George Tabori: "Mutters Courage" - Ein Vergleich zwischen Erzählprosa- und Dramenfassung

Ist eine Vereinfachung im Hinblick auf Sprache und Inhalt in dem Theaterstück gegenüber der Erzählung zu erkennen?


Seminararbeit, 2005

22 Seiten, Note: Sehr gut

Karoline Ehrlich (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Prosatext versus Dramentext
2.1. Mutters Courage – Der Prosatext
2.2. Mutters Courage – Der Dramentext

3. Der Vergleich
3.1. Stilistische Unterschiede
3.2. Inhaltliche Veränderungen

4. Schluss

5. Verwendete Literatur
5.1. Primärliteratur
5.2. Sekundärliteratur

1. Einleitung

In meiner Arbeit werden zwei Texte von George Tabori miteinander verglichen. Dabei handelt es sich um die beiden Fassungen von Mutters Courage.

Meine Intention ist es, herauszufinden, ob der Dramentext gegenüber der Erzählung im Hinblick auf Sprache und Inhalt vereinfacht wurde. Aus Mangel an Sekundärliteratur zu diesem Thema, wird die Fragestellung anhand konkreter Textbeispiele in beiden Fassungen untersucht. Mir ist auch wichtig, wie sich durch diese Veränderungen die Wirkung des Textes auf den Rezipienten ändert. Anhand der verschiedenen Wirkungen werde ich versuchen, Rückschlüsse auf den Grund der Änderungen zu ziehen. Dabei ist zu beachten, dass es sich bei den Begründungen nur um Annahmen handelt.

Die Dramenfassung wurde im Jahr 1979 in den Münchner Kammerspielen vom Autor selbst inszeniert und uraufgeführt.[1] Durch ein Gespräch mit einer Dramaturgin des Wiener Burgtheaters, an dem George Tabori in den 90er Jahren einige seiner Stücke inszenierte, bin ich zu der Information gelangt, dass George Tabori seine Dramen stets selbst inszeniert und während der Proben den Text immer wieder verändert; das heißt, dass die Theaterstücke durch praktisches Arbeiten am Text entstehen und nicht a priori vorgegeben sind. Dies ist für einen Vergleich wichtig, da wahrscheinlich auch dieses Stück unter dem Einfluss praktischer Theaterarbeit entstanden ist. Wahrscheinlich entstanden einige Änderungen durch die Gespräche mit Schauspielern und Dramaturgen im Rahmen des Probenprozesses. Die Theatertexte von George Tabori wurden auch in den meisten Fällen frühestens nach der Premiere in Druck gegeben, was darauf hindeutet, dass Tabori bis zum ‚letzten Tag’ an seinen Werken arbeitet.

Ich habe mich für diese Arbeit für einen Vergleich entschlossen, da mir die Unterschiede beim Lesen der beiden Textsorten sofort aufgefallen sind und sich mir währenddessen schon die Frage gestellt hat, wie diese Änderungen zustande kommen und was damit bewirkt wird.

Im zweiten Kapitel ‚Prosatext versus Dramentext’ wird kurz beschreiben, wovon die beiden Stücke handeln und wann sie entstanden sind. Außerdem wird unter dem Punkt 2.2. ‚ Mutters Courage – Der Dramentext’ schon ein kurzer Einblick über grobe Unterschiede gegeben.

Das dritte Kapitel ‚Der Vergleich’ ist unterteilt in ‚Stilistische Unterschiede’ und ‚Inhaltliche Veränderungen’. Unter 3.1. wird auf die Syntax sowie die Semantik eingegangen und anhand von Beispielen die wesentlichen Unterschiede und deren Wirkung beschrieben. Der Punkt 3.2. behandelt die inhaltlichen Unterschiede, die größtenteils chronologisch aus den beiden Ausgangstexten herausgearbeitet werden. Mit Hilfe von Beispielen werden die wesentlichsten Unterschiede aufgezeigt und infolge dessen auch auf die Wirkung eingegangen. Ferner wird versucht diese Änderungen zu begründen. Im Schluss wird erläutert, ob es sich bei der Dramenfassung tatsächlich um eine Vereinfachung handelt oder ob, dies nur auf den ersten Blick so scheint.

