Wirtschaftsbetrug in Deutschland - Delikte und Vorbeugungsmaßnahmen


Hausarbeit, 2006

24 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


1 Einführung und Begriffsabgrenzungen

1.1 Wer ist in unserem Unternehmen kriminell?

Am frühen Morgen in der Vertriebsniederlassung eines mittelständischen Handelsunternehmens: wieder ist eine Palette mit Ware verschwunden. Seit Monaten mehren sich die Fälle, in denen erhebliche Bestandsdifferenzen vom Lagerpersonal entdeckt werden. Zeichen für ein gewaltsames Eindringen von außen sind indes nicht zu finden. „Bei uns gibt es keinen Diebstahl. Ich habe meine Mannschaft im Griff“, beteuert der Lager- und Fuhrparkleiter. Und auch die Mitglieder des Betriebsrats sind sich einig: „Unsere Kollegen sind nicht kriminell. Es muss sich um Fehlbuchungen handeln.“ Trotzdem muss sich der Leiter der Niederlassung die Frage stellen, welcher seiner Mitarbeiter für ein Diebstahlsvergehen in Frage käme. Einer der Kraftfahrer, der vielleicht mit einem der Kunden kooperiert? Oder ein Lagermitarbeiter, der die Ware heimlich zur Seite schafft? Vielleicht sogar einer der Kollegen im Vertrieb, der einen Zentralschlüssel hat und nachts heimlich in das Gebäude eindringt? Und wenn tatsächlich ein Dieb unter der Belegschaft ist, wie sollte der Niederlassungsleiter bei dessen Enttarnung mit ihm umgehen? Welche Kontrollmechanismen haben versagt; welche Maßnahmen können ein erneutes Delikt verhindern? Und wie kann das Vertrauen unter den Mitarbeitern wiederhergestellt werden?

Nicht selten müssen sich Manager mit solchen Fragen auseinandersetzen, nicht selten handelt es sich tatsächlich um kriminelle Vorfälle, und nicht selten trifft sie diese Erkenntnis völlig unvorbereitet. Die Autoren möchten mit der vorliegenden Belegarbeit das Phänomen Wirtschaftsbetrug, seine Entwicklung und seine Charakteristika beleuchten und Wege aufzeigen, wie Unternehmen diese kriminelle Bedrohung managen können.

1.2 Problematik der begrifflichen Abgrenzung

Die Begriffe „Wirtschaftskriminalität“ und „Wirtschaftsbetrug“ unterliegen einem ständigen Bedeutungswandel und bieten weitreichenden Interpretationsspielraum. Die voranschreitende weltweite Technologisierung und die zunehmende Komplexität wirtschaftlicher Prozesse haben neue Arten von wirtschaftsbezogenen Betrügereien hinzukommen lassen. Insbesondere die Computerkriminalität, der sogenannte Cybercrime, sorgte in den letzten Jahren immer wieder für Schlagzeilen. Andererseits ist die Sichtweise auf dieses Problem auch immer abhängig von Standpunkt des Betrachters: staatliche Strafverfolger interpretieren nahezu jedes Vermögensdelikt ohne direkte Gewalteinwirkung als Wirtschaftskriminalität (Vgl. Odenthal, S.12) . Die betroffenen Unternehmen hingegen sehen sich meist in der Opferrolle (Vgl. ebd.). Für sie stehen unternehmensschädigende Delikte der Mitarbeiter und des Managements im Vordergrund – Korruption bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, Subventionsbetrug, Steuerhinterziehung oder illegale Beschäftigung finden sich selten in ihren Statistiken wieder. Hinzu kommt, dass sich selbst Wirtschafts- und Rechtswissenschaftler selten auf konkrete Definitionen festlegen – Grund ist die Vielschichtigkeit und unklare Struktur des Themenkomplexes. Als Beleg sei eine knappe Auswahl aus der Vielzahl der nationalen Gesetze aufgeführt, die wirtschaftskriminelle Handlungen abgrenzen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

In Deutschland existiert ein schier unüberschaubares Geflecht von Normen, die das Wirtschaftsstrafrecht regeln – es enthält nach Schätzungen von Wirtschaftskriminologen allein mehr als 200 Bundesgesetze (Vgl. Schwind, S.419). Darüber hinaus grenzen viele europäische Richtlinien und internationale Wirtschaftsabkommen den Handlungsspielraum deutscher Unternehmen ein.

