Dialekt als Lernbarriere und Lernchance mit Hinweisen für den Deutschunterricht im schwäbischen Sprachraum


Hausarbeit, 2006

22 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1 Einleitung und Fragestellung

2 Dialekt als Sprachvarietät des Deutschen
2.1 Was ist ein Dialekt?
2.2 Deutsche Mundarten der Gegenwart
2.3 Die Verdrängung der Dialekte durch das Hochdeutsche
2.4 Dialektrenaissance
2.5 Dialekt als Heimat

3 Die Dialektsituation im schwäbischen Gebiet
3.1 Ausdehnung und Grenzen des schwäbischen Dialektgebietes
3.2 Verbreitung und soziale Verteilung des Dialektes
3.3 Schule und Dialekt
3.4 Allgemeine methodisch-didaktische Hinweise zum Deutschunterricht
3.5 Sprachliche Einheiten:
- Entrundung(Fehlende Vokale ö/ü)
- Diphtonge(Zwielaute)
- Konsonanten p, t, k
- Konsonanten: stimmhaftes s/ stimmloses s
- Ausfall und Verkürzung von Endungen
- Formen des Artikels
- Genusunterschiede der Substantive
- Stammformen des Verbs
- Zeiten des Verbs

4 Schluss

5 Verwendete Literatur und Materialquellen

Soso … en Dichter sin Sie.

Aha. In Ihrem Alter?

Ja – was mache Se denn beruflich,

wenn mer froge derf?

Ich main, Dichte isch doch mehr e Hobby,

so wie male oder Musik mache oder Makramee

oder was waiß ich.

Was macht de Herr Dichter,

wenn’s grad nix zum dichte gibt?

De Gürtel enger schnalle un e dumms Gsicht!

Sie, des habe Se schön gsagt.

Mer merkt halt glei:

En Mensch, der sich ausdrücke kann.

Soso, Sie sin also en Dichter. Aha.

(aus: Harald Hurst „Ich bin so frei“ Gedichte und Prosa 4. Aufl., Karlsruhe 1998)

Vorwort

„Er hieß Willi und sprach nur Plattdeutsch – auch ich im Unterricht. Willi war mein Klassenkamerad Anfang der 50er Jahre in einer Grundschule eines Hamburger Vorortes. Damals gab es am Hamburger Stadtrand noch landwirtschaftliche Betriebe und Willi gehörte irgendwie zur Landwirtschaft. „Willi, wie heißt das richtig?“, unterbrach ihn die Lehrerin immer wieder. Wenn er lesen sollte, begann er stockend Hochdeutsch, doch schon nach wenigen Worten fiel er ins Plattdeutsche. „Wie macht er das nur?“, dachte ich. Die Lehrerin wurde immer ungeduldiger. Willi, der lang gewachsene Junge, fing an zu weinen. Einmal brachte er ein Frettchen mit in den Naturkundeunterricht. Nicht nur ich, wir alle bewunderten ihn, als er uns erklärte, was ein Frettchen ist. Auf einem alten Foto aus der dritten oder vierten Klasse kann ich ihn nicht mehr finden. Was mag aus ihm geworden sein?

Sie hieß Dorle. Sie sprach ebenfalls Plattdeutsch. Wenn sie vorlesen sollte, musste sie aufstehen – das mussten wir alle – aber sie pinkelte jedes Mal in die Hose. Eine Pfütze bildete sich auf dem Fußboden. Jahrzehnte später wurde ich wieder daran erinnert. In dem Film „Blutiger Engel“ nach Ruth Pendells Krimi „Urteil in Stein“ macht das spätere Analphabetin Eunice Parchman genauso. Was mag aus Dorle geworden sein? Ich finde sie auf keinem Foto mehr.

Und dann…ja, wie hieß sie noch, ich habe ihren Namen vergessen. Sie kam aus Ostpreußen und sprach auch so. „Marjellchen“(Mädchen) – daran erinnere ich mich noch. Ostpreußisch – das war schlimmer als Plattdeutsch. Das waren ja fast schon Polacken – so beschimpfte man die Polen bzw. ehemalige polnische Fremdarbeiter und alles, was als Flüchtling aus dem Osten kam. Ich kann mich an Marjellchens Gesicht nicht mehr erinnern. Kein Foto gibt deshalb Auskunft über sie. Was mag aus ihr geworden sein?

Er heißt Jürgen – und das bin ich selbst, geboren 1943 in Hamburg, dort aufgewachsen in einem Dialektumfeld der unmittelbaren Nachkriegzeit (…) Dieses Dialektumfeld, das noch erweitert wurde durch die Flüchtlinge aus allen Teilen Deutschlands, hat meine Sprache geprägt – Prägungen, die sich bis heute nachweisen lassen, Prägungen, die aber auch meinen Schriftspracherwerb in der Schule erschwert und mir manche „Peinlichkeiten“ eingebracht haben“…

( GENUNEIT, 2003, S. 26)

1 Einleitung und Fragestellung

Der Gegenstand meiner Hausarbeit ist Dialekte in Deutschland, insbesondere im schwäbischen Sprachraum. Als unmittelbarer Anstoß, dieses Thema zu wählen, diente mein persönliches Interesse daran aufgrund meiner zukünftigen beruflichen Tätigkeit als Lehrerin. Da Deutsch nicht meine Muttersprache ist, seit längerer Zeit aber ich im Stuttgarter Raum lebe und der Umgang mit dialektalen Sprechern zu meinem familiären Umfeld gehört, kann ich die Unterschiede zwischen dem schwäbischen Dialekt und dem Hochdeutschen ziemlich gut unterscheiden und beschreiben.

