Josephs Träume und ihre Bedeutung für seine soziale Entwicklung


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

21 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Josephs Träume
2. 1. Der Himmelstraum
2. 2. Die Träume der Garben und der Sonne, Mond und Sterne

3. Das Sterben des alten Ichs
3. 1. Josephs Fall in den Brunnen
3.2. Das neue Ich

4. Schluss

5. Bibliographie

1. Einleitung

„Einst hatte Joseph einen Traum. Als er ihn seinen Brüdern erzählte, hassten sie ihn noch mehr. Er sagte zu ihnen: Hört, was ich geträumt habe. Wir banden Garben mitten auf dem Feld. Meine Garbe richtete sich auf und blieb auch stehen. Eure Garben umringten sie und neigten sich tief vor meiner Garbe. [...] Und sie hassten ihn noch mehr wegen seiner Träume und seiner Worte. / Er hatte noch einen anderen Traum. Er erzählte ihn seinen Brüdern und sagte: Ich träumte noch einmal: Die Sonne, der Mond und elf Sterne verneigten sich tief vor mir.“[1]

Diese Träume aus der biblischen Geschichte von Joseph und seinen Brüdern sind zum großen Anteil der Auslöser für den Verlauf von Josephs weiterem Schicksal. Die Provokation seitens Joseph führt dazu, dass seine Brüder ihn in die Grube werfen bzw. an die ziehenden Ismaeliter verkaufen, die ihn nach Ägypten führen. Natürlich sind die Träume nur das letzte Glied einer langen Kette von Demütigungen, die die Brüder zu ertragen hatten. Aber schon allein deswegen ist es interessant, diese „Prophezeiungen Josephs“ genauer zu untersuchen. In Thomas Manns Roman kommt zudem noch ein weiterer Traum hinzu, der den zwei Träumen der Bibel vorgeschaltet ist: Der Himmelstraum.

Das Anliegen dieser Hausarbeit wird sein, Josephs Träume in Zusammenhang mit seinem Hochmut zu setzen und somit zu untersuchen, welche Rolle diese im Verlauf seines weiteren Lebens spielen. Vor allem werde ich im ersten Teil auf den von Thomas Mann hinzugefügten Traum eingehen, da er genau das Bild widerspiegelt, welches Joseph von sich selber hat, bevor er in den Brunnen geworfen wird. Zudem ist er auch Ausgangspunkt für die Thematik der Beziehung des Künstlers mit seiner Umwelt, welche den ganzen Roman durchzieht und auch für die Identifikation Thomas Manns mit Joseph entscheidend ist. Joseph als asozialer Narziß muss lernen, seinen Egoismus dahingehend abzulegen, als dass er sich in ein bestimmtes soziales Gefüge einordnen muss. Diese Problematik wird zweiten Teil der Hausarbeit behandelt, vor allem ihre Verbindung zu den von Joseph geträumten Träumen. Des weiteren wird darauf zu achten sein, wie auf die Träume zurückgeblickt wird und in welcher Hinsicht sie für die individuelle Entwicklung Josephs entscheidend sind.

2. Josephs Träume

2. 1. Der Himmelstraum

Vor der Erzählung dieses Traumes ist das Kapitel „Der Adonishain“ vorgeschaltet, welches vor der Analyse des Himmelstraums und Josephs anderen beiden Träumen zu berücksichtigen ist, da es im direkten Zusammenhang zu diesen steht. Hier wird vor allem das Erwähltheitsbewusstsein und der Hochmut Josephs deutlich. Während er seinem kleinen Bruder vom immer wiederkehrenden Fest des Sterbens und Wiederauferstehens des Gottes Tammuz berichtet, wird deutlich, dass er sich mit diesem Gott identifiziert. Dies kommt vor allem dadurch zum Ausdruck, dass nur er sich die Myrte als Kranzschmuck vorbehält. Die Myrte ist Tammuz (oder Adonai[2]) zugehörig - sie ist das Symbol der Jugend und Schönheit, aber sie steht auch für den Tod und die Wiederauferstehung. Sie ist „der Schmuck des Ganzopfers und ist aufgespart den Augesparten und vorbehalten den Vorbehaltenen“[3] wie Joseph ehrfürchtig zu erzählen weiß.

Durch Benonis unterwürfiges Benehmen fällt ein Hauch von Ironie in diese Szene. Der den Saum des Bruders küssende „drollige Knirps“ spornt Joseph geradezu an, sich in sein Erwähltheitsbewusstsein hineinzusteigern.

