Botho Strauß‘ Der Park und Elfriede Jelineks Was geschah nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte. Rechts gegen Links, oder: Die Rolle des Mythos.


Seminararbeit, 1999

20 Seiten, Note: Sehr gut


Leseprobe


I. Einleitung

Elfriede Jelinek und Botho Strauß können mit gutem Gewissen zu den wichtigsten Zeitgenossen des deutschsprachigen Theaters gezählt werden. Nicht nur sind die Stücke der beiden Autoren wichtiger Bestandteil der Theaterspielpläne in Deutschland, Österreich[1], und der Schweiz, aber vielmehr sind es auch und gerade die Autoren selbst, die durch öffentliche, höchst umstrittene, meist politische, Äußerungen sowohl große Bewunderung, als auch tiefe Abneigung, in jedem Fall aber, großes mediales und öffentliches Interesse auf ihre Person gezogen haben. Während Jelinek seit jeher dem Zorn und der Verachtung der konservativen Rechten ausgesetzt ist, deren Lieblingsbeschäftigung es scheint, Jelinek als linksextreme Emanze zu denunzieren, wobei an dieser Stelle erwähnt werden muß, daß Jelinek interessanterweise auch von der sogenannten Frauenbewegung in den 70-igern zum Teil heftig kritisiert wurde, sorgte Botho Strauß gerade unter der angeblich traditionell linken Künstler- und Intellektuellenschar durch diverse Äußerungen, vor allem aber, durch seinen 1993 erschienenen Essay Anschwellender Bocksgesang, in dem Strauß sich unter anderem als ‚Rechter aus Überzeugung‘ outete, für große Aufregung.

Die Gegenüberstellung der beiden Autoren soll kein leichtfertiges Zugeständnis an diesen allzu leicht in den Raum geworfenen und, zugegeben, oftmals verlockenden ‚links‘ – ‚rechts‘ Dualismus sein. Vielmehr sollen den sicherlich unterschiedlichen Ansätzen der beiden Autoren in ihrem gesellschaftskritischen Werk behutsam und sorgfältig auf den Grund gegangen werden. Ausgangspunkt bilden Jelineks als Fortsetzung von Ibsens A Doll’s House[2] konzipiertes Stück Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte und Strauß‘ an Shakespeares A Midsummer Night’s Dream anlehnendes Stück Der Park.

Mittelpunkt dieser Arbeit soll nicht die Frage bilden, inwiefern es gerechtfertigt erscheint, die beiden Autoren als, im Falle Jelineks, ‚links‘, bzw. ‚rechts‘, Botho Strauß, kategorisieren zu wollen. Vielmehr soll dem auf den Grund gegangen werden, was sich hinter diesen Schlagworten verbirgt, welche Ansichten und Überzeugungen der Autoren sich in ihrem literarischen Werk und anderen öffentlichen Äußerungen nachweisen lassen. Worin sehen die beiden Autoren die Hauptproblematik der heutigen Gesellschaft? Was für Lösungsansätze werden präsentiert? Was für eine Rolle spielt die Kunst/der Künstler in den vorherrschenden Gesellschaftsmechanismen? Und inwiefern läßt die Wahl der beiden Autoren eines literarischen Bezugs(kon)texts (Ibsen und Shakespeare) Rückschlüsse auf das Literaturverständnis des jeweiligen Autors/der jeweiligen Autorin zu? Dies sind einige Fragen, die in ihrer zum Teil unbeholfen wirkenden Fragestellung dennoch einen ersten Rahmen bilden und einen ersten Umriß vom Thema dieser Arbeit geben sollen.

