Unterschiedliche Erscheinungsformen von Sport als säkulare Religion


Seminararbeit, 2005

37 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Wissenschaftliches Erkenntnisinteresse und zentrale Forschungsfragen
1.2. Erklärung der Arbeits- und methodischen Herangehensweise

2. Fußball im Wandel der Zeit: Eine historische Bestandsaufnahme zur Entwicklung des MassenzuschauerInnensports im Fußball

3. Das Fußballereignis: Mehr als nur ein passiver Spielkonsum: Ursachen-, Motiv- und Funktionsmomente des ZuschauerInnensports

4. Die Grundvoraussetzungen des Fan-Seins: Theoretische Vorüberlegungen zu Identifikation und Identität

5. Fan ist nicht gleich Fan: Die Komplexität einer Subkultur anhand einer systematischen Darstellung der wichtigsten Fanklassifikationen

6. Zusammenfassung und Fazit aus Darstellung der benannten Fanklassifikationen mit Bezugname auf Merkmale von individueller u. kollektiver Identifikation und Identität

7. Direkte und unterschiedliche Ausdrucksformen von fußballbezogenem Fan-Sein im Stadion mit dem Versuch einer möglichen Interpretation eines säkularreligiösen Charakters
7.1. Fußballbezogenes und -zentriertes Verhalten von Fans im Stadion
7.2. ZuschauerInnensport im Fußballstadion: Quasi-Religionsbezug in kompensatorisch-säkularer Funktion

8. Literatur- und Quellenverzeichnis

1. Einleitung

1.1. Wissenschaftliches Erkenntnisinteresse und zentrale Forschungsfragen

Da Sport bis heute einen immens hohen Stellenwert in der mehr und mehr freizeitorientierten Gesellschaft einnimmt, kann folglich und gleichzeitig der Konsum desselben in all seiner breiten Ausdifferenzierung als ein äußerst vielschichtiges und vor allem aber sozial wirkendes Phänomen verstanden und betrachtet werden. Gerade das Fallbeispiel des Fußballsports zeigt, dass dieser, um vorab mit den Worten von Roman Horak und Matthias Marschik zu sprechen, „in seiner Rolle als Sportart mit der höchsten Beteiligung und der größten Publikumsrelevanz […] als Paradigma des Stellenwerts von Sport herangezogen werden [kann]“ (Horak / Marschik 1997, S. 80). Aufgrund der immens starken Ausdifferenzierung des Themas des ZuschauerInnensports im Fußball, samt einer hohen publikumsbedingten Relevanz für sämtliche gesellschaftspolitische Bereiche und dem Vorhandensein einer Fülle von bereits analysierter fachwissenschaftlicher Literatur, erscheint es mir in diesem Zusammenhang für wichtig, das zu behandelnde wissenschaftliche Forschungsinteresse, welches wiederum an eine These und zwei weiterführende Forschungsfragen gekoppelt ist, noch weiter zu konkretisieren. Der Rahmen meiner wissenschaftlichen Erörterung soll die einerseits von mir aufgestellte These zum Inhalt haben, dass bei der Analyse von SportzuschauerInnen im ausgewählten Fallbeispiel des Fußballs, nicht von passiv konsumierenden, mit dem Spielgeschehen nicht beeinflussenden ZuseherInnen ausgegangen werden darf, sondern dass wir es hierbei in der Regel mit individuell, als auch gruppenidentitätsbezogenen und vor allem aktiv wirksam werdenden und äußerst komplexen Sozialisationssystemen zu tun haben.

Ziel dieser Arbeit ist es allerdings auch, in diesem Zusammenhang die nicht nur eben angeführte erste These auf ihre objektive Gültigkeit im verifizierenden oder falsifizierenden Sinne wissenschaftlich zu überprüfen, sondern auch folgende Forschungsfragen wissenschaftlich zu erörtern. Indem eine aktiv agierende Sportpublika im Fußball besteht [vgl. hierzu These 1], soll außerdem kritisch hinterfragt werden, inwieweit solche oft medial übertragenen Massenspektakel, gleichsam als eine Art von Katalysator zur Auslebung des Fan-Seins zu bewerten sind bzw. fungieren. Weiters soll in diesem Sinne auch eine Antwort auf die Fragestellung ermöglicht werden, inwiefern solchen sozial kontrastierten Bereichen, wie dem Fußballstadion, ein womöglich quasi-religiöser Charakter innewohnt und ob das Stadion in Bezug auf identitätsbezogene Fans, tatsächlich als ein Versammlungsort von säkularer Religionsausübung zu benennen und zu bewerten ist.

