Politik und Folter


Examensarbeit, 2006

62 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Geschichte der Folter
2.1 Begriffsetymologie
2.2 Die Einführung der Folter
2.3 Die Carolina
2.4 Ein Beispiel für die Anwendung der Folter
2.5 Die Hexenverfolgung
2.6 Das Verbot der Folter
2.7 Ursachen der Folter

3. Die aktuelle Situation der Folter
3.1 Definition der Folter
3.2 Folter in der heutigen Zeit
3.3 Auflistung der aktuellen Rechtsvorschriften zum Folterverbot

4. Folter und Rechtsstaat
4.1 Definitionen des Rechtsstaats
4.2 Die Folter im Rechtsstaat
4.2.1 Die Legitimität der Folter nach Albrecht
4.2.2 Das Dilemma der Folter im Rechtsstaat
nach Luhmann
4.2.3 Die Legitimität der Folter nach Brugger
4.3 Zusammenfassung

5. Zusammenfassung aller bisherigen Ergebnisse

6. Funktionalistischer Erklärungsansatz
6.1 Funktional-strukturelle Systemtheorie
6.1.1 Begriff der Funktion
6.1.2 Begriff der Struktur
6.1.3 Begriff des Systems / politisches System
6.1.4 Begriff der Macht
6.2 Folter und Systemtheorie
6.2.1 Folter als multifunktionale Struktur
6.2.2 Folter unter dem Gesichtspunkt der
Äquifinalität
6.2.3 Funktional-strukturelle Erklärung der
Geschichte der Folter

7. Zusammenfassung aller Ergebnisse

8. Schlusswort

9. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Das Thema Folter ist in der letzten Zeit zu einem aktuellen Thema geworden. Es kann eine Vielzahl von Beispielen angeführt werden, bei denen die Praxis der Folter Erwähnung findet.

Die USA bringen sich mit Folterbildern aus dem afghanischen Gefängnis Abu Ghraib und ihrem Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba zunehmend in Misskredit.

Im Zusammenhang mit dem möglichen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union werden dortige Menschenrechtsverletzungen diskutiert.

In Deutschland wurde 2002 das Thema Folter plötzlich brisant, als dem Polizeivizepräsidenten Frankfurts, Wolfgang Daschner, vorgeworfen wurde, er habe Anweisung gegeben, den mutmaßlichen Kindesentführer Magnus Gäfgen mit Androhung von Gewalt zur Preisgabe des Versteckes seines Entführungsopfers zu zwingen.

Nahezu ständig berichten diverse Menschenrechtsorganisationen, dass es zu Verbrechen an einzelnen Personen gekommen ist. Die vermeintlichen Folterer sind jeweils Organe des Staates, bzw. deren Repräsentanten.

Die Folter ist, unlängst nach dem Fall Daschner, in der Bundesrepublik und in der Zeit nach dem 11. September 2001 ein Thema mit politischer Relevanz.

In dieser Arbeit soll der Versuch unternommen werden, sich dem komplexen Thema Folter anzunähern. Das Ziel dieser Darstellung soll ein allgemeinen Überblick über das Phänomen Folter, mit den für das Thema relevanten Bezugspunkten, sein. Dabei wird berücksichtigt, dass es sich bei der Folter auch um ein für die politikwissenschaftliche Betrachtung relevantes historisches Phänomen handelt, das von der Einführung über eine geregelte Anwendung zu einem Verbot der Folter führt. Geleistet werden soll hier weiterhin sowohl eine Darstellung von Gründen und Ursachen der Anwendung der Folter, als auch ein sich entwickelnder Zusammenhang zwischen der Folter und dem Rechtsstaat.

Es soll festgestellt werden, welche Ursachen auch den aktuellen Anwendungen der Folter zugrunde liegen.

Im weiteren wird versucht das Verhältnis zwischen Folter und Rechtsstaat darzustellen, insbesondere unter dem Aspekt einer möglichen Anwendung der Folter in der Bundesrepublik Deutschland und hinsichtlich der Legitimation eines generellen Folterverbots.

