Geschlechterspezifische Ausdrucksformen in der filmischen Pornographie


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

74 Seiten, Note: 2,0

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Diskursformen im Vergleich
2.1 Deskriptiv-analytischer Kontext
2.1.1 Linda Williams
2.1.2 Corinna Rückert
2.2 Empirisch-soziologischer Kontext
2.2.1 Die PorNo-Kampagne
2.2.2 Herbert Selg

3. Ikonographie des Pornofilms
3.1 Der Mainstream-Pornofilm am Beispiel FOXY LADY Teil 1
3.2 Der „Frauen-Pornofilm" am Beispiel MYSTICAL
3.3 Der „Hybrid-Pornofilm" am Beispiel „ANDREW BLAKE 2000 PART TWO"

4. Distribution
4.1 Bezugsquellen
4.2 Vermarktungsstrategien
4.3 Erfahrungsbericht

5. Zusammenfassung

7. Literaturverzeichnis

8. Filmographie

9. Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

Seit die Menschen Formen entwickelt haben, sich ein Abbild ihrer Selbst zu schaffen oder Bewegungsphasen visuell darzustellen[1] existiert offensichtlich der Wunsch, pornographische Darstellungen abzubilden. Die Höhlenwände von Lascaux, die Sexbilder und Paarungsdarstellungen aufweisen[2], zeugen vom Begehren des Menschen, sein geschlechtliches Leben öffentlich zur Schau zu stellen.

Motivatorisch könnte dies unterschiedliche Ursachen haben: Zum einen das Konservieren der visuell erfahrbaren Körper für die Nachwelt oder als anschauliche Anleitung zur Ausübung sexueller Praktiken. Mit Einsetzen der Kinematographie im Jahre 1895 war ein weiteres Medium geboren, um visuelle Projektion vom Liebespiel der Menschen zu ermöglichen.[3]

Wenn im Folgenden von Pornographie gesprochen wird, liegt diesem Diskurs die Definition von Corinna Rückert zu Grunde: „Pornographie bezeichnet diejenigen medialen Inszenierungen sexueller Phantasien in Wort, Bild und Ton, die 1. explizit detailliert sind, 2. in einen szenisch narrativen Rahmen eingebunden sind und 3. einen fiktionalen Wirklichkeitsbezug herstellen“ (Rückert 2000, 100).

Die Definitionsbemühungen, einen einheitlichen Konsens zum Gegenstandsbereich der Pornographie zu finden sind schwierig, da der Begriff einem zeitlichen und kulturellen Normwandel unterworfen ist. Ebenso sind sexuelle Tabus kulturabhängig. Pornographie wird somit normativ definiert, beinhaltet eine Abwertung und bringt zum Ausdruck, was in einer Gesellschaft als unzüchtig verstanden werden soll.

De facto offenbart der Blick in die Rezeptionsgeschichte filmischer Pornographie- und nicht nur derer- ein signifikantes Merkmal: Es ist eine Geschichte des männlichen Blickes, wie die Ausarbeitung im Folgenden dokumentieren wird.

Pornographie in ihrer literarischen, bildlichen oder cineastischen Form ist ein Gegenstand, der größtenteils von Männern für Männer konzipiert wurde und wird.[4])

Pornographische Filme wurden seit Anfang des 20. Jahrhunderts nur unter speziellen örtlichen Rahmenbedingungen wie z.B. in Bordellen, in Hinterzimmern von Kneipen oder in Versammlungsräumen von Männerverbindungen konsumiert und legitimiert. Mit der öffentlichen Filmvorführung z. B. von DEEP THROAT wurde ein moralischer Wertewandel innerhalb der Gesellschaft eingeleitet. Der Pornofilm war somit zu einem kulturellen, abendfüllenden Ereignis geworden und wurde gesellschaftsfähig.

Die nachstehende Arbeit beschäftigt sich mit der Fragestellung, welche geschlechterspezifischen Inszenierungsmethoden im Hinblick auf formale, ästhetische und inhaltliche Ausdrucksformen in der filmischen Pornographie existieren.

Teil I. beschäftigt sich mit den differenten Diskursformen zum Gegenstandsbereich Pornographie wie der feministischen Debatte, des filmwissenschaftlichen Diskurses von Linda Williams und Corinna Rückert und empirischen Untersuchungsergebnissen zum Rezeptionsverhalten.

