52 ließ sie gegen den Widerstand der Mönche ein Frauenkloster auf dem Rupertsberg bei Bingen bauen und siedelte schließlich mit ihrem Konvent dorthin um.

Im Jahrzehnt nach 1141 verfasste Hildegard von Bingen das „Liber Scivias“, zwischen 1158 und 1163 das „Liber vitae meritorum“, das „Liber divinorum operum“ entstand im Jahrzehnt nach 1163. Diese drei Werke bilden das theologische Werk Hildegards von Bingen. In den Jahren 1150 bis 1160 verfasste sie das „Liber subtilitatum diversarum naturarum creaturarum“ (LSu), das natur-/heilkundliche Werk. 1179 starb Hildegard von Bingen im Kloster Rupertsberg.[8]

2.2 Hildegard von Bingen im Blickfeld der Wissenschaft

Heinrich Schipperges beschreibt Hildegard von Bingen wie folgt:

„Hildegard von Bingen gründete Klöster, revolutionierte die Medizin, dichtete und komponierte Lieder und wurde zum politischen Orakel für Kaiser und Päpste.“[9]

Ihre Bedeutsamkeit in Bezug auf die Heilkunde stellt Schipperges folgenderweise dar: „Einzigartig und unerreicht steht diese Klosterfrau vor allem in der mittelalterlichen Medizin da. [...] Bei Hildegard [hingegen] ist alles sehr klar und ganz konkret ausgesprochen, oft derb und bäuerlich, real durchdacht, durch und durch rationalisiert, ohne rationalistisch zu wirken.“[10]

Tatsächlich wird Hildegard von Bingen als die für die Klostermedizin[11] bedeutendste Frau im Mittelalter angesehen.[12] So begründete sie mit ihren natur- und heilkundlichen Schriften die Nachblüte der eigentlich schon beendeten Klostermedizin.[13] Es stellt sich nun die Frage, wie Hildegard von Bingen zu ihrem reichen Wissen gekommen ist. Dabei muss erst angeführt werden, dass sie nach der „Regula Benedicti“ und in der Tradition der Klostermedizin lebte, ähnlich wie Cassiodorus in Italien, Rabanus Maurus in Deutschland oder Isidor von Sevilla im spanischen Raum. In ihren Jugendjahren verfasste sie die „Explanatio Regulae S. Benedicti“, worin Hildegard von Bingen die „Regula Benedicti“[14] und die überlieferten Lehren Galens zu einer allgemeinen Verhaltensregel für den Menschen verbindet. Dies umfasste Regeln für Speise und Trank, Bewegung und Ruhe, Wohnen und Kleiden, also eine umfassende Lebensordnung auf der benediktinischen Maxime des „ora et labora“.[15] Hildegard von Bingen hat folglich ihr Wissen im Rahmen ihrer Tätigkeit als Ordensfrau gesammelt hat und sich dieses durch Selbststudium angeeignet.[16]

3 Darstellung der Heil-/Naturlehre von Hildegard von Bingen

Die natur- und heilkundlichen Überlieferungen werden in mancher Literatur wie beispielsweise im Handbuch der Geschichte der Medizin als „nichts weiter als ein kurioses Gemisch aus Mystik und Dreckapotheke“ bezeichnet.[17] An anderer Stelle wird sie wiederum als eine ganzheitliche Theorie der Medizin gelobt, die heutzutage aktueller denn je sei.

Häufig wird auch die sexuelle Freizügigkeit der Schriften Hildegards von Bingen herausgestellt. Diese lässt sich dadurch erklären, dass die Menschen zur Zeit Hildegards von Bingen ein sehr natürliches Verhältnis zu ihrem Körper hatten. Kurz nach ihrer Zeit änderte sich dies und die medizinischen Werke von Hildegard von Bingen wurden versteckt, verschwiegen und nicht anerkannt beziehungsweise nicht mehr gelesen.[18]