1.3 Wirtschaftskriminalität – Versuch einer Definition

Trotzdem setzt die Untersuchung des Themenkomplexes Wirtschaftsbetrug eine weitestgehende Abgrenzung voraus. Als gemeinsamen Konsens unterschiedlicher Kriminalisten und Ökonomen haben die Autoren die Thesen des amerikanischen Soziologen Edwin H. Sutherland identifiziert. Anlässlich der 34. Jahrestagung der Amerikanischen Soziologischen Vereinigung prägte er 1939 als deren Präsident in seiner Eröffnungsrede den Begriff der „Weiße-Kragen-Kriminalität“ („white collar criminality“; vgl. ebd., S.422), den er wie folgt interpretierte:

Weiße-Kragen-Kriminalität“ bezeichnet Straftaten , die von ehrbaren Personen mit hohem sozialen Ansehen und im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit verübt werden. (Vgl. ebd.)

Sutherland schuf so die klassische Definition von Wirtschaftskriminalität und fasste darin alle ihre wesentlichen Merkmale zusammen. Jedoch darf man nicht außer Acht lassen, dass diese Definition nicht alle Aspekte von wirtschaftskriminellem Handeln abdeckt, weil sie sich nur auf angesehene Personen bezieht. Sutherland wollte damit dem damals vorherrschenden Vorurteil, dass kriminelles Verhalten nur ein Problem der unteren Gesellschaftsschichten, also der „Blaue-Kragen-Arbeiter“ („blue collar workers“) sei, entgegenwirken (Vgl. ebd.) . Der strafrechtliche Begriff der Wirtschaftskriminalität umfasst nach Schwind das „sozial schädliche Verhalten im Wirtschaftsleben, soweit dies von Strafe bedroht ist“ (Zit.: ebd., S.419). Diese Definition deckt sich mit der Ansicht der Autoren, muss jedoch um den Aspekt der lediglich ordnungswidrigen und nicht strafrechtlich verfolgten Handlungen erweitert werden.

Umstritten ist, ob auch moralische Verfehlungen berücksichtigt werden sollten. Die Autoren sind jedoch der Meinung, dass die Einbeziehung solcher Handlungen, die nicht gegen geltendes Recht, aber gegen moralische Prinzipien verstoßen, der Sichtweise der Unternehmen und ihrer Mitarbeiter Rechnung trägt, und deshalb ebenso in den Begriff der Wirtschaftskriminalität im weiteren Sinne einbezogen werden sollten. Sie sind jedoch nicht Gegenstand dieser Belegarbeit.

Die Begriffe Wirtschaftskriminalität und Wirtschaftsbetrug sind synonym zu verwenden, denn bei Betrug handelt es sich um eine Schädigung Dritter, um Vorteile (meist finanzielle) zu erlangen (Vgl. Wikipedia1; Gabler Wirtschaftslexikon, S.472). Geschieht dies im Zusammenhang mit wirtschaftlichem Handeln, so kann man von einem Wirtschaftsbetrugsfall ausgehen.

1.4 Relevanz der Problematik im gesellschaftlichen Zusammenhang

Die Wirtschaftskriminalität ist nicht nur aufgrund ihrer Vielschichtigkeit ein hochbrisantes Thema. Die hohe kriminelle Energie der Einzeltäter und organisierten Verbrecherbanden sowie die immensen verursachten Schäden sollten als Alarmzeichen für eine offensive Bekämpfung des Wirtschaftsbetrugs dienen.