In Teil II geht es um einen Vergleich von Mainstream- und Frauenpornographie hinsichtlich formaler und inhaltlicher Kriterien. Es wird somit vorausgesetzt, dass eine formal und inhaltlich differente, für eine weibliche Zielgruppe konstituierte Pornographie existiert. Als inhaltliche Basis und ikonographischer Leitfaden werden die Abhandlungen von Corinna Rückert Frauenpornographie[5] und Linda Wiliams Hardcore[6] herangezogen, die Thesen zu den formalen und inhaltlichen Kriterien im Hinblick auf Mainstream- und Frauenpornographie postuliert haben. Ziel der vorliegenden Arbeit ist eine Verifizierung der formulierten Thesen zur ästhetischen und narrativen Struktur von Frauenpornographie. Zur Lösung der vorliegenden Problemstellung wird die empirische deskriptiv-analytische Methode angewandt.

Ziel ist eine Inhaltsanalyse der gesichteten Filme, die visuelle Strukturen auf eine objektivierbare und universelle Weise klassifizierbar macht. Die Häufigkeit bestimmter Merkmale oder wiederkehrender Motive wird im Rahmen einer Frequenzanalyse zu eruieren sein.

Methodisch wird auf der Ebene der Rezeption versucht, die Filme deskriptiv zu erfassen und ihre spezifischen Inszenierungsmerkmale zur Bildung bestimmter Kategorien heranzuziehen. Eine weitere Fragestellung, die jedoch nicht durch die alleinige Betrachtung des Untersuchungsgegenstandes Film gelöst werden kann, ist, wie sich der Einsatz bestimmter filmischer Gestaltungsmittel auf das Rezeptionsverhalten auswirkt.

Die Antwort hierzu kann nur im Rahmen empirischer Untersuchungen erfolgen und somit muss diesbezüglich auf bisher vorliegende Studien verwiesen werden. Es wird jedoch im Schlussteil auf Grund der Rezeptionserfahrung der Autorinnen und der intensiven Beschäftigung mit dem vorliegenden Untersuchungsgegenstand eine Tendenz aufzuzeigen sein. Die analytische Distanz muss in diesem Punkt einer subjektiven Wahrnehmung zwar nicht weichen, jedoch kann es hier zu einer Vermischung von objektiver Analyse und weiblichem Blick kommen.

2. Diskursformen im Vergleich

Um uns der Fragestellung nach der medialen Inszenierung von Frauenpornographie zu widmen, ist es sinnvoll zu eruieren, in welcher Form ein Diskurs zum Thema Pornographie geführt wird.

Wie begegnen unterschiedliche Disziplinen in ihrer Methodik und Hermeneutik dem Gegenstandsbereich der Pornographie und im Besonderen der Frauenpornographie? Beispielhaft werden in diesem Zusammenhang aus den unterschiedlichen Disziplinen wie bspw. der Filmwissenschaft, der Sozialpsychologie und des feministischen Diskurses, Theorien skizziert.

Anzumerken ist hier, dass es nahezu keinen interdisziplinären Austausch der jeweiligen Gruppierungen untereinander gibt, der jedoch sehr fruchtbar sein kann und vielleicht auch zu mehr Verständnis und Toleranz führt. Dies wird hier angenommen, da eine einzige Sichtweise allein niemals einen ganzheitlichen Blickwinkel erfüllen kann und somit wichtige Versatzstücke eines Untersuchungsgegenstandes dadurch nicht berücksichtigt werden können.

Hinzu kommt, dass die jeweiligen Resultate sehr stark von den eigenen Bewertungen des Gegenstandsbereiches der Pornographie abhängig sind. Demnach ist es sehr schwierig, Untersuchungsergebnisse zu präsentieren, die auf empirisch-fundierten Untersuchungen basieren und frei von persönlichen Dispositionen sind.

Betrachtet man in diesem Zusammenhang den Verlauf der einzelnen Diskurse zum examinierten Untersuchungsgegenstand, so lassen sich differente Schwerpunkte innerhalb dieses Diskurses konkretisieren.