2. Prosatext versus Dramentext

2.1. Mutters Courage – Der Prosatext

Bei dem Prosatext Mutters Courage von George Tabori handelt es sich um eine Erzählung aus dem Jahr 1975, „die sich auf die teilweise schriftlich festgehaltenen Erinnerungen der Mutter stützt“[2]. Es wird die Geschichte einer jüdischen Mutter erzählt, welche im Frühsommer des Jahres 1944 in ihrer Heimatstadt Budapest auf dem Weg zum täglichen Romméspiel zu ihrer Schwester Martha von zwei Polizisten verhaftet wird. Da diese beiden, schon in die Jahre gekommenen Wachmänner, keinen eigenen Wagen besitzen, müssen sie die Mutter mit der Straßenbahn, welche sie dann zum Bahnhof bringen soll, geleiten. Jedoch fährt die Bahn ohne die beiden Polizisten ab. Sie rufen der Mutter hinterher, dass sie an der nächsten Haltestelle warten solle. Die Mutter steigt tatsächlich an der nächsten Station aus und wartet auf ihre Verfolger. Und somit wird die Mutter deportiert. In einem Zwischenlager, einer alten Fabrik mit Innenhof, trifft sie einen alten Bekannten ihres Mannes, der sie dazu zwingt dem deutschen Offizier klarzumachen, dass sie „gar nicht hier sein“[3] sollte, indem er sie in den Innenhof zu dem Offizier stößt. Sie erklärt diesem daraufhin, dass sie einen Schutzpass vom Roten Kreuz besitze, woraufhin er die Mutter zurückschickt. Im Zug trifft sie nochmals auf diesen Offizier. Wieder in Budapest angekommen fährt sie zu ihrer Schwester und deren Mann, um Rommé zu spielen.

2.2. Mutters Courage – Der Dramentext

Am 17. Mai 1979 wurde im „Theater der Jugend“, einer Dependance der Münchner Kammerspiele, das Theaterstück Mutters Courage uraufgeführt.

Es handelt wie der Prosatext von der Verhaftung der Mutter und deren Rettung durch einen deutschen Truppenführer. George Tabori greift nur sehr begrenzt in seine vorausgegangene Erzählung ein. Jedoch hat man hier einen Mutter-Sohn-Dialog vor sich. Diese Veränderung von einer Erzählung hin zu einem Dialog ist gattungsbedingt zu verstehen. In diesem Dialog entwickelt sich die Geschichte der Mutter. Es lassen sich „nicht-erzählte Bühnendialoge finden“[4], welche aber „nur zwischen Mutter und Sohn“[5] erfolgen.

Birgit Haas spricht in ihrem Text Das Theater des George Tabori: von Verfremdungseffekt zur Postmoderne von einem „epischen Theater im puristischen Sinne.“[6] Diese Aussage wird im Kapitel 3.1. genauer erläutert.

Zu Beginn werden die Personen des Stückes aufgelistet, wie es bei Dramentexten üblich ist. Kennt man jedoch die Erzählung, so fällt auf, dass nicht alle Personen der Erzählung verzeichnet sind. Zum Beispiel taucht die Schaffnerin nicht als eigene Person auf.

Das Theaterstück ist in fünf Szenen unterteilt; die Erzählung jedoch weist keine Einteilungen auf.

Den größten Part nimmt der Sohn ein, wodurch der „erzählerische Duktus des Stückes erhalten“[7] bleibt. „Das epische Ich wird zum Regisseur, der den anderen Spielern ihre Rollen zuweist und sie kommentiert.“[8] Der Sohn nimmt im ständigen Wechsel die Rolle des Erzählers, welche dominiert, seine eigene und die anderer Figuren ein; er gibt teilweise auch die wörtliche Rede der Figuren wider.

„Das Geschehen spielt sich auf zwei Zeit- und Spielebenen ab. Zum einen das „Jetzt“ der probeartigen Bühnensituation und zum anderen auf der imaginäre Bühne der Vergangenheit.“[9] Diese Bühne der Vergangenheit wird vom Sohn ausgeschmückt.

