Repräsentative und direkte Demokratie – unvereinbar oder nützliche Ergänzungen?


Seminararbeit, 2004

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Gliederung:

1. Einleitung

2. Theoretischer und idealtypsicher Teil
2.1 Arbeitsdefinition und Begriffsbestimmung
2.2 Formen direktdemokratischer Verfahren und Analysekriterien
2.3 Direkte Demokratie im repräsentativem System
2.3.1. Ansichten der verschiedenen Demokratietheorien
2.3.2. Streitpunkte und Argumente der aktuellen Diskussion

3. Empirischer Teil anhand der Schweiz und Polen
3.1. Direktdemokratische Tradition
3.2. Formen und Verfahren
3.3. Akteure, Interessengruppen und Propaganda
3.4. Anwendung und Partizipation
3.5. Wirkung und Intensität

4. Zusammenfassung

1. Einleitung

„Demokratie ist die Herrschaft des Volkes, das den von Minderheiten bestimmten Mehrheitsentscheidungen gehorcht.“ Mit diesen Worten kritisiert Lothar Schmidt die elitäre repräsentative Demokratie. Im Gegensatz dazu sieht Theodor Heuss in der direkten Partizipation des Bürgers „die Prämie für jeden Demagogen“ und damit das Ende der Demokratie überhaupt.

Aber sind repräsentative und direkte Demokratie so untrennbar, so antagonistisch, wie es in diesen durchaus hitzigen Diskussionen immer behauptet wird? Kann ein repräsentatives Basissystem durch direktdemokratische Verfahren konstruktiv ergänzt werden oder würde dies nur nachteilig für das Basissystem sein?

Diese Frage soll in dieser Arbeit in zwei Teilen bearbeitet werden. Der erste Teil widmet sich den theoretischen Grundlagen und idealtypischen Annahmen. Zuerst werden die gängigen Begrifflichkeiten geklärt und Arbeitsdefinitionen erstellt. Danach werden Formen und Verfahren direktdemokratischer Elemente und Analysekriterien zur genaueren Betrachtung dieser Institutionen vorgestellt. Als Abschluß des theoretischen Teils sollen die kontrahierenden Ansichten zur Vereinbarkeit von direkter und repräsentativer Demokratie verglichen werden. Es werden dafür verschiedene Demokratietheorien vorgestellt, die teilweise ganz unterschiedliche Herangehensweisen und Interpretationen aufweisen, und es wird ein Überblick über die aktuellen Argumente der laufenden Debatte gegeben.

Im zweiten Teil werden repräsentative Demokratien, die durch direktdemokratische Verfahren ergänzt werden, betrachtet. Hierbei werden die Schweiz mit ihrer direktdemokratischen Tradition und die junge Republik Polen mit ihren eher vorsichtig errichteten Elementen direkter Bürgerbeteiligung untersucht. Bei diesem Vergleich werden jedoch nur Verfahren auf der obersten Staatsebene betrachtet, um dem Umfang dieser Arbeit gerecht zu werden.

2. Theoretischer und idealtypischer Teil

2.1 Arbeitsdefinition und Begriffsbestimmung

In diesem Kapitel sollen die Begriffe Demokratie, repräsentative Demokratie, direkte Demokratie und direktdemokratische Verfahren definiert werden. Diese Definitionen sind lediglich Arbeitsdefinitionen, die Klarheit über die Anwendung der Begriffe bringen sollen. Dazu werden die Begriffsbedeutungen auf den Kern reduziert und jegliche normative und damit strittige Ausgestaltung vermieden.

Große Einigkeit herrscht darüber, daß Demokratie auf der Basis der Volkssouveränität beruht. „Demokratie ist eine Gestalt des politischen Lebens, die die Willensbildung der Gemeinschaft oder des Staates vom Willen des gesamten Volkes ableitet“ (Brockhaus Enzyklopädie 1968:406). Nach Constanze Stelzenmüller ist die repräsentative Demokratie „ein System, in dem die staatliche Gewalt zwar vom Volk abgeleitet, aber durch Vertreter ausgeübt wird.“ (Stelzenmüller 1994:30) Die Einflußnahme des Volkes und die Rückbindung der Vertreter an diese beschränken sich also auf die Wahlen. Die direkte Demokratie lehnt solch eine Arbeitsteilung ab, da nur die Macht, aber nicht der Wille übertragbar ist (vgl. Rousseau 1977:27). In einer Versammlungsdemokratie werden „alle sachlichen und personellen Beschlüsse [...] von der Gesamtheit des Staatsvolkes durch Abstimmung getroffen.“ (Stelzenmüller 1994:30). Die Herrschenden und die Beherrschten sind identisch. Der Begriff der direkten Demokratie wird aber auch immer wieder für direktdemokratische Verfahren verwendet. Unter direktdemokratischen Verfahren werden in dieser Abhandlung jedoch nur Elemente der direkten Bürgerbeteiligung als Ergänzung des repräsentativen Systems gesehen. Aus dieser Beschreibung geht hervor, daß Wahlen für Repräsentanten, beispielsweise Parlamentswahlen, nicht zu den direktdemokratischen Verfahren gezählt, sondern als Grundbestandteil des repräsentativen Systems angesehen werden. Silvano Möckli bezeichnet diese Wahlen als „Normalmaß an Bürgerbeteiligung in der parlamentarischen Demokratie“ (Möckli 1994:87). Verfügt eine repräsentative Demokratie über ein hohes Maß an unmittelbarer Beteiligung der Bürger spricht man, wie im Falle der Schweiz, von einer halbdirekten Demokratie.