2.1 Deskriptiv-analytischer Kontext

2.1.1 Linda Williams

Linda Williams hat sich in ihrem Buch Hardcore[7] mit dem Thema und der Ikonographie der Pornographie beschäftigt. Dabei ist ihre Auseinandersetzung mit diesem Gegenstandsbereich klar strukturiert, denn Linda Williams geht historisch chronologisch vor, indem ihre Betrachtung von den Anfängen des Films bis zum Pornofilm der Achtziger Jahre mit seiner ganzen Vielfalt (bspw. Frauenpornographie, Fetischismus) reicht.

Doch im Gegensatz zu allen anderen Autoren/-innen, die sich aus persönlich motivatorischen Gründen mit diesem Gegenstandsbereich auseinander gesetzt haben, ist Linda Williams die einzige, der eine neutrale Betrachtung gelingt, indem sie Studien und Texte anderer Autoren diskutiert und die Ergebnisse an Filmbeispielen exemplarisch belegt und erläutert.[8]

Natürlich beinhaltet auch Hardcore individuelle Aussagen, wenn sie den Thesen anderer Autoren widerspricht, aber dies geschieht unter einem konsequent wissenschaftlichen Aspekt, zumal Linda Williams es nicht versäumt, ihre konträre Meinung zu begründen.[9]

Linda Williams Inhalte werden an dieser Stelle nicht weiter vertieft, da sie bei der Analyse des Mainstream-Pornofilms FOXY LADY Teil 1 detailliert erläutert werden.

2.1.2 Corinna Rückert

Corinna Rückert hat sich bezüglich des Gegenstandsbereichs der Pornographie mit der Thematik der Frauenpornographie auseinandergesetzt. Ihre Betrachtungsweise ist differenziert, sachlich und verzichtet auf polemisch-populistische Ressentiments und setzt auf empirische Untersuchungsergebnisse, wobei sie diese mit Thesen anderer Autoren vergleicht.[10]

Ihre Auseinandersetzung zum Thema Frauenpornographie ist gesamt gesehen um eine komplexe Betrachtungsweise bemüht, ohne jedoch verbergen zu können, welche individuelle Disposition von der Autorin selbst eingenommen wird. So zieht sie bspw. Aussagen von Wissenschaftlern oder Politikern hinzu, die ihre eigene Haltung intermiettieren[11] und demontiert gleichzeitig die Aussagen der Feministinnen.[12]

Dennoch erarbeitet sie konstruktiv Unterscheidungskriterien zwischen der herkömmlichen Mainstream-Pornographie und der wenig bekannten Frauenpornographie logisch und exemplarisch heraus.

Auch Corinna Rückerts Resultate werden an dieser Stelle nicht weiter thematisiert, da sie bei der Analyse des Frauen-Pornofilms MYSTICAL Anwendung finden.

2.2 Empirisch-soziologischer Kontext

2.2.1 Die PorNo-Kampagne

Im Zuge der Debatte um Pornographie wurde keine Diskussion so emotionalisiert, polemisch, undifferenziert und vor allem aggressiv geführt, wie der Diskurs der Feministinnen. Ausgehend von der 1979 gegründeten amerikanischen Kampagne „Women against Pornography"[13] mit ihren Ikonen, der Rechtswissenschaftlerin Catherine A. MacKinnon und der Sozialwissenschaftlerin und Autorin Andrea Dworkin, wurde diese Initiative in den Achtziger Jahren auch nach Deutschland übertragen und gipfelte in der PorNO Kampagne der Zeitschrift „Emma“ unter dem Vorsitz der Herausgeberin Alice Schwarzer, welche die Argumente des amerikanischen Diskurses fast exakt übernahm.[14]

Ziel dieser Kampagne war das völlige Verbot der Pornographie, die in den Augen der Initiatorinnen das ohnehin schon negative Bild von Frauen zusätzlich diskriminiert und um der zunehmenden Porn0ographisierung des Alltags entgegenzuwirken.[15]

Das Bild, welches sich den Feministinnen in den Hardcore-Pornos bot, war das einer Pornographie, in der Männer auf Frauen masturbieren [...] „die entblößt, erniedrigt, verletzt, verstümmelt, zerteilt, gefesselt, geknebelt, gefoltert und getötet werden." (MacKinnon 1994, 20). Diese Sicht war vor allem mit der Angst verbunden, dass eine solche Art der Darstellung bei den Männern zu einem kollektiv feindseligen Frauenbild führen könnte, zumal Catherine MacKinnon den Frauen ein Selbst attestierte, das sich „[...] freundlich und unterwürfig und imitierend und aggressiv passiv und schweigend gibt [...]" (MacKinnon 1994, 12).

