Entstehung von Gewaltaffinität in der familialen Sozialisation


Hausarbeit, 2003

16 Seiten


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Darstellung der Modelle
2.1 Das Familien-Risikomodell (Kathrin Ratzke/Manfred Cierpka)
2.1.1 Familiendynamik und Erziehung in der Risikofamilie
2.1.2 Erklärungen für die mangelnde Entwicklung der Erziehungsfertigkeiten
2.1.3 Im Vordergrund stehende familiäre Konflikte
2.1.4 Welche Entwicklungsdefizite entstehen bei den Kindern?
2.1.5 Das Prinzip der Äquifinalität
2.2 Modell der wechselseitigen Anerkennung (Werner Helsper)

3. Gemeinsamkeiten der dargestellten Modelle von Ratzke/Cierpka und Helsper

4. Unterschiede zwischen den dargestellten Modellen von Ratzke/Cierpka und Helsper

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Gewalttätiges und aggressives Verhalten von Kindern und Jugendlichen ist ein Thema, mit dem wir nahezu täglich, zumeist durch die Medien, konfrontiert werden. Die dabei zur Sprache kommende, scheinbare Machtlosigkeit der Familie als eine der wichtigsten Sozialisationsinstanzen hat mich veranlasst, mich mit diesem Thema näher zu befassen. Meine konkrete Fragestellung lautet:

Wie entsteht Gewaltaffinität in der familialen Sozialisation?

Bei der Beantwortung dieser Frage stütze ich mich auf zwei Quellen. Zum einen stelle ich das Familien-Risiko-Modell von Kathrin Ratzke und Manfred Cierpka vor, zum anderen das Modell der wechselseitigen Anerkennung von Werner Helsper. Beide Autoren gehen die Schwierigkeit, Gewalttätigkeit von Kindern und Jugendlichen zu erklären, unterschiedlich an. Cierpka betrachtet hierfür die gesamte Familie des „Problemkindes“, Helsper dagegen hauptsächlich die reine Eltern-Kind-Beziehung.

Neben der ausführlichen Beschreibung der Unterschiede beider Modelle möchte ich auch die eventuellen Gemeinsamkeiten herausarbeiten.

Anhand dieser Erkenntnisse soll sich zeigen, ob die beiden Modelle nebeneinander bestehen können oder sich gegenseitig ausschließen. In einem Fazit möchte ich das Ergebnis dieser Überlegungen herausstellen, und damit meine Fragestellung beantworten.

2. Darstellung der Modelle

2.1 Das Familien-Risikomodell (Kathrin Ratzke/Manfred Cierpka)

Das Familien-Risiko-Modell ist ein Entwicklungsmodell, dass einerseits das gewalttätige Verhalten des Kindes zu erklären versucht, aber andererseits auch erste Hilfsmöglichkeiten für die betroffenen Familien aufzeigt (vgl. Ratzke/Cierpka 1999: 51)

Die Bezeichnung Entwicklung deutet an, dass das Modell einen längeren Zeitraum für die Entstehung des aggressiven Verhalten betrachtet, eventuell werden auch mehrere Generationen der betroffenen Familie in die Überlegungen mit einbezogen (vgl. Ratzke/Cierpka 1999: 51).

Neben der Bezeichnung Entwicklungsmodell ist der Entwurf auch ein kontextuelles und ein Risikomodell. Der Begriff kontextuell beinhaltet die Annahme, dass die individuelle Entwicklung sehr stark durch wechselwirksame Prozesse mit der familiären und sozialen Umgebung des Kindes beeinflusst wird (Kreppner/Lerner 1989, n. Ratzke/Cierpka 1999: 51). Diese Tatsache führt dann zu Problemen und womöglich aggressivem Verhalten des Kindes, wenn es sich in diesen Prozessen abgelehnt oder frustriert fühlt. Zieht sich das Kind an dieser Stelle zurück, kann ein Teufelskreislauf entstehen, der die negativen Gefühle des Kindes immer weiter verstärkt (vgl. Ratzke/Cierpka 1999: 51).