2.2 Formen direktdemokratischer Verfahren und Analysekriterien

Die verschiedenen Verfahren von direkter Bürgerbeteiligung sind im allgemeinen Sprachgebrauch sehr unklar und in den Ländern unterschiedlich definiert. In Deutschland neigt man dazu, die Begriffe der verschiedenen Verfahren wie Synonyme zu verwenden. Für eine grobe Einteilung kann man sich an Silvano Möckli halten (vgl. Möckli 1994:87ff.), der direktdemokratische Verfahren zwischen Sach- und Personenentscheidungen trennt. Konzentriert sich Möckli in seiner Arbeit nur auf die Sachabstimmungen, sollen die Personenentscheidungen, außer Parlamentswahlen (genauer differenziert in Kapitel 2.2), in dieser Betrachtung auch berücksichtigt werden. Dazu gehören die direkten Wahlen von politischen Ämtern und die Abberufungen dieser durch die Bürger. Das Plebiszit, das Referendum und die Initiative sind die Verfahren der Sachabstimmungen. Das Plebiszit kennzeichnet sich dadurch aus, daß es ad hoc und von einem oberen Staatsorgan eingesetzt und von diesem auch kontrolliert wird. Stärker geregelt, meist mit Verfassungsverankerung, sind das Referendum und die Initiative. Beim Referendum wird den Bürgern ein Vetorecht gegen Beschlüsse der repräsentativen Legislativorgane gegeben. Dieses Vetorecht ist entweder obligatorisch, bei Entscheidungen bei denen das Volk befragt werden muß, oder fakultativ, wo es nur zu einer Volksabstimmung kommt, wenn die Bürger dies verlangen. Eine Art der Volksgesetzgebung - der Anstoß zum Gesetzesverfahren und die Letztentscheidung liegt beim Volk - ist die Initiative. Dieses Verfahren ist mehrstufig und besteht aus dem Bürgerbegehren und dem Volksentscheid. Durch das Bürgerbegehren wird die Volksgesetzgebung initiiert und der Volksentscheid gefordert, in dem dann letztendlich abgestimmt und entschieden wird. In vielen mehrstufigen Verfahren gelangt der Gesetzesvorschlag des Bürgerbegehrens vor der Abstimmung noch einmal ins Parlament, das zu den Forderungen Stellung nehmen oder bei bestimmten Formen sogar Gegenvorschläge machen kann. Dennoch ist die Volksgesetzgebung ein sehr starkes Element, so daß der Bürger seine Selbstentscheidung wieder erlangt. Nach Franz-Ludwig Knemeyer werden durch diese Verfahren die gewählten Repräsentanten sogar kurzzeitig für diese bestimmte Entscheidung aus dem Amt enthoben (vgl. Knemeyer 2001:85).

Diese Typologie ist wie jede andere nicht flächendeckend. Berücksichtigt man aber folgende Analysekriterien erhält man ein solides Grundgerüst zur Betrachtung von direktdemokratischen Verfahren. Eine wichtiger Gesichtspunkt ist die Frage des Akteurs, da nicht nur das Volk, sondern auch staatliche Organe direktdemokratische Verfahren initiieren können (vgl. Maurer 1996:3). Möckli empfiehlt diesen Punkt anhand der Kompetenz zur Auslösung, sowie der Bestimmung des Gegenstandes und den möglichen Einfluß der Regierung zu untersuchen (vgl. Möckli 1994:91). Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Verbindlichkeit der Ergebnisse, die aus Karl Hernekamps juristischer Sicht sogar das determinierende Kriterium sind (vgl. Hernekamp1979:20). Constanze Stelzenmüller betont zusätzlich noch, inwieweit die Verfahren gesetzlich oder verfassungsrechtlich geregelt und für welche politischen Entscheidungen (Gesetze, Verfassungsartikel oder Verordnungen) sie von Bedeutung sind (Stelzenmüller 1994:32f.). Stefan Schieren sieht den eigentlichen Balanceakt der direkten Demokratie in der richtigen Ausgestaltung der Quoren, Bedingungen und Mindestmaße, die zum erfolgreichen Abschluß eines Verfahrens erreicht werden müssen. Letztendlich sollten auch noch thematische Einschränkungen der Bürgerbeteiligung, die meist auf Negativkatalogen festgehalten werden und finanzrelevante Dinge betreffen, mit in die Analyse einbezogen werden.