Was die Kampagne der Feministinnen durchgängig auszeichnete, ist das oben erwähnte Motto der extremen Polarisierungen. Diese Exklusivität der Argumentation kennzeichnet den gesamten Diskurs. Aussagen wie „Längst sind die Frauen die Redereien leid. Sie handeln." (Schwarzer 1994, 82) oder „Aber dennoch existiert weiterhin eine parallele, dunkle Welt der Hardcore Pornos, die Frauen völlig unbekannt ist." (Schwarzer 1994, S.69) verdeutlichen den Absolutheitsanspruch der Feministinnen.

Weiterhin argumentierten sie, dass alle Frauen nur durch Zwang und Gewalt zur Partizipation in Pornofilmen genötigt werden. Ihre Argumentation stützte sich dabei auf die Autobiographie Ordeal[16] der ehemaligen Pornodarstellerin Linda Lovelace, die von ihrem Ehemann mit Gewalt zum Dreh von Pornos gezwungen wurde.[17] Daraus schlussfolgerten die Feministinnen, dass es demnach bei allen Pornodarstellern zur Anwendung von Gewalt kommt.[18] Diese Argumentation erweist sich gemessen am feministischen Diskurs als schlüssig, denn sie untermauert das von den Feministinnen gebräuchliche Konzept der Ausschließlichkeit.

Hinzu kommt eine Gleichsetzung der Frauen mit anderen Minoritäten. Sehr oft werden vermeintliche Beispiele der Pornoindustrie mit Rassismus gleichgesetzt, so wird bspw. die gesellschaftliche Position der Frau mit der Rassentrennung in Bussen verglichen,[19] oder A. Dworkin kommt zu dem Schluss, dass ein Pornoproduzent nicht nur ein Zuhälter, sondern auch mit der SS vergleichbar sei[20], während Alice Schwarzer die Fotos von Helmut Newton faschistoid nennt.[21]

Ein weiteres Merkmal des feministischen Diskurses ist die Undifferenziertheit der Begrifflichkeiten und der Argumentation. Die Feministinnen beziehen sich auf Untersuchungen und Ergebnisse ohne den Bezug zu diesen herzustellen. So argumentierte Alice Schwarzer bspw.: „Untersuchungen zeigen: Drei von vier Männern konsumieren Pornographie [...]" (Schwarzer 1994, 69) oder „Nein, im Gegenteil: Sie [die Pornographie A.H.G.] steigert diese sexuellen Aggressionen." (Schwarzer 1994, 156). Diese Argumentationslinie ist wiederum symptomatisch für den feministischen Diskurs. Bruchstückhaft werden jene Argumente zitiert, die der feministischen Sache dienen, wohingegen konträre Meinungen ignoriert oder einfach weggelassen werden.

So denunzierte „Emma“ die Kutschinsky-Studie, die sich mit den in Dänemark verübten Sexualstraftaten nach der Freigabe der Pornographie beschäftigte, als grob methodisch fehlerhaft[22], nicht ohne sich jedoch im gleichen Atemzug auf die angeblich stichhaltigen Beweise der Meese-Kommission in Amerika, welche die Auswirkungen von Pornographie untersuchen sollte, zu beziehen[23], ohne dabei jedoch zu erwähnen, dass sich nach der Veröffentlichung des Meese-Reports zwei Kommissionsmitglieder ausdrücklich von diesen Ergebnissen distanzierten.[24]

Eine problematische Argumentation bildet bei den Feministinnen das Konzept der Gleichsetzung. So wurde Mainstream-Pornographie im selben Kontext genannt, wie Kinderpornographie, SM-Pornos, sodomitische Filme, Snuff-Videos und Erotikmagazine à la „Penthouse“ oder „Playboy“ (dass es hierzu ein weibliches Pendant, die „Playgirl", gibt, wird dabei außer acht gelassen).[25]

Gerade an dem Argument, in den angeblichen Snuff-Filmen werden Frauen tatsächlich gefoltert und getötet, halten die Feministinnen bis heute fest[26], obwohl sich im Nachhinein herausstellte, dass dieser Film nicht echt war und die tatsächliche Existenz dieser Filme bis heute umstritten ist.[27] Gerade in diesem Zusammenhang griffen die Feministinnen erneut auf ihre Methode zurück, Argumente heranzuziehen, die der feministischen Sache dienen, auch wenn sie, wie in diesem Fall, sehr fragwürdig waren.