II. Botho Strauß: Mythos von rechts

Botho Strauß entwirft sein Stück Der Park in einer ‚tüchtigen‘[3] Gesellschaft, die durch ‚den Genius eines großen Kunstwerkes (...) bewegt, erhoben und genarrt‘[4] wird. Gemeint ist mit dem großen Kunstwerk zunächst einmal Shakespeares Sommernachtstraum, das an allen Ecken und Enden von Strauß‘ Stück sein Unwesen treibt, und in allen Figuren und Handlungssträngen ständig und bisweilen unerklärlicherweise präsent zu sein scheint. Schauplatz des Stückes ist, wie der Titel schon sagt, mehr oder weniger der Park, um genauer zu sein, der Stadtpark. In diesem treffen wir, seltsam entrückt und eigenartig verschoben, Shakespeares Figuren einen nach dem anderen an. Neben Titania, Oberon und dem Puck-artigen Cyprian findet sich auch ein ähnliches Beziehungsgeflecht wie im Shakespeare – Original. Helen und Georg. Verliebt. Wolf, verliebt in Helen. Helma verliebt in Wolf. Ähnlichkeiten in Namensgebung und Charakterausstattung sind durchaus beabsichtigt.

Die Figuren in Strauß‘ Stück erscheinen demjenigen, der das Shakespeare – Original kennt, auf den ersten Blick vertraut, und doch beschleicht den Leser, bzw. den Theatergeher, bald ein seltsames Gefühl, daß hier etwas gewaltig nicht in Ordnung ist. Titania und Oberon, das königliche Paar der magischen Feenwelt, fristen in ein paar Hecken eines schmutzigen Stadtparks ihr Dasein? Titania klagt über ihr ‚Gottsein‘[5], welches ihr ‚in diesem Körper‘[6] große Schmerzen bereitet, während Oberon die Wirkungslosigkeit ihres Sichzeigens bemängelt und auch schon eine Erklärung dafür parat hat: ‚Das ewige Streiten schwächt empfindlich unseren Abglanz.‘[7] Doch gestritten wurde immer schon zwischen Oberon und Titania, auch im Sommernachtstraum, ohne daß es dem Glanz des königlichen Feenpaares und ihres Märchenreichs ernstlich hätte schaden können.

Was bei Shakespeare noch ein seltenes und daher wertvolles Ereignis darstellte, nämlich das Erscheinen dieser mächtigen, wenn auch gutwilligen, Kreaturen in der menschlichen Welt, scheint bei Strauß an der Tagesordnung zu sein. Titania zeigt sich willkürlich beinahe jedem vorbeispazierenden Menschen, wobei Strauß meint ‚ Sie öffnet ihren Mantel weit und zeigt sich‘[8], und scheint nur darauf aus zu sein, sich dem erstbesten Jungen munter an den Hals bzw. in die Arme zu werfen:

Der 1. Junge zeigt seine Armbanduhr, Titania ergreift seine Hand, küßt sie.

TITANIA Auf dich hab ich gewartet, auf dich! Nimm mich mit! Nimm mich mit![9]

Beinahe wehmütig sehen wir in diesen Szenen die vage Erinnerung an eine Titania erlischen, die einstmals in majestätisch-würdevoller Art sich ihren Geliebten zuwendete, auch wenn Titanias Zuneigung im Fall des eselsköpfigen Bottoms durch einen Zauber Oberons bzw. Pucks in die Wege geleitet wurde.

I am a spirit of no common rate.

The summer still doth tend upon my state,

And I do love thee. Therefore go with me.

I’ll give thee fairies to attend on thee,

And they shall fetch thee jewels from the deep,

And sing while thou on pressed flowers dost sleep;[10]

Die Straußsche Titania scheint alle magischen Kräfte verloren zu haben. Die Feenzüge sind verschwunden, und es scheint auch mehr als fraglich, ob Titania oder Oberon noch in der Lage sind, die Naturgewalten (‚The summer still doth tend upon my state‘) in irgendeiner Weise beeinflussen oder beherrschen zu können. Titanias ‚Komm mit mir!‘ (‚Go with me‘) ist einem unwürdigen und hilflosen ‚Nimm mich mit!‘ gewichen, das die verzweifelte Lage, in der Titania sich zu befinden scheint, eindrucksvoll zur Schau stellt.