Dagegen sagt der Name Risikomodell aus, dass unvorhergesehene Veränderungen in der Familienstruktur die Beziehungskontinuität stören und instabil werden lassen können. Unter diesen Störungen leiden nicht nur die Kinder, sondern meist auch die Eltern (vgl. Ratzke/Cierpka 1999: 51).

2.1.1 Familiendynamik und Erziehung in der Risikofamilie

An dieser Stelle stellt sich die Frage, welche Merkmale eine solche Risikofamilie mit sich bringt. Zwar wirken die betroffenen Familien auf den ersten Blick alle sehr verschieden, dennoch lassen sich einige übliche Probleme in vielen dieser Familien finden. Zunächst erscheint wichtig, dass innerfamiliär häufig nicht zufriedenstellende Partnerschaftsbeziehungen vorkommen. Zudem werden Konflikte innerhalb der Familie oft durch Gewalt gelöst. Zuletzt bleibt zu erwähnen, dass die Kinder oft erleben, dass ihnen keine klaren Grenzen gesetzt werden (vgl. Ratzke/Cierpka 1999: 52). Aus diesen Gründen steht im Entwicklungsmodell „der sich aufbauende Teufelskreis zwischen der inadäquaten Erziehungspraxis und den gestörten zwischenmenschlichen Beziehungen in der Familie im Mittelpunkt“ (Ratzke/Cierpka 1999, S. 52, Hervorheb. im Original). Für die Teufelskreisentwicklung sehen Ratzke & Cierpka (1999)mehrere Möglichkeiten: einerseits können die Eltern durch die Erziehungsaufgaben überfordert sein, d. h. ihre Erziehungsfertigkeiten sind nicht ausgebildet, andererseits haben die Eltern oft durch Familienkonflikte entstehende Erziehungsschwierigkeiten. Hierbei existieren zwar die Erziehungsfertigkeiten, die Eltern sind aber nicht in der Lage, sie zu nutzen (vgl. S. 53). Das Ergebnis beider „Ursache-Wirkungsketten“ (Ratzke/Cierpka 1999, S. 53) ist in beiden Fällen die „Eskalation von Erziehungsproblemen und gestörten innerfamiliären Beziehungen, die sich zirkulär verstärken“ (Ratzke/Cierpka 1999, S. 53).

2.1.2 Erklärungen für die mangelnde Entwicklung der Erziehungsfertigkeiten

Die Familien von zu aggressivem Verhalten neigenden Kindern leiden oft unter ungünstigen äußeren Lebensumständen. Die Familien fühlen sich sozial benachteiligt und sind es meist auch tatsächlich; teilweise führt ihre Armut sogar dazu, dass eine vernünftige Ernährung der Kinder nicht gewährleistet werden kann. Zudem stammen die Eltern selbst schon aus Familien, in denen es kaum stabile Beziehungsgefüge gegeben hat (Ratzke/Cierpka 1999: 53). An dieser Stelle verweisen Ratzke & Cierpka auf die Theorie der sozialen Desorganisation von Sampson (1992). Sampson stellt heraus, dass Kinder durch jede Art von Beziehungen und Beziehungsbrüchen in ihrem individuellen Bindungsverhalten beeinflusst werden. Beziehungsbrüche, z.B. durch die Scheidung der Eltern, nehmen dem Kind Sicherheit und Vertrauen (Sampson 1992, n. Ratzke/Cierpka 1999, S. 53f.). In diesem Zusammenhang haben Capaldi & Patterson (1991) festgestellt, „daß (!) zwischen der Anzahl der abrupten Familienwechsel und dem Auftreten von Anpassungsproblemen beim Kind eine lineare Beziehung besteht“ (Capaldi/Patterson 1991, zit. n. Ratzke/Cierpka 1999, S. 54). Das häufig antisoziale Verhalten der Eltern zeigt sich nicht nur in den ungewöhnlich vielen Partnerwechseln, sondern auch durch die geringe Gesprächsbereitschaft in der Familie, so dass unter den Familienmitgliedern kaum Kontakt besteht (Friedlander 1993, n. Ratzke/Cierpka 1999: 54). Ein weiterer wichtiger Punkt für das kindliche Wohlbefinden ist das Selbstwertgefühl der Eltern, da ihre Zufriedenheit entscheidend zu einem guten Familienklima beiträgt (Wahl 1990, n. Ratzke/Cierpka 1999: 54).