Zudem soll eine allgemeine Methode entwickelt werden, welche versucht, die Anwendung der Folter zu erklären.

2. Geschichte der Folter

2.1 Begriffsetymologie

Folter:

„Das Substantiv erscheint zuerst um 1400 als föltrit, foltren (Dativ); etwa gleichzeitig tritt das Verb foltern auf. Die Herkunft der Wörter ist nicht sicher geklärt. Vielleicht handelt es sich um eine Umgestaltung von mlat. Poledrus »Fohlen« unter dem Einfluss von >Fohlen<; die Folter[bank] wäre dann nach ihrer ursprünglichen Ähnlichkeit mit einem Pferdchen benannt worden, was durch aspan. Poltro, span. Potro »Fohlen« und »Foltergerät« gestützt wird. Mlat. Poledrus gehört zu lat. Pullus »Tierjunges« (vgl. Fohlen). Im 17.Jh. sind >Folter< und >foltern< in der Schriftsprache geläufig und werden auch schon übertragen im Sinne von seelischer Qual gebraucht (dazu die Wendung >auf die Folter spannen<). – Abl.: Folterung (16.Jh.)“[1]

Tortour:

[...]: Das Fremdwort wurde im 16.Jh. aus gleichbed. mlat. tortura entlehnt, das auf lat tortura »die Krümmung; das Grimmen; die Verrenkung« zurückgeht. Dies gehört zu lat. Torquere (tortum) »drehen, verdrehen; martern«, [...]“[2]

2.2 Die Einführung der Folter

Die Folter in Deutschland kann auf gewisse Weise historisch aus der Anwendung der Folter im römischen Reich abgeleitet werden. Die Römer in Deutschland kannten die Folter.

Die jüngsten Ansätze zum Gebrauch der Folter in Deutschland lassen sich in germanischer Zeit lokalisieren. Wie die Römer so kannten auch die Ostgoten im 5. Jahrhundert die Folter. Die Knechtsfolter ist in Burgundischen Rechtssammlungen zu Beginn des 6. Jahrhunderts aufgezeichnet, ebenso verbreitet ist sie bei den Westgoten im 7. Jahrhundert, welche die Folter auch gegenüber Adligen und Gemeinfreien erwähnen. Die Knechtsfolter findet sich auch in Rechtsbüchern der Baiuwaren aus dem 8. Jahrhundert. Doch nicht bei allen germanischen Stämmen ist die Praxis der Anwendung der Folter üblich gewesen, diese beschränkt sich auf die auf dem Gebiet des ehemaligen römischen Reichs siedelnden Stämme. Das römische Recht gestattete die Anwendung der Folter generell an Sklaven und später auch an Freien. Es kann gemutmaßt werden, dass die Rechtspraxis dieser germanischen Stämme durch das römische Recht inspiriert gewesen ist.[3]

Die Folter als Strafverfahrensrecht zu dem Zwecke der Geständniserzwingung ordnet ausdrücklich Papst Innozenz IV. in seiner Bulle „Ad extirpanda“ im Jahre 1252 an. In Norditalien sollen der Ketzerei beschuldigte Personen unter Zwang ihre Verbrechen bekennen und Mittäter anzeigen. Hintergrund dieses Vorgehens war die Bekämpfung häretischer Glaubensbewegungen wie Katharer und Waldenser, die den Universalitätsanspruch der römischen Kirche in Frage stellten.

Diese Rechtspraxis findet alsbald auch in Deutschland Einzug. Das römische Recht beeinflusste auch das weltliche Strafverfahrensrecht. Viele deutsche Studenten besuchten Universitäten in Italien. In Bologna hatte sich eine Juristenschule entwickelt, die als Basis ihrer Lehren juristische Schriften aus dem Corpus iuris civilis, die sogenannten Digesten aus dem Jahr 534 zugrunde legten. Diese Rechtsimporte erwiesen sich als vorteilhaft, da sie gegenüber der damaligen zerstreuten, vielfältigen Laienrichterschaft in Deutschland eine mehr einheitliche Rechtsgrundlage darstellten und durch ihre „Gelehrtheit“ überzeugten.