Die weiteren Ereignisse im Stück scheinen zu bestätigen, daß das Shakespeare – Märchen in der Straußschen Realität nicht unbedingt so zu funktionieren scheint, wie man es vom Original her erwarten, oder zumindest erhoffen dürfte. Zwar gibt es ein Ende, in dem die Ausgangspaare Helen und Georg, Helma und Wolf, und Titania und Oberon doch noch irgendwie zueinander finden, doch bleibt das wahre Happy-End dann weitgehend unerreicht. Helen und Georg können sich nicht einigen und trennen sich im Streit, Wolf und Helma sind zwar wieder ein Paar, doch läßt Wolfs Gereiztheit gegenüber seiner Frau nicht unbedingt Positives erwarten. Was das einstmals königliche Paar angeht, so ist es diesem nicht mehr möglich in seine Welt zurückzukehren, da Oberon sich seiner Worte[11] nicht mehr erinnern kann:

TITANIA probt mit Ob/Mit. Ich kenn ein Ufer-

OB/MIT Ich kenn ein Ufer

TITANIA Wo wilder Thymian-

OB/MIT Wo wilder Thymian

TITANIA Blüht!

OB/MIT Blüht.

TITANIA Wo Primeln leuchten, das Veilchen dunkel glüht

Wo Geißblatt üppig wölbt den Baldachin

Mit süßen Malven, Rosen und Jasmin

Weißt du es denn nicht mehr?

OB/MIT Doch.

TITANIA lehnt sich an ihn. Ach mein Herr. So wird es nichts. So kommen wir nie wieder raus aus unserer Haut.

OB/MIT Ich weiß ein Ufer, wo Thymian blüht. Primeln. Wo – wo.

TITANIA Komm her. Es hat ja keinen Zweck.[12]

[...]


[1] Im Falle Jelineks besteht aufgrund der derzeitigen politischen Lage in Österreich, wir erinnern uns, eine rechtskonservative Regierung aus ÖVP und FPÖ wurde trotz großer Proteste im In- und Ausland gebildet, ein von der Autorin selbst verfügtes Aufführungsverbot ihrer Stücke.

[2] Aufgrund gegebener Umstände am Studienort, wird im weiteren Verlauf die englische, und nicht die deutsche, Übersetzung von Ibsens Et dukkehjem verwendet.

[3] Strauß, B., Der Park, in: Theaterstücke 2, München: DTV (1991), S. 75.

[4] ebd.

[5] Strauß, B., Der Park, S. 79.

[6] ebd.

[7] ebd.

[8] ebd., S. 81.

[9] ebd., S. 86.

[10] Shakespeare, W., A Midsummer Night ‘s Dream, Harmondsworth: Penguin Books (1967), S. 77-78.

[11] Im Original: Shakespeare, W., A Midsummer Night’s Dream, S. 66:
I know a bank where the wild thyme blows,
Where oxlips and the nodding violet grows,
Quite overcanopied with luscious woodbine,
With sweet muskroses and with eglantine.

[12] Strauß, B., Der Park, S. 163-164.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Botho Strauß‘ Der Park und Elfriede Jelineks Was geschah nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte. Rechts gegen Links, oder: Die Rolle des Mythos.
Hochschule
University of Nottingham  (German Department)
Veranstaltung
Seminar Zeitgenössisches Drama
Note
Sehr gut
Autor
Jahr
1999
Seiten
20
Katalognummer
V597
ISBN (eBook)
9783638103954
Dateigröße
444 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Botho, Strauß, Jelinek, Mythos, Shakespear, Ibbsen, Der Park, Nora, Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte
Arbeit zitieren
Martin Stepanek (Autor:in), 1999, Botho Strauß‘ Der Park und Elfriede Jelineks Was geschah nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte. Rechts gegen Links, oder: Die Rolle des Mythos., München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/597

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