Das Gespräch und die darin eingeflochtene Identifikation Josephs mit Tammuz greift im Grunde schon die Ereignisse vorweg, die auf ihn zukommen werden. Dabei ist er sich seines Schicksals, welches er hier prophezeit, noch nicht bewusst und benutzt die Adonai-Identifikation nur zur eigenen Erhöhung. Thomas Mann flechtet hier aber mit dieser Erzählung am Adonishain sein immer wiederkehrendes Motiv der Wiederholung ein. Alles, was geschieht, geschieht nach einem Ur-Modell, welches als Basis für das Geschehene anzusehen ist. Nichts passiert neu und alles kehrt wieder. So wandelt Joseph implizit in den Spuren des Tammuz, aber auch in den Spuren Jesus’ - somit ist alles ein Fest der Wiederkehr, was auch im Kapitel des Adonishains betont wird. Selbst Josephs Schicksal erfährt eine Wiederholung, indem er zweimal in die Grube gerät und aus ihr wieder hervorgeht. Mit dieser Thematik ist ein weiterer Gedanke zu erwähnen, der den Roman beherrscht: wenn alles nur ein „In- Spuren- Wandeln“ ist, dann ist auch die Rolle der Selbstbestimmtheit des Individuums zu problematisieren. Wird das Individuum in einen Zusammenhang von Interessen, Trieben und Traditionen gestellt, so ist zu fragen, ob es eigentlich überhaupt in der Lage ist, nach seinem eigenen Willen zu handeln[4].

Der Himmelstraum ist für die Charakterisierung des jungen Joseph von zentraler Bedeutung. In diesem feiert er regelrecht seinen Hochmut, seine Eigenliebe und seinen Erwähltheitsgedanken. Joseph, der sich eigentlich nur seinem Bruder Ben öffnen will, gewährt zugleich dem Leser Einblick in sein unverfälschtes Innenleben.

Seit Freud ist allgemein bekannt, dass sich Menschen im Traum mit ihren Wünschen und Bedürfnissen auseinandersetzen. Meist sind es unerfüllte Wünsche, die im Traum ihre Befriedigung erfahren dürfen. Thomas Mann hat diesen Grundgedanken Freuds übernommen, ihn jedoch mit dem Motiv des Narziß ergänzt. Von diesem ausgehend, träumt der Narziß meist Erhöhungsträume, in denen er von anderen bewundert wird. Die Träume sind vertikal ausgerichtet; sie sind Machtträume, in denen der Künstler seine Größenphantasie ausleben kann. Joseph ist hier als dieser Künstler zu identifizieren - er fühlt sich zu Höherem bestimmt und glaubt, dass er eine göttliche Aufgabe zu erfüllen hat, so dass er sich eine eigene Welt dichtet und erschafft. Der Himmelstraum ist folglich diese durch die Projektion seiner Wünsche erfundene Welt, in der er von allen geliebt und bewundert wird.

Die Struktur des Himmelstraums kann man schon fast als ein aus einzelnen Mosaikbausteinen zusammengesetztes Gebilde bezeichnen. Es ist ein literarisches Konstrukt, in dem unterschiedliche Quellen verarbeitet werden. So basiert der Traum vor allem auf der babylonischen Etana-Sage sowie auf der Geschichte des Henoch aus der „Sage der Juden“. Die Geschichte von Etana beginnt mit der Fabel vom Bündnis der Schlange und des Adlers: Adler und Schlange schließen einen Bund, ihre Jungen gegenseitig nicht zu fressen. Der Adler hintergeht die Schlange jedoch und nötigt sie dazu, ihn in eine Grube zu werfen, wo er hungern muss. Zu dieser Zeit sucht der Erdenmensch Etana das „Kraut des Gebärens“, welches seiner Frau zu einem Sohn verhelfen soll. Er bittet den Sonnengott Schamasch um Hilfe, der ihn zu dem Adler schickt, welcher weiß, wo das begehrte Kraut wächst. Etana pflegt den Adler gesund und zum Dank wird er von diesem in den Himmel empor getragen, um an das Kraut zu gelangen. Er bekommt es aber mit der Angst zu tun und sie stürzen ab.[5] Zu erwähnen ist, dass sogar im Roman selbst Josephs Wissen um die Geschichte Etanas belegt ist: in Eliezers Unterricht musste er von ihr lesen und schreiben. Und eigentlich ist diese Tatsache logisch in sich begründet: Joseph kann schließlich nicht von etwas träumen, was nicht in seinem Wissenshorizont vorhanden ist. Jedoch ist ihm diese Tatsache nicht bewusst - er sieht den Traum als Prophezeiung an (was auch noch weiter auszuführen sein wird).