Die Bedeutsamkeit und Aktualität des Problems machen die quantitativen und qualitativen Anteile der Wirtschaftskriminalität am gesamten kriminellen Geschehen in Deutschland deutlich. So hatte die Wirtschaftskriminalität im Jahr 2004 nur einen Anteil von rund einem Prozent an allen Straftaten, war aber für über die Hälfte des bundesweit durch Straftaten entstandenen Schadens verantwortlich (Vgl. BKA2, S.23).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1.5 Wirtschaftskriminelle Aspekte der Organisierten Kriminalität

Wirtschaftskriminelle Straftaten werden häufig im Kontext der Organisierten Kriminalität erfasst. Die trennscharfe Abgrenzung beider Begriffsfelder ist oft nicht möglich. Ein wesentliches Kriterium der Organisierten Kriminalität, das der Deutsche Bundestag 1992 identifiziert hat, ist die „Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen“ (Vgl. Schwind, S.592) , was die Überschneidung beider Begriffe impliziert . Ein wirtschaftskriminelles Vergehen ist dann der Organisierten Kriminalität zuzuordnen, wenn ihre typischen Merkmale vorliegen. Schwind benennt als Kriterien unter anderem den dauerhaften Zusammenschluss von kriminell handelnden Personen, einen straffen Führungsstil, ein längeres planmäßiges und arbeitsteiliges Vorgehen, das Betreiben von illegalen Geschäften, ein konspiratives Täterverhalten und den Betrieb von Tarnfirmen (Vgl. ebd. S.593) . Straftaten aus dem Spektrum der Wirtschaftskriminalität, die mehrheitlich diese Aspekte aufweisen und deshalb der Organisierten Kriminalität zugerechnet werden, sind z.B. Geldwäsche, Korruption und die Verknüpfung illegaler Aktivitäten mit legalen Geschäften.

Der nach Expertenmeinung wachsenden Gefahr durch das Organisierte Verbrechen will der Gesetzgeber mit spezifischen, einzelgesetzlichen Maßnahmen begegnen . Genannt seien hier insbesondere

- das Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (OrgKG) vom 15. Juli 1992,
- das Gesetz über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten („Geldwäschegesetz“, GWG) vom 25. Oktober 1993,
- das Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozessordnung und anderer Gesetze („Verbrechensbekämpfungsgesetz“),
- das „Gesetz zur Bekämpfung der Korruption“ vom 13. August 1997 sowie
- das „Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität“ (OKVBG) vom 9. Mai 1998 (Vgl. Engler, S.19).

2 Arten von Wirtschaftsbetrug

2.1 Zusammenfassung einzelner Betrugsmodelle zu Erscheinungsformen

Ebenso diffizil wie ihre Begriffsbestimmung ist die Darstellung der Wirtschaftskriminalität anhand ihrer Erscheinungsformen. Insbesondere weil der Komplex nur unscharf abgegrenzt werden kann, die Anzahl der Betrugsmodelle nahezu unbegrenzt ist und Wirtschaftsbetrüger ständig mit der wirtschaftlichen Entwicklung mithalten und immer neue Modelle entwickeln, ist eine Gliederung schwierig. Häufig können einzelne Betrugsmodelle auch mehreren Erscheinungsformen zugerechnet werden. Eine absolute Zuordnung aller Modelle ist deshalb unmöglich; die Autoren haben sich jedoch auf die Gliederung in folgende Erscheinungsformen geeinigt, die alle Betrugsmodelle abdecken:

- Cybercrime
- Vermögensdelikte
- Wirtschaftsspionage
- Produktpiraterie
- Geldwäsche
- Korruption
- Bilanzfälschung, Insolvenzdelikte und Steuerhinterziehung
- Wettbewerbsdelikte

Im Folgenden sollen die einzelnen Erscheinungsformen näher betrachtet werden.

[...]

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Wirtschaftsbetrug in Deutschland - Delikte und Vorbeugungsmaßnahmen
Hochschule
Technische Hochschule Wildau, ehem. Technische Fachhochschule Wildau
Veranstaltung
Unternehmensplanung
Note
1,0
Autoren
Jahr
2006
Seiten
24
Katalognummer
V59984
ISBN (eBook)
9783638537650
ISBN (Buch)
9783638927352
Dateigröße
756 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wirtschaftsbetrug, Deutschland, Delikte, Vorbeugungsmaßnahmen, Unternehmensplanung
Arbeit zitieren
Mathias Thiele (Autor:in)Torsten Ratzel (Autor:in)Philipp Walter (Autor:in), 2006, Wirtschaftsbetrug in Deutschland - Delikte und Vorbeugungsmaßnahmen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/59984

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