Sozial- und Lesergeschichte des Kriminalromans


Hausarbeit, 2006

20 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Vorraussetzungen für Krimis
2.1 Verhältnis kriminelle Wirklichkeit - Literatur
2.2 Realitätsanspruch von Krimis

3 Publikationsbedingungen
3.1 Krimis als Markt

4 Leserforschung
4.1 Wer liest Krimis?
4.2 Warum werden Krimis gelesen?

5 Fazit

6 Literaturverzeichnis
6.1 Literatur
6.2 Internetquellen

1. Einleitung

Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Sozial- und Lesergeschichte des Kriminalromans. Hierbei wird allerdings von einem historischen Überblick über die Entstehungsgeschichte der Gattung und ihre Verbreitung abgesehen. Stattdessen stehen aktuelle Entwicklungen, Daten und Tendenzen im Mittelpunkt.

Drei große Bereiche der Sozial- und Lesergeschichte werden in einzelnen Aspekten untersucht. Zum einen die Vorraussetzungen für Krimis. Hierbei liegt das Hauptaugenmerk auf dem Verhältnis von krimineller Wirklichkeit und Literatur, sowie auf dem Realitätsanspruch, den der Krimi an sich selber stellt.

Der zweite Bereich schildert die aktuellen Publikationsbedingungen des Krimi-Markts.

Die Leserforschung stellt den dritten Bereich dar. Im Einzelnen wird sich hier den Fragen gewidmet, wer Krimis liest und warum.

Die angestellten Untersuchungen beziehen sich zum Teil auf die Analyse wissenschaftlicher Statistiken und Studien. Und zum anderen, um neben der Theorie eine Praxisnähe zu schaffen, auf Aussagen von Krimi-Autoren. Hinzu kommen eigene Einschätzungen aus meiner persönlichen Leseerfahrung, sowie im Seminar gesammelte Erkenntnisse.

Die behandelten Themen beschränken sich jedoch fast ausschließlich auf den deutschen Raum, da ein internationaler Überblick den vorgegebenen Rahmen sprengen würde.

Alle gesammelten Fakten, Aussagen und Aspekte der drei Gliederungsbereiche werden abschließend im Fazit im Einzelnen interpretiert, sowie im Gesamtzusammenhang zueinander in Verbindung gebracht.

2. Vorraussetzungen für Krimis

2.1 Verhältnis kriminelle Wirklichkeit – Literatur

Bevor sich ein detaillierter Blick auf das Verhältnis von krimineller Wirklichkeit und Literatur lohnt, bietet es sich an, zuerst einmal die Grundlagen abzugrenzen.

Die kriminelle Grundlage für Kriminalromane ist in den allermeisten Fällen ein Mord, oder genauer gesagt, etwas, das in der Umgangssprache als Mord bezeichnet wird. Denn wer spricht schon davon, er habe einen Krimi gelesen, in dem es um die Aufklärung einer Körperverletzung mit Todesfolge oder eines minder schweren Falls des Totschlags geht. Wohl niemand. Die Umgangssprache und auch die Literatur, Fachliteratur ausgenommen, unterscheidet also nicht immer exakt bzw. explizit zwischen Mord, Totschlag und den diversen anderen Tötungsdelikten; im Gegensatz zur Wirklichkeit. Juristisch klar abgegrenzt gilt vor dem deutschen Gesetz nur als Mörder,

„wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechttriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet.“[1]

Diese Vorraussetzungen sind nach meiner Einschätzung allerdings nicht unbedingt bei jedem ‚Krimi-Mord’ gegeben. Durch Krimis ist der Begriff ‚Mord’ im allgemeinen Sprachgebrauch also noch unschärfer geworden, als er das ohnehin schon ist. Allerdings meiner Ansicht nach, ist das nicht immer die Schuld des Kriminalromans, da ein ‚Mord’ im Krimi nicht unbedingt als solcher betitelt wird, sondern nur vom Leser als solcher aufgefasst wird.

Für den nun folgenden Vergleich krimineller Wirklichkeit und Literatur habe ich auf der einen Seite die Polizeiliche Kriminalstatistik[2], sowie die Todesursachenstatistik des Statistischen Bundesamts[3] aus dem Jahr 2004 zu Rate gezogen. Demgegenüber steht, aus Mangel an wissenschaftlichen Quellen in diesem Bereich, meine persönliche Leseerfahrung von Kriminalromanen. Die Einschätzungen sind also durchaus zu einem gewissen Teil subjektiv.

Im Jahr 2004 gab es in Deutschland 792 erfasste Mordfälle, womit nur der, im juristischen Sinne, tatsächliche Mord gemeint ist.

