Theorien zur Erklärung von Kriminalität - Kriminalitätstheorien / kriminologische Theorien


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

24 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Grundlagen und Theoriebegriff

3. Personenbezogene Theorien und Ansätze
3.1 Biologische Theorien / Anlagetheorien
3.1.1 Lombroso
3.1.2 Anlage-Umwelt-Theorie
3.2 Psychologische Ansätze
3.2.1 Psychoanalyse
3.2.1.1 Freud
3.2.1.2 „Sündenbocktheorie“
3.2.2 Psychopathie und Soziopathie
3.3 Sozialpsychologische Ansätze
3.3.1 Lerntheorien
3.3.1.1 differentielle Kontakte (n. Sutherland)
3.3.1.2 differentielle Identifikation (n. Glaser)
3.3.1.3 Differentielle Verstärkung (n. Burgess/Akers)
3.3.1.4 Eysencks Kriminalitätstheorie
3.3.2 Der Kontrollansatz (Halt- und Bindungstheorien)
3.3.2.1 Reiss
3.3.2.2 Reckless
3.3.2.3 Hirschi

4. Gesellschaftsbezogene Theorien und Ansätze
4.1 Sozialstruktur und Kriminalität (Anomietheorie)
4.1.1 n. Durkheim
4.1.2 n. Merton
4.2 Kultur und Kriminalität
4.2.1 Theorie des Kulturkonflikts (n. Sellin)
4.2.2 Subkulturtheorien
4.2.2.1 n. Cloward u. Ohlin
4.2.2.2 n. Cohen

5. „Am Ende steht der freie Wille“

6. Kritische Würdigung und Fazit

7. Literatur- und Quellenverzeichnis

1. Einleitung

In dem Seminar „Einführung in die Kriminologie“ unter der Leitung von W.M. Christian Behrens widmeten wir uns dem Begriff der Kriminologie an sich und den verschiedenen Erscheinungsformen der Kriminalität.

Eingangs beschäftigten wir uns mit der Frage, wo der Ursprung der Kriminologie zu suchen sei, erörterten den Begriff des „Verbrechens“ und legten das Aufgabengebiet der Kriminologen fest. Wir erfuhren, dass die Kriminologie in vier Ebenen unterteilt werden kann (Tat, Täter, Opfer und Gesellschaft) und dass die Kriminologie zu den nichtjuristischen Kriminalwissenschaften gehört. Als Definition arbeiteten wir heraus, dass Kriminologie eine interdisziplinäre Tatsachenwissenschaft ist, die Tat, Täter und Opfer eines möglicherweise strafbaren Verhaltens, seine gesellschaftlichen Ursachen sowie die Reaktion auf Kriminalität durch Polizei und Justiz untersucht.

Im weiteren Verlauf sprachen wir über die wichtige Stellung der Kriminalstatistik und über das damit verbundene Dunkelfeld. Anschließend widmeten wir uns den verschiedenen Formen der Kriminalität wie der Kinder- und Jugendkriminalität, der Ausländerkriminalität oder der Gewaltkriminalität.

In der nun folgenden Ausarbeitung wollen wir verschiedene Theorien zur Erklärung von Kriminalität vorstellen. Nachdem wir eine kurze Einleitung in das Thema gegeben und die Aufgaben der Theorien geklärt haben, werden wir auf wichtige personenbezogene Theorien und Ansätze eingehen, diese näher erläutern und kritisch betrachten. Danach werden wir uns den gesellschaftsbezogenen Theorien und Ansätzen zuwenden, wichtige Vertreter dieser Richtung vorstellen und die einzelnen Theorien ebenfalls kritisch beleuchten. Ferner möchten wir uns vertiefend mit dem Thema „freier Wille“ auseinandersetzten und zum Abschluss die Theorien und Ansätze kritisch würdigen und ein Fazit ziehen.

Die vorliegende Arbeit setzt sich wie folgt zusammen: Die Punkte 1; 3 – 3.1.2 sowie 4 – 5 wurden von Isabel Chowanietz, die Punkte 3.2 – 3.3.2.3; 6 von Stefan Dannheiser erarbeitet. Der übrige Punkt (2) entstand in gemeinsamer Zusammenarbeit.