Ein weiteres gängiges Muster, welches sich durch den gesamten feministischen Diskurs zieht, ist das der Angsterzeugung und der Täter-Opfer-Konstruktion. Oftmals polemisch-populistisch wird hier die negative Beeinflussung von Kindern und Jugendlichen durch die Pornographie ins Feld geführt, obwohl Pornographie für Kinder und Jugendliche gesetzlich strengstens verboten ist, und es demzufolge auch keine empirischen Ergebnisse aus der Wirkungsforschung zu diesem Gegenstandsbereich gibt. Gleiches gilt zudem auch für die Herstellung von Kinderpornographie, die von den Feministinnen oftmals von der Wertigkeit her mit der Mainstream-Pornographie gleichgesetzt wurde.[28]

Hinzu kommt das Argumentationsmuster, vermeintliche Zusammenhänge als kausal in Verbindung stehend darzustellen, ohne es jedoch genau belegen zu können. So resümierte Catherine MacKinnon bezüglich eines Kindermörders, der ein asiatisches Mädchen erhängt hatte und nachdem einige Monate zuvor eine Penthouse mit Bondage-Abbildungen von asiatischen Frauen erschienen war: „[...] Nehmen Sie an, er konsumierte das Penthouse und ging dann los und brachte das kleine asiatische Mädchen um. Derart lineare Kausalität, [...], ist nicht besonders selten und nicht besonders schwer zu beweisen." (MacKinnon 1994, 35). Die Intention, die hinter dieser Aussage steht, ist die der Panikerzeugung, um möglichst viele Menschen und besonders Frauen der feministischen Sache näher zu bringen.

Ein Trugschluss in der Argumentation der Feministinnen liegt vor allem in der Gleichsetzung von Pornographie mit real existierender Sexualität. Pornographie ist laut Aussage der Feministinnen die Abbildung gesellschaftlich gelebter Sexualität, weil den Körpern der Frauen im Pornofilm realer Sex wiederfährt und somit angebliche real existierende Interaktionsmuster zwischen Männern und Frauen abgebildet werden.[29] Die Option, dass hier Sexualphantasien thematisiert werden, die der Rezipient nur über die Ebene der Fiktionalität ausleben möchte und kann, ist bei dem negativ konnotierten Männerbild der Feministinnen[30] auszuschließen, auch wenn sie es nicht eindeutig belegen können.

Betrachtet man abschließend die feministische Diskussion, so muss konstatiert werden, dass es dennoch durchaus genügend plausible Grundlagen für diesen Diskurs gibt und zwar unabhängig davon, ob man eine positive oder negative Disposition bezüglich des Gegenstandsbereichs der Pornographie einnimmt.

Die Amerikanerin Andrea Dworkin konstatierte allein für ihr Land alarmierende Zahlen über sexuelle Übergriffe auf Frauen, auch wenn die Quelle dafür nicht genannt wird. So wird in den USA alle 3 Minuten eine Frau vergewaltigt, insgesamt sind es 44% aller erwachsenen Frauen, die einmal in ihrem Leben vergewaltigt worden sind, wobei es sich bei 41% um zwei oder mehr Täter handelte. Fast die Hälfte der Frauen wird von einer Person vergewaltigt, die ihr aus ihrem näheren Umfeld bekannt ist. 16.000 Inzest-Fälle kommen pro Jahr hinzu. Insgesamt gibt es nur 7,8% Frauen, denen noch nie eine erzwungene Form der Sexualität, welcher Art auch immer, widerfahren ist.[31]

Bei dieser sehr hohen Negativquote kann man davon ausgehen oder zumindest mutmaßen, dass einige der Feministinnen selbst Opfer sexueller Gewalt geworden sind. Gerade vor einem solchen sozialisatorischen Hintergrund ist die Tatsache, dass Pornographie abgelehnt wird, durchaus plausibel.

Hinzu kommt die Tatsache, dass es unzählige Fälle von Missbrauch, sowohl an Kindern als auch an Frauen, gibt. Das wird vor allem durch die immer neuen Funde von Kinderpornographie und durch die Frequentierung von Frauenhäusern deutlich, in die Frauen vor ihren gewalttätigen Männern flüchten.