Dabei gab es 907 ‚potenzielle’ Opfer, genauer gesagt wurde an 508 Personen ein Mordversuch verübt und 399 sind tatsächlich einem Mordanschlag zum Opfer gefallen. Die Situation, dass ein Mordversuch scheitert, finden wir durchaus auch im Krimi. Allerdings meist nicht als handlungstragendes bzw. handlungsauslösendes Moment, sondern eingebettet in den Handlungsverlauf, beispielsweise wenn auf den Ermittler aufgrund seiner Nachforschungen ein Mordanschlag verübt wird, dieser aber ‚natürlich’ zum Scheitern verurteilt ist. Ansonsten zeigt uns die Gesamtopferzahl, dass es mehr Opfer als erfasste Fälle gibt. D.h. es gibt durchaus Doppelmorde u.ä., aber Mord-Serien in dem Ausmaß wie wir sie in Krimis finden, sind in der Realität sehr selten.

Die Statistik besagt weiter, es existierten 939 Tatverdächtige. Auch hier haben wir also mehr Tatverdächtige als Fälle. Aber auch hier sind die Relationen im Krimi weitaus extremer, wenn man bedenkt, dass z.T. auf einen Mord eine ganze Gesellschaft an Verdächtigen kommt, von denen jeder sowohl ein Motiv als auch die Gelegenheit hatte die Tat zu begehen. Hinzu kommt, dass ein hoher Anteil der Tatverdächtigen, in der Statistik 29,5%, als nicht deutsch aufgelistet werden. Obwohl dies also durchaus der kriminellen Wirklichkeit entsprechen würde, finden wir allerdings speziell Ausländer im Krimi selten als Täter.

Beim Betrachten der Aufklärungsquote von Morden, ist im Vergleich krimineller Wirklichkeit und Literatur eine annähernde Übereinstimmung festzustellen. In der Realität liegt sie bei 96,5%. Und diesen Prozentsatz würde ich auch in etwa für Kriminalromane veranschlagen, evtl. liegt er noch etwas höher, denn Krimis bei denen der Leser am Ende nicht weiß, wer die Tat begangen hat, sind meiner Erfahrung nach, äußerst selten. Der Grund hierfür liegt darin, dass die Auflösung in Kriminalromanen, wer letztendlich der Mörder war, einen der Hauptanreize für das Leserinteresse darstellt.

Die Todesursachen der realen Opfer würde ich als ‚unspektakulärer’ als in der Literatur bezeichnen. Hauptsächlich erlagen die Opfer Verletzungen des Kopfes. Nur bei 35 der 399 Todesfälle sind diese auf eine Verletzung am Hals zurückzuführen und sogar nur bei 7 findet sich als Todesursache Vergiftung bzw. toxische Wirkung. Beliebte Krimi-Mord-Varianten, gerade in klassischen englischen Werken, wie Erwürgen oder Vergiften sind in Wirklichkeit also sehr selten. Und vor allem deren Umsetzung in ‚Extremen’ wie einer mit Gift gespickten Mausefalle oder einer todbringenden Harpune, wenn man an Wallace oder Christie denkt, sind in Wirklichkeit nicht existent. Und auch die ‚konventionelle’ Mordmethode des Erschießens im Krimi, ist ebenfalls nicht ausschließlich auf der Realität begründet, denn laut Statistik wurde nur in 14,3% der Mordfälle und –versuche mit einer Schusswaffe geschossen.

Allgemein lässt sich sagen, dass die Opfer von Mord und Totschlag zusammengenommen nur 0,1% der Todesursachen in Deutschland ausmachen und diese Zahl geht sogar immer weiter zurück. Hierbei wird allerdings darauf hingewiesen, dass dies nicht an einer zurückgehenden Tötungskriminalität liegt, sondern an einem größer werdenden Dunkelfeld. Dies liegt an einer oftmals fehlenden Obduktion und an dem Bescheinigen einer natürlichen Todesursache, durch im Bereich der Leichenschau unkundige Hausärzte.[4] Hinzu kommen in der Todesursachenstatistik 2511 Fälle in denen die Todesursache ausgewiesen wird als ‚Ereignis, dessen nähere Umstände unbestimmt sind’. Dies verdeutlicht, dass viele Tötungsdelikte in der kriminellen Wirklichkeit nicht als solche erkannt werden. Ein Umstand, der nicht nur beängstigend ist, sondern auch in Zusammenhang mit dieser Arbeit einen weiteren Unterschied zur Literatur aufweist, denn ein Kriminalroman basiert nun einmal auf einem Verbrechen.

Außer den oben verwendeten Daten zeigt die Polizeiliche Kriminalstatistik, dass sich reale Verbrechen statt im Bereich der Tötungsdelikte zunehmend im Bereich der Internet- und Computerkriminalität, sowie überwiegend im Bereich ‚klassischer Delikte’ wie Körperverletzung und Diebstahl abspielen.

Diese Verbrechen scheinen jedoch für einen Kriminalroman kein ‚Aufhänger’ zu sein und werden höchstens in die Haupthandlung und um den Mord herum verstrickt, da sie offensichtlich nicht spannend genug sind.