Als weiteren Ausgangspunkt meiner Forschung möchte ich den nennen, wie mundartlicher Sprachgebrauch von Kindern an öffentlichen Schulen in Baden-Württemberg betrachtet wird. Beeinträchtigt Dialektgebrauch das Schreiben-/Lesen lernen? Wird Dialekt als Lernbarriere oder Lernchance für Kinder angesehen?

Das Interesse, das Thema zu bearbeiten, wurde noch zusätzlich mit Hilfe meiner Tochter, die mittlerweile in der 1. Klasse ist, angeregt. Als sie noch im Kindergarten war, sangen die Kinder sehr oft schwäbische Lieder bei den festlichen Veranstaltungen, an denen viele Eltern anwesend waren. Die Kindergartenleiterin war auch eine starke Dialektsprecherin. Ich stellte mir damals immer wieder die Frage, ob es richtig war, den Kindern im Vorschulalter Schwäbisch beizubringen(Im Kindergarten waren ca. 30% Kinder ausländischer Herkunft). In der Zwischenzeit änderte ich meine Meinung dazu, und bin völlig mit der Äußerung von Eckart Frahm, Kulturwissenschaftler der Universität Tübingen: „Der Dialekt vermittelt Vertrautheit und Heimatlichkeit“, einverstanden (vgl. SELTMANN, Seminarmaterialien).

In meiner Hausarbeit werde ich solche Fragen wie Definition der Dialekte, geschichtlicher Exkurs zur Entstehung der Dialekte(besser gesagt der Hochsprache), Dialektgebrauch heute(vor allem im schwäbischen Sprachraum), Benutzerkreise behandeln. Unter besonderer Betrachtungsweise, mit wissenschaftlichen Quellen belegt, werde ich auf die Unterrichtsplanung in Klassen mit großem Anteil Dialektsprecher, die hauptsächlichen Schwierigkeiten der Dialektsprecher, dialektale Rechtschreibfehler und Normabweichungen im Schwäbischen eingehen. Ich versuche, methodische und didaktische Hinweise zu einzelnen Unterrichtseinheiten zu geben.

Nicht ohne Grund wählte ich als Einstieg zum Thema die persönlichen Erinnerungen von Jürgen Genuneit – jeder Lehrer sollte nachvollziehen, wie behutsam er im Unterricht mit solchen Schülern und Schülerinnen umgehen muss, um noch reine Kinderseele unverdient nicht zu verletzen. Wie bekannt die Erlebnisse der Kindheit können einen Menschen das ganze Leben lang verfolgen und negative Auswirkungen auf sein Berufs- und Familienleben haben. Letztendlich sind die dialektsprechenden Kinder nicht dümmer oder minderwertiger als die anderen Schüler, die Hochsprache beherrschen, sondern sie haben es entschieden schwerer einen „angemessenen Gebrauch der Hochsprache“ zu erwerben. Jeder Lehrer sollte sich bewusst sein, dass er die Ausgangssprache der Kinder nicht abschaffen, sondern berücksichtigen müsste, um ihnen eine „sprachliche Entwicklung ohne Identitätsbrüche zu ermöglichen“ und „mit besonderer Hilfestellung im schriftlichen Bereich“ zu unterstützen(vgl. AMMON/LOEWER, 1977, S. 12 f.).

2 Dialekt als Sprachvarietät des Deutschen

2.1 Was ist ein Dialekt?

In der sprachwissenschaftlichen Literatur gibt es sehr viele Definitionen vom Begriff des Dialektes. Manchmal wird er als „eine (leicht) landschaftlich gefärbte Umgangssprache“ oder als „Abweichungen von der Hochsprache“ im mündlichen Bereich bezeichnet. Ich würde mich an die Meinung von Klaus J. Mattheier einschließen, in dem er Dialekte als Sprachvarietäten definiert: „Varietäten sind […] sprachliche Existenzformen, die innerhalb einer größeren Sprachgemeinschaft nebeneinander vorkommen, und die linguistisch miteinander verwandt sind“(MATTHEIER, 1980, S. 14). Diese Definition verdeutlicht den Zusammenhang zwischen den einzelnen Dialekten und der ihnen übergeordnete Standardsprache.