Insgesamt gibt es zahlreiche Argumente, welche die feministischen Bestrebungen unterstützen. So gibt es bspw. Frauen, die permanenter Gewalt ausgesetzt sind und es nicht schaffen, sich zu wehren. Es gibt Frauen, die von Freiern gedemütigt werden und nur mit Ekel an der Produktion von Pornofilmen teilnehmen. Es gibt speziell abgerichtete Hunde, die Frauen in Kriegsgebieten systematisch vergewaltigen, und in Anbetracht dessen muten die Fotos von Helmut Newton „Siegfried“[32] geschmacklos an. Es gibt Pornofilme, die jenseits des guten Geschmacks liegen, wie bspw. Fäkalfilme oder Bukkakefilme (hier onanieren zahlreiche Männer auf eine Frau), und es besteht ebenso auch die Möglichkeit, dass sich einige Männer von Pornofilmen so beeinflussen lassen, dass sie Frauen analog zu den Pornos real Gewalt zufügen. Es existiert ein Vergewaltigungsmythos in den Pornofilmen, bei denen die Frauen sich anfangs wehren und am Ende sexuelle Befriedigung erlangen, was zu einem sehr verzerrten und falschen Frauenbild führt. Diese Dinge gibt es aber nicht ausschließlich.

Verbietet man die Pornographie (abzusehen von der Kinderpornographie und auch der Sodomie) so ruft man eine Zensur hervor, deren Ende nicht abzusehen ist, denn wo zieht man die Grenze? Gibt es nicht immer jemanden, der sich durch etwas anderes gestört fühlt? Müsste man im Zusammenhang eines sexistischen Frauenbildes nicht auch die Bilder von Rubens verbrennen, auf denen die Frauen fast immer unbekleidet abgebildet sind?

Das von den Feministinnen geforderte Verbot der Pornographie ist kein seligmachendes Allheilmittel. Foucault meint in diesem Zusammenhang über die Weise, wie der Diskurs über Sexualität geführt wird, „[...] daß es dieser Art von Diskurs nicht darum ging, die Wahrheit zu sagen, sondern einzig darum, ihr Aufkommen zu verhindern“. (Foucault 1983, 71). Hinter dem benachteiligten Frauenbild und der nicht zu leugnenden Gewalt gegen Frauen verbirgt sich vielmehr eine gestörte Männer-Frauen-Beziehung, die als ein gesellschaftlich-kulturell bedingtes Problem gesehen werden muss. Ein Pornographieverbot würde es nicht verhindern, dass jährlich Tausende von Frauen beschnitten und somit sexuell verstümmelt werden. Denn in vielen Fällen geht es nicht um bewusst ausgelebte Gewalt gegen Frauen, sondern um kulturell-tradierte Werte und anerzogene Verhaltensmuster.

Was benötigt wird, ist ein Umdenken in der Gesellschaft, wobei geschlechtsspezifische Rollenmuster und jahrhundertealte Vorurteile von Männern gegenüber Frauen abgebaut werden müssen. Die Abschaffung der legalen Pornographie kann dabei kaum behilflich sein, denn sie ist, ungeachtet individueller Ablehnung oder Befürwortung, Fiktionalität.

2.2.2 Herbert Selg

Der Sozialwissenschaftler Herbert Selg gibt in seinem Sammelreferat Pornographie-Psychologische Beiträge zur Wirkungsforschung einen Überblick über die psychologische Wirkungsforschung im Bereich der Pornographie.

Erfolgreiche Methoden, die zur Wirkungsforschung eingesetzt werden, lassen sich in erster Linie in systematische Beobachtungen, in natürliche Situationen (Feldstudien), in künstliche Situationen (Experimente) sowie den wissenschaftlich weniger überzeugenden Einzelfallstudien, die gerade Laien oft eindrucksvoll erscheinen, unterteilen[33].

Selg schildert die Aktualität des Themas unter anderem für den Jugendschutz, bringt eine Diskussion um Definitionsbemühungen in Gang und referiert über verschiedene Forschungsergebnisse im Hinblick auf das Rezeptionsverhalten von Pornographie.