3.1 Physica / LSM

Der LSM ist sowohl ein Natur-, Pflanzen-, Tier- als auch Arzneibuch, welcher strukturell in neun Bücher unterteilt ist. In diesen werden getrennt Pflanzen, Elemente, Bäume, Steine, Edelsteine, Fische, Vögel, (Säuge-)Tiere, Reptilien und Metalle dargestellt.[19] Jedoch sollte mit dem LSM keine theoretische Abhandlung über die Natur entstehen, sondern ein Kompendium der praktischen Heilmittelkunde für den klösterlichen Alltag.[20] Die Schrift ist somit keine naturkundliche Beschreibung oder Betrachtung, vielmehr werden die einzelnen Stoffe auf ihre medizinische Brauchbarkeit hin beschrieben[21], indem Hildegard von Bingen in den einzelnen Kapiteln die Natur nach ärztlichen Gesichtspunkten mit ihren pflanzlichen, tierischen und mineralischen Heilkräften beschreibt. Der Text ist größtenteils in lateinischer Sprache geschrieben, enthält aber auch viele deutsche Begriffe. Es ist herauszustellen, dass Hildegard von Bingen die rheinische Flora und Fauna selbst studiert hat.[22] 513 Kapitel behandeln die Botanik und 293 Kapitel Fische, was zeigt, dass Hildegard von Bingen mit dem Klostergarten und ihrer direkten Umwelt, einschließlich der Flüsse sehr vertraut war.[23]

Der LSM ist die sinnvolle und notwendige Ergänzung zum LCM.[24]

In der Schrift wird die Heilkraft einzelner Stoffe mithilfe eines Konzeptes der Elementarkräfte erklärt[25]. Demnach besteht die Welt aus vier Elementen, die sich zwar voneinander unterscheiden, aber unlösbar miteinander verkettet sind. Dies sind im Einzelnen

1. das Feuer, welches die Luft entzündet,
2. die Luft, die dem Feuer am nächsten ist und das Feuer wie ein Blasebalg unterhält,
3. das Wasser, was von Natur aus kalt und unbeweglich ist, aber durch den Gehalt an Feuer beweglich wird und
4. die Erde, die sich in der Mitte des Kosmos befindet und den aus Feuer, Luft und Wasser entstandenen, befeuchtenden und nährenden Tau aufsaugt, so das Wasser reguliert und die Wärme vom Feuer empfängt.[26]

Die einzelnen Kräuter, Tiere und Steine sind aus den vier Elementen zusammengesetzt. Die Wirkung der Arznei ist daher abhängig von der jeweiligen Zusammensetzung aus den verschiedenen Elementen[27]

Der Mensch seinerseits ist aus Erde gemacht,[28] woraus gefolgert wird, dass für ihn nur Stoffe aus Tau und Saft gut sind, da dies Stoffe aus der Mitte sind[29]. Daher kann beispielsweise der Giftlattich nur schlecht für den Menschen sein, da er aus dem Schaum des Erdschweißes erwachsen ist und somit keine Wärme besitzt. So macht er laut Beschreibung in dem LSM wahnsinnig, da er die Feuchtigkeit aus dem Gehirn zieht. Die richtige Mischung kann jedoch auch aus einem Gift eine Arznei machen. In diesem Falle wird bei den Rezepten häufig darauf verweisen, dass der Heilungsverlauf von Gottes Hilfe abhängig ist.[30]

Daneben ist die Elementarqualität der Wärme am bedeutendsten für die Entstehung von Pflanzen, Tieren, Menschen und den Einsatz von Heilmitteln. Von der Wärme des Körpers und der Zu- und Abführung von Körperwärme durch Heilmittel oder Methoden, wie Ofen-, Bett- und Badwärme hängt obendrein die Heilung ab.[31]

3.2 Curae et Causae / LCM

Der LCM ist zusammengesetzt aus der Medizin der Zeit Hildegards von Bingen, welchem Medizinkenntnisse der Antike und volkskundliche Vorstellungen von den Ursachen der Behandlung der Krankheiten zugrunde liegen.[32]

Der LCM weist eine weit weniger klare Struktur als der LSM auf und handelt von der physischen und psychischen Konstitution des Menschen, der Pathologie und der Therapie.[33] Das Werk ist in fünf bis sechs inhaltliche Abschnitte unterteilt, nämlich

1. der Schöpfung, dem Verhältnis des Menschen zum Weltganzen und der Geschöpfe und weiterhin der Kosmografie,

[...]


[1] Im Folgenden als „Liber simplicis medicinae“ / LSM bezeichnet, da diese Bezeichnung wesentlich früher in den Quellen erscheint.

[2] Im Folgenden als „Liber compositae medicinae“ / LCM bezeichnet. Begründung wie bei 1

[3] Embach, Michael: Die Schriften Hildegards von Bingen, Studien zu ihrer Überlieferung und Rezeption im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, Berlin 2003, S. 25.

[4] Bingen, Hildegard von: Heilkraft der Natur – Physica – Das Buch von dem inneren Wesen der verschiedenen Naturen der Geschöpfe – Erste vollständige, wortgetreue und textkritische Übersetzung, bei der alle Handschriften berücksichtigt sind – Übersetzt von Marie-Louise Portmann, Basel, Augsburg, Pattloch, 19972, S. 10.