Die deutschen Kaiser fühlten sich als Nachfolger der römischen Herrscher und förderten die Integration römischer Rechtsprinzipien. Mitte des 13. Jahrhunderts begann sich die Praxis des Folterns ausgehend von Italien als Mittel zur Geständniserzwingung durchzusetzen. Die war ein Prozess, der sich erst allmählich entwickelte. So erhielt die Stadt Köln erst 1475 das Privileg von Kaiser Friedrich III. die Folter anwenden zu können.

Ein weiterer Umstand rechtfertigte die Anwendung der Folter im 14. Jahrhundert. Die Gesellschaft des deutschen Spätmittelalters war durch die Entwicklung eines überhand nehmenden Gewohnheitsverbrechertums geprägt, das den Handel und damit den Wohlstand vor allem der Städte bedrohte. Im Zuge dieser Bedrohung durch die sogenannten „landschädlichen Leute“ lässt sich ein wichtiger Wandel des deutschen Rechtsverfahrens feststellen. Maßgeblich war bislang das Akkusationsverfahren, dessen Grundprinzip besagte, dass ein Rechtsverfahren lediglich nach Privatklage des Geschädigten eingeleitet werden konnte. Die Idee dieses Verfahrens lag darin, einen Schadensausgleich herbeizuführen. Die Aufgabe der Obrigkeit lag in der Vermittlung des Konflikts. Kam es zu keiner Verurteilung, musste der Kläger dem Beschuldigten gegenüber Entschädigung leisten.

Zur Verbrechensbekämpfung im großen Stil war diese Art des Verfahrens jedoch ungeeignet, und da diese mehr und mehr als öffentliche Aufgabe empfunden wurde, bürgerte es sich ein, dass auch die Obrigkeit ein Gerichtsverfahren anstreben konnte. Als Beweismittel war nur der Augenzeugenbeweis oder ein Geständnis des Beschuldigten zulässig. Eine freie richterliche Beweiswürdigung gab es im damaligen Strafrecht nicht. In den Verfahren ging es nicht mehr um einen Schadensausgleich zwischen Privatpersonen, sondern um die Bestrafung eines Täters. Deshalb war es nötig geworden, beweisen zu können, dass der Angeklagte die Tat auch wirklich begangen hatte. Es lässt sich leicht vorstellen, dass es an Augenzeugen häufig mangelte. So rückte das Geständnis als praktisch einziges Beweismittel in den Vordergrund.

Dieses Geständnis war also nötig, um zu einer Verurteilung zu kommen, und die Möglichkeit, an ein Geständnis zu kommen, war die Folter.

Dieses Verfahren wird in der Rechtsgeschichte als Inquisitionsverfahren bezeichnet.

Es wurde in der Regel in einer Folterkammer praktiziert, unter Beisitz eines Schriftführers und Geistlichen oder Richters beziehungsweise amtlich Beauftragten. Unter Papst Innozenz III. 1215 im Laterankonzil wurde es für die folgende Rechtsgeschichte bis in die frühe Neuzeit prägend.[4]

Es lässt sich bis hierhin also zeigen, dass die Einführung der Folter im späten Mittelalter sich begründen lässt durch die Anerkennung der Folter der Kirche, die ihren Machtanspruch behaupten wollte, durch die Übernahme des die Folter beinhaltenden römischen Rechts und durch die Einführung des Inquisitionsverfahrens.