Der Dramentext wirkt auf den ersten Blick im Vergleich zu der Erzählung schlichter und begreiflicher.

Auffallend ist, dass Tabori am Anfang des Erzähltextes oftmals mit aussagkräftigeren und emotionsträchtigeren Wörtern die Geschichte beschreibt als in der Dramenfassung. Der Erzähltext ist vielfach von Hyperbeln gekennzeichnet, die in der Dramenfassung nicht oder nur in abgeschwächter Form vorkommen. Ab der Mitte des Textes vertauschen sich diese Positionen jedoch und die kräftigere, dramatischere Ausdrucksweise findet sich schließlich im Dramentext wieder. Nach Hofmann demonstriert Tabori „das eigentlich nicht Darstellbare indirekt darzustellen“[10] und schafft es damit, einen im „erzählerischen Duktus gehaltenen [Text]“[11] in eine bühnentaugliche Dramenversion umzuwandeln.

3. Der Vergleich

3.1. Stilistische Unterschiede

Die hauptsächlichste Differenz ist in der Unterschiedlichkeit der beiden Gattungen, Prosafassung und Dramenfassung, begründet; wie zum Beispiel die Aufteilung in Dialoge.

Es gibt Unterschiede zwischen dem Erzähltext und dem Theatertext in Mutters Courage, welche im Text immer wieder erscheinen.

Obwohl sich George Tabori bei Schreiben des Dramentextes sehr genau an den der Erzählung hält, ist zu beobachten, dass Sätze umgestellt werden oder in einer veränderten Reihenfolge erscheinen. Ist dies der Fall, werden die betroffenen Sätze meist durch ein Semikolon miteinander verbunden.

Es kommt auch vor, dass an anderen Stellen zwei Sätze zusammengefügt werden, wie in dem folgenden Beispiel:

„Die Tür des Abteil wurde aufgerissen, und herein kam noch ein Feind, ein deutscher Soldat, sehr jung, warum schickt man diese Kinder in den Krieg? Er brachte ihr eine Kohlsuppe und ein Stück Graubrot.“ [PT S. 29]

„Die Tür des Abteils wurde aufgerissen, und herein kam wieder ein Feind, ein deutscher Soldat, sehr jung, warum schicken sie diese Kinder in den Krieg, und er brachte meiner Mutter eine Kohlsuppe und ein Stück Graubrot.“ [DT S. 312 f.]

An diesem Beispiel lässt sich gut erkennen, wie sich die Wirkung mit der vorgenommenen Umgestaltung ändert. An dieser Textstelle wurde eine Zäsur des Prosatextes im Drama übersprungen. Das Fragezeichen wurde durch ein Komma ersetzt. Man könnte hier von einer Vereinfachung für das Medium Theater sprechen, denn die Frage „…warum schickt man diese Kinder in den Krieg?“ [PT S. 29] regt zum Nachdenken an. Der Leser setzt sich mit dieser Frage auseinander und versucht womöglich sie zu beantworten. Um dieses Nachdenken und im Text stehen bleiben bei dem Leser sowie bei dem Zuschauer des Stückes zu unterbinden und somit die Konzentration derselben auf die folgenden Aussagen zu lenken, wird dieses Fragezeichen ersetzt. Diese Veränderung ist mit dem schon angesprochenen Gattungswechsel in Verbindung zu bringen. Der Leser der Erzählung hat die Möglichkeit innezuhalten und über das Geschriebene nachzudenken. Er kann das Tempo und die Zeit bestimmen. Der Zuschauer im Theater jedoch hat diese Gelegenheit nicht. Er ist gezwungen diese vorgegebene Zeit und dieses vorgegebene Tempo einzuhalten oder er fällt aus der Geschichte heraus. Dieses Herausfallen aus der Geschichte wird eventuell versucht zu verhindern und somit wurde die Zäsur weggelassen. Jedoch ist deutlich zu beobachten, wie der Intonationsfluss an dieser Stelle unterbrochen wird. In diesem Fall lässt sich nicht ohne weiteres sagen, dass eine Vereinfachung stattfindet.