2.3 Direkte Demokratie im repräsentativen System

2.3.1. Ansichten der verschiedenen Demokratietheorien

Zur Untersuchung der Kompatibilität von direkter und repräsentativer Demokratie muß man sich notwendigerweise auf eine Demokratietheorie stützen. Ist die vorgenommene Definition von Demokratie im Kapitel 2.1. eine aufs Minimale und aufs allgemein Anerkannte reduzierte Begriffserklärung, beinhalten die Demokratietheorien schon einen hohen normativen Anteil über die Art und Weise wie Demokratie praktiziert werden soll. Wie Silvano Möckli schon erkannt hat, begibt man sich hier auf ein strittiges Gebiet, da es keine allgemeingültige Theorie für direkte Demokratie gibt (vgl. Möckli 1994:81), sondern vielmehr eine Vielfalt von Auslegungen und Interpretationen.

Zwei sich antagonistisch gegenüberstehende Demokratietheorien sind die normativen und empirischen, auch input- und outputorientiert genannt, Ansätze (vgl. Schmidt 2000:251). Die normative Theorie legt die Priorität auf die Inputseite, d.h., sie versucht ein Maximum an Bürgerbeteiligung zu erreichen. In dieser Partizipationsdemokratie wird eine höhere Legitimation erreicht, wofür Effizienzeinbußen in Kauf genommen werden. Direktdemokratische Verfahren zur Förderung der Identität zwischen Regierenden und Regierten sind nach diesem Ansatz unbedingt notwendig, wobei davon ausgegangen wird, daß der Bürger interessiert und sachkundig den politischen Prozeß verfolgt.

Im Gegensatz dazu unterwirft der outputorientierte Ansatz die Demokratie den Regeln der modernen Dienstleistungsgesellschaft und zielt nicht nur auf die Demokratie als Selbstzweck ab. Eine Beurteilung des politischen Systems geschieht nur anhand dessen Effizienz.

Ein outputorientiertes Leitbild ist das elitendemokratische, in dem davon ausgegangen wird, daß eine technokratische Elite am effizientesten arbeitet. Diese Eliten werden zwar immer noch durch Wahlen in ihr Amt geführt, sollen aber während ihrer Amtszeit im Sinne der Arbeitsteilung frei walten können. Die Partizipation des Wahlbürgers ist also lediglich darauf beschränkt zwischen verschiedenen Eliten zu wählen, die dem Bürger wiederum nur die Effizienz ihrer Dienstleistung schuldig sind. Unmittelbare Bürgerbeteiligung wird nach diesem Ansatz strikt abgelehnt, da der Bürger ein „Idiot“ (Idiot stammt vom griechischen „idiotes“ ab, das soviel, wie der Privatlebende bedeutet, vgl. Brockhaus 1969b:809) ist, der sich nicht mit der politischen Willensbildung beschäftigen muß.

[...]

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Repräsentative und direkte Demokratie – unvereinbar oder nützliche Ergänzungen?
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Proseminar: Einführung in die politischen Systeme
Note
1,3
Autor
Jahr
2004
Seiten
19
Katalognummer
V59851
ISBN (eBook)
9783638536783
ISBN (Buch)
9783638752695
Dateigröße
526 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Seminararbeit besteht aus zwei Teilen, die die Frage nach der Vereinbarkeit von repräsentativer und direkter Demokratie behandeln. Teil I: Theoretischer Diskurs und Zusammenfassung des Forschungsstandes. Teil II: Empirische Untersuchung zur Beantwortung der Fragestellung anhand von Polen und der Schweiz.
Schlagworte
Repräsentative, Demokratie, Ergänzungen, Proseminar, Einführung, Systeme
Arbeit zitieren
Willem gr. Darrelmann (Autor:in), 2004, Repräsentative und direkte Demokratie – unvereinbar oder nützliche Ergänzungen?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/59851

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