2. Grundlagen und Theoriebegriff

Nach Breuer (1998:19) stellt jede Kulturgesellschaft Normen für das Zusammenleben auf, stellt zugleich auch Normabweichungen fest, welche sie mit Sanktionen versieht und sucht nach den Grundlagen bzw. Erklärungen für diese Abweichungen und Verstöße – sie stellt folglich die Frage nach den Ursachen des Verbrechens.

Besonders zu beachten sind, so Breuer (1998:19), in diesem Zusammenhang drei „Hauptströme“, die über die Jahre hinweg immer wieder diskutiert wurden und die die Wurzel kriminellen Verhaltens mit der Willensbewertung des Menschen in Verbindung bringen:

Determinismus:

Der Determinismus spricht dem Menschen die Möglichkeit der freien Willensentscheidung ab und schreibt ihm ein Festgelegtsein und Vorbestimmtsein durch unausweichliche Konditionen zu (vgl. Breuer (1998:19)). Der Mensch sei also zur Kriminalität prädestiniert. Dieses Erklärungsmuster wurde, laut Breuer, widerlegt. Gerade in jüngster Zeit wird aber, insbesondere aufgrund der modernen Hirnforschung, wieder stark über diese Thematik diskutiert (vgl. 5).

Indeterminismus:

Der Indeterminismus geht von der absoluten Willens-, Entschluss- und Handlungsfreiheit des Menschen aus. Auch diese Strömung ist, so Breuer (1998:19), widerlegt.

Relativer Indeterminismus:

Diese Form akzeptiert die Existenz der freien Willensentscheidung des Menschen im Grundsatz, geht aber davon aus, dass unterschiedliche Menschen durch z.B. unterschiedliche Entwicklungen und Sozialisationsmöglichkeiten in ihrer freien Willens- und Handlungsentscheidung durch kriminalitätshemmende bzw. kriminalitätsfördernde Faktoren beeinflusst werden (vgl. Breuer (1998:20)). Es besteht also keine Prädestination sondern vielmehr eine Prädisposition. Diese Strömung gilt heute, so Breuer, als anerkannte Grundlage der Kriminologie.

Theorien im Sinne der Kriminologie können, im Gegensatz zu anderen Gebieten, die ein anderes Verständnis aufweisen, als Lehrmeinungen verstanden werden (vgl. Göppinger (1997:99)). Alltagstheorien, Weltanschauungen und Ideologien, Beobachtungen, wissenschaftliche Tradition und gesichertes Wissen werden in kriminologischen Theorien versucht zu ordnen und in ein widerspruchsfreies System von Aussagen zu bringen (vgl. Göppinger (1997:100)). Die verschiedenen Theorien zur Erklärung von Kriminalität, die in den Jahren entstanden sind, können den eingangs erwähnten einzelnen Strömen zugeordnet werden. Zudem lassen sie sich in personenbezogene (vgl. 3ff.) und gesellschaftsbezogene Theorien und Ansätze (vgl. 4ff.) unterscheiden.

Laut Kürzinger (1982:105), kann durch die verschiedenen Theorien und Ansätze das Phänomen der Kriminalität an sich jedoch nicht umfassend beleuchtet werden. Einzelne Theorien erklären bestenfalls einen Teil der Kriminalität und einige Formen (wie z.B. die Verkehrskriminalität) können gar nicht durch eine bestimmte Theorie erklärt werden (vgl. Kürzinger (1982:105)). Kriminalitätstheorien sind daher kaum prognostisch verwertbar und daher für präventive Zwecke unbrauchbar. Sie dienen (lediglich) der Erklärung spezifischer Formen der Kriminalität (vgl. Kürzinger (1982:107)) und stellen eine Orientierungshilfe dar (vgl. Göppinger (1997:103)). Göppinger (ebd.) schränkt den Wert der verschiedenen Theorien sogar noch weiter ein, indem er behauptet, dass sie, außer dass sie nur Teilbereiche erklären, auch nur für bestimmte Räume und Zeiten gelten. Auch die stete Änderung von Kultur und Gesellschaft führt leicht zu einem Verlust des Erklärungsverhaltes von Theorien (vgl. Göppinger (1997:105)).

3. Personenbezogene Theorien und Ansätze

3.1 Biologische Theorien / Anlagetheorien

Die Biologischen Theorien und Anlagetheorien gehen davon aus, dass kriminelles Verhalten auf bestimmte biologische bzw. genetische Gegebenheiten beim Verbrecher selbst zurückzuführen ist (vgl. Kürzinger (1982:72)). Sie sind dementsprechend dem Determinismus zuzuordnen, da eine genetische Prädestination den freien Willen des Individuums ausschließt.