„So waren es im wesentlichen das Vorbild einer als hochentwickelt empfundenen Rechtskultur, nämlich des durch die Rezeption vermittelten spätantiken römischen Rechts, das Vorbild einer um ihren Ausschließlichkeitsanspruch besorgten Kirche und die Notwendigkeit des Kampfes gegen eine immer stärker um sich greifende schlimme Kriminalität, die der Folter allmählich einen festen Platz im weltlichen Strafverfahren des Spätmittelalters sicherten und sie in den Augen der Zeitgenossen sittlich rechtfertigten.“[5]

Dieter Baldauf erwähnt zusätzlich ein die Folter begünstigendes kulturelles Klima dieser Zeit. Das Mittelalter zeichnete sich durch eine geringe Sensibilität gegenüber körperlichen Schmerzen aus, zudem war die Vorstellung eines in der Welt wirkenden Gottes, der die Unschuldigen vor der Folter bewahrt, verbreitet. Das neue Inquisitionsverfahren wurde bereits 1231 von Friedrich II. (1194 -1250) dazu benutzt um politische Gegner zu bekämpfen.[6]

Im 15. Jahrhundert ist die Folter „eine in Deutschland weitverbreitete Einrichtung der Strafrechtspflege geworden, deren Anwendung keiner Begründung mehr bedurfte.“[7] Besondere Aufmerksamkeit verdient die Tatsache, dass in Westfalen im 15. Jahrhundert zunächst, bis auf einen Fall in Osnabrück, die Folter nicht angewendet wurde.

In Westfalen existierte eine besondere Art Schnellgerichtsverfahren, die sogenannten Vemegerichte. Erschien ein Angeklagter nach mehrmaliger Ladung zum Gericht nicht, so konnte er durch den Eid des Klägers und sechs Eidhelfern der Tat „überführt“ werden. Die „landschädlichen Leute“ wurden zum Tod durch den Strang verurteilt, jeder Freischöffe war verpflichtet, das Urteil zu vollstrecken, wenn der Verurteilte anzutreffen war. Die Vemegerichte stellten eine wirkungsvolle Methode zur Bekämpfung des Verbrechertums dar. Anscheinend war deshalb der andernorts üblich gewordene Inquisitionsprozess nicht nötig. Die Tätigkeit der Vemegerichte breitete sich auch in andere Herrschaftsgebiete aus, aber wurde dort als störend empfunden und später königlich untersagt. Das Fehlen der Folter in Westfalen macht den Zusammenhang zwischen Folter und der Verbrechensbekämpfung an dieser Stelle deutlich.[8]

2.3 Die Carolina

Im Jahre 1532 wird in Regensburg die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V verkündet. Die als Constitutio Criminalis Carolina, oder kurz Carolina, bekannte Strafrechtsordnung war eine bedeutende Entwicklung innerhalb des deutschen Strafrechts und sollte noch bis ins 19. Jahrhundert Gültigkeit besitzen. Die Stärken der Carolina lagen vor allem darin, dass diese eine für Deutschland einheitliche Strafrechtsordnung darstellte. Des Weiteren sollte sie der im Spätmittelalter immer mehr ausartenden Willkürjustiz Einhalt gebieten. Vielerorts war die Strafjustiz unberechenbar geworden und Schuldige wie Unschuldige konnte die Folter gleichermaßen treffen. Die Folter wurde missbraucht, um Feinde der Obrigkeiten aus dem Weg, aus dem Leben, zu schaffen und häufig waren die Richter der damaligen Zeit ungebildete Laien. Auch wurde die Anwendung der Folter mit dazu benutzt um antisemitische Tendenzen ausleben zu können.

Doch in der Carolina wird kein Folterverbot ausgesprochen. Die Carolina maßregelte jedoch die Anwendung der Folter. Diese blieb weiterhin notwendiges Mittel zur Erzwingung von, für den Strafprozess unentbehrlichen, Geständnissen. Die Carolina beschränkt die Anwendung der Folter schwere Vergehen, wie Mord, schwerer Raub oder Verrat. Es müssen ausreichende Verdachtsgründe gegen den Angeklagten vorliegen, Indizien oder Augenzeugen mit gutem Leumund. Der Angeklagte hat Gelegenheit, sich selbst zu entlasten, beispielsweise durch ein Alibi. Der Richter hat Gründe, die für die Unschuld des Angeklagten sprechen gegen die Indizien abzuwägen, weiterhin soll das Maß der Folter sich nach der Schwere des Verdachtsmoments richten. Darüber hinaus ist ein unter der Folter abgelegtes Geständnis nicht relevant, es sei denn, dass Tatsachen geäußert werden, die ein Unschuldiger nicht kennen könnte. Maßgeblich für das Urteil ist erst ein Geständnis, das nach der Folter abgelegt wird. Gegebenenfalls kann dieses durch nochmalige Folter „überprüft“ werden.