1.2. Erklärung der Arbeits- und methodischen Herangehensweise

Da sich diese Arbeit nicht vornehmlich mit dem aktiven Wettkampfgeschehen im Sinne der nicht passiven Definition von Sport als „persönliches Aktivsein in Bewegung“ (Niedermann zit. n. Jungmeier 1998, S. 42) auseinandersetzt, soll – wie bereits im Erkenntnisinteresse dargestellt – etwas genauer auf das oft als passiv definierte und konsumierende Publikum eingegangen werden. Zu Beginn meiner noch folgenden Ausführungen zum ausgewählten Fallbeispiel des ZuschauerInnensports im Fußball, soll daher methodisch voran gestellt werden, dass einleitend mit einer kurzen, historisch genetisch geführten Darstellung der Genese des Fußballsports, die Entwicklung zum Massenevent verdeutlicht werden soll. Erst dieser Einstieg ermöglicht eine Annäherung und ein diesbezügliches Vorverständnis, das wiederum notwendig erscheint, wenn im Zuge dessen, Merkmale bezüglich verschiedenster Ursachen, Motive und letztendlicher Intentions- und Funktionsbereiche des ZuschauerInnensports zu reflektieren sind.

Weiters ist die Erörterung der obig angeführten These samt Beantwortung der Forschungsfragen in methodischer Hinsicht nicht nur auf eine makroanalytische Ebene fixiert, sondern soll gleichsam auch auf einer Mikroebene zum Ausdruck kommen. Das heißt weiter ausführend, dass die sozial komplex kontrastierten Bereiche des ZuschauerInnensports nicht nur von außen als Sozialsystem (Stichwort: Makroebene) untersucht werden dürfen, sondern dass es zum Verständnis dessen, auch vielmehr auf eine gezielte, auf das Individuum bezogene Untersuchungsebene ankommt (Stichwort: Mikroebene). Infolgedessen spielen Identifikations- und Identitätskonstruktionen von Fans eine wesentliche Rolle, da diese in Summe letzten Endes das eigentlich zu untersuchende Publikum ausmachen.

Außerdem ist die methodische Herangehensweise vor allem aber auf eine Kombination aus akteurstheoretisch und empirisch-analytisch geführten Analysen angelegt. In diesem Kontext wurden gezielte Literaturrecherchen und Textanalysen im Bereich der Sportsoziologie und -psychologie durchgeführt, um herausstellen zu können, inwiefern die Sportpublika auf individueller und gemeinschaftlich-sozialer Ebene, folglich Mikro- und Makroebene, im Rahmen des Stadions als ein Raum von (Gruppen-) Dynamisierung und (Gruppen-) Identitätsbildung, beeinflussbar ist und ob eine diesbezüglich, wissenschaftlich geführte Interpretation im säkular-religiösen Kontext weiterführend standhält.

2. Fußball im Wandel der Zeit: Eine historische Bestandsaufnahme zur Entwicklung des MassenzuschauerInnensports im Fußball

Wird die Frage danach gestellt, wie und warum sich der Fußballsport als ein zunehmender (Massen-) ZuschauerInnensport entwickelte, so kann mittels eines historischen Abrisses vorerst festgehalten werden, dass sich bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts einige wesentliche Faktoren etabliert haben, die den bis heute groß anhaltenden Zulauf zu (fußball-) sportlichen Großveranstaltungen sukzessive begünstigten. Großbritannien kann in dieser fußballhistorischen ZuschauerInnen-Sporthinsicht folglich als das „Mutterland“ (Bremer 2003, S. 7) des organisierten (Fußball-) Sports - so wie er in seiner heutigen Form besteht - bezeichnet werden. Dies scheint insofern von Bedeutung, da aus der regelhaft etablierenden Organisationsstruktur der Briten, Fußball nicht nur mehr und mehr professionalisiert wurde, sondern neben einem entstehenden Massenspektakel auch einen Siegeszug rund um die Welt antrat (vgl. Lenhard 2002, S. 43). Bereits in den Jahren 1750-1840 entwickelte sich das bis dato eher unstrukturierte „Volksspiel“ durch die elitär britischen „Public Schools“ zu einem regelhaften Sportspiel (vgl. Dunning 1979, S. 13). Dieser Umstand lässt sich mitunter auch dadurch erklären, dass im Zuge der Industrialisierung und Urbanisierung der Volksfußball anhaltend seine soziale Basis verliert, weil die unteren Klassen in das sich Mitte des 18. Jahrhunderts herausbildende Fabriksystem, massiv eingesetzt waren und sich das Spiel folglich in den Public Schools ansiedelte (vgl. Lenhard 2002, S. 44).