Aus der Sage der Juden ist wie schon erwähnt die Geschichte von Henoch verarbeitet. Henoch war der Sage nach der Sohn Jareds - also einzuordnen in die Zeit der Sintflut. Er war ein von Gott eingesetzter König und hatte die Aufgabe, den Menschen den Weg Gottes zu weisen und sie in seinem Sinne zu führen. Die Menschen wandten sich jedoch ab und sündigten, so dass Gott die Sintflut über sie brachte. Henoch wurde aber von Gott zu sich genommen als Zeuge, dass Gott gute Gründe für die Sintflut gehabt hatte. Neben diesen beiden Quellen kommen noch andere, vor allem theologische Vorstellungen des Himmels hinzu.

Was träumt und wie träumt Joseph denn nun eigentlich? Josephs Traum beginnt mit einer Szene an einem Hügel, wo er von einem Adler, „wie ein Stier so groß und mit Hörnern des Stiers an der Stirn“[6], gepackt und in die Lüfte gehoben wird. Dieser Adler[7] entpuppt sich als der Engel Amphiel[8], der den Auftrag Gottes ausführt, Joseph zu ihm zu bringen. Joseph gibt sich dem „Ratschluß der gewaltigen Vorliebe“[9] Gottes gegenüber gelassen. Er verspürt keine Angst und ist auch nicht sonderlich erstaunt, als ihm der Engel von Gottes Auftrag berichtet. Ihm ist es sogar, als hätt’ er’s längst erwartet[10]. So fürchtet er sich - im Gegensatz zu Etana, der vor Angst abstürzt - nicht, als er durch die unterschiedlichen Himmelssphären geflogen wird. Diese hat Thomas Mann auch aus der Judensaga entnommen: hier wird von sieben Sphären des Himmels gesprochen: Willon, der Vorhang; Rakia, die Himmelsfeste; Schechakim, der Wolkenhimmel; Sewul, die Zuflucht; Maon, die Wohnstätte; Machon, der Sitz; Arawot, die Weite[11]. Arawot ( im „Joseph“ Araboth) ist der höchste aller Himmel, der Gottessitz - der Ort, „wo sich die Schatzkammern des Lebens, des Friedens und des Segens befinden“[12]. Joseph erfährt auch die Funktion, die er dort erfüllen soll: er soll „Schlüsselgewalt“ erhalten, die Hallen des Araboth zu öffnen und zu schließen. Auch davon lässt er sich nicht sonderlich beeindrucken - im Gegenteil, ganz unerwartet kommt es ihm nicht[13]. Bevor er jedoch vor Gottes Stuhl gelangt, fliegt er noch an den beiden Engeln Aza und Azael vorbei, die ihm - genau wie Henoch - feindlich gesinnt sind. Sie beschließen, vor Gott gegen Josephs Erwählung Einspruch einzulegen und fliegen Amphiel und Joseph nach. Letztendlich gelangt Joseph in den höchsten aller Himmel. Dort erblickt er einen „Berg, funkelnd von feurigen Steinen, und darauf ein Palast, aus dem Lichte des Saphirs gebaut“[14]. Seine mangelnde Ehrfurcht bzw. sein mangelnder Respekt tritt deutlich zutage, als er, nachdem er durch den Saal voller Boten, Wächtern und Waltern geführt worden ist und vor Gottes Thron steht, etwas zwischen den Fingern hindurchlugt[15], um das Angesicht Gottes erblicken zu können. Es folgt die Erhöhung Josephs durch Gott: genau wie Henoch wird er zum „Metatron“ und „Knaben Gottes“ ernannt, der „Schlüsselgewalt“ erhält, den Araboth zu öffnen und zu schließen. Zusätzlich wird er über alle Engel, die da im Himmel sind (selbst über die Cherubim und Seraphim), als Befehlshaber eingesetzt - im Grunde ist er der „Zweite des Himmelreiches“. Während der Erhöhung treten jedoch Aza und Azael an den Thron heran und bringen ihren Einwand hervor, dass Joseph, da er aus dem Menschengeschlecht abstammt, eigentlich kein Recht auf eine derartige Erwählung hat. Gott weist sie zurück mit den Worten: „Was seid ihr, dass ihr mir dazwischenredet? Ich gönne, wem ich gönne, und erbarme, wes ich erbarme!“[16] Dieser Satz wird im weiteren Verlauf des Romans öfters zitiert werden. Vor allem in dem Kapitel „Das bunte Kleid“ setzt es Joseph als Argument ein, um Jaakob Rahels Ketonet abzuringen.