Es geht um die Frage nach den Effekten von Pornographie im Rahmen wissenschaftlicher Untersuchungen. Für den hier vorliegenden Kontext sind insbesondere die Ergebnisse zum geschlechterspezifischen Rezeptionsverhalten interessant.

Selgs empirische Untersuchung ist frei von Animositäten, polemischen und individuellen Ressentiments. Trotz seiner nüchternen und differenzierten Darstellung ist seine Arbeit nicht komplett sachlich und wertfrei. Das liegt vor allem an den Herren Frey und Speich vom Züricher Pentouse-Verlag, die als Auftraggeber dieser Studie fungierten und in diesem Kontext fundierte Ergebnisse über die Wirkung von Pornographie auf Jugendliche gewinnen wollten.[34] Dementsprechend „belegen" die von Selg untersuchten Studien die Annahme, dass eine Kausalität in diesem Kontext unwahrscheinlich ist und nicht nachgewiesen werden kann.

Selg hat sich im Gegensatz zu den Feministinnen der PorNo-Kampagne, Corinna Rückert und Linda Williams weniger mit den Inhalten und der Ikonographie der Pornographie beschäftigt, sondern mit den Auswirkungen auf den Rezipienten und Konsumenten.

Es geht hierbei um die Fragestellung, ob Erotika, also pornographisches Material, das Sexualverhalten der Menschen in (un-) erwünschter Weise beeinflussen. Selg benutzt für seine Argumentation eine Terminologie von Begriffen wie z.B. Pornographie[35] Erotographie[36] und Sexographie[37], die vorab in seinem Buch definiert werden.

Im Anschluss daran geht er auf die Untersuchungen der Wirkungsforschung und Ergebnisse mit unterschiedlichen Ansätzen ein und vergleicht diese miteinander. Im Mittelpunkt des ersten Teils steht der Report der „Commission on Obscenity and Pornography", der 1970 in Washington veröffentlicht worden ist.

„Unter dem Druck der öffentlichen Meinung war der amerikanische Kongress zu der Ansicht gekommen, dass die Verbreitung von Pornographie zu einem brisanten nationalen Problem geworden war, gegen das etwas unternommen werden musste."(Selg 1986, 47). Eine staatliche Kommission bildete für ihre Aufgaben vier Unterausschüsse wie z.B. den Markt, seine Strukturen und die Verbreitung von Pornographie zu studieren.[38]

Auf eine Wiedergabe der umfangreichen Teilergebnisse wird hier verzichtet, da sie die vorliegende Problemstellung nicht wesentlich tangieren. Erwähnenswert ist jedoch die von Selg/Bauer angeführte Kritik im Hinblick auf die angewandte Methodik zur Erlangung der Ergebnisse.

„Mit EYSENCK & NIAS (1978)[39] muss Misstrauen gegen den Pornographie-Report bereits einsetzen, wenn man die Zusammensetzung der Kommission zur Kenntnis nimmt. Unter den 18 Mitgliedern, die u.a. aus Juristen, Soziologen und Theologen bestanden, befand sich kein Psychologe, obgleich gerade in den 60er Jahren die Psychologie relevante Trends aufgezeigt und einschlägige Theorien entwickelt hat.[40]

„Die Vor-Einstellung der meisten Kommissionsmitglieder war liberal“.(Selg 1986, S. 63) Hinzu kam, dass die Pornographie-Kommission unter starken Zeitdruck arbeitete.[41].„1967 hatte der Kongress die Kommission gebildet, [...] 1970 lag ihr Abschlußbericht vor." (Selg 1986, S. 65).

Es ist fraglich, ob ein Projekt, das seinerzeit das bislang größte zusammenhängende Forschungsvorhaben über die Wirkung von Erotika darstellte[42], in nur drei Jahren fundierte Ergebnisse präsentieren kann.

[...]


[1] „Eins der ersten ‚lebenden’ Bilder: die 20.000 jährige Felszeichnung eines laufenden Wildschweins in der Altamira-Grotte im nördlichen Spanien .“ aus: Waldekranz, R./Arpe, V., Das Buch vom Film, 1956, S. ?

[2] Vgl. Hans, M./Lapouge, G., Die Frauen-Pornographie und Erotik, 1978, S.5.

[3] Die ersten erotischen Filme erschienen, soweit nach dem Stand der Archäologie der Pornographie zu beurteilen, in Frankreich: Der Film mit dem Titel LE BAIN aus dem Jahr 1896 zeigt eine Striptease-Szene.