Weitere Risikofaktoren, die die Auftretenswahrscheinlichkeit aggressiven Verhalten eines Jugendlichen noch verstärken finden sich in den Randbedingungen der Familie. Zu diesen erschwerenden Bedingungen gehören neben einer ungünstigen Umgebung auch häufige Wohnungswechsel oder ein isoliertes Dasein der Familie (Ratzke/Cierpka 1999: 54). „Der Überlebenskampf [der Familie] wird härter, die Aggression als Modell zur Konfliktlösung spiegelt die Auseinandersetzung der Familie mit der als feindlich erlebten Außenwelt wider. Tragisch ist, daß (!) sich die Kinder in der Sozialisation mit diesem Modell der Konfliktlösung identifizieren“ (Ratzke/Cierpka 1999, S. 55).

Angesichts dieser Umstände zeigen sich zwei Hauptprobleme von Eltern mit nicht vorhandenen Erziehungsfertigkeiten

Zunächst engagieren sie sich offensichtlich kaum für ihre Kinder, sie haben ein unzureichendes Empathieempfinden. Dadurch fehlt es den Kindern an Vertrauen und Sicherheitsempfinden, sie entwickeln eine unsicher-vermeidende Bindung an ihr primäres Bezugs-Objekt, die sich auch in Misstrauen gegenüber anderen äußert (Ratzke/Cierpka 1999: 55).

Das zweite Hauptproblem dieser Eltern ist, dass sie ihr Kind nur unzureichend prosoziales Verhalten nahe bringen. Wie bereits zuvor erwähnt, mangelt es in den Familien an Kommunikation, was sich auch in unklaren Regeln und Grenzen für die Kinder äußert. Die Kinder haben „kein Empfinden für ‚richtig‘ oder ‚falsch‘“ (Ratzke/Cierpka 1999, S. 55), dadurch fehlen ihnen, wie auch den Eltern, gesellschaftlich anerkannte Konfliktlösestrategien (Ratzke/Cierpka 1999: 56).

2.1.3 Im Vordergrund stehende familiäre Konflikte

Im Gegensatz zu Eltern mit gar nicht ausgebildeten Erziehungsfähigkeiten gibt es auch Eltern, deren Erziehungsfähigkeiten zwar vorhanden sind, welche sie aber nicht nutzen. Die Familien sind meist sozial anerkannt und wirken „normal“. Unter der intakten Oberfläche zeigen sich dagegen oft intrapsychische oder zwischenmenschliche Konflikte innerhalb der Familie. Das Kind erlebt diese Konflikte, oft unter Einbezug der eigenen Person, mit und es entwickelt sich „ein neurotisches innerfamiliäres Beziehungsmuster“ (Ratzke/Cierpka 1999, S. 56). Die ausgetragenen Konflikte bestehen in der Familie oft seit Generationen und werden von den Familienmitgliedern unbewusst auf die nächste übertragen. Auch hier werden dem Kind die üblichen Sozialisationsbedingungen genommen und die Eltern-Kind-Beziehung gestört (Ratzke/Cierpka 1999: 57).

[...]

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Details

Titel
Entstehung von Gewaltaffinität in der familialen Sozialisation
Hochschule
Universität Bielefeld
Veranstaltung
Gewaltprävention
Autor
Jahr
2003
Seiten
16
Katalognummer
V59994
ISBN (eBook)
9783638537711
ISBN (Buch)
9783656812142
Dateigröße
458 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Entstehung, Gewaltaffinität, Sozialisation, Gewaltprävention
Arbeit zitieren
Judith Scherer (Autor:in), 2003, Entstehung von Gewaltaffinität in der familialen Sozialisation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/59994

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