Gesteht der Angeklagte trotz Folter nicht, ist er freizulassen. Letztlich ist die Anwendung der Folter gegen die Vorschriften der Carolina strafbar.

Die Carolina schützt den Angeklagten also vor der willkürlichen Anwendung der Folter, und versucht einen gerechteren Ausgleich zwischen dem möglichen Schaden des Strafverfahrens und dem zu bestrafenden Verbrechen herzustellen. Das Strafrecht hatte sich immer noch nicht zu dem heute üblichen Prinzip der freien richterlichen Beweisführung durchringen können, nach der Indizien oder Augenzeugenaussagen allein für eine Verurteilung ausreichend sind. Für diesen Vorbehalt führt Baldauf religiöse Gründe an, nach denen die Carolina nicht hinter in der Bibel dargestellte Strafprozesse treten darf.[9]

Die Carolina wurde in den folgenden Jahrhunderten zwar nicht grundlegend verändert, jedoch erweitert. Benedict Carpzov, welcher als Begründer der deutschen Strafrechtswissenschaft angesehen wird, verfeinerte die Schutzbestimmungen des Angeklagten hinsichtlich der Anwendung der Folter weiter, kritisierte diese auch, wich jedoch als Konservativer nicht von der Folter ab. Zu dem sind viele Missbrauchsfälle hinsichtlich der Anwendung der Folter zu Zeiten der Carolina bekannt, die zeigen, dass auch Ausnahmen von dem Gebrauch der Folter als Geständniserzwingung zwecks Urteilsfindung gemacht wurden.[10]

2.4 Ein Beispiel für die Anwendung der Folter:

An dieser Stelle soll ein Fall der Anwendung der Folter in der Zeit der Gültigkeit der Carolina geschildert werden. Am 4. Juni 1635 wurde Graf Hans Ulrich Schaffgotsch, ein enger Vertrauter, des als Wallenstein bekannt gewordenen Albrecht Wenzel Eusebius von Waldstein, in der Regensburger Fragstatt der Folter unterzogen. Schaffgotsch war angeklagt worden, in Kooperation mit dem bereits im Jahr zuvor ermordeten Wallenstein, sich des Verrats am Kaiser schuldig gemacht zu haben. Wallenstein war 1630 Oberbefehlshaber der Truppen des Kaisers Ferdinand II. im 30-jährigen Krieg. Obgleich er militärische Erfolge erzielte, hatte er diplomatische Beziehungen zu den Feinden des Kaisers und widersetzte sich ihm. Der Kaiser vermutete Verrat durch Wallenstein und seine Bekannten und ächtete Wallenstein. 1634 wurde Schaffgotsch festgenommen und in einem Krieggericht zum Tode verurteilt. Da der Kaiser jedoch nach weiteren Mitschuldigen im Kreise Wallensteins und Schaffgotschs fahndete, riet man dazu Schaffgotsch zu verhören. Nach den Rechtsregel der Carolina war eine Folter nach einem ausgesprochenen Urteil, oder gar zur Bestätigung desselben, nicht legal. In der Regel wurde der Beschuldigte vor der eigentlichen Anwendung der Folter verbal mit der Androhung der Folter bedroht, danach konnten ihm die Foltergeräte gezeigt und vorgeführt werden. Dies wurde als Realterrition, tätliche Erschreckung, bezeichnet. Der erste Grad der Folterung bedeutete die Anwendung der Daumenschrauben. Dabei wurden die Daumen des Angeklagten in einem Gerät stark gequetscht. Bei Schaffgotsch begann man die Folter direkt mit dem zweiten Grad, in einer verschärften Weise. Er wurde mit einem Seil, dass an seinen auf dem Rücken zusammengebundenen Händen und Armen befestigt war, mehrmals ruckhaft hochgezogen. Seine Beine waren durch Gewichte beschwert. Die Folter dauerte drei Stunden und Schaffgotsch konnte seine Arme drei Wochen lang nicht gebrauchen. Die „peinliche“ Befragung hingegen brachte nichts neues zu Tage. Wäre Schaffgotsch gemäß den Regeln der Carolina gefoltert worden, hätte dies seine Freilassung zur Folge gehabt, da ein Geständnis nicht erbracht worden war. Schaffgotsch wurde am 22. Juli 1635 öffentlich enthauptet. In anderen Fällen war es durchaus üblich, sich streng an die Regeln der Carolina zu halten, und auch im Verfahren gegen Schaffgotsch hatte Ferdinand II. Bedenken geäußert. Dennoch ging man den Weg eines Justizmordes.[11]