In diesem Kontext ist darauf hinzuweisen, dass bereits im Jahre 1815 die elitäre Privatschule, das Eton College, die erst bekannten Spielregeln für Fußball festlegte. Dieses Reglement trug maßgeblich mit zur sukzessiven Professionalisierung des Fußballsports bei, sodass beispielsweise die Dauer eines Spiels, die Größe der Spielfläche, als auch Grundzüge des Spielablaufs samt ZuschauerInnenregeln strikt festgelegt wurden (vgl. Wikipedia - Die freie Enzyklopädie 2005, HTML-Site 2). Dennoch bedurfte es noch 48 Jahre, bis mit der Gründung der „Football Association“ in London 1863, das Spiel offiziell die Grundzüge annahm, die bis heute Gültigkeit aufweisen (vgl. Bale 1993, S. 16). Fest einzuhaltende Regeln bei aktiver Beteiligung an der neuen Sportart schienen auch nötig, da die Obrigkeit bereits seit dem 14. Jahrhundert bemüht war, mittels einer Vielzahl von Verboten das „Volksspiel“ in kultivierter Art und Weise in den Griff zu bekommen und beispielsweise zu militärischen Übungszwecken einzusetzen, da durch den dis dato eher rau und mit Betonung auf Gewalt und Kraft statt Geschicklichkeit gespielten „folk football“ (Lenhard 2002, S. 44), nicht selten bis teils schwere Verletzungen hervorgerufen wurden, die infolge dessen oft bis zur Militäruntauglichkeit führten (vgl. Bremer 2003, S. 12). Doch kann in dieser Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts auch konstatiert werden, dass die Bildungsinstitutionen der Public Schools zwar zur Erziehung und Ausbildung von Jugendlichen unterer sozialer Klassen gedacht waren, sich jedoch durch den Einfluss von Aristokratie und Gentry wandelten und sich Fußball folglich und vorerst als ein Spiel von gehobenen Gesellschaftsschichten etablierte und somit selbst an diese Gesellschaftsschicht angepasst wurde (Dunning 1979, S. 13 f.). Der Grund dafür scheint – wie bereits leicht angerissen – bewusst auch in der anhaltenden Industrialisierung in der Jahrhundertwende vom 19. in das 20. Jahrhundert zu liegen, da durch diese „die Unterklassen … in ein drakonisches Fabriksystem gepresst [wurden], welches für das wilde und unregulierte Spiel […] keine Gelegenheit mehr ließ“ (Schulze-Marmeling 1992, S. 15 zit. n. Bremer 2003, S. 13). Aktiv Fußball gespielte Räume blieben jedoch die britischen Public Schools, da dort aus Sicht der Aristokratie keine Gefahr bestand, Fußball mit einer sozial-revolutionären Gesinnung in Verbindung zu bringen. Doch nicht zuletzt auch bedingt durch den von der Industrialisierung bewirkten Siegeszug des Kapitalismus mit der daraus folgenden Spielregulierung, entwickelte sich mehr denn je zuvor eine klarer werdende Trennung zwischen Arbeit und Freizeit, sodass somit die Grundvoraussetzung zur Konsumation von Fußballspielen überhaupt erst möglich gemacht werden konnte (vgl. Bale 1993, S. 15 f.).