3.1.1 Lombroso

Cesare Lombroso (1835-1909), der stark von Charles Darwin geprägt war, kann als „Urvater“ der biologischen Theorien angesehen werden. Ihm zufolge ist der Verbrecher ein atavistischer Mensch, der auf einer niedrigeren Entwicklungsstufe steht als „normale“ Menschen (vgl. ebd.). Lombroso führte wissenschaftliche Studien mit Kriminellen durch, vermaß, katalogisierte und kategorisierte sie und kam zu dem Entschluss, dass es „geborene Verbrecher“ gibt: Bestimmte Kopf- oder Gliedmaßenformen, ein bestimmter Glanz der Augen oder eine prägnante Stellung der Ohren oder der Nase würden auf verschiedene Verbrechertypen hindeuten.

Auch wenn Lombrosos Gedankengut widerlegt ist, so war er doch der erste, der wissenschaftlich forschte und seine Annahmen mit konkreten Forschungsergebnissen untermauerte.

3.1.2 Anlage-Umwelt-Theorien

In der Marburger Schule unter Franz von Liszt (1851-1919) wird der Versuch unternommen, die Aussagen der kriminalanthropologischen (Lombroso) und der kriminalsoziologischen Schulen (vgl. 4.1ff..) zu versöhnen (Kürzinger (1982:22)). Das genetische Material und die Umwelt, in die das Individuum eingebettet ist, spielen eine Rolle bei der Entstehung von Kriminalität. Die Anlage-Umwelt-Theorie gehört damit zu den Mehrfaktorenansätzen (vgl. 4.6). Besonders mit dieser Theorie wurde eine kriminologische Ursachenerklärung geschaffen, die mit wechselnden Betonungen das weitere kriminologische Denken beeinflusst haben (Kürzinger (1982:22)).

3.2 Psychologische Ansätze

3.2.1 Psychoanalyse

Nach Göppinger (1997:108) beinhaltet die von Sigmund Freud um 1900 begründete Psychoanalyse zwei kriminologisch relevante Schwerpunkte. Zum einen befasst sie sich mit dem Straftäter als Individuum, d.h. Kriminalität wird als Ausdruck einer Persönlichkeitsstörung, die durch Fehlentwicklungen in der individuellen Lebensgeschichte bedingt ist, angesehen. Der zweite Aspekt weist jedoch auf die sog. „Psychologie der strafende Gesellschaft“, also auf kollektive psychische Mechanismen, die durch Strafe bewirkt werden, hin (vgl. ebd.).

3.2.1.1 Freud

Freud geht davon aus, dass beim Menschen kein zufälliges bzw. unbegründetes Handeln stattfindet (vgl. Göppinger (1997:108)). Weiter nimmt Freud an, dass der überwiegende Teil der psychischen Aktivität unbewusst abläuft, dieser Teil jedoch das Verhalten, Handeln und Fühlen enorm beeinflusst (vgl. ebd.). Basierend auf Freunds Persönlichkeitsmodell[1] vollzieht sich die Schlussfolgerung, dass der Mensch von Natur aus ein asoziales Wesen ist, welches primär (maß- u. hemmungslos) nach Triebbefriedigung (Selbsterhaltungs- u. Zerstörungstrieb) strebt. Erst durch Erziehung bzw. „normale“ Entwicklung erfolgt soziale Anpassung (vgl. ebd.). Kriminalität ist demzufolge nicht als angeborener Fehler sondern vielmehr als Erziehungs- u. Entwicklungsfehler zu definieren.

Im Wesentlichen ergeben sich hier nach Göppinger (1997:110) zwei Möglichkeiten der Fehlentwicklung. Zum einen kann sich auf Grund einer zu schwachen Ausbildung des ÜBER-ICHs keine hinreichende Kontrolle über die Triebimpulse stattfinden, was zu Kriminalität führt (vgl. ebd.). Zum anderen kann ein zu stark ausgeprägtes ÜBER-ICH jedoch die Möglichkeit der Triebbefriedigung so rigide unterbinden, dass es zu einer neurotischen Störung (unbewusste Schuldgefühle u. Strafbedürfnis) kommt, was zum Begehen von Straftaten führt (vgl. „Verbrecher aus Schuldbewusstsein“, Göppinger (1997:110)).