In einem anderen Beispiel findet man zwei Sätze des Prosatextes, welche durch einen Doppelpunkt getrennt sind:

„Unser Faschismus (nein, der ihrige!) war schäbig im Vergleich zum benachbarten Pomp: Die Grünhemden der einheimischen Rohlingen waren schmierig am Kragen, ihre Stiefel ungewichst, und ihre Gewehre hatten schon mal Ladehemmung…“ [PT S. 7 f.]

Im Dramentext hat Tabori diese beiden Sätze einfach aneinandergereiht und durch ein Komma getrennt:

„Unser Faschismus (nein, der ihrige!) war der des kleinen Mannes, recht schäbig im Vergleich zum benachbarten Pomp, die grünen Hemden der einheimischen Rohlinge…“ [DT S. 288]

Der Ich-Erzähler des Prosatextes gibt die Aussagen der Figuren, von denen er berichtet, als wörtliche Rede wieder: „„Zur jüdischen Bäckerei“, sagte Iglódi, sich einen kleinen Scherz erlaubend.“ [PT S. 13]. Im Drama hat Tabori diese Bemerkung in einen Dialog mit der Mutter eingebaut: „1. POLIZIST ein Witz Zur jüdischen Bäckerei.“ [DT S. 294]. An diesem Beispiel wird auch deutlich, wie George Tabori das Problem des wegfallenden Erzählers in dieser Passage gelöst hat, nämlich durch eine Regieanweisung. Dieses ist ein Beispiel für die gattungsbestimmten Verschiedenheiten.

[...]


[1] Strässle, Thomas: George Taboris Drama Mutters Courage – ein Text in der Tradition Grimmelshausens? In: Simpliciana. 23. 2001. Seiten: 159-176, Seite: 160.

[2] Roth, Markus: Das Theater nach Auschwitz. George Taboris Die Kannibalen im Kontext der Holocaust-Debatten. Frankfurt am Main: Peter Lang Verlag, 2003. (= Historisch-kritische Arbeiten zur deutschen Literatur. Herausgegeben von Herbert Kraft. Bd. 32). Seite: 125.

[3] Tabori, George: Mutters Courage. Berlin: Wagenbach, 2003. (= Wagenbachs Taschenbuch 462). Seite: 23. (wird künftig zitiert als [PT S. 23]).

[4] Haas, Birgit: Das Theater des George Tabori: von Verfremdungseffekt zur Postmoderne. Frankfurt am Main, Wien (u.a.): Peter Lang Verlag, 2000. (= Heidelberger Beiträge zur deutschen Literatur 6). Seite: 55.

[5] Ebd.: Seite: 55.

[6] Ebd.: Seite: 55.

[7] Ebd.: Seite: 55.

[8] Ebd.: Seite: 62.

[9] Ebd.: Seite: 55.

[10] Hofmann, Michael: Zur Aktualität einer Poetik des Erhabenen. Schiller, Higo, Johnson, Tabori. In: Weimarer Beiträge. (49) 2003, 2. Seiten: 202-218, Seite: 216.

[11] Strässle, Thomas: George Taboris Drama Mutters Courage – ein Text in der Tradition Grimmelshausens? In: Simpliciana. (23) 2001. Seiten: 159-176, Seite: 166.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
George Tabori: "Mutters Courage" - Ein Vergleich zwischen Erzählprosa- und Dramenfassung
Untertitel
Ist eine Vereinfachung im Hinblick auf Sprache und Inhalt in dem Theaterstück gegenüber der Erzählung zu erkennen?
Hochschule
Universität Wien
Note
Sehr gut
Autor
Jahr
2005
Seiten
22
Katalognummer
V60818
ISBN (eBook)
9783638543989
ISBN (Buch)
9783638714259
Dateigröße
554 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
George, Tabori, Mutters, Courage, Vergleich, Erzählprosa-, Dramenfassung
Arbeit zitieren
Karoline Ehrlich (Autor:in), 2005, George Tabori: "Mutters Courage" - Ein Vergleich zwischen Erzählprosa- und Dramenfassung , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/60818

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