Fußball etablierte sich fortan als eine vehement positiv charakterbildend konstatierte Sportart von Jugendlichen aus, sodass das Spiel nicht länger vom Volk, sondern vor allem auf Seiten der feudalen und bürgerlichen Jugend, welche größtenteils die Public Schools besuchten, gespielt wurde. Im Zuge einer Schulreform mit Aufnahme des Spiels in die Lehrpläne, löste und kultivierte das Bürgertum das vormals existierende Volksspiel ab, sodass „ausgerechnet die Klassen also, welche den ,Volksfußball’ seit dem 14. Jahrhundert bekämpft hatten, … nun seinen Fortbestand [sicherten]“ (Bremer 2003, S. 14). Die Begeisterung für den Fußballsport kann demnach vor dem Hintergrund verstanden werden, dass das Fußballspielen und Fußballkonsumieren, beginnend in England und später mit rasanter Ausdehnung in sämtliche Länder der Welt, den stets mehr und mehr von Bedeutung werdenden Ökonomisierungsprozess, als auch den damit einhergehenden sozial gesellschaftlichen Wandlungsprozess darstellt (vgl. Bale 1993, S. 18). Wie bereits leicht veranschaulicht, kam es durch die industrielle Revolution im ausgehenden 19. Jahrhundert zu einer sukzessiv stärker werdenden Herausbildung der Trennung von Arbeit und Freizeit, sodass auch folglich die Bedeutung zwischen Öffentlichkeit und Privatheit zunimmt. Kennzeichnend dafür, kann davon gesprochen werden, dass mit einem englischen Gesetzesakt aus dem Jahre 1870, durch den Samstagnachmittage arbeitsfrei wurden, eine„Art von ,Reproletarisierung‘ des Fußballs [einsetzt]“ (Lehner 1999, S. 9). In diesem Sinne verläuft die Ausbreitung des ZuschauerInnenphänomens gegenüber dem Fußball nicht länger ausschließlich in den horizontal verteilten bürgerlichen Mittel- und Aristokratieoberschichten, sondern erfährt auch zunehmend eine vertikale Ausdehnung in Richtung unterer sozialer Schichten (vgl. Bremer, 2003, S. 15). „Es kam also zur Reinkarnation des Fußballs in die unteren Schichten der Bevölkerung – und hier in erster Linie in die Arbeiterklasse“ (Bremer 2003, S. 16). Erst in dieser Zeit der 1860er und 1870er Jahre des 19. Jahrhunderts kann davon gesprochen werden, dass sich der Fußballsport vornehmlich als ein massenhaft besuchter ZuschauerInnensport etabliert, der vor allem großen Anklang in der Arbeiterklasse findet (vgl. Lehner 1999, S. 9). Hinsichtlich dieser sozialen Klassen, die an solchen sportlichen Fußballgroßveranstaltungen als ZuschauerInnen teilnahmen, ist zu verzeichnen, dass bereits in den 1880er Jahren in Großbritannien angefangen, dann später auch in Deutschland und den restlichen Ländern Europas, beispielsweise die Eintrittspreise den sozialen Klassen gegenüber mehr und mehr angepasst wurden (vgl. Bale 1993, S. 18 f.).Mehr Freizeit und stetig besser werdende Löhne für die Arbeiterklasse führten maßgeblich dazu, dass ein klasseninternes Gemeinschaftsgefühl etabliert wurde, durch das es möglich wurde, „einen ,imaginären‘ Sieg über die herrschenden Klassen (zumindest) auf dem Spielfeld [zu ermöglichen]“ (Lenhard 2002, S. 46).