3.2.1.2 „Sündenbocktheorie“

Nach Göppinger (1997:110) spielt für die „Sündenbocktheorie“ bzw. für die „Psychologie der strafenden Gesellschaft“ der psychoanalytische Abwehrmechanismus der Projektion eine entscheidende Rolle. Demzufolge verschieben bzw. „projizieren“ Gesellschaftsmitglieder eigene Schwächen oder verbotene Wünsche (Triebe) auf Fremde, Verbrecher oder Außenseiter (vgl. ebd.). Dieser Vorgang verschafft den einzelnen Mitgliedern eine Art unbewusste „Ersatzbefriedigung“ für deren eigene Wünsche, was eine geläufige „Faszination am Verbrechen[2] erklären würde. Durch die Bestrafung des Kriminellen erfolgt eine Entlastung von eigenen Schuldgefühlen und Strafbedürfnissen (vgl. ebd.).

Wichtigster Kritikpunkt an der Psychoanalyse ist nach Göppinger (1997:111) die fehlende (empirische) Überprüfbarkeit der zu Grunde liegenden Annahme hinsichtlich Struktur und Entwicklung der menschlichen Psyche. Weiter werden auch keine konkreten Bedingungen benannt, die gegeben sein müssen, damit es zu kriminellen Handlungen kommt. Ferner vernachlässigt die Psychoanalyse ebenfalls die Einflüsse, die nach den frühkindlichen Phasen stattfinden, sowie die, der sog. „sekundären Sozialisation[3] (vgl. ebd.). Hinsichtlich der „Sündenbocktheorie“ existieren nach Göppinger (1997:111) keine detaillierten empirischen Untersuchungen. Auch bezieht sich die Faszination von Verbrechen und Strafe hier auf das Phänomen der massenmedialen Bekanntmachung und Darstellung von Kriminalität. Dieses strittige Phänomen findet im psychoanalytischen Ansatz der „Psychologie der strafenden Gesellschaft“ jedoch keine gesonderte Beachtung. Die Alltagskriminalität, die sich der Öffentlichkeit weitgehend entzieht, bleibt in diesem Ansatz unberücksichtigt.

[...]


[1] Freuds Persönlichkeits- bzw. Instanzenmodell gliedert sich in ES, ICH, ÜBER-ICH. Das ES (Sitz der elementaren Triebe – Selbsterhaltung u. Zerstörung) ist unbewusst und von Geburt an im Menschen angelegt, während das ÜBER-ICH (unbewusste moralische Kontrollinstanz – gesellschaftliche u. kulturelle Werte u. Normen; moralische u. sittliche Ge- u. Verbote) erst im Laufe der Entwicklung durch sozialen Kontakt entwickelt und geprägt wird. Das ICH repräsentiert psychische Funktionen, wie Bewusstsein, Gedächtnis, Erinnerung, Bewegungskoordinierung, Denken, etc.. Zugleich stellt es die Vermittlungsinstanz zwischen ES und ÜBER-ICH dar. Ausführlicher hierzu u.a. Göppinger (1997:109).

[2] Ein derartiges Beispiel wäre die „gesellschaftliche Begeisterung“ am Fall des Kaufhauserpressers Arno Funke („Dagobert“).

[3] Einflüsse außerhalb der Familie – Freundeskreis, Schule, Beruf, etc..

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Theorien zur Erklärung von Kriminalität - Kriminalitätstheorien / kriminologische Theorien
Hochschule
Universität Lüneburg  (Institut für Sozialpädagogik)
Veranstaltung
Einführung in die Kriminologie
Autoren
Jahr
2005
Seiten
24
Katalognummer
V59658
ISBN (eBook)
9783638535359
ISBN (Buch)
9783656247111
Dateigröße
547 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit wurde ursprünglich mit einer 1,7 bewertet. Die Note wurde jedoch aus univeritätsinternen Gründen nicht offiziell bestätigt, daher wird die Arbeit ohne Note angeboten.
Schlagworte
Theorien, Erklärung, Kriminalität, Kriminalitätstheorien, Theorien, Einführung, Kriminologie
Arbeit zitieren
Dipl.-Sozialpäd. Stefan Dannheiser (Autor:in)Isabel Chowanietz (Autor:in), 2005, Theorien zur Erklärung von Kriminalität - Kriminalitätstheorien / kriminologische Theorien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/59658

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