Dieses Beispiel zeigt, dass auch die gesetzliche Regelung der Anwendung der Folter Missbrauchsfällen nicht vorbeugen konnte, besonders in Fällen, da es sich um schwere Verbrechen, hier Hochverrat, crimen laesae maiestates, handelte. Lag es im Interesse der Obrigkeit, bestehende Gesetze zu Umgehen, so wurde die Folter illegitim angewendet.

2.5 Die Hexenverfolgung

Ein weiteres Kapitalverbrechen der frühen Neuzeit leitet in ein düsteres Kapitel der Geschichte der Folter ein. Als crimen exceptum, ähnlich dem Hochverrat, wurde neben dem Raubmord auch die Hexerei angesehen. Im 16. und 17. Jahrhundert kam es in Deutschland zu massiven Hexenverfolgungen. Insgesamt, so wird geschätzt, sind in Europa ca. 60 000 Hexen hingerichtet worden.[12] Die Anzahl der Opfer dürfte jedoch weit größer sein, denn nicht immer folgte einem Hexenprozess ein Todesurteil. Der Boden für diese „Katastrophe der deutschen Rechtsgeschichte“[13] war durch eine Vielzahl von Gründen bereitet. Der Aberglaube war ein weit verbreitetes Phänomen dieser Zeit, sowohl beim Volk als auch bei gebildeten Personen. Die Kirche nutzte diese Vorstellungen, um Front gegen die Ketzerei zu machen, also ihrem Autoritätsanspruch Gültigkeit zu verleihen. Mitte des 16. Jahrhunderts kam es in Europa aufgrund von Klimaveränderungen zu Missernten in der Landwirtschaft, als Folge dieser zu Hungersnöten, Armut und Seuchen. Dazu zählten auch Ausbrüche der Pest. Für das Volk waren unerklärliche Dinge meist unerklärlichen Ursprungs, und mit Zauberei gleichgesetzt. Der Carolina zufolge war die Zauberei ein Verbrechen. Zu den Hexenprozessen selbst konnte es jedoch nur kommen, weil es möglich war, bei Personen, die der Zauberei beschuldigt wurden (zumeist Frauen), durch das Instrument der Folter an „Geständnisse“ zu gelangen. Verhängnisvoll war weiterhin, dass aufgrund des Statuts der Hexerei als crimen exceptum die Auffassung vertreten wurde, dass übliche Verfahrenregeln missachtet werden konnten. Schon wenige Denunziationen reichten aus, um die Anwendung der Folter zu rechtfertigen. Baldauf betont den engen Zusammenhang zwischen der Praxis der Folter und der Hexenverfolgung. Der letzte Hexenprozess fand in Kempten 1775 statt. „Mit der Abschaffung der Folter endeten [...] auch die Hexenverfolgungen.“[14]

2.6 Das Verbot der Folter

Bereits während der Hexenprozesse und auch schon in deren Vorfeld war die Anwendung der Folter von Kritik begleitet worden. Es erstaunt noch heute, dass gerade in einer sehr stark durch das Christentum geprägten Gesellschaft die Anwendung der Folter üblich war. Ein wesentliches Argument gegen die Folter war, dass es sich dabei um eine schreckliche, unmenschliche Praktik handelte.