So ist es auch nicht verwunderlich, dass sich entgegen der Vorstellungen der britischen Obrigkeit, Fußball im Sinne des Amateurideals eines ,Gentlemen-Sportsmen‘ fortzuführen, mehr und mehr die ArbeiterInnenklasse dazu gezwungen war, sich dem Profisport als KonsumentInnen anzuschließen, um Fußball auch weiterhin konsumieren zu können. Folglich trug dies mitunter wesentlich dazu bei, dass eine Professionalisierung des Sports einsetzte, durch die Fußball als populärer MassenzuschauerInnensport in der Zeit zwischen 1850 und 1900 bis heute nachwirkend, sukzessive Gestalt annahm (vgl. Bremer 2003, S. 20). Außerdem bot der professionalisiert werdende Fußballsport stetig wachsende Vorteile für die ZuschauerInnen und SpielerInnen, da die Ausführbarkeit der Sportart auch in den Wintermonaten möglich war, die finanzielle Erschwinglichkeit ein entscheidendes Kriterium für die soziale Zusammensetzung des Publikums ausmachte, als auch die Möglichkeit, sich über die Spiele hinaus in bzw. für Vereine betätigen zu können, folglich als Ursachenkomponenten für einen überdurchschnittlich hohen Integrationscharakter in punkto aktivem ZuschauerInnenengagement bis heute empirisch angeführt werden (vgl. Bremer 2003, S. 30). Wie später in dieser Arbeit noch näher gehend analysiert [vgl. hierzu Kapitel 6], stellt Fußball „für die Menschen in den Industrieghettos einen existentiellen Pfeiler für die Ausbildung von Identität und Gemeinschaftsgefühl dar“ (Lenhard 2002, S. 47). Somit sei auch hier erneut auf die Rolle Großbritanniens verwiesen, da sich um die Jahrhundartwende, wie später in fast allen westlichen Industriestaaten auch, ein regelrechter Industriezweig herausbildete, der die ZuschauerInnen in ihrer Freizeit mehr und mehr mit allen nötigen Utensilien und Fanartikeln versorgte und mit dazu beitrug, dass eine moderne Freizeitkultur mit Vorbild- und Pionierfunktion durch die Industrialisierung Großbritanniens für andere europäische Staaten entstand (vgl. ebd., S. 48 f.).

Zusammenfassend ist mit diesem kurzen historischen Abriss zu resümieren, dass sich der Fußball bis heute sukzessiv als kommerzielle Massenkonsumsportart – sei es nun in aktiver SportlerInnenfunktion oder bezogen auf den so genannt passiven ZuseherInnensport – etablierte. Diesem Unstand ist zu verdanken, dass unmittelbar damit einhergehend, Phänomene wie Eintrittsgelder, Fußballwetten und nicht zuletzt auch der Bau von riesigen Stadien einer aufkommenden Kommerzialisierung unterliegen. Folglich ist die Konzeption des zumeist in der Fachliteratur als passiv definierten Publikums, meines Erachtens, im heutigen Entwicklungsstand des ZuschauerInnensports nicht länger aufrecht zu erhalten, da es heute mehr denn je gilt, diesen selbst als einen wesentlichen Teil des Geschehens zu bezeichnen. “The moment spectating became an integral part of the activity, football moved closer to popular theatre and spectacle, away from play and towards display, with spectators increasingly becoming a necessary part of the action” (Bale 1993, S. 17). Weiterführend sei ergänzt, dass sich die heute vorzufindende Professionalisierung des Fußballsports als ZuschauerInnensportart auch dadurch erklären lässt, dass im Laufe der Zeit eine breite Vielfalt an Unterhaltungs- bzw. Freizeitangeboten entstand und der Fußball nun gezwungen war, bessere Bedingungen zu schaffen, die den Konsum auch weiterhin attraktiv halten würden (vgl. Selmer 2004, S. 100). Der größtmögliche Unterhaltungswert für KonsumentInnen steht neben der Begeisterung für die eine oder andere Fußballmannschaft heutzutage zentral im Mittelpunkt des Geschehens. Außerdem stellt sich der heutige Fußballsport als wohl der Unterhaltungssport breiter Bevölkerungsschichten dar, ist gleichzeitig Massenfansport im Stadion und/oder vor dem Fernseher und kann darüber hinaus als Event einer modern herausbildenden Freizeitkultur verstanden werden. Somit soll an dieser Stelle eine Überleitung zum nächsten Kapitel dieser Arbeit erfolgen, indem sich die Funktionen des Sports mit Blick auf deren Rezipienten als ZuschauerInnen fußballmedialer Massenveranstaltungen näher gehend analysieren lassen.