Den Begriff des Dialektes kennt man erst seit neuerer Zeit mit der Entstehung der Einheitssprache. Er wird in erster Linie durch Abgrenzung von eben jener Einheitssprache definiert. „Beim Dialekt fängt die gesprochene Sprache an“, sagte einst schon Johann Wolfgang von Goethe(vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Dialekt) Der Terminus Mundart wird in dem Zusammenhang auch sehr oft verwendet. Der Begriff Mundart geht auf den Dichter Philipp von Zesen(1619 – 1689) zurück und wurde das erste Mal im 17. Jahrhundert als eine künstlerische Übersetzung für das Fremdwort Dialekt verwendet

(vgl. http://www.deutschedialekte.at/geschichte_der_dialektologie.htm). Im Vordergrund stand aber damals jedoch die Probleme der gesprochenen Sprache im Gegensatz zur geschriebenen, noch nicht der regionale Aspekt.

Das Wort Mundart verdeutlicht an sich, dass die Abgrenzung und Betonung auf der Mündlichkeit liegt, d.h. im Wesentlichen in der Aussprache. Unter Mundart versteht man „die Ausdrucksweise mit der stärksten regionalen Färbung“(GOOSSENS, 1977, S. 16). Sie wird auch unter anderem durch eine spezifische Sprachmelodie und gewisse regelmäßige Ableitungen hochsprachlicher Ausdrücke, die von ihren Sprechern verwendet werden, definiert.

Der Ausdruck Dialekt(von griech. dialegomai: miteinander reden) ist aber heutzutage geläufiger und wird als historisches Phänomen dargestellt, “ welches sich in jeder Epoche und Zeit stetig verändert und somit auch für jede Zeit neu definiert werden muss“(MATTHEIER, 1980, S. 12). Dialekte können sich auf allen linguistischen Ebenen unterscheiden: Phonetik, Morphologie, Lexik, Syntax, Kasus, Tempus, Intonation.

2.2 Deutsche Mundarten der Gegenwart

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[WINFRIED, Ulrich: Wörterbuch Linguistische Grundbegriffe, S. 77]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2.3 Die Verdrängung der Dialekte durch das Hochdeutsche

Eine einheitliche deutsche Sprech- und Schriftsprache hat es im deutschen Sprachgebiet über Jahrhunderte nicht gegeben. Als Schriftsprache galt bis ins Spätmittelalter das Lateinische. Im 15. Jahrhundert wird das Lateinische durch dialektgeprägte Schriftsprachen – für Norddeutschland z.B. das Niederdeutsche – verdrängt(vgl. SCHÜRER, Geschichte, S. 159). Unter anderem durch den Niedergang der Hanse und die erfolgreiche Reformation mit der Bibelübersetzung Luthers wurde das Hochdeutsche zur Standardsprache.

Das Hochdeutsche fand im 17./18. Jahrhundert besonders in dem erst entstehenden Bildungs- und Handelsbürgertum Anklang, das sich dadurch als selbstständiger Stand vom Bauerntum absetzen wollte. Gleichzeitig entwickelten sich orthographische Normen für die Schriftsprache, die um 1800 relativ gefestigt waren(vgl. GESSINGER, 1980, S. 91 f.). Die gesprochene Sprache blieb jedoch bis auf die Oberschicht dialektal geprägt. Dies änderte sich mit dem im 19. Jahrhundert einsetzenden Bedürfnis nach sozialem Aufstieg und der Bevölkerungsmobilität durch die Frühindustrialisierung. Starke Dialektmerkmale verschwanden, verschiedene Dialekte mischten sich. Es entstanden vergleichsweise großräumige Stadtdialekte und regionale Umgangssprachen(vgl. GENUNEIT, 2003, S. 27)

Im 20. Jahrhundert verstärkte sich der Sprachkontakt unter den Bevölkerungsschichten, nicht zuletzt durch die beiden Weltkriege und ihre Folgen, aber auch durch Medien wie Zeitung, Rundfunk und Fernsehen. „Im Beruf wurde es zunehmend als unpassend angesehen, Dialekt zu sprechen“. Dialekt galt als Barriere für die Karriere. „Das hatte zur Folge, dass immer mehr Erwachsene ihren Dialekt aufgaben und auch ihre Kinder nun verstärkt in Hochdeutsch erzogen“(SCHÜRER, Geschichte, S. 160 f.).

[...]

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Dialekt als Lernbarriere und Lernchance mit Hinweisen für den Deutschunterricht im schwäbischen Sprachraum
Hochschule
Evangelische Hochschule Ludwigsburg (ehem. Evangelische Fachhochschule Reutlingen-Ludwigsburg; Standort Ludwigsburg)
Veranstaltung
Seminar: Orthographie und Grammatik
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
22
Katalognummer
V60925
ISBN (eBook)
9783638544894
ISBN (Buch)
9783638667678
Dateigröße
852 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Dialekt, Lernbarriere, Lernchance, Hinweisen, Deutschunterricht, Sprachraum, Seminar, Orthographie, Grammatik
Arbeit zitieren
Elena Hahn (Autor:in), 2006, Dialekt als Lernbarriere und Lernchance mit Hinweisen für den Deutschunterricht im schwäbischen Sprachraum, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/60925

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