König Friedrich II. (1712 –1786), „der Große“, erließ am 3. Juni 1740 eine Kabinettsorder in der er die Folter untersagt. Ausnahmen bei Hoch- oder Landesverrat und bei großen Mordtaten mit vielen Opfern oder Tätern waren zugelassen, trotzdem war dies der erste Schritt zum Verbot der Folter. Friedrich der Große, war stark durch die Kritiker der Folter und Hexenprozesse seiner Zeit beeinflusst und mit ihnen teilte er das Argument, dass die Folter ein zur Wahrheitserforschung untaugliches Mittel sei.

Der Geist der Aufklärung hielt in Deutschland und Europa Einzug. Obwohl es bis zum generellen Folterverbot noch dauerte, konnte den stichhaltigen und populären Argumenten gegen die Folter nichts mehr entgegen gebracht werden.

Prominente Kritiker der Folter dieser Zeit waren, nur um einige zu nennen. Chrisitan Thomasius, der „Vater“ der Aufklärung in Deutschland, sprach sich gegen die Folter aus, ebenso sein Schüler Martin Bernhardt. Montesquieu stimmte inhaltlich Thomasius zu, beide sahen die Folter als ein Mittel despotischer Staaten an. „Die peinliche Frage ist für alle Tyrannen ein sehr wirksames Mittel, unter dem höchsten Schein der Gerechtigkeit gegen ihre Untertanen zu wüten.“[15] Voltaire, mit Friedrich dem Großen bekannt, lehnte die Folter ab, ebenso wie Beccaria, der mit seiner Schrift „Über die Verbrechen und die Strafen“[16] die Folter kritisierte und wichtige Strafrechtsreformen inspirierte.

[...]


[1] Duden. Herkunftswörterbuch. Etymologie der deutschen Sprache. 3. bearbeitete und erweiterte Auflage. Mannheim: Duden, 2001. S. 230.

[2] Ebd., S. 856.

[3] Baldauf, Dieter. Die Folter. Eine deutsche Rechtsgeschichte. Köln: Böhlau, 2004. S. 48 ff.

[4] Ebd., S. 50 ff.

[5] Ebd., S. 68 f.

[6] Vgl.: ebd., S. 66.

[7] Ebd. S. 81.

[8] Ebd., S. 78 f.

[9] Ebd., S. 83 ff.

[10] Ebd., S. 117 ff.

[11] Ebd., 123 ff.

[12] Vgl.: Behringer, Wolfgang. Hexen und Hexenprozesse in Deutschland. 4. aktualisierte Aufl. München: dtv, 2000. S. 195.

[13] Baldauf, Dieter. Die Folter. Eine deutsche Rechtsgeschichte. Köln: Böhlau, 2004. S. 135.

[14] Ebd., S. 162.

[15] Thomasius, Christian. Über die Folter. Untersuchungen zur Geschichte der Folter. Lieberwirth, Rolf (Hrsg.). In: Thomasiana. Arbeiten aus dem Institut für Staats- und Rechtsgeschichte bei der Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg. Heft 3. Weimar: Böhlau, 1960. S. 165.

[16] Beccaria, Cesare. Über Verbrechen und Strafen. Frankfurt am Main: Insel 1988.

Ende der Leseprobe aus 62 Seiten

Details

Titel
Politik und Folter
Hochschule
Bergische Universität Wuppertal  (Geistes- und Kulturwissenschaften / Politikwissenschaft)
Note
1,7
Autor
Jahr
2006
Seiten
62
Katalognummer
V59769
ISBN (eBook)
9783638536158
ISBN (Buch)
9783656772835
Dateigröße
499 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
In dieser Examensarbeit befindet sich ein Teil über die Historie der Folter. Darauf folgend eine interessante Diskussion, ob Folter - unter heutigen Gesichtspunkten - in einem Rechtsstaat wieder eingeführt werden dürfte.
Schlagworte
Politik, Folter
Arbeit zitieren
Judith Woll (Autor:in), 2006, Politik und Folter, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/59769

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Titel: Politik und Folter



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