3. Das Fußballereignis: Mehr als nur ein passiver Spielkonsum: Ursachen-, Motiv- u. Funktionsmomente des ZuschauerInnensports

Da Sportveranstaltungen allgemein und im gesonderten Fallbeispiel des Fußballs, große Menschenmassen anziehen, kann dieser Umstand allein als ein Treffpunkt vieler unterschiedlicher sozialer Gruppierungen konstatiert werden, sodass Fußball folglich als ein sozialkommunikatives Ereignis zu konzipieren ist (vgl. Stollenwerk, 1996, S. 74). Vielmehr bietet gerade der Fußball mit seiner teils sehr ausgeprägten Medienberichterstattung eine massive Möglichkeit, die „gesellige Konversation“ (Bette 1992 zit. n. Cachay / Thiel 2000, S. 147), sei es nun im Stadion vor Ort oder als ZuseherIn vor dem Bildschirm, in Form eines sozialpsychologischen Gruppenidentitätsfaktors, in Anspruch zu nehmen [vgl. hierzu Kapitel 4 und 5]. So hält auch Stollenwerk fest, dass Fußballspiele fast nie von einzelnen, alleine anreisenden und sozial isolierten ZuseherInnen besucht werden, sondern stark durch stete Gruppen- und Gemeinschaftskonstellationen gekennzeichnet und geprägt sind (vgl. Stollenwerk 1996, S. 75). Wie bereits leicht angerissen, kann der Fußballsport – primär bezogen auf das ZuschauerInnenpublikum – als ein sozialkommunikatives (vgl. Stollenwerk 1996, S. 74) und soziokulturelles Ereignis (vgl. Dembowski / Scheidle 2002, S. 14) konzipiert werden. In diesem Sinne spielen vor allem Normen, Rollen und eine bestimmte soziale Verflechtung innerhalb des in diesem Kapitel näher gehend zu analysierenden Sozialsystems des ZuschauerInnensports, eine nicht unwesentliche Rolle.

Da trotz der breiten Ausdifferenzierung von Fußballfans [vgl. hierzu Kapitel 5] jedoch ein soziales System dominiert, in das alle Fans eingebettet sind, kann das Handeln innerhalb eines solchen Systems als erwartungsgesteuert interpretiert werden (vgl. Messing 1992, S. 242). Demnach ergibt sich die Zuschauerrolle nicht zufällig, sondern entsteht vielmehr aus der Summe aller Erwartungen, die an das Publikum gerichtet werden. In diesem Sinne sei bereits jetzt darauf hingewiesen, dass eine solche Art von Positionierung an das Publikum, vom Publikum selbst jedoch nur in einer wenig stark ausgeprägten und stets auf einer bestimmten Zeitspanne definierten Situationsebene erfolgt, wobei die fußballzentrierten Fans hierbei nicht berücksichtigt werden sollen. Ohne sich dessen auf Anhieb bewusst zu sein, „ist [der Zuschauer] nicht nur Mitglied der Institution Zuschauersport, sondern [gleichzeitig] eingebunden in andere Rollensysteme“ (Messing 1992, S. 243). Bevor auf die Erörterung der diversen Funktionselemente des Spitzensports am ausgewählten Beispiel des Fußballs mit Blick auf das Publikum näher gehend eingegangen wird, sollen die von mir eingangs aufgestellten Thesen geprüft werden, ob SportzuschauerInnen als ein aktiv das Geschehen beeinflussendes Sozialsystem zu bewerten sind, als auch, ob Sportveranstaltungen als Katalysator zur Anwendung eines aktiven Fan-Seins mit beitragen. Dabei soll vor allem davon ausgegangen werden, dass Sportgroßereignisse als eine Art von Katalysator wirken, indem es nicht nur mehr ausschließlich um den passiven Konsum einer wettkampfbezogenen körperlichen Leistung zweier Fußballmannschaften geht, sondern gleichsam auch eine so genannte „konversationelle Leistungsebene“ (Cachay / Thiel 2000, S. 146; S. 158) aufzeigt und mit einschließt. Darunter ist die aktive Rezeption des eigentlichen Sportgeschehens, entweder in Form einer Face-to-Face-Beziehung oder einer medialen Konsumtionsmöglichkeit (z.B. Fernsehen, Radio, Printmedien etc.) zu verstehen. In diesem Sinne stützt sich auch die Begeisterung von Fans, samt der Identifikations- und Identitätsausrichtung derselben, maßgeblich auf die Existenz solcher sozial kontrastierten Fangruppenereignisse, die sich erneut auf die Mannschafts- bzw. Vereinsdefinition beziehen und diese wiederum zum Anlass nehmen, ihre eigene Gruppen(abgrenzungs)definition bzw. -identität nach außen hin deutlich zu machen [vgl. hierzu Kapitel 6].