[...]


[1] Genesis: 37,5- 37, 9

[2] Die Rede ist nicht nur von Tammuz; vielmehr wird hier der babylonische Gott, der jedes Frühjahr mit dem Saatkorn stirbt, mit dem griechischen Adonis gekreuzt.

[3] Bd II, S. 60.

[4] Dieser Gedankenanstoß ist Schopenhauer zuzurechnen. Das Individuum ist für ihn Illusion - im Grunde ist der Mensch seinen Trieben unterworfen; selbst die illusionäre Bildung des Ichs ist schon ein triebgesteuertes Produkt.

[5] Thomas Mann übernimmt fast wörtlich folgende Stelle: „Als er ihn eine Meile emporgetragen hatte, / Sagt der Adler zu ihm, zu Etana: / „Schau’, mein Freund, wie das Land geworden ist, / Blick’ auf das Meer zu seiten des Weltberges!“ / „Das Land da sieht aus wie ein Berg, / Das Meer ist geworden zu einem Wasserlauf!“ // Als er ihn die zweite Meile emporgetragen hatte, / Sagt der Adler zu ihm, zu Etana: / „Schau’, mein Freund, wie das Land geworden ist!“ / „Die Erde da sieht aus wie eine Baumpflanzung!“ // Als er ihn die dritte Meile emporgetragen hatte, / Sagt der Adler zu ihm, zu Etana: / „Schau’, mein Freund, wie das Land geworden ist!“ / „Das Meer ist zum Graben eines Gärtners geworden!“. ( Vers 270ff.: Weiterflug zu Ischtar): „Als er ihn die zweite Meile emporgetragen hatte, sagt der Adler: / „Mein Freund, blicke hin, wie das Land geworden ist!“ / „Das Land ist geworden zu einem Kuchen, / Und das weite Meer ist so groß wie ein Brotkorb.“ // Als er ihn die dritte Meile emporgetragen hatte, sagt der Adler: / „Mein Freund, blicke hin, wie das Land verschwunden ist!“ / „Ich blicke hin, wie die Erde verschwunden ist, / Und am weiten Meere sättigen sich meine Augen nicht! / Mein Freund, ich will nicht zum Himmel aufsteigen, / Mache halt, dass ich zur Erde zurückkehre!!“ (aus: Fischer, Bernd-Jürgen: Handbuch zu Thomas Manns „ Josephromanen“. S. 407/8)

[6] Bd II, S. 75.

[7] Interessant ist die Bedeutungssemantik, die der Adler mit sich bringt: er ist ein Symbol des Himmels, der Sonne und der göttlichen Herrschaft. Desweiteren ist er im Christentum eng mit der Auferstehungssymbolik verbunden; unter den Todsünden vertritt er den Hochmut!

[8] Die Engel kommen meist in der Gestalt des Adlers, des Stiers, des Löwen oder des Menschen daher.

[9] Bd II, S. 76.

[10] Bd II, S. 75.

[11] Bin-Gorion: „ Die Sage der Juden”; S. 41; Der Erzähler hält die Reihenfolge der Himmelssphären bei Josephs Aufstieg bis zum höchsten aller Himmel nicht genau ein- einige werden sogar übergangen

[12] Bd II; S. 77.

[13] ebd.

[14] Dieses Bild ist auch dem Unterricht bei Eliezer entnommen.

[15] Bd. II; S. 79.

[16] Bd II; S. 80.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Josephs Träume und ihre Bedeutung für seine soziale Entwicklung
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Deutsches Institut)
Veranstaltung
Thomas Manns „Joseph und seine Brüder“
Note
1,3
Autor
Jahr
2004
Seiten
21
Katalognummer
V59817
ISBN (eBook)
9783638536530
ISBN (Buch)
9783638766401
Dateigröße
494 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Josephs, Träume, Bedeutung, Entwicklung, Thomas, Manns, Brüder“
Arbeit zitieren
Karoline Lazaj (Autor:in), 2004, Josephs Träume und ihre Bedeutung für seine soziale Entwicklung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/59817

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