2.2 Realitätsanspruch von Krimis

Generell herrschen mehr oder weniger starke Abweichungen zwischen Realität und Kriminalromanen. Allerdings muss man bedenken, dass sehr wohl Kriminalliteratur existiert, die sich voll und ganz der Abbildung krimineller Realität verschrieben hat; das gesonderte krimi-verwandte Genre ‚True Crime’. In diesem Bereich finden sich tatsächlich geschehene Verbrechen und Tatsachenberichte in Form von Biografien und ganzen Enzyklopädien über Serienmörder von Jack the Ripper über Ted Bundy, Marc Dutroux bis hin zu Fritz Haarmann, außerdem Fälle aus der forensischen Anthropologie, Gerichts- und Rechtsmedizin mit nicht minder dramatischen Titel als in fiktionalen Werken, wie z.B. Brisante Fälle auf dem Seziertisch oder Knochensplitter – Wie ich den Toten ihr Geheimnis entlocke. Hinzu kommen Berichte von Gutachtern und Polizisten, z.B. in Die Spuren der Täter – Ein Gutachter deckt auf oder Die erste Leiche vergisst man nie – Polizisten erzählen.

Bleibt die Frage, wie es denn, von ‚True Crime’ einmal abgesehen, um den Realitätsanspruch von Krimis bestellt ist. Hierzu haben wir auf der einen Seite die Meinungen von Krimi-Autoren und auf der anderen Seite die der Fachleute im Bereich der Kriminalität. So weißt z.B. Kriminalhauptkommissar Walter Dahnke in seinem Buch darauf hin:

„Man sollte auf jeden Fall wissen, dass die Darstellung der Polizeiarbeit und spannendes Erzählen zweierlei Dinge sind. Der Autor kann entweder ein Buch aus der eigenen Phantasie heraus schreiben (und dabei auch kriminalistische Momente verwerten) oder er kann einen echten Kriminalfall darstellen.“[5]

Kriminologen scheinen im Bereich der Realitätsfrage von Krimis eine Problematik zu sehen. Beispielsweise aus der Sicht der Kriminologin Christiane Uthemann „...verzerren die Medien die (statistisch festgestellte) Kriminalität der Wirklichkeit und vermitteln so ein falsches Bild, dem das richtige Bild entgegengesetzt wird, das die Kriminologie hat.“[6]

Kritiker fordern, dass ein Krimi realitätstüchtig sein sollte. Trotzdem sollte man nicht vergessen, dass Krimis fiktionale Literatur sind, sagt der bereits mit dem Marlowe- und Glauser-Preis ausgezeichnete Krimi-Autor Horst Eckert.[7]

„Die Maxime von Kriminalliteratur lautet: Die Handlung ist zwar frei erfunden, könnte sich aber so zutragen. Diese Art von Wahrhaftigkeit trägt zur Qualität des Krimis bei. Fantasy und Science Fiction dürfen verrückte Visionen entwerfen, Horror darf Tote aufwecken. Der Krimi hat auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben. Seine Figuren müssen glaubhaft sein und der Plot nicht nur in sich nachvollziehbar, sondern auch dem Vergleich mit der Wirklichkeit standhaltend. [...] Die Dramaturgie ihrer [der Kriminalschriftsteller] Erzählungen folgt nicht den Vorschriften der Strafprozessordnung. Die Charakterisierung der Täter nicht der Sozialstatistik. Doch die Schilderung bliebe schablonenhaft, wenn sie auf die Authentizität wesentlicher Handlungselemente und die Glaubwürdigkeit der Charaktere verzichtete. Zwangsläufig erfahren die Leser Kriminalliteratur als Kommentar auf das Leben. Als Autoren von Gesellschaftsliteratur bedienen wir diese Erwartung. Realismus ist unser Metier.“[8]

[...]


[1] § 211 StGB, http://bundesrecht.juris.de/stgb/__211.html

[2] download unter www.bka.de/pks/pks2004/index2.html

[3] download unter www.destatis.de/basis/d/gesu/gesutab19.php

[4] www.zdf.de/ZDFde/inhalt/16/0,1872,2052784,00.html

[5] Dahnke, W.: Kriminalroman und Wirklichkeit. S. 86.

[6] Linder, J.; Ort, C.: Zur soz. Konstruktion d. Übertretung u. zu ihren Repräsentationen im 20. Jh. S. 7.

[7] www.das-syndikat.com/real.htm

[8] www.das-syndikat.com/real.htm

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Sozial- und Lesergeschichte des Kriminalromans
Hochschule
Universität des Saarlandes
Veranstaltung
Proseminar: Der Kriminalroman
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
20
Katalognummer
V60501
ISBN (eBook)
9783638541619
ISBN (Buch)
9783656792642
Dateigröße
441 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
20 Internetquellen
Schlagworte
Sozial-, Lesergeschichte, Kriminalromans, Proseminar, Kriminalroman
Arbeit zitieren
Nicole Metzger (Autor:in), 2006, Sozial- und Lesergeschichte des Kriminalromans, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/60501

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Titel: Sozial- und Lesergeschichte des Kriminalromans



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