[5] Henning, Aloys: Hildegard von Bingen (1098-1179) – Vorträge zum 900. Geburtstag, in: Berliner Osteuropa Info: BOI; Informationsdienst des Osteuropa-Instituts der Freien Universität.-Berlin, Berlin 1999, Bd. 12, S.44-45.

[6] Müller, Irmgard: Die pflanzlichen Heilmittel bei Hildegard von Bingen, Freiburg im Breisgau 1993, S. 7.

[7] vom heiligen Hieronymus im 4. Jh. begonnene, später für authentisch erklärte lateinische Übersetzung der Bibel

[8] Gössmann, Elisabeth: Hildegard v. Bingen, in: Lexikon des Mittelalters, CD-ROM-Ausgabe, LexMA 5, 13-15, o.O. 2000.

[9] Schipperges, Heinrich: Hildegard von Bingen: Ein Zeichen für unsere Zeit, Frankfurt am Main, 1981, S. 12.

[10] Schipperges, Heinrich: Hildegard von Bingen: Ein Zeichen, S. 13.

[11] Aufgrund der von Benedikt von Nursia verfassten Benediktinerregel, die auch die Sorge um Kranke beinhaltete, wuchsen Klöster zu Zentren der Heilkunde, der Medizin und des Wissens im allgemeinen heran. Der Ursprung der klösterlichen Medizin des Mittelalters lag zum einen Teil im Nachlass der griechischen antiken-wissenschaftlichen Medizin und zum anderen in Elementen der germanischen heidnisch-religiösen Medizin.

Die Iatrotheologie verlieh der Krankheit im Mittelalter neue Bedeutung. Es wurde versucht, die Krankheit als einen Teil des göttlichen Plans zu sehen. Die Krankheit wurde vom Einzelnen als Strafe Gottes und als Weg zum Heil im Jenseits gesehen.

[12] Eckart, Wolfgang U.: Geschichte der Medizin, Heidelberg, 20055, S. 57.

[13] Jankrift, Kay Peter: Krankheit und Heilkunde im Mittelalter, Darmstadt 2003, S. 28.

[14] Die „Regula Benedicti“ stellte in der Zeit Hildegards von Bingen das „Grundbuch mittelalterlichen Zusammenlebens“ dar.

[15] Schipperges, Heinrich: Hildegard von Bingen: Ein Zeichen, S. 18.

[16] Henning, Aloys, S.44-45.

[17] Schipperges, Heinrich: Hildegard von Bingen: Ein Zeichen, S. 13.

[18] Bingen, Hildegard von: Heilkraft, S. 25.

[19] Bingen, Hildegard von: Heilwissen, Von den Ursachen und der Behandlung von Krankheiten, Übersetzt und herausgegeben von Manfred Pawlik, Freiburg im Breisgau 1994, S.10.

[20] Embach, Michael, S. 292.

[21] Bingen, Hildegard von: Heilkraft, S. 7.

[22] Eckart, Wolfgang U.: Geschichte, S. 57.

[23] Bingen, Hildegard von: Heilwissen, S.10.

[24] Bingen, Hildegard von: Heilwissen, S.11.

[25] vgl. hierzu Tabelle aus Anlage 1

[26] Müller, Irmgard: Die Bedeutung der lateinischen Handschrift Ms. Laur. Ashb. 1323 (Florenz, Biblioteca Medicae Laurenzia) für die Rekonstruktion der „Physica“ Hildegards von Bingen und ihre Lehre von den natürlichen Wirkkräften, in: Hildegard von Bingen in ihrem historischem Umfeld, hrsg. von Haverkamp, Alfred, Mainz 2000, S. 430-431.

[27] Ebenda, S. 431.

[28] Bingen, Hildegard von: Heilkraft, S. 39.

[29] vgl. hierzu Tabelle aus Anlage 1

[30] Müller, Irmgard: Die Bedeutung, S. 432-434.

[31] Ebenda, S. 436.

[32] Eckart, Wolfgang U.: Geschichte, S. 57.

[33] Embach, Michael, S. 295.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Die natur- und heilkundlichen Theorien der Hildegard von Bingen
Hochschule
Helmut-Schmidt-Universität - Universität der Bundeswehr Hamburg
Note
1,7
Autor
Jahr
2006
Seiten
22
Katalognummer
V61198
ISBN (eBook)
9783638547024
ISBN (Buch)
9783656786290
Dateigröße
508 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Theorien, Hildegard, Bingen
Arbeit zitieren
Oliver Quast (Autor:in), 2006, Die natur- und heilkundlichen Theorien der Hildegard von Bingen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/61198

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