Wird jedoch versucht, das Feld der unterschiedlichen Motivdefinitionen, die verantwortlich dafür sind, dass Fußball als ZuschauerInnensport überhaupt existiert, aufzuschlagen, so sollte zu Beginn geklärt werden, was genauer unter dem Termini „Motiv“ bzw. „Motivation“ zu verstehen ist. Folglich gibt es sehr viele individuelle Motivationen, die zum Zusehen eines Fußballspiels veranlassen, sodass hierbei sozialpsychologisch zwischen den so genannten „Stoßtheorien“ und den so genannten „Zugtheorien“ differenziert werden sollte (vgl. Herkner 1975, S. 52 ff. zit. n. Lehner 1999, S. 34). Erstere gehen davon aus, dass die Motivation eines Menschen aufgrund eines inneren Antriebs besteht und somit auf nicht befriedigte Triebe hinweist. Andererseits verdeutlichen Zugtheorien die Motivation als eine Art von Anreiz, da die Ursachen für ein solches Verhalten weniger im Innern des Individuums zu finden sind, sondern sich vielmehr auf die (soziale) Umwelt beziehen. Werden intensiv und stark auftretende Reize demnach reduziert, vermindert oder bewusst versucht zu unterdrücken, so führt dies (unbewusst) zum Anreiz für Motivationen (vgl. Herkner 1975, S. 52 ff. zit. n. Lehner 1999, S. 34). Aus den beschriebenen Gründen können folglich Ursachen abgeleitet werden, die (fußballzentrierte) Fans dazu veranlassen, stattfindende, großsportliche Fußballveranstaltungen zu besuchen. In diesem Sinne liegen zwei Hauptursachengebilde vor, die einen verstärkten Reiz auf die Rezipienten von fußballbezogenen (und medial erlebbaren) Massenveranstaltungen ausüben. Einerseits vor allem in der Motiven, wie dem aktiven Teilerleben von Spannung und andererseits auch in der Anziehungskraft, die durch die Offenheit des Spielergebnisses hervorgerufen wird (vgl. Cachay / Thiel 2000, S. 147). Auf den ersten Blick banal anmutend, verdeutlicht ein Zitat von Josef (Sepp) Herberger, Trainer der deutschen Nationalmannschaft in den Jahren 1936 bis 1942 und 1949 bis 1964, was den Reiz von Fußballspielen und deren Anziehungskraft für Zuschauer ausmacht, indem er zusammenfasst: „Warum gehe die Leut zum Fußball? Weil se net wisse, wie’s ausgeht!“ (Herberger zit. n. Stollenwerk 1996, S. 21).

[...]

Ende der Leseprobe aus 37 Seiten

Details

Titel
Unterschiedliche Erscheinungsformen von Sport als säkulare Religion
Hochschule
Universität Wien  (Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Im Rahmen des politikwissenschaftlichen Forschungspraktikums "Sport, Nationalismus und Männlichkeit"
Note
2,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
37
Katalognummer
V60445
ISBN (eBook)
9783638541206
ISBN (Buch)
9783656774402
Dateigröße
536 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Fußballsportliche Großveranstaltungen sind Momente, in denen ZuschauerInnen ihrer gemeinschaftbezogenen (Fan-) Identität Ausdruck verleihen. In diesem Zusammenhag wird erörtert, dass SportzuschauerInnen nicht alleinig als 'Menschen mit Schaudrang' (Diem 1960, S. 20 zit. n. Stollenwerk 1996, S. 112) zu reduzieren sind, sondern in ihrer das Spiel aktiv beeinflussenden Rolle wirken. Vielmehr stellt sich Fußball als Versammlungsort mit religiösem Charakter in kompensatorisch-säkularer Funktion dar.
Schlagworte
Unterschiedliche, Erscheinungsformen, Sport, Religion, Rahmen, Forschungspraktikums, Sport, Nationalismus, Männlichkeit
Arbeit zitieren
Mag. phil. Florian Fügemann (Autor:in), 2005, Unterschiedliche Erscheinungsformen von Sport als säkulare Religion, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/60445

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