Vgl. Seesslen, G., Der Pornographische Film, 1993, S. 80.

[4] Vgl. Selg, H., Pornographie; psychologischer Beitrag zur Wirkungsforschung, 1986, S. 56.

[5] Vgl. Rückert, C., Frauenpornographie, 2000.

[6] Vgl. Williams, L., Hard Core, 1995.

[7] Williams, L. Hardcore, 1995.

[8] Vgl. Williams, L., Hard Core, 1995, S. 183 ff.

[9] Vgl. dies., ebd., S. 153.

[10] Vgl. Rückert, C., Frauenpornographie, 2000.

[11] Vgl. dies., ebd., S. 45.

[12] Vgl. dies., ebd., S. 20.

[13] Vgl. Schwarzer, A., PorNo, 1994, S. 83.

[14] Vgl. Rückert, C.; Frauenpornographie, 2000, S. 17;18.

[15] Vgl. Schwarzer, A., a.a.O. S. 90.

[16] Anmerkung: Das Buch ist nicht erhältlich, so dass Angaben hierzu nicht möglich sind.

[17] Vgl. Schwarzer, A., PorNo, 1994, S. 109.

[18] Vgl. dies., ebd., S. 138.

[19] Vgl. MacKinnon, C., Nur Worte,1994, S. 17.

[20] Vgl. Schwarzer, A., a.a.O., S. 131.

[21] Vgl., dies., ebd., S. 17.

[22] Vgl. Schwarzer, A., PorNo, 1994, S. 164;165.

[23] Vgl. dies., ebd. S. 115.

[24] Vgl. Rückert, C.; Frauenpornographie, 2000, S. 18;19.

[25] Vgl. Schwarzer, A., a.a.O. S. 79.

[26] Vgl dies., ebd., S.134;135:

[27] Vgl. Rückert, C.; a.a.O., 2000, S.15;16.

[28] Vgl. Schwarzer, A., PorNo, 1994, S. 40;41.

[29] Vgl. MacKinnon, C., Nur Worte, 1994, S. 27.

[30] Vgl. Rückert, C., Frauenpornographie, 2000, S. 20.

[31] Vgl. Schwarzer, A., PorNo, 1994, S. 129.

[32] Auf diesem Foto sieht man einen Dobermann, der sich über eine Frau mit geöffneten Schenkeln beugt

Siegfried“, Los Angeles 1984, "Picture from an Exhibition“.

[33] Vgl. Selg, H., Pornographie: psychologischer Beitrag zur Wirkungsforschung, 1986, S. 43.

[34] Vgl. ders., ebd., S. 9.

[35] In diesem Kontext bedeutet Pornographie Sexuelles in schlechtes Licht rückend; negativ bewertete Erotika

Vgl. Selg, H., Pornographie: psychologischer Beitrag zur Wirkungsforschung, 1986, S. 35.

[36] In diesem Kontext meint Erotographie Sexuelles positiv oder neutral schildernd, zum Beispiel erotischer Realismus, Sinnlichkeit und Liebe beschreibend

Vgl. ders., ebd., S. 35.

[37] In diesem Kontext meint Sexographie in weitem Sinn Sexualität beschreibend

Vgl. ders., ebd.. S. 35.

[38] Vgl. ders., ebd., S. 48.

[39] Vgl. Selg, H., Pornographie: psychologischer Beitrag zur Wirkungsforschung, 1986, S. 63.

[40] Vgl. ders., ebd., S. 63.

[41] Vgl. ders., ebd., S. 65.

[42] Vgl. ders., ebd., S. 48.

Ende der Leseprobe aus 74 Seiten

Details

Titel
Geschlechterspezifische Ausdrucksformen in der filmischen Pornographie
Hochschule
Hochschule Bochum  (Institut für Film- und Fernsehwissenschaft)
Veranstaltung
Der pornographische Film
Note
2,0
Jahr
2002
Seiten
74
Katalognummer
V60520
ISBN (eBook)
9783638541794
ISBN (Buch)
9783656794127
Dateigröße
697 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Geschlechterspezifische, Ausdrucksformen, Pornographie, Film
Arbeit zitieren
Anonym, 2002, Geschlechterspezifische Ausdrucksformen in der filmischen